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kritisch gespielt: Décorum

Décorum von Charlie Mackin, Harry Mackin und Drew Tenenbaum – erschienen bei Skellig Games

Decorum - Cover
Bild: Skel­lig Games

Es soll Come­di­ans geben, die seit 20 Jah­ren den immer glei­chen scha­len Witz über den Unter­schied zwi­schen Frau­en und Män­nern erzäh­len und damit sogar Fuß­ball­sta­di­en fül­len. Kei­ne Ahnung, ob in einer die­ser end­lo­sen Wie­der­ho­lun­gen auch das The­ma Deko­ra­ti­on von Woh­nun­gen vor­kommt. Wahr­schein­lich aber schon, denn zumin­dest ich habe in mei­nen Bezie­hun­gen schon einen deut­li­chen Unter­schied zwi­schen den Geschlech­tern hin­sicht­lich des Bedürf­nis­ses erlebt, die eige­nen Wohn­räu­me mit Deko voll­zu­stel­len. Dabei gehö­re ich übri­gens der Frak­ti­on an, die das lie­ber ledig­lich nur spie­le­risch macht – bspw. mit DECORUM.

The­ma... der Unter­ti­tel ist ein wenig rei­ße­risch, denn dem­nach soll DECORUM ein "Spiel über pas­siv-aggres­si­ves Zusam­men­le­ben" sein. Hin­ter­grund die­ser Aus­sa­ge ist, dass wir alle geheim bestimm­te Vor­stel­lun­gen vor­ge­ge­ben bekom­men, wie unse­rer fik­ti­ven Mei­nung nach die gemein­sa­me Woh­nung aus­zu­se­hen hät­te. Aller­dings bege­hen wir dann den Feh­ler der moder­nen Gesell­schaft: wir reden nicht über unse­re Bedürf­nis­se, son­dern machen ein­fach mal – wor­auf wir kom­men­tar­lo­se "likes" und "dis­li­kes" sam­meln. Die­se ver­su­chen wir dann rich­tig zu inter­pre­tie­ren, um dann beim nächs­ten Ein­rich­tungs­ver­such bes­ser zu "matchen".

Decorum - Übersicht
erstaun­lich schlicht gehalten

Illus­tra­tio­nen… sind von Micha­el Mate­y­ko mit des­sen Ein­stieg in die Welt der Brett­spiel-Illus­tra­tio­nen. Glück­li­cher­wei­se sind sei­ne Arbei­ten ange­mes­sen ver­spielt, was sich auch an der groß­ar­ti­gen Cover-Gestal­tung zeigt. Doch auch beim Spiel­ma­te­ri­al unter­schei­den sich die ein­zel­nen Ein­rich­tungs­ge­gen­stän­de immer mini­mal von­ein­an­der, imi­tie­ren dabei aber auch jeweils einen beson­de­ren Stil. Auf­grund der gra­fi­schen Gesamt-Gestal­tung wer­den die ein­zel­nen Illus­tra­tio­nen aller­dings ledig­lich am Ran­de wahr­ge­nom­men. Zu sehr domi­nie­ren die wich­ti­gen Farb­kon­tras­te und der abs­trak­te Stil des Materials.

Aus­stat­tung… der zen­tra­le Spiel­plan zeigt ein lee­res Haus, wel­ches dann mit einer Men­ge mög­li­cher Objekt­plätt­chen ein­ge­rich­tet wird. Die­se Objek­te sind in unter­schied­li­chen Sti­len und Far­ben ver­tre­ten. Die jewei­li­ge Wand­far­be eines Rau­mes wird eben­falls mit­hil­fe von Papp-Plätt­chen sicht­bar gemacht. 

Decorum - Umschläge
die Umschlä­ge machen neugierig

Die eigent­li­chen Auf­ga­ben­stel­lun­gen wer­den dahin­ge­gen auf Spiel­kar­ten prä­sen­tiert. Jede Per­son erhält eine Kar­te, auf der die Bedin­gun­gen für die fina­le Zufrie­den­heit vor­ge­ge­ben sind. Dabei gibt es einen Kar­ten­sta­pel für die 2‑Per­so­nen-Kam­pa­gne aus 20 Sze­na­ri­en und einen Sta­pel mit 10 Sze­na­ri­en für das Spiel zu dritt oder zu viert. Da sich die Spiel­me­cha­nik leicht vom 2‑Per­so­nen-Spiel unter­schei­det, wer­den dann zusätz­lich noch klei­ne Bedin­gungs­kar­ten benö­tigt. Für die 2‑Per­so­nen-Kam­pa­gne ist dahin­ge­gen noch wei­te­res Mate­ri­al in Umschlä­gen ver­steckt, wel­che man sich beim Fort­schrei­ten der Kam­pa­gne frei spielt.

