Terraforming Mars von Jacob Fryxelius erschienen im Schwerkraft-Verlag

Es gibt Hype-Themen – sowohl in der Politik, in Büchern und natürlich auch bei Spielen. Eines bei Spielen ist in den letzten Jahre der Rote Planet (und hat damit glücklicherweise Zombies abgelöst). Trifft dann ein gutes Spiel und ein Hype-Thema aufeinander, hat man schnell auch ein Hype-Spiel. Der Hype um das Spiel kann noch durch eine limitierte Auslieferung zusätzlich gefüttert werden, so dass man auf einmal als stolzer Besitzer ganz besonders exklusiv erscheint. So geschehen bei TERRAFORMING MARS. Sofort gibt es dann Gegenstimmen, die sich gegen den Hype wenden wollen und allen erklären müssen, warum das Spiel völlig zu unrecht Hype ist. Und bevor ich vor lauter Hype nicht mehr weiß, was ich schreibe (und am Ende noch Scooter vor mich her singe), beende ich die Einleitung.

Um was geht es? Wir Spieler verkörpern einen Konzern, der an der Besiedelung des Mars teilnimmt. Da so etwas aber nicht von heute auf morgen geschehen kann, werden nicht einzelne Spielrunden gespielt, sondern "Generationen"! Wenn eine Partie bspw. nach zehn Generationen endet, dann umfasst das also eine Zeitspanne von 250 bis 300 Jahren. Um den Mars bewohnbar zu machen, werden verschiedene Projekte gestartet. Gemeinsames Ziel ist es, die Temperatur oder den Sauerstoffgehalt zu erhöhen bzw. Ozeane mit ausreichend Frischwasser entstehen lassen. Nebenbei verfolgen die Konzerne aber auch eigene Ziele: nämlich Ruhm und Ehre zu erlangen, um sich später als Gewinner der Urbanisierung bezeichnen zu können.

Dabei wird das Spiel hauptsächlich über ausgespielte Karten gesteuert (er werden Projekte ausgeführt). Meistens passiert etwas direkt beim Ausspielen, einige Karten haben aber auch langfristige Effekte. Der Clou an TERRAFORMING MARS ist in meinen Augen, dass man diese Karten vorher kaufen muss. Man muss also immer abwägen, ob sich ein Kauf eine Karte lohnt – oder ob man das Geld nicht eher dazu nutzen sollte, seine schon erworbenen Karten auch ausspielen zu können. Denn das Ausspielen kostet ebenfalls Geld (wobei manchmal dafür auch Ressourcen benutzt werden können).
So spielt man anfangs darauf hin, sein Geld- bzw. sein Ressourceneinkommen zu steigern. Zusätzlich versucht man natürlich, gewisse "Motoren" entstehen zu lassen, so dass die Projekte sich gegenseitig unterstützen. Je länger eine Partie dauert, umso mehr Projekte kann man sich leisten und dementsprechend wächst auch die Kartenauslage der einzelnen Spieler. Dabei geht dann etwas die Übersicht verloren. Anfangs, mit wenigen Karten, ist dass alles kein Problem. Aber je länger das Spiel dauert, desto weniger kann ich mir merken, was meine Mitspieler so ausliegen haben (diese Problematik erinnerte mich bspw. an MACAO).
Auch sollte man wissen, dass einige Karten Mitspieler schaden können. Diese verlieren dann Ressourcen oder bspw. Tiere. "Problematisch" sehe ich die Ärgerkarten deswegen, weil man nicht immer die Auswahl hat, wen man nun ärgert. Wenn ich bspw. nur einem einzigen Mitspieler Pflanzen abnehmen kann, dann mache ich das. Allerdings kann das auch der Spieler sein, der aktuell hinten herum dümpelt. Der Führende hat in dem Moment vielleicht gar keine Pflanzen und lacht sich dann ins Fäustchen. Allerdings sind diese Effekte in meinen Augen nicht zu stark und sollen eher dazu führen, dass nicht maßlos eine Ressource gehortet wird (weil man eben angreifbar ist). Spieler, die so etwas nicht abkönnen, sollten dann aber die Finger von dem Spiel lassen. Oder man spielt ohne diese Effekte. Aufgrund der vielen Karten und deren möglichen Kombinationen habe ich keine Probleme der Balance erkennen können, wenn man ohne diese Effekte spielt. Allerdings geht dann auch ein wenig thematischer Flair verloren. Wenn auf einmal Vögel auf dem Mars leben, dann müssen die auch etwas fressen – und dann muss eben ein Mitspieler zwei Pflanzen abgeben, die von den Vögeln gefressen wurden. Die verlorenen Ressourcen lassen sich also thematisch erklären. Und wenn ich als Spieler weiß, warum ich etwas abgeben muss, dann kann ich das auch besser akzeptieren. Ich finde dieses Konzept jedenfalls besser als das relativ wahllose Rohstoffziehen bei SIEDLER VON CATAN. Anfangs war ich da auch sehr skeptisch, doch mittlerweile habe ich damit meinen Frieden gemacht.

