Zeit für ein Fazit zur Spiel 2017 in Essen. Nach der nicht enden wollenden Vorbereitungszeit mit den ganzen Vorfreude-Listen und Geheimtipps sowie den viel zu schnell vergehenden Tage auf der Messe (Verlagsmitarbeiter werden widersprechen), beginnt nun also die Zeit der Nachberichterstattung.
Bevor ich mich morgen oder übermorgen mit meinen Überraschungsspielen auseinander setzen will, gebe ich heute ein Fazit zu meinen Eindrücken von der SPIEL 2017.
Vielfalt
Aufgrund der ungeheuren Vielfalt gibt es nicht mehr DAS eine Spiel der Messe. Auch Geheimtipps sind kaum noch zu finden, weil der Großteil der Informationen schon von der Messe zur Verfügung steht (selbst der Hans-im-Glück-Verlag teasert mittlerweile schon). Es gibt von allem mehr und alle Interessen werden irgendwie bedient. Somit laufen auch die meisten bisherigen Bewertungs-Tools vermehrt ins Leere. Ehemals recht interessante Scout-Aktionen verlieren an Bedeutung aufgrund fehlender Teilnahmemenge bzw. Relevanz für den Gesamtmarkt. Mittlerweile ist es wichtiger für Aufmerksamkeit im Vorfeld der Messe als dort vor Ort zu sorgen. Das Ergebnis sind dann bekannte lange Verkaufsschlagen. Dieses Mal aber nicht um das Spiel zu kaufen, sondern um das schon per Vorbestellung gekaufte Spiel abzuholen! Die eigentliche Überzeugungsarbeit wurde also schon im Vorfeld geleistet.
Auch auffällig in diesem Zusammenhang: das aktuelle Spiel des Jahres KINGDOMINO wurde recht sparsam beworben (wenn ich da an die SPIEL 2012 und den Queen Games Stand denke – bei dessen Anblick wusste wirklich jeder, dass KINGDOM BUILDER der aktuelle Preisträger war). Das Augenmerk lag (während der Messe) schon wieder mehr auf den Neuentwicklungen. Die große neue Vielfalt im eigenen Verlagsprogramm muss an den Mann gebracht werden. Finde ich diese Entwicklung schlimm? Nein! Ich begrüße die Vielfalt, weil somit auch die Chance besteht, dass jedem das angeboten wird, was dieser sich wünscht. Das Fehlen eines "Überspiels" gibt vielen anderen Spielen Raum. Genauso wenig wie es DAS eine Buch auf einer Buchmesse gibt, gibt es nun eben nicht mehr DAS eine Spiel auf der Spielemesse.
Innovationen Mangelware?
Aus vielen Ecken gibt es die Wahrnehmung, dass es nicht mehr die ganz großen Innovationen gibt. Wobei das für mich zu platt ist. Man kann nicht immer und jedes Jahr große Innovationen erwarten. Ketzerisch gefragt: sind Innovationen überhaupt planbar? Und wird ein Spiel besser, wenn es innovativ ist? Trotzdem stellt sich bei all den vielen Neuheiten das Gefühl ein, dass alles schon einmal geboten wurde und man sucht Hände ringend nach Innovationen. So wurde nun auch mit dem innoSPIEL ein neuer Spielepreis eingeführt, der darauf ein Hauptaugenmerk legen soll. Vielleicht kein schlechter Gedanke, nur bezweifel ich, ob ein solcher Preis wirklich Innovationen fördert. Für die Verlage ist es sicherlich nett, wenn somit ein neues Verkaufslabel auf die Schachtel gedruckt werden kann. Aber ist das für die Kunden wirklich relevant? Geht Spielspaß nicht vor Innovation? Und was ist eigentlich innovativ? Beim Preisträger MAGIC MAZE kann ich es noch erkennen, aber bei FABELSAFT fällt mir das schon schwerer.
Außerdem finde ich es schade, dass in Folge des innoSpiel nicht mehr die Goldene Feder (bzw. Essener Feder) für gute Anleitungen verliehen wird. Dieser Preis hat in meinen Augen viel bewirkt, weil mittlerweile der Großteil der beiliegenden Anleitungen ein hohes Niveau erreicht hat. Gerade aus diesem Grund hätte er aber gerne weiter verliehen werden können. Vielleicht sage ich das aber in 20 Jahren auch über den innoSpiel – und dann haben die Macher doch alles richtig gemacht. Momentan zweifel ich aber daran, ob man mehr Innovationen mit der Vergabe eines Preises fördert.
Mehr Material, mehr Regeln, mehr Punkte – mehr Spaß?