Decorum - Start
die Are­na ist vorbereitet

Ablauf… wir wol­len gemein­sam ein Haus ein­rich­ten, in dem all unse­re gehei­men Wün­sche erfüllt sind. So will ich z.B. dafür sor­gen, dass die Küche eine blaue Wand­far­be besitzt und dass sich im Wohn­zim­mer aus­schließ­lich Retro-Objek­te befin­den. Die­se Bedin­gun­gen wer­den uns durch unse­re Start­kar­ten mit­ge­teilt, ohne dass wir anfangs über die­se reden dür­fen. Erst gegen Ende des Spiels dür­fen wir nach und nach ein­zel­ne Bedin­gun­gen offen­ba­ren, so dass sich dann das Spiel­ge­fühl in das Lösen einer Logik­auf­ga­be wandelt.

Bis die­se Infor­ma­tio­nen offen sind, ver­su­chen wir durch unse­re Aktio­nen den ande­ren mit­zu­tei­len, wie unse­rer Mei­nung nach das Haus ein­ge­rich­tet sein soll­te. Dazu dür­fen wir ein Zim­mer neu strei­chen, ein Objekt aus dem Vor­rat in ein Zim­mer legen oder umge­kehrt aus einem Zim­mer zurück in den Vor­rat legen. Zusätz­lich dür­fen wir auch ein Objekt gegen ein ande­res im glei­chen Stil oder in der glei­chen Far­be aus­tau­schen. Von den Mit­spie­len­den bekom­me ich dann Rück­mel­dun­gen auf mei­ne Aktio­nen, die aller­dings all­ge­mei­ner Natur sein sol­len. Also ich darf nicht sagen: "Nee, im Wohn­zim­mer sol­len kei­ne Uhren ste­hen." Son­dern ich kann ledig­lich mit ein "Och nö, die eben von dir hin­ge­stell­te Uhr gefällt mir gar nicht!" reagie­ren. Viel­leicht sage ich aber auch, dass mir die Akti­on eben rela­tiv egal war und bes­ten­falls jube­le ich Zustimmung.

Nach jeder durch­ge­führ­ten Akti­on wer­den die eige­nen Bedin­gun­gen über­prüft. Sind inner­halb von 30 Akti­on-Run­den sämt­li­che Bedin­gun­gen von allen Mit­spie­len­den erfüllt, dann haben wir die Par­tie gewonnen. 

Decorum - Detail
Was soll wo hin? Und war­um eigentlich?

Das gefällt mir nicht so gut: Im Kern ist DECORUM ein Logik-Puz­zle mit vor­ge­schal­te­ter Deduk­ti­on. Das Pro­blem ist, dass zu vie­le Unbe­kann­te bestehen, um wirk­lich schlüs­sig dedu­zie­ren zu kön­nen. Ich habe kei­ner­lei Anhalts­punk­te und die Sum­me der Kom­bi­na­ti­ons­mög­lich­kei­ten ist schon zu Beginn mit 3 Objek­ten in vier unter­schied­li­chen Sti­len sehr hoch – von den Far­ben ganz zu schwei­gen. Das wird noch ver­stärkt, wenn zusätz­lich die Rede von war­men und kal­ten Far­ben ist, wenn von oben und unten im Haus gespro­chen wird und dann noch so rela­ti­ve Bedin­gun­gen wie "häu­fi­ger" oder "sel­te­ner" auf­tre­ten. Es fehlt ein anfäng­li­cher Rah­men der uns vor­ge­ge­ben wird – auch wenn wir ver­su­chen, die­sen über die weni­gen ein­lei­ten­den Sät­ze des Sze­na­ri­os zu erahnen.

Am Anfang wer­den des­we­gen wil­de Ver­su­che gestar­tet und mit Glück passt dabei sogar eini­ges zusam­men. Genau­so gut kön­nen wir aber auch Pech haben und uns in der Anfangs­pha­se so viel ver­bau­en, dass wir hin­ten her­aus bei kla­rer Auf­ga­ben­stel­lung nicht mehr das Logik-Puz­zle gelöst bekom­men, weil dafür dann die nutz­ba­ren Aktio­nen nicht mehr aus­rei­chen. Das ist unbe­frie­di­gend und fühlt sich will­kür­lich an. Zusätz­lich hat­ten wir auch nie das Gefühl, dass wir uns in irgend­ei­ner Form ein­groo­ven könn­ten, weil das nächs­te Sze­na­rio schon wie­der kom­plett ande­re Anfor­de­run­gen haben kann.

Decorum - Mehrpersonen
das Mehr­per­so­nen­spiel ist in vie­ler­lei Hin­sicht aufwändiger

Das Gefühl der Plan­lo­sig­keit stört in der 3- und 4‑Per­so­nen-Vari­an­te noch mehr, weil sich dabei im Haus eini­ges ändern kann, bis ich wie­der am Zug bin. War ich eben noch zufrie­den, hat sich auf ein­mal die Situa­ti­on kom­plett ver­än­dert und ich weiß gar nicht, wo ich nun mit der Umge­stal­tung anfan­gen soll. Auch das Offen­ba­ren der Bedin­gun­gen ist im Mehr­per­so­nen­spiel etwas umständ­lich gera­ten, was für wei­te­re Unklar­hei­ten sor­gen kann. 

