Bier Pioniere von Thomas Spitzer – erschienen bei Spielefaible
Vor kurzer Zeit verkündete das Statistische Bundesamt, dass der Bierkonsum in Deutschland ein weiteres Mal abgenommen hat. Das wird aber wohl nichts am Selbstbild ändern, dass Deutschland ein „Bierland“ ist. Dafür gibt es viele Gründe, die unter anderem auch bei der internationalen touristischen Vermarktung Deutschlands zu finden sind. Mit als erstes wird in diesem Zusammenhang gerne das Reinheitsgebot als "Markenkern" genannt. Aber auch andere Innovationen werden gepriesen, die zum Teil auch bei BIER PIONIERE thematisiert werden.
Thema... Wir sind in der Mitte des 19. Jahrhunderts, Deutschland ist mittlerweile auch im Industriezeitalter angekommen. Auf dieser Welle mitschwimmend, wollen wir aus unserer kleinen Haus-Brauerei eine Großbrauerei machen. Um unseren Siegpunkt-Ruhm zu mehren, werden wir verschiedene Biersorten herstellen, unsere Arbeitskräfte ausbilden, den Brauprozess mit neuen Errungenschaften wie Kältemaschine oder Bierfilter verbessern – und wahrscheinlich auch eine Menge Bier ausliefern.
Illustrationen... stammen auf unnachahmliche Art von Harald Lieske. Spötter könnten behaupten, dass seine vielen Arbeiten für den 2F-Verlag nun im wahrsten Sinne des Wortes abgefärbt haben. Denn die dominierende Farbe bei BIER BIONIERE ist grün. Allerdings offenbart der zweite Blick auch noch andere Pastellfarben und außerdem gibt es bestimmt viele gute Gründe für diese Farbwahl wie z.B. die typische Farbe des Hopfens. Mich erinnert die Gestaltung jedenfalls an die Biergläser und Flaschenetiketten auf dem Haushalt meiner Großeltern – und das ist jetzt nicht die unpassendste Assoziation. Darüber hinaus versteht Lieske sein Handwerk und so ist die gewählte Symbolsprache zwar vielschichtig aber glücklicherweise auch eindeutig. Darüber hinaus gefallen mir die vielen Referenzen zur Biergeschichte und der spezielle und gut passende Charme der Illustrationen zum Thema.
Ausstattung… Auch bei dieser könnte man dem Irrglauben verfallen, dass BIER PIONIERE eigentlich FRÜHE FLASCHEN oder ähnlich heißen müsste. Doch glücklicherweise hat auch der Spielefaible Verlag eine Vorliebe für Holz, Pappe und vielen Karten. So sind wir anfangs ganz schön mit Sortieren beschäftigt. Allein das persönliche Material besteht schon aus einer Vielzahl von Arbeitern in verschiedenen Größen und Ausführungen sowie weiterem Holzmaterial, das alles irgendwie organisiert werden will. Dazu haben wir alle ein eigenes Tableau, auf dem anfangs allerdings noch einiges durch Abdeckungen verborgen ist.
Der große Spielplan gibt Einsatzorte vor, die teilweise abgedeckt werden, wenn wir nicht vier Personen sind. Zusätzlich wird dort auch die Spiel-Reihenfolge festgehalten, deren Bestimmung wiederum mit zusätzlichen kleinen Aktionen verknüpft ist. Mithilfe des Spielplans wird noch die Auslage der nachzuziehenden Karten organisiert und ein Überblick über die aktuelle Siegpunktverteilung gegeben.
Ablauf… möchte ich BIER PIONIERE Menschen erklären, die schon tief im Hobby sind, kann ich es mir leicht machen: das Nehmen der Karten ist wie bei ARCHE NOVA, die Karten selbst erinnern mit ihrer Multifunktionalität an LA GRANJA und zusätzlich werden unsere Arbeiter mit der Zeit ausgetauscht wie bei VILLAGE; und der Rest ist so eine Art VITICULTURE. Das klingt vielleicht etwas despektierlich, aber so ist es gar nicht gemeint. BIER PIONIERE lehnt sich an diese Spiele an, erschafft aber ein eigenes System. Zusätzlich sind all diese Vorbilder auch für sich betrachtet alles gute Spiele.
Was machen wir nun bei BIER PIONIERE? Wir setzen zwei unserer Arbeiter-Figuren auf die Orte des Spielplans. Dabei wird ein Zahlenwert der Aktion mit dem Wert unserer Figur addiert. Ist diese Summe größer oder gleich dem Wert 6, dann können wir noch eine Bonusaktion durchführen. Aus diesem Grund sind wir daran interessiert, unsere Arbeiter auszubilden, so dass sie einen höheren Zahlenwert besitzen. Denn für diese Ausbildung werden wir auch auf anderem Weg noch mit einem Boni belohnt und unser Lager wird größer.