Wenn also schon die Innovation fehlen, um ein Spiel als DAS neue Spiel zu bewerben, dann müssen scheinbar andere Merkmale herangezogen werden. Gefühlt läuft das in meinen Augen über das Material. Die meisten neuen Kenner- bzw. Expertenspiele werden mit einem Haufen Material aufgemotzt. Da dieses auch irgendwie benutzt werden soll, werden dafür auch noch zusätzliche Regeln nötig. Statt vier Warensorten sind es nun zehn Warensorten, statt einfach nur Arbeiter sind es nun Schmiede, Wagner, Tuchmacher usw.
In meinen Augen werden Spiele dadurch komplizierter und verkopfter. Statt sich dafür einzusetzen, dass Spiele elegant und geradlinig sind, werden immer mehr Schnörkel eingebaut. Für mich kein schöner Trend, der wahrscheinlich auch durch das Crowdfunding verstärkt wird. Das Auge spielt mit und somit wird mit viel unterschiedlichem Material geworben. Unschöne Nebeneffekt: mehr Material hebt den Preis – und möglicherweise auch die für die Verlage überlebensnotwendige Gewinnmarge (weil insgesamt weniger Exemplare pro Spiel verkauft werden). Ich habe gestern eine Runde ALTIPLANO gespielt und im Nachgang eine Runde ORLEANS. Ein Vergleich nach nur zwei Spielen des Neulings ALTIPLANO wäre nicht fair, aber das Gefühl war schon vorhanden, dass hier ein tolles Spielprinzip unnötig verkompliziert wurde. Ähnlich ging es mir auch mit YOKOHAMA im Vergleich zu ISTANBUL.
Marketing
Trommeln gehört zum Handwerk – und manche Verlage haben eine ganze Trommel-Combo eingeladen. Der Stand von Asmodee, der die halbe Halle 1 eingenommen hat, zeigte schon recht eindrucksvoll, welche Stellung Asmodee auf dem weltweiten Markt einnimmt. Hier wurde richtig geklotzt, um die Spiele zu präsentieren. Dankenswerterweise wurde dabei zusätzlich genug Platz geschaffen, um die Spiele auch spielen zu können. Denn das kommt glücklicherweise auf der SPIEL nicht zu kurz. Auch andere Verlage versuchen natürlich alles, um irgendwie aufzufallen. Größere Verlage, wie bspw. der KOSMOS Verlag, lud zum Siedler-Rohstoff tauschen ein – und war somit auch in allen anderen Hallen vertreten. Pegasus veranstaltete zwei Spieleabende auf der Messe und auffällig war auch mal wieder Repos, die Schlafwandler für die Bewerbung von WHEN I DREAM einsetzten.
Aber auch kleine Verlage ließen sich einiges einfallen. Bei KLASK gab es ein "unmoralisches" Angebot – und mir liefen einige (vor allem junge) Menschen mit einem entsprechenden Stirn-Tatoo entgegen. Wer sich aber mal den Online-Auftritt von KLASK angeschaut hat, der merkt, dass man als junger Verlag Spiele nicht nur entwickeln muss – man sollte sich auch überlegen, wie man sie gut verkaufen kann. Da können auch schon kleine Aktionen helfen, wie es OMIGA gezeigt hat: einfach mal in einen Verbindungsgang setzen und das Spiel zocken.
Markenpflege
Wie schon gewohnt, werden erfolgreiche Titel gemolken. Positiver ausgedrückt: Spiele-Familien werden gepflegt! So lange das Ergebnis dabei gute Spiele sind, kann ich ganz gut damit leben. Aber ich bleibe skeptisch. Wenn aus einem würfelgesteuerten DIE BURGEN VON BURGUND ein DIE BURGEN VON BURGUND – DAS WÜRFELSPIEL wird, dann muss ich schon einmal schlucken. Vielleicht sollte hier eher vermehrt der Weg gegangen werden, Spiele in einen entsprechenden "Themen-Kosmos" einzugliedern, damit es nicht ganz absurd wird. Die CENTURY-Reihe will dieses versuchen oder aber auch die Longsdale-Spiele um OH MY GOODS! Früher gab es das natürlich auch schon (bspw. Catan), ich hoffe aber auf mehr – und somit auf kreativere Titel.
Interessant aber ist, wieviele reine 2‑Personen-Spiele von namenhaften Mehrpersonenspielen in diesem Zusammenhang erscheinen. Bei manchen ist man wirklich überrascht, wie das Mehrpersonenspiel dann in der 2‑Personen-Spiel übertragen wird. 7 WONDERS DUEL und BOHNANZA haben hier durchaus Vorbildfunktion. In diesem Jahr sind mir mit CODENAMES und THE GAME weitere ungewöhnliche Umsetzungen aufgefallen. Diesen Trend kann ich nur unterstützen, denn ich kann mir gut vorstellen, dass der Markt für 2‑Personen-Spiele weiter wächst.