Unklar sind lei­der manch­mal auch die Bedin­gun­gen als sol­ches. Ich habe es lei­der öfters erlebt, dass die Bedin­gun­gen falsch ver­stan­den wur­den und dann in der Mit­te der Par­tie die­se eigent­lich nur noch abge­bro­chen wer­den konn­te. Weil die Bedin­gun­gen geheim blei­ben sol­len, kön­nen auch schlecht Rück­fra­gen dazu gestellt wer­den und es wird ver­sucht, die­se allei­ne rich­tig zu interpretieren.

Ohne­hin ist die Art der erlaub­ten Kom­mu­ni­ka­ti­on eine Krü­cke. Wir sol­len anschau­lich unser Miss­fal­len oder unse­re Zustim­mung aus­drü­cken, dür­fen dabei aber nicht wirk­lich etwas sagen. Das ist scha­de, denn wenn man die­se Regel etwas auf­weicht, kön­nen wit­zi­ge Dia­lo­ge ent­ste­hen, die uns so vor­ent­hal­ten wer­den (Was hast du denn gegen das anti­ke Bild mei­ner Mut­ter? Das ist ein Erb­stück, dass muss in die neue Woh­nung!). Durch die jewei­li­gen Auf­ga­ben-Kar­ten wer­den näm­lich die eige­nen Bedürf­nis­se in eine Geschich­te ein­ge­bet­tet. Am Ende kön­nen wir die­se dann auch auf­lö­sen, wäh­rend des eigent­li­chen Spiels ist das aber kein The­ma. Das emp­fin­de ich als ver­ta­ne Chan­ce – ins­be­son­de­re wenn ich beden­ke, wie viel Mühe sich mit der Rah­men­hand­lung gemacht wur­de. Denn bei der 2‑Per­so­nen-Kam­pa­gne wer­den immer mal wie­der die ein­zel­nen Geschich­ten fortgeschrieben. 

Decorum - Reden
Reden hilft!

Das gefällt mir gut: Das größ­te Plus von DECORUM ist das lebens­ech­te und gut umge­setz­te The­ma. Das weckt, vor allem in Kom­bi­na­ti­on mit der beson­de­ren Gestal­tung, Inter­es­se. All zu oft habe ich mich an die ein oder ande­re Situa­ti­on in mei­nem Leben zurück­ver­setzt gefühlt. Zusätz­lich zeigt die Beschrän­kung der Kom­mu­ni­ka­ti­on, wie viel ein­fa­cher das Leben doch ist, wenn man nur ver­nünf­tig mit­ein­an­der redet. Die­ser Erkennt­nis­ge­winn ist Gold wert! 

Der Schwie­rig­keits­grad bei den ein­zel­nen Sze­na­ri­en ist gut gewählt. Zudem sind die Sze­na­ri­en auch jeweils deut­lich anders, so dass wir immer wie­der vor neue Her­aus­for­de­run­gen gestellt wer­den. Die 2‑Per­so­nen-Kam­pa­gne hat durch die bei­den ver­schlos­se­nen Umschlä­ge auch noch wei­te­re Über­ra­schun­gen zu bie­ten. Ohne­hin sind die­se Umschlä­ge sehr moti­va­ti­ons­för­dernd, da natür­lich her­aus­ge­fun­den wer­den will, was die­se zu bie­ten haben.

DECORUM besitzt einen ein­zig­ar­ti­gen Look, der auch sehr hilf­reich für das Spiel ist. Durch die knal­li­gen Far­ben im recht farb­lo­sen Haus wird zumin­dest Men­schen ohne eine Farb­fehl­sich­tig­keit sehr deut­lich gemacht, wie sich die aktu­el­le Situa­ti­on dar­stellt. Für Farb­fehl­sich­ti­ge hät­te aller­dings ger­ne noch etwas mehr Unter­schei­dung zwi­schen den recht dunk­len Rot- und Grün­tö­nen gut getan, um häu­fi­ge­re Zwi­schen­fra­gen zu ver­mei­den. Die­ser beson­de­re Stil von DECORUM wird übri­gens auch bei der Gestal­tung der Anlei­tung deut­lich, die sehr groß­zü­gig gesetzt ist und eher zu viel als zu wenig Umfang hat. 

Fazit: Man merkt dem Spiel an, wie viel Herz­blut in die­ses geflos­sen ist. Lei­der wird durch den Detail­reich­tum die eigent­lich inter­es­san­te Grund­idee zu wenig greif­bar. Das vor­han­de­ne Poten­zi­al mit der lebens­ech­ten Aus­gangs­si­tua­ti­on wird im Spiel­ver­lauf nicht gut genug genutzt, um lang­fris­tig fes­seln zu können. 

Titel Décorum
AutorChar­lie Mack­in, Har­ry Mack­in und Drew Tenenbaum
Illus­tra­tio­nenMicha­el Mateyko
Dau­er30 bis 45 Minuten
Per­so­nen­an­zahl2 bis 4 Personen
Ziel­grup­pekoope­ra­ti­ve Familienspielrunden
Ver­lagSkel­lig Games
Jahr2023
Hin­weisfür die Bespre­chung wur­de vom Ver­lag ein
Rezen­si­ons­exem­plar zur Ver­fü­gung gestellt

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