Fazit zur SPIEL 2019 in Essen
Wenn man in den letzten Tagen all die Nachberichte und Fazite lesen, hören, ansehen wollte, dann hatte man viel zu tun. So ich frage ich mich, warum sollte ich dann auch noch derartiges produzieren? Denn irgendwo ist dort sicherlich auch all das zu finden, was ich nachfolgend los werden will. Aber auf der anderen Seite gehört so ein Fazit zur SPIEL 2019 irgendwie auch mit dazu. Erst mit diesem "Deckel drauf" werden diese wunderbaren Tage rund. Für mich bedeutet dieses Sammeln von Gedanken einen guten Abschluss – und auch einen Startschuss, dass ab nun wieder gespielt werden kann.
Größer, weiter, lauter – aber nicht voller
Ich will hier gar nicht die nackten Zahlen herunter beten. Machen wir es kurz: es sind mehr Neuheiten erschienen, es sind mehr Leute gekommen, es wurde mehr Fläche gefüllt. Aber: glücklicherweise fühlte es sich dadurch nicht voller an. Das lag einerseits sicherlich auch daran, dass die einzelnen Verlage mehr Fläche angemietet haben und somit mehr Raum zur Verfügung hatten. Andererseits ist aber auch das neue Einlasskonzept vollends aufgegangen. Viele Besucher kamen über den neuen Eingang über Halle 8 auf die SPIEL. Das füllte die hinteren Hallen 4, 5 und 6 und verschaffte den Hallen 1 und 3 mehr Luft. Die Folgen waren vielfältig. So gab es nun noch komplett leere Hallen (7 und 8), in denen man sich zur Mittagszeit in Ruhe niederlassen konnte – was vor allem Familien gerne genutzt haben. Aber auch die restlichen Besucher kamen somit in ungewohnte Genüsse. Denn insgesamt waren die Gänge weniger voll (von den obligatorischen Verkaufs-Schlangen vor bestimmten Ständen mal abgesehen). Selbst am ansonsten eher überfüllten Samstag ließ sich halbwegs gut durch die Gänge wandeln. Somit empfand ich im Nachhinein den Donnerstag am vollsten – was sicherlich auch daran lag, dass dies der Tag ist, an dem die Geeks die ganzen Vorbestellungen abholen. Die Folge sind riesige Rollkoffer, Sackkarren und gar Bollerwagen. Neu dazu kam aber noch folgende Erkenntnis:
Cayon-Taschen sind gefährlicher als Trolleys
Ich bin selbst fleißiger Nutzer von Cayon-Taschen als Spiele-Transportmittel. Allerdings nutze ich die nur für die Beförderung meiner Spiele vom heimatlichen Regal zum Spieletreff. Auf Messen sollten die Dinger verboten werden! Denn meistens vergessen die Nutzer die Außenmaße ihres Ungetüms, was zu unangenehmen Zusammenstößen führt. Einmal plötzlich angehalten und zur Seite gedreht – und schon hat man mindestens einen Mitstreiter k. o. gesetzt. Nein, ernsthaft, Cayon-Taschen sind schon praktisch im Alltag. Aber in dichten Hallen sind sie sehr unangenehm für die Mitmenschen, die darunter leiden können. Insbesondere kleine Menschen (respektive Kinder) können blöd getroffen werden. So sehr ich also Hunter & Cron den Verkaufserfolg ihrer Cajon-Taschen gönne, so oft habe ich mich auch über diese Dinger auf den Gängen geärgert.
von Bienchen und Blümchen
Cajon-Taschen habe ich also unliebsam als Trend wahrgenommen. Doch was war spielerisch das beherrschende Thema? Auch wenn es mir manche Beeple-Kollegen beim abendlichen Talk nicht glauben wollten, bin ich trotzdem der Meinung, dass Bienen dieses Jahr der thematische Trendsetter waren (dicht gefolgt von Dinosauriern und Tee). Auf eine vollständige Fotostrecke als Beweis verzichte ich, aber ein paar ungewöhnliche Bienen-Spiele kann ich doch einmal zeigen:
Es ist aber auch nicht verwunderlich, dass Bienen bzw. der Erhalt der Natur sich nun als Thema in Spielen wieder findet. Einerseits gibt es immer mehr kooperative Spiele, die sich für solche Themen anbieten. Andererseits ist Umweltschutz dank Fridays for Furture glücklicherweise wieder ein gesellschaftliches Thema. So werden nicht ohne Grund auch Spiele beworben, die komplett nachhaltig produziert werden (z.B. FISH 'N' FLIPS von Gaiagames). Und nach dem erfolgreichen Volksbegehren für Artenvielfalt in Bayern sind auch Bienen in aller Munde. Jedenfalls hoffe ich, dass diese Gründe der Auslöser für die Bienen-Schwemme sind und nicht etwa der Tod von Karel Gott.