Neben dem simplen Ausspielen der Projektkarten gibt es eine Vielzahl von kleinen Regelkniffen, die dem Spiel das gewisse Etwas geben. Bspw. sind manche Karten nur dann auszuspielen, wenn der Mars eine bestimmte Temperatur oder Sauerstoffgehalt besitzt. Oder gebaute Wälder und Städte ergeben Geld, wenn sie neben einem Ozean liegen. Zusätzlich generiert der Spielplan Belohnungen, wenn man bestimmte Felder abdeckt. Auch ist zu erwähnen, dass für erfahrene Spieler unterschiedliche Startvoraussetzungen geschaffen werden. Man hat dann die Wahl zwischen verschiedenen Konzernen, die sich alle unterschiedlich spielen (und an denen man seine gewählte Strategie anpassen sollte) – wobei man immer noch abhängig von den Karten ist.
Und wofür macht man das Ganze? Wie schon oben erwähnt für Siegpunkte. Diese können durch die einzelnen Projekte generiert werden oder schlicht und einfach durch gebaute Plättchen auf dem Mars. Zusätzlich kann man aber schon im Spiel sogenannte Meilensteine (man hat bspw. als erster drei Städte gebaut) erreichen, die am Ende Siegpunkte ergeben. So ist also auch noch ein kleines Wettrennen im Spiel eingebaut. Zusätzlich können noch siegpunktträchtige Auszeichnungen vergeben werden – wobei auch diese (wie die Meilensteine) flexibel durch die Spieler aktiviert werden müssen.
So kann es am Ende allerdings auch etwas zäh werden, da jeder Spieler versucht ist, irgendwie noch den letzten Siegpunkt zu erzeugen – und aufgrund der vielen ausgespielten Karten gibt es dazu mehrere Wege, die alle bedacht sein wollen. Trotzdem finde ich es schön, dass das Spielende aktiv von den Spielern bestimmt wird. Erkennt man, dass ein Spieler eher auf ein langes Spiel hinaus will, dann sollte man ihm tunlichst nicht den Gefallen tun und lieber auf die Tube drücken. Sind nämlich die drei Parameter Sauerstoffgehalt, Temperatur und Wasservorkommen am Anschlag, dann endet die Partie – und dafür kann man als Spieler selbst sorgen.

