Marrakesh von Stefan Feld – erschienen bei Queen Games
Bevor in ein paar Tagen die Tore der SPIEL 22 öffnen, möchte ich euch heute nochmal schnell ein wenig den Mund durch diesen Ersteindruck zu MARRAKESH wässrig machen. Im Nachhinein ist es mir selbst nicht so ganz klar, warum das Spiel nicht auf meiner diesjährigen Vorfreude-Liste steht. Irgendwie hatte ich nur HAMBURG und AMSTERDAM als echte Neuheiten im Kopf, bei MARRAKESH bin ich fälschlicherweise davon ausgegangen, dass das wohl nur als Demo vorläge und dann am Ende des Jahres zur Verfügung stünde. Umso größer war meine Freude, als ich das Spiel auf dem Presse-Event von Queen Games anspielen konnte. Seit dem lässt mich MARRAKESH nicht mehr los, weswegen ich heute gerne etwas ausführlicher über das Spiel reden möchte.
Thema... habe ich nicht wirklich verinnerlicht. Ohne auf den Rücken der Box zu schauen, gehe ich davon aus, dass wir irgendwelche Händler in Marrakesh sind, die dort ganz geschäftig verschiedene Orte besuchen. Moment mal, ich schaue mal nach ... okay, wir sind keine Händler, sondern reiche Bürger der Stadt (also doch Händler). Und natürlich arbeiten wir nicht selbst, sondern schicken unsere drei Assistenten an die Orte, um dort für uns tätig zu werden. Mehr als ein erklärendes Beiwerk ist das Thema somit nicht – der Würfelschubser in mir kann gut damit leben.
Illustrationen... stammen von Altmeister Franz Vohwinkel und Patricia Limberger. Das Auffälligste an der grafischen Gestaltung ist, dass sie nicht auffällt. Es ist überall Leben spürbar, trotzdem kann man sich gut auf die wichtigen Sachen konzentrieren. Die Illustrationen begleiten einen, lenken aber glücklicherweise nicht ab. Zudem ist die Symbolsprache sehr eingängig, so dass man in kürzester Zeit alles recht fehlerfrei erfassen kann. Und wenn trotzdem noch Fragen bestehen, kann man problemlos im Anhang nachschauen und wird dort schnell fündig, weil alle Elemente mit eine Nummer zum Nachschlagen versehen sind.
Ausstattung... ist üppig! Die Box ist nicht nur groß, sondern auch prall gefüllt. Herzstück darin ist der Würfelturm, wie ihn die alten Semester noch aus IM ZEICHEN DES KREUZES und WALLENSTEIN kennen und die etwas jüngeren vielleicht aus AMERIGO und IMMORTALS. Dort wirft man im Spielverlauf eine Menge bunter Holzkuben rein, die in MARRAKESH durchgängig als "Keshis"bezeichnet werden. Eine Bezeichnung, die extrem catchy ist und uns recht sicher über das Spiel hinaus begleiten wird.
Zusätzlich gibt es einen Spielplan und persönliche doppellagige Tableaus, um dort im Spielverlauf die Keshis sicher zu platzieren. Weiter gibt es noch unzählige Plättchen (Schriftrollen, Luxuswaren, Oasen...) sowie Datteln, Wasser und Geld als Ressourcen. Da MARRAKESH allerdings vorab ein Crowdfunding-Projekt war, gibt es alternativ zum eigentlichen Standard-Material noch Deluxe-Zeug, was mir dankenswerterweise zur Verfügung gestellt wurde. Dabei sind die Spielfiguren bedruckt und die Datteln, Wassertropfen und Stadttore nicht aus Pappe, sondern ebenfalls aus Holz. Ich habe kurzerhand noch aus dem eigenen Bestand Metallmünzen dazu gelegt, weil ich es unpassend fand, dass diese dann noch aus Pappe sind. Aber natürlich sind für MARRAKESH eigene passende Münzen ebenfalls schon in der Produktion.
Noch besonders erwähnenswert sind die tollen Spielhilfen. Diese sind sehr hilfreich und zeigen auch direkt an, auf welcher Seite im Regelheft man für genauere Infos nachschauen kann – inklusive eines QR-Codes, um zur entsprechenden PDF-Version zu gelangen. Insgesamt ist das Material, wie man es von Queen Games gewohnt ist, somit umfangreich und absolut wertig.
Ablauf... in drei Durchgängen werden vier Runden gespielt. Zu Beginn eines Durchgangs erhält man 12 unterschiedlich farbige Keshis. Davon suchen wir uns am Anfang einer Runde geheim drei aus. Wenn das alle gemacht haben, setzen wir nun die eigenen drei Assistenten auf die farblich passenden Bereiche des eigenen Tableaus. Das sind dann unsere Bezirke, die wir in der aktuellen Runde aktivieren. Bevor wir aber direkt aktiv werden, müssen nun alle Keshis in den Turm geworfen werden. Der Großteil wird davon auch wieder rausfallen – vereinzelt bleibt aber auch mal einer stecken.
Die raus gefallenen Keshis werden farblich geordnet in Gruppen gestellt. Dann suchen wir uns nacheinander eine Farbe aus und nehmen davon maximal zwei Keshis, die wir dann auf unser Tableau stellen. Das müssen nicht zwangsläufig die Farben sein, die wir selbst zur Auswahl beigesteuert haben. Allerdings hat das schon Vorteile.
Sind nämlich alle Keshis verteilt, beginnt man nun nacheinander die aktivierten Bezirke abzuarbeiten. Meist kann man dort Aktionen machen, die stärker sind, je mehr Keshis dort vorhanden sind. Allerdings kann man auch auf die Aktion verzichten und stattdessen aus dem Vorrat einen weiteren Keshi in diesen Bezirk stellen. Dabei sind die einzelnen Aktionen glücklicherweise recht überschaubar. Mal geht man auf Leisten voran, ein anderes Mal kann man Plättchen erwerben, die entweder Siegpunkte geben oder Aktionen verstärken. Am Ende gibt es dann hauptsächlich Punkte für vollständig befüllte Bezirke, für vorher aktivierte Oasen und für die gesammelten Luxusgüter.
Die Chance auf einen Zweiteindruck... ist aber so etwas von gegeben. Seit Tagen spiele ich nichts anderes als MARRAKESH – zumindest wenn ich die Zeit dafür habe. Denn MARRAKESH spielt man mal nicht so nebenbei. Im 2‑Personenspiel werden wir uns vielleicht mal bei 90 Minuten einpendeln, die bisherigen Mehrpersonen-Partien haben deutlich länger gedauert. Aber auch hier bin ich zuversichtlich, dass sich das eingrooven wird. Man hat immer mehrere Zwischenziele und ist deswegen so beschäftigt, dass man gar nicht merkt, wie die Zeit vergeht. Dabei ist das Faszinierende an MARRAKESH, dass das eigentliche Spiel gemessen am vielen Material gar nicht so kompliziert ist, wie es auf den ersten Blick aussieht. Die einzelnen Aktionen sind schon recht gut zu erfassen, auch wenn man beim ersten Mal vielleicht noch nicht so ganz die ineinander greifenden Rädchen erkennt.
Diese Aha-Momente stellen sich aber recht fix ein. Schon bald erkennt man, dass es sinnvoll sein kann, lieber einen Keshi zu nehmen als die Aktion im Bezirk durchzuführen. Dass es hilfreich ist, die eigenen Oasen zu kennen, damit man zielgerichteter am Ende punkten kann. Dass man besser die Mitspielenden beobachtet, um zu erahnen, was diese in der aktuellen Runde vorhaben. Dass es sich lohnt in Bereich zu investieren, die die anderen vernachlässigen. Dass...
MARRAKESH hat wahnsinnig viel zu bieten. Ich habe jetzt deutlich unterschiedliche Strategien gespielt und nie hatte ich dabei das Gefühl, mich auf völlig abseitigen Wegen zu befinden. Stets konnte ich Pläne schmieden und hatte das erfüllende Empfinden, etwas Sinnvolles zu tun. Nie steckte ich in einer Sackgasse. Aber immer gab es auch den Druck, genügend Ressourcen zu sammeln, weil man am Ende des Durchgangs Steuern bezahlen muss. Und Stefan Feld wäre nicht Stefan Feld, wenn das bei Nichterfüllung nicht weh täte. So gibt es also immer eine Menge zu überlegen.
Trotzdem ist MARRAKESH kein reinrassiges, durchzuplanendes Strategiespiel. Denn es ist mit einigen Zufallselementen ausgestattet, die vielleicht nicht alle mögen werden. Das beginnt natürlich mit dem Würfelturm. Der hält selten einzelne Keshis zurück, aber schlägt dann zu, wenn man genau auf diesen einen Keshi wartet. Da beißt man dann in die Tischkante! Aber auch die Mitspielenden sind nicht weniger ungnädig. Dauernd nehmen diese sich die Keshis, die auch auch gerne hätte. Also plane ich um – und werde von der Seite angemacht, warum ich denn jetzt unbedingt die Farbe nehme. Die hätte ich doch gar nicht selbst reingeworfen. Stimmt, aber wenn ihr das mit mir macht, warum sollte ich anders agieren? Bei MARRAKESH ist somit nicht alles komplett planbar. Dadurch bleibt das Spiel aber frisch und man hat nicht das Gefühl, lediglich eingeschlagene Pfade sauber abarbeiten zu müssen. Man ist emotional gefordert! Eben habe ich mich noch über den blöden Turm geärgert, nun spuckt dieser ein weiteres Klötzchen meiner favorisierten Farbe aus, mit dem ich gar nicht gerechnet habe und auf einmal feiere ich innerlich. Noch nicht so ganz sicher bin ich mir bei den Oasenplättchen. Bei denen kann man schon mächtig Glück oder Pech haben. Bei dem ein oder anderen Plättchen hätte ich mir derzeit noch eine Obergrenze gewünscht oder eine anfänglich weniger zufälligere Verteilung, so dass hier eher Chancengleichheit besteht. Auf der anderen Seite bin ich auch bereit, das Beste aus den mir gegebenen Voraussetzungen zu machen. Mir ist der Weg zum Ziel wichtiger als die finalen Siegpunkte – und bei MARRAKESH werde ich auf diesem Weg angenehm gefordert.
Es soll übrigens Spielegruppen geben, die ganz ohne den Turm spielen. Ja, das kann man machen. Denn schon die geheime Auswahl an drei Keshis zu Beginn der Runde sorgt dafür, dass Interaktion besteht und man Pläne anpassen muss. Der Würfelturm ist aber ein Emotionen-Verstärker, den ich nicht missen möchte. Ich bin jedenfalls gespannt, wie sich das Spiel noch entwickelt.
Titel | Marrakesh |
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Autor | Stefan Feld |
Illustrationen | Franz Vohwinkel und Patricia Limberger |
Dauer | 90 bis 120 Minuten |
Personenanzahl | 2 bis 4 Personen |
Zielgruppe | dem Glück nicht abgeneigte Expertenspielrunden |
Verlag | Queen Games |
Jahr | 2022 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
Wichtiger Hinweis: Dies ist ein Ersteindruck nach wenigen gespielten Partien! Sehr subjektiv und durchaus auch abhängig von Tageslaune, Mitspielern und sonstigen Einflüssen. Bei grundsätzlichem Interesse empfehle das Lesen "richtiger" Rezensionen oder noch besser: ausprobieren!
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