Fortsetzungen und Erweiterungen
Gerne wird mit unterschiedlicher Vehemenz darüber gestritten, ob Brettspiele nun ein Kulturgut sind oder nicht. Meine Meinung dazu mal außen vorgelassen, gibt es nun eine neue mögliche Argumentationslinie für die Pro-Seite. Denn die Flut an Fortsetzungen und Erweiterungen bekannter Titel ist mittlerweile genauso unüberschaubar wie die Anzahl an Comic-Verfilmungen im Kino. Hier ein AZUL III, da ein MARCO POLO II. Aus GLEN MORE werden CHRONICLES und selbst die STERNFAHRER VON CATAN sind wieder da. Dabei habe ich von den ganzen Erweiterungen noch gar nicht gesprochen – inklusive natürlich auch der x‑ten Verwurschtelung von CARCASSONNE. Und wie stehe ich dazu? Ziemlich ambivalent. Einerseits bin ich leicht genervt davon, andererseits springe ich auch gerne auf den Zug mit auf. Es kommt eben immer auf das einzelne Projekt an. Auch wenn ich es irgendwie schöner fände, wenn darauf verzichtet würde, kann ich mich selbst auch nicht davon frei machen. Und natürlich sitze ich bald auch bei STAR WARS IX im Kinosessel.
viele neue deutsche Verlage
Ein weiterer Trend in meinen Augen sind die vielen kleinen Verlage aus Deutschland. Aus anderen Ländern war man es immer gewohnt, dass diese die hinteren Hallen mit kleinen Ständen bereichert haben. Nun habe ich aber das Gefühl, dass auch ganz viele kleine Verlage aus Deutschland die Szene bereichern. Spannend wird sein, wie viele wir davon noch in den nächsten Jahren sehen werden. Aber trotzdem finde ich diesen Trend gut, bereichern diese Verlage sicherlich die Szene. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass die meisten mittlerweile etablierten Verlage genau so angefangen haben.
Was Süßes zwischendurch?
Sehr gerne darf auch der BrettSPIELcake fester Bestandteil der SPIEL werden. Das war eine Charity-Aktion unserer geliebten Brettspiel-Blase, die ihre Anfänge auf Twitter erlebte (ich bin übrigens #TeamohneRosinen). Über die Tage wurden massenweise Kuchenstücke, Muffins und Kekse verkauft, die zum Teil wirklich beeindruckend thematisch waren. Der Friedhelm Merz Verlag spendierte noch einen Kaffee dazu – und schon kam eine stattliche Summe zusammen. 2.870 € wurden so eingesammelt, über die sich nun der Verein Balu und Du e.V. freuen darf. Eine tolle Sache war das! Noch mehr Geld (7.900 €) für Balu und Du wurde durch die SPIEL4GOOD Aktion eingenommen. Dabei wurden die Spiele der SPIEL-PREVIEW-NIGHT in einzelne Tüten verpackt und blickdicht als Wundertüten verkauft. Die Schlange dafür zog sich einmal quer durch Halle 5 und konnte locker mit anderen Verkaufsschlangen mithalten.
Abends auf der Messe
Apropos PREVIEW-NIGHT: das war ein neues Angebot im Rahmen der SPIEL. Schon am Mittwochabend öffneten sich die Tore des Congress Center CC Süd für einige hundert Auserwählte, die sich dieses Schmankerl leisten wollten. Denn ganz billig war dieses Angebot mit 35 € pro Person nicht. Allerdings muss man diesen Preis auch in Relation zum Angebot setzen, denn Miete und vor allem Personal verursachen nun einmal Kosten (insbesondere in den Nachtstunden). Ich habe keine Ahnung, wie der Veranstalter Bilanz zieht. Bei den Nutzern war sie zwiegespalten. Denn manche hatten die falsche Hoffnung, sich in Ruhe ihren liebsten Neuheiten inklusive Erklärbären widmen zu können. Doch wie auch auf der Messe, waren bei den Hype-Spielen die Plätze rar. Die Spieleausleihe war zwar halbwegs gut bestückt, aber auch nicht unbedingt für jeden attraktiv. Auch am nächsten Abend ging es in diesen Räumen weiter, da dort Pegasus Spiele zu ihrer Game Night eingeladen hatte. In ähnlichem Rahmen mit etwas weniger (aber immer noch vielen) Verlagen und ihren Helfern konnte bis in die Nacht hinein gespielt werden.