Was gibt es noch für Kritikpunkte? Neben den für manchen Spieler problematischen Ärgerkarten und dem manchmal sich etwas hinziehendem Ende, ist das in meinen Augen hauptsächlich die Grafik, die Regel und teilweise die Ausstattung. Die Gestaltung der Karten ist nämlich nicht einheitlich. Ist der Großteil durch typische Sciencefiction-Grafiken schön illustriert, binden andere Karten lediglich lieblose reale Fotos ein. Diese wirken so, als seien sie noch schnell eingefügt worden – eine einheitliche Bildsprache ist leider nicht zu erkennen (und das bei dem grandios gestalteten Cover). Die Regel ist zwar vollständig – aber gerne sind wichtige Aspekte im Fließtext versteckt oder etwas unpräzise formuliert. Ich habe von einigen Spielern die Rückmeldung bekommen, dass sie TERRAFORMING MARS bspw. so gespielt haben, dass man pro Generation nur ein oder zwei Aktionen durchführen darf – womit sich ein ganz anderes Spielgefühl einstellt. Bei der Regel besteht in meinen Augen also noch Optimierungspotenzial. Die Ausstattung sieht von Weitem toll aus. Die Ressourcenmarker blinken uns in Gold, Silber und Bronze entgegen. In die Hand genommen merkt man aber schnell, dass sie lediglich aus Plastik bestehen. Und schaut man sich dann die Ecken der Marker an, dann kann man leider das Plastikmaterial auch sehen, denn an den Kanten neigt die glitzernde Oberfläche dazu, abzusplittern. Klasse finde ich die Spielermarker aus durchsichtigem Plastik, wodurch ich die Werte auf den Leisten meines Spielertableaus erkennen kann. Leider neigen diese Steinchen auf den glatten Tableaus dazu zu verrutschen. Aus diesem Grund haben Drittanbieter schon Inlays aus Acryl im Angebot, die dies verhindern sollen. Allerdings muss man diese wieder an das Tableau befestigen, denn ansonsten neigen die Inlays dazu, ebenfalls auf dem Tableau zu verrutschen. Ich empfehle da transparente Fotoecken. Beim Material bin ich jedenfalls etwas zwiegespalten. Einerseits finde ich das „Bling-Bling“ toll, da es einen hohen Aufforderungscharakter besitzt; andererseits hat es etwas Schwächen in der praktischen Umsetzung.

Trotz (oder vielleicht auch wegen) dieser Kanten ist TERRAFORMING MARS mein Lieblingsspiel des Jahrgangs 2016/2017. Es übt eine seltene Faszination aus. Das Thema ist sehr überzeugend umgesetzt und lässt einen gut in diese Welt eintauchen. Die Möglichkeiten im Spiel sind sehr vielfältig – und immer wird man getrieben von den Karten, die einem zugeordnet werden. Das schmeckt nicht jedem Spieler, da hier immer eine gewisse Unwägbarkeit im Spiel ist. Einige Spielrunden spielen deswegen mit Drafting. Ich selbst finde es ganz stimmig, dass man ersteinmal ins Blaue spielt – denn ein solches Generationen übergreifende Projekt kann nicht ohne Rückschläge und Strategieänderungen vonstatten gehen. Aber ich bin auch kein Hardcore-Optimierer und spiele lieber thematisch als auf Teufel komm raus erfolgsorientiert. Ich habe kein Problem nach guten 150 Minuten Spielzeit zu merken, dass ich mit einer anderen Kartenhand vielleicht noch mehr Siegpunkte gewonnen hätte. Denn in dieser Zeit habe ich mich wunderbar unterhalten gefühlt. Ich habe Entscheidungen getroffen und den ein oder anderen Schicksalsschlag gemeistert.
Sehr gut gefällt mir, dass man Anfänger und erfahrene Hasen gut zusammen spielen lassen kann. Die Anfänger bekommen ein geregeltes Starteinkommen und müssen für ihre ersten Karten nichts zahlen, die erfahrenen Spieler haben ihre speziellen Konzerne, müssen den Startvorteil der Anfänger aber auch ersteinmal ausgleichen. Hier kann man also gut mit unterschiedlichen Kenntnissen zusammen spielen. Auch das Solospiel macht Spaß und ist empfehlenswert.
Insgesamt hat man das Gefühl, dass der Autor hier eine Leidenschaft in ein Spiel umgesetzt hat. Eine erfahrene Redaktion hätte dabei vielleicht noch die ein oder andere Kante entfernt. Aber so ist ein Spiel mit Charakter entstanden. Nicht immer läuft es wie gewollt – aber wer glaubt denn wirklich, dass eine Marsbesiedelung ohne Probleme möglich ist?
Titel | Terraforming Mars |
Autor | Jacob Fryxelius |
Illustrationen | Daniel Fryxelius und Isaac Fryxelius |
Dauer | 120 bis 150 Minuten |
Spieleranzahl | 1 bis 5 Spieler |
Zielgruppe | Kennerspiel |
Verlag | Schwerkraft-Verlag |
Jahr | 2016 |
Terraforming Mars ist ein sehr tolles und vielfältiges Spiel. Es wird nie langweilig 🙂