Wenn ich schon die Tradition der positiven Überraschungen aufrecht erhalte, dann darf natürlich das Fazit zur SPIEL 2021 ebenfalls nicht fehlen. Nun denn, vor einer Woche besuchte ich die Neuheitenshow, verbrachte dann tolle Tage in den Messehallen und versuche nun abschließend meine Gedanken zu ordnen, wie ich die Veranstaltung nun einordnen soll. Das fällt mir deswegen so schwer, da sich die Messe auch ein paar Tage danach immer noch ein wenig unwirklich anfühlt. Wahrscheinlich war die SPIEL nicht nur für mich das erste Event mit mehreren tausend Menschen an einem Ort seit langer Zeit. Es begleitete mich somit auch immer ein besonderes Gefühl und die Frage, ob das nun die neue (bzw. alte?) Wirklichkeit sein soll.
die Crux mit den Gs in C‑Zeiten
Natürlich komme ich nicht herum, mich in dem Fazit zur SPIEL 2021 mit dem Thema Hygiene-Konzept auseinander zu setzen. Vorab gleich zu Beginn: ich habe mich nicht unsicher gefühlt! Okay, ich habe es mir schon als Voraussetzung gemacht, dass ich nur geimpft auf eine solche Veranstaltung gehen würde. Und noch lieber wäre mir eine reine 2G-Veranstaltung gewesen. Aber ich kann auch nachvollziehen, dass ein solches Konzept insbesondere bei einer internationalen Messe schwer umzusetzen ist. Denn vor allem für Teilnehmende aus Übersee ist das eine große Hürde, wenn bspw. manche Impfstoffe hier in Deutschland nicht anerkannt werden. Aus diesem Grund war die Rückfallebene Testung auch nachvollziehbar. Mich würde nun eine Statistik interessieren, wie das Verhältnis geimpfte zu ungeimpften Gäste ausgesehen hat – aber das ist natürlich für das eigentliche Messe-Erlebnis nicht von Belang gewesen. Vielmehr muss die Messe sich an der praktischen Umsetzung des Hygiene-Konzeptes messen lassen. Dabei muss man auch kritisch hinterfragen, wie viel ein theoretisches Hygiene-Konzept wert ist. Denn im Endeffekt kommt es auf die Umsetzung an – und hier bestand durchaus noch Nachholbedarf. Im Eingangsbereich wurden zwar die Impfzertifikate mittels eine App auf Gültigkeit überprüft. Allerdings fehlte oftmals die jeweilige Ausweiskontrolle dazu. Das war vor allem deswegen verwunderlich, da doch auch personalisierte Tickets verkauft wurden. Im Endeffekt hat es niemanden interessiert und somit war zumindest die Personalisierung augenscheinlich eine Farce.
alles nur Eigenverantwortung der Verlage?
Innerhalb der Hallen war die Bereitschaft, sich an die vorgegebenen Regeln zu halten, glücklicherweise sehr ausgeprägt. Die Brettspiel-Gemeinschaft ist es scheinbar gewohnt, sich an Regeln zu halten. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass die Einhaltung dieser Regeln zum Großteil auf die Verlage umgewälzt wurde – und da gab es schon deutliche Unterschiede. Manche Verlage haben vor jedem Anspielen darauf bestanden, dass die Hände desinfiziert wurden und dann auch fröhlich ein Mittel dafür verteilt. Bei anderen Verlagen stand mit ein wenig Glück mal ein Desinfizierungsmittel auf dem Boden in der Ecke. Ähnlich war das beim Maske-Tragen. Bei den erstgenannten Verlagen wurde sehr genau darauf geachtet, dass diese richtig aufgesetzt getragen wurden – entsprechend habe ich mich dort auch wohler gefühlt. Was mir fehlte, war mehr Personal von Seiten der Messe, das in diesen Fragen zusätzlich aktiv geworden wäre. Mit Glück habe ich mal einen der wenigen Hygiene-Scouts gesehen – der aber in der Menschenmenge völlig untergangen ist, was wieder Fragen zu den Mindestabständen aufwirft. Noch fragwürdiger war ein Mitarbeiter der Messe, der eine tolle blaue Weste mit Anleitung zum Mindestabstand trug, dafür dann aber ohne Maske laut "Platz machen" rufend durch die Halle lief. Hier hätte ich also vom Veranstalter bzw. der Messe eine größere Präsenz erwartet und auch erhofft.
Irgendwie hatte man also das Gefühl, dass es den Verlagen obliegte, wie diese das Hygiene-Konzept umsetzten – oder auch nicht. Da gab es schon spannende Ideen, wie man den Spielenden das Gefühl vermittelte, bei ihnen sicher zu sein. Vor allem bei den größeren Verlagen war auch augenscheinlich, dass mehr Platz zwischen den Spieltischen als bisher vorgesehen wurden. In den hinteren Hallen hingegen hatte ich das Gefühl, dass einige Kleinverlage das so gehandhabt haben wie in den Jahren vor Covid-19. Das empfand ich nicht nur als unpassend, sondern auch unfair gegenüber den Verlagen, die sich an die Abstandsvorgaben gehalten haben oder deswegen erst gar nicht auf die Messe kamen.
ungewohnte Menschenmengen
Wahrscheinlich ist man es einfach nicht mehr gewohnt, mit so vielen Menschen gleichzeitig an einem Ort zu sein. Allerdings zeigte sich mir auch, wie schnell man scheinbar wieder in alte Denkmuster zurück fällt. Ich hatte zumindest das Gefühl, dass am Donnerstag noch mehr Obacht gegenüber Abstände eingehalten wurde als am Samstag. Dazu kommt sicherlich auch noch, dass der Samstag deutlich voller war als die anderen Tage. Die Menge am Samstag war dann für mein persönliches Empfinden schon grenzwertig. Glücklicherweise hat die Messe im Vorfeld die Gänge schon breiter gemacht – aber so ganz überzeugend war das Gesamtkonzept für mich noch nicht. Ich empfand es als Außenstehender verwunderlich, wie viel ungenutzter Platz oftmals noch in den Hallen vorhanden war. Hätte man diesen nicht noch im Sinne der Gäste optimieren können? Wahrscheinlich bin ich naiv, denn ich kenne mich natürlich nicht aus mit den Zwängen der Vermarktung von Flächen. Aber so ganz erschloss sich mir das gewählte System als Außenstehender nicht. Zusätzlich kann ein Konzept noch so gut gemeint sein – man darf den Faktor Mensch nicht unterschätzen. Ich fand es jedenfalls erschreckend, wie sehr sich bei vermeintlichen Schnäppchen und Attraktionen aus der Angst ein Angebot zu verpassen wieder gedrängelt wurde.
ungewohnte Leere
Die Überschrift ist bewusst ein wenig irreführend gewählt und natürlich ein Kontrapunkt zu den Menschenmengen. Aber diese Leere beziehe ich auf zwei Dinge. In den Vorjahren kam es immer mal wieder vor, dass der ein oder andere Verlag seine Spiele nicht rechtzeitig in die Messehallen bringen konnte. Mal war es ein verspätetes Schiff, mal wollte der Zoll genauer hinsehen. In diesem Jahr betraf das aber viel mehr Spiele und Verlage. Verwunderlich ist das nicht, denn man muss schon blind durch die Brettspielwelt gelaufen sein, um nicht allerorts über die derzeitigen Probleme zu stolpern. Es gibt Rohstoff-Engpässe, Transport-Engpässe und Produktions-Engpässe. Die zeitliche Produkt-Planung ist deutlich schwerer geworden und dann müssen die Produkte auch noch transportiert werden. Die Blockade des Suez-Kanal hat Anfang des Jahres schön aufgezeigt, dass es auch dabei zu Problemen kommen kann. Aber die Leere beziehe ich nicht nur auf viele fehlende Spiele, sondern auch viele fehlende Verlage. Prominentestes Beispiel ist sicherlich Asmodee. Diese haben zwar per Außenwerbung deutlich gemacht, dass sie indirekt ein Teil der SPIEL sein wollen, aber einen eigenen Stand (oder sollte ich besser sagen eine eigene Halle) hatten sie nicht. Zufälligerweise bin ich auf einem Spaziergang durch die Stadt am Verlagssitz vorbei gelaufen. So unscheinbar wie dieser, wäre aber ein Messeauftritt nicht gewesen. Doch störte mich diese Leere? Inhaltlich auf jeden Fall! Denn nicht nur die Spiele von Asmodee und deren Partner wären eine Bereicherung gewesen, auch lieb gewonnene Verlage wie dlp games, Lookout Spiele oder Franjos habe ich vermisst. Auf der anderen Seite fand ich es angenehm, dass das Getöse, welches Asmodee in den letzten Jahren veranstaltet hat, gefehlt hat.
Trend verpennt?
In den letzten Jahren habe ich immer versucht, das aktuelle Trend-Thema zu finden. Doch dieses Jahr kann ich dazu nichts beitragen. Weiterhin boomen Escape- und Krimi-Spiele. Kaum ein Verlag, der nicht auch in diesen Segmenten ein eigenes Spiel parat hat. Auch kooperative Spiele sind mittlerweile ein normaler Bestandteil der Spielelandschaft geworden und haben keinen Exoten-Status mehr an sich. So fielen mir lediglich die Spiele von Kleinstverlagen auf, die sich irgendwie mit Corona befasst haben. Die Aufmachung dieser Spiele hat mich aber davon abgehalten, mich näher