Diese Angebote runden natürlich die SPIEL ab, da man nun fast rund um die Uhr spielen kann. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich das wirklich in diesem Rahmen machen will. Ich finde da die kleinen privaten Runden gemütlicher. Aber wer aus der Ferne kommt und noch Anschluss und Mitspieler sucht, der freut sich sicherlich über dieses Angebot – und bei dem macht sich der Preis im Gesamtbudget wohl auch nicht wirklich bemerkbar.
Mittags auf der Messe
Ebenfalls gut besucht war das Meet and Play am Freitagnachmittag. Bisher war das eher ein Brüten im eigenen Saft. Dieses Jahr hatten sich aber glücklicherweise doch einige Besucher zu uns Medienschaffenden verirrt. So wurde also nicht nur gequatscht, sondern es wurde tatsächlich auch gespielt. Wir vom Beeple-Netzwerk haben zusätzlich auch die Chance genutzt, einen weiteren Beeple-Award für das Sherlock-System zu verleihen. Und wenn schon alle Verlage auf der SPIEL vor Ort sind, wurden auch alle daran Beteiligten eingeladen. Wobei ich das Gefühl hatte, dass das manchen recht spanisch vorkam.
Flucht ist weiterhin der Renner
Doch bevor ich nun völlig abdrifte, nochmals ein Blick auf die eigentlichen Hauptdarsteller der SPIEL. Weiterhin hoch im Kurs sind die große Gruppe der Exit‑, Rätsel- und Krimispiele. Manch ein schwerer Verleger reagiert darauf gewohnt muffelig und gereizt, aber es ist nun einmal eine Gattung, die von der Spielerschaft immer und immer wieder gefordert wird. Mich selbst schließe ich da sehr gerne mit ein. Ja, ein Exit-Spiel ist kein "klassisches" Spiel um Mehrheiten, Siegpunkte oder anderen Siegbedingungen. Aber es ist eine angenehme Form, gemeinsam etwas zu erleben. Also kein Brettspiel, aber im wörtlichen Sinne ein Gesellschaftsspiel!
von EXIT zum Brexit
Der Brexit ist immer noch nicht da – aber doch überall präsent. Natürlich einerseits in den immer wiederkehrenden Nachrichten, aber vor allem auch als Running Gag für Verspätungen. Wobei wir da in Deutschland mit Hohn aufpassen sollten. Denn gestern vor acht Jahren hätte der Flughafen Berlin-Brandenburg (kurz: BER) eröffnen sollen – dachte man zumindest zum Zeitpunkt des Spatenstichs 2006. Fernab von lustigen Anspielungen auf den Brexit, ist dieser für die Branche durchaus ein Problem. Matthias Hardel hat dazu in der aktuellen Spielbox ein sehr treffendes Editorial geschrieben. Da lobe ich mir doch Looping Games, die mit 1987 CHANNEL TUNNEL ein Projekt in den Mittelpunkt stellen (den Bau des Ärmelkanals), das für mich ein Sinnbild für den europäischen Gedanken ist.
Toiletten
Zur guten alten SPIEL-Tradition gehört das Reden über das Thema Toiletten. Meist geht es dann über die gar nicht so stillen, weil recht überfüllten Örtchen. Oder um Geheimtipps, wo man meint, dass dort noch recht wenig los ist. Ein relevantes Thema für Spiele waren Toiletten in diesem Jahr jedenfalls nicht. Glücklicherweise! Aber natürlich wurde weiterhin mit besonderer Themenwahl provoziert, in dem man sich bspw. um den Naseninhalt von POPEL PAULE kümmern soll. Habe ich aber nicht gemacht.
Trotzdem möchte ich das Thema kurz ansprechen, weil mir dieses Jahr auf den Toiletten tolles Marketing in die Augen gestochen ist. Denn Repos und/oder Asmodee kam auf die geniale Idee, die Besucher der Toilette JUST ONE spielen zu lassen. Ich gebe zu, wie ich mich dabei erwischt habe, den Platz in der Toilette danach auszusuchen, vor welchem Werbebildchen ich noch nicht gestanden habe.
bis zum nächsten Jahr
Abschließend lässt sich feststellen, dass die SPIEL weiter im Wandel ist. PREVIEW-NIGHT, Educator's Day und Meet and Play sind nur einige Beispiele für Formate, die mittlerweile angestoßen wurden. So gab es dieses Jahr auch erstmals ein durchgehendes Streaming-Angebot, was natürlich für Zuhause Gebliebene eine schöne Sache ist. Ich bin sehr gespannt, wie sich die SPIEL weiter entwickeln wird. Allerdings bin ich mir recht sicher, dass es weiterhin das große Spielefest bleiben wird, weswegen wir alle dorthin fahren.
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