Zusätzlich können wir unseren Laster noch auf andere Einsatzfelder setzen, die dann auch mit dem Themenkomplex der Lieferung korrespondieren. Einen weiteren einzusetzenden Arbeiter haben wir noch für Aktionen auf unserem Tableau und dann können wir noch die Reihenfolge der nächsten Runde beeinflussen, wofür auch bestimmte Boni auf uns warten. Diese sind naturgemäß stärker, wenn wir dafür in der nächsten Runde später an der Reihe sind.
Das machen wir alle so oft, bis eine Person mindestens 20 Siegpunkte erzielt hat. Diese erhält man meistens über Bierlieferungen, die auf den Karten abgebildet sind. Die Karten lassen sich aber auch für besondere Aktionen spielen bzw. als hilfreiche dauerhafte Braumeister ausspielen. Zusätzlich organisiere ich über ausgespielte Karten auch noch die Leistungsfähigkeit meines Betriebes. Alles hängt also irgendwie miteinander zusammen!
Das gefällt mir nicht so gut: Leider hilft die Anleitung nur bedingt, diese Zusammenhänge auf einen Punkt zu bringen, der beispielsweise ein gutes Nachschlagen ermöglicht. Wir wissen noch grob, dass diese oder jene Zusatzregel besteht, aber wo finde ich denn nochmals deren Erwähnung in der Anleitung? Auch das anfängliche persönliche Material liegt zu Beginn etwas ratlos vor uns, weil wir nicht anschaulich erklärt bekommen, welches nun direkt nutzbar ist und was erst in einen persönlichen Vorrat wandert.
Diese Unsicherheit setzt sich dann bei manchen Karten-Aktionen fort. Es fehlt so etwas wie in Glossar, in dem einzelne Karten nochmals ausführlich erklärt werden. Die Anleitung führt zwar ein solches Glossar für einzelne Persönlichkeiten auf den Karten. Dort wird dann aber nur deren Geschichte erzählt. Das finde ich persönlich erhellend und bettet das Spiel gut in seinen geschichtlichen Anspruch ein. Für den Spielablauf wäre es aber förderlicher, wenn stattdessen lieber aufkommende Fragezeichen in den Köpfen aufgelöst worden wären.
Die Symbolsprache ist gut verständlich, zumal die Spielübersicht eine echte Hilfe ist. Leider fehlt dort oder auf dem Spielbrett ein Hinweis auf die magischen notwendigen sechs Erfahrungspunkte für die Bonusaktion. Zusätzlich wäre auch noch ein Hinweis auf die Schlusswertung hilfreich, die nur zum Teil auf der Flaschenleiste zu sehen ist. Zu guter Letzt finde ich es unglücklich, dass die Siegpunktleiste mit dem Wert 25 aufhört. Bei uns überschreiten die siegreichen Personen regelmäßig diesen Wert und es hätte meiner Meinung nach die Optik nicht zerstört, wenn die Leiste noch etwas verlängert worden wäre. Das ist natürlich nur eine Kleinigkeit. Aber diese stört genauso wie die Tatsache, dass die gedruckte Anleitung minimal größer ist als die Box und somit nicht plan in dieser liegen kann.
Das gefällt mir gut: Bisher habe ich mich nur an Äußerlichkeiten abgearbeitet und noch gar nichts zum Spiel als solches geschrieben. Aus gutem Grund, denn unter spielerischen Aspekten überzeugt mich BIER PIONIERE auf ganzer Linie. Durch die griffige Thematik erklärt sich vieles von selbst. So ist es logisch, dass mein Laster nur für die Lieferung oder das Fass-Management genutzt werden kann. Das Ansetzen neuer Biere oder die Weiterbildung meiner Angestellten funktioniert dahingegen nur über ausgebildete Arbeiter. Somit bin ich gezwungen, mir genauer Gedanken machen, was ich wann machen will. Wo stehe ich mit wem in Konkurrenz? Das ist eine zentrale Frage bei BIER PIONIERE. Dabei werden diese Timing-Fragen maßgeblich durch das Bonus-System beeinflusst, was einen eigenen Mikrokosmos des Spiels darstellt. Ich bemühe mich um die Ausbildung, aber auch darum, die besseren Boni freizuschalten. Zusätzlich muss ich mir noch Gedanken machen, ob ich mir über die Maschinenhalle nicht noch zusätzliche Boni-Arbeiter besorge. Doch diese Maschinenhalle steht wiederum in Konkurrenz zu den anderen interessanten Verbesserungen, die auch alle hilfreich sind und lieber früher als später gebaut werden wollen. Dauernd habe ich das Gefühl, dass ich in der Runde unbedingt noch dieses oder jenes machen muss, dafür das Personal aber nicht ausreicht. Also muss ich mich beschränken und ich muss Prioritäten setzen – und das immer in Abhängigkeit zu den Spielzügen meiner Mitspielenden. Denn im Vorfeld anvisierte Felder sind schneller belegt oder ausliegende Karten weggeschnappt als mir das lieb ist.
Dabei sind bei BIER PIONIERE unterschiedliche Strategien möglich, um das Wettrennen zu gewinnen. Im Extremfall muss ich dazu noch nicht einmal eigenes Bier brauen oder welches ausliefern. Einfacher ist es aber, wenn ich diese Möglichkeiten auch nutze. Dabei sollte ich aber planvoll vorgehen. Es ist sicherlich nicht die beste Idee, erst einmal gemütlich die eigene Brauerei auszubauen und dann auf passende Aufträge zu hoffen. Anders herum wird man deutlich effizienter sein – und darum geht es mal wieder. Denn schließlich ist BIER PIONIERE ein Wettrennen. Dieses lässt sich gut in zwei Phasen unterteilen. Am Anfang beschäftigt uns der etwas gemächliche Aufbau der eigenen Brauerei und die Ausbildung unserer Arbeiter. Doch irgendwann zieht das Tempo merklich an und wir versuchen nun, so schnell wie möglich unsere Aufträge auch in Punkte umzuwandeln. Dabei gilt es immer, die Mitspielenden und deren mögliche Pläne im Auge zu behalten.
Ein gewisses Kartenglück ist dabei sicherlich förderlich. Allerdings sind wir diesem nicht ausgeliefert. Durch die dreifache Möglichkeit, eine Karte nutzen zu können, erschließen sich mir immer ausreichend Alternativen. Das ist beispielsweise ein großer Unterschied zum sich ähnlich anfühlenden VITICULTURE. Zusätzlich habe ich nun auch Zugriff auf offen ausliegende Karten, was dieses Kartenmanagement deutlich planbarer werden lässt. Ich habe bei den Karten also meistens eher das Problem mich zu entscheiden, welche Funktion mir denn wichtiger ist. Als lila Lieferung oder als weiße Sonderaktion? Dass der augenscheinlich grüne Bereich konsequent als "beigebraun" bezeichnet wird, verwirrt übrigens nur anfangs. Durch die Symbolik ist klar, welcher Aspekt damit gemeint ist.
Aufgrund der möglichen Anpassungen des Spielplans skaliert BIER PIONIERE auch gut bei den unterschiedlichen Personenzahlen. Zusätzlich wird durch die verschiedenen Abdeck-Karten auch noch eine Varianz ermöglicht, welche die Partien jeweils anders erleben lässt.
Zu guter Letzt vermittelt BIER PIONIERE auch ein Stück Geschichte. Berühmte Bier-Persönlichkeiten treten auf und auch die technischen Entwicklungen werden aufgezeigt. Natürlich kann es dabei zu chronologischen Ungenauigkeiten kommen und allein schon der kleine Holz-Laster ist der eigentlichen Spielzeit weit voraus. Aber BIER PIONIERE soll keine Simulation sein, sondern lediglich ein Gefühl für diese Zeit vermitteln und die wirtschaftlichen Abläufe aufzeigen. Zusätzlich wird bspw. mit der Drehmechanik erlebbar gemacht, dass Bier brauen Zeit kostet – je nach technischer Ausstattung mehr oder weniger.
Fazit: BIER PIONIERE ist ein überzeugendes Kennerspiel, welches vor allem von der gelungenen thematischen Einbettung lebt. Die viele möglichen Aktionen aber auch Einschränkungen lassen sich gut darüber herleiten, weswegen das Spiel trotz der Regelfülle vergleichsweise leicht von der Hand geht. Dabei hilft auch das schlüssige Material und die eindeutigen Grafiken. Die vielen Karten, die auf verschiedenen Arten eingesetzt werden können, ergeben eine erfreulich hohe Varianz. Nur warum alles ausgerechnet mit einem Alt-Bier beginnt, dass kann ich aufgrund meines persönlichen Bier-Geschmacks nicht nachvollziehen (wobei somit zwangsläufig nur bessere Biere folgen können).
Titel | Bier Pioniere |
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Autor | Thomas Spitzer |
Illustrationen | Harald Lieske |
Dauer | 75 bis 100 Minuten |
Personenanzahl | 2 bis 4 Personen |
Zielgruppe | planende Kennerspielrunden |
Verlag | Spielefaible |
Jahr | 2023 |
Hinweis | Vielen Dank an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars! |
Hallo, ich erkläre mal die "Altbier" Thematik in Bierpioniere:
Mit Altbier ist hier das "alte Bier" bzw. die alte Brauform gemeint. Früher (in BP zu Spielbeginn) kannte man nur eine, die obergärige Brauform, dazu keine dauerhafte Kühlung und kein Filtersystem. Kam erst mit der Industrialisierung.
Somit startet jeder in BP mit dem Wissen über Bierbrauen einer von zwei Brauformen. Auch erkennbar auf dem Spielertableau wo die "untergärigen" neuen Sorten oben zu finden sind.
Demzufolge kommt Altbier von "das alte Bier" 🙂
Grüße
Thomas
Hallo!
Vielen Dank für die Aufklärung!