Story-Telling
Eine Option, Markenpflege zu betrieben, ist ein weiterer Trend: es werden vermehrt Geschichten erzählt. Einerseits über das Legacy-Prinzip, andererseits aber auch mit wesentlich geringerem Aufwand über Story-Erweiterungen. Gerade Alexander Pfister macht das im Moment recht gerne und in meinen Augen auch gut. So werden aus eigentlich trockenen Mechanismen-Spielen wie OH MY GOODS! oder PORT ROYAL auf einmal spannende Geschichts-Träger. Gerne mehr davon!
Flucht
Wo ich schon bei Themen-Trend bin: dieses Jahr wurde viel geflüchtet. Wahrscheinlich sind das die Nachwirkungen der Exit-Spiele des vergangen Jahres. Aber ging es bei diesen mehr um den Mechanismus, ist es nun eher das Thema Flucht. Kein Wunder, dass darauf die Messe mit innovativen Notausgängen reagiert hat.
Und wenn die Flucht gelungen ist, findet man sich vielleicht auf einmal als Gruppe auf einer einsamen Insel wieder und muss schauen, wie man das eigene(!) Überleben sichert. Auch dieses Setting habe ich öfters wahrgenommen.
Mini-Erweiterungen schon im Grundspiel enthalten
Ein weiterer Trend ist mir aufgefallen: viele Spiele bieten nun schon gleich neue Varianten in der Grundbox an. Mal sind es veränderte Wertungen, mal kommen Missionen hinzu, mal wiederum ganz neue Elemente. Die Spiele sind also schon in der Grundausstattung auf größere Flexibilität getrimmt. Auch diesen Trend kann ich nur begrüßen, da er vielleicht dafür sorgt, dass das Einstiegslevel niedrig bleibt (siehe oben der Punkte mit dem "mehr").
Startspielerfiguren
Wer meinen Blog ein wenig verfolgt, der weiß, dass ich eine Schwäche für Lego-Minifiguren als Startspielermarkierung habe. Deswegen finde ich den Trend lobenswert, dass immer mehr Spiele tolle 3D-Startspieler-Konstruktionen aufweisen. Da wird der Platz auf den Stanzbögen entsprechend genutzt und es entstehen nette Schaueffekte. Manchmal wird aber auch übertrieben: das Alpaka aus ALTIPLANO ist z.B. in meinen Augen völlig überdimensioniert und somit eher unpraktisch. Nichtsdestotrotz kann ich solche Spielereien nur befürworten – schließlich wollen wir alle verspielt bleiben.
Toiletten
Sind immer noch ein Thema. Weniger allerdings die Toiletten-Situation auf der Messe an sich. Natürlich gibt es immer noch teilweise Schlangen und die Beschilderung zu den bestehenden Toiletten könnte besser sein, aber ich hatte das Gefühl, dass sich die Situation im Vergleich zu den Vorjahren gebessert hat. Aufgefallen dabei sind mir auch die Aufsteller mit Desinfektionsmitteln für die Hände – zumal sie eigentlich alle mit themengerechten Aufklebern versehen waren.
Toiletten waren aber auch mal wieder Thema für ein paar Kinderspiele. Über deren Güte kann ich nichts sagen, aber auffällig waren sie trotzdem. So bleiben also Toiletten ein gesetztes Thema in Essen.
Verkehr
Neben Toiletten ist der Verkehr ein weiteres Thema, was viele Besucher emotional berührt. Ich bin da als Verkehrsplaner sicherlich nicht weniger kritisch, weiß aber auch einzuschätzen, was ein solcher Besucherandrang für Folgen haben muss. Man kann mit den bestehenden Kapazitäten nicht einen reibungslosen Verkehr an Messetagen garantieren – vor allem dann nicht, wenn alle Besucher spätestens um 10:00 Uhr in den Hallen sein wollen.
In meinen Augen haben die Verantwortlichen aus den Fehlern des letzten Jahres gelernt und vieles besser gemacht. Natürlich gab es immer noch Engpässe, aber zumindest hatte ich nicht das Gefühl, dass diese durch bessere Planungen verhindert hätten werden können (man muss sich nun einmal immer die bestehenden Zwänge vor Augen halten). Hier habe ich deutliche Fortschritte im Vergleich zum letzten Jahr wahrgenommen und möchte deswegen auch unbedingt mal die Beteiligten loben!
Schönes Fazit, mit dem ich einher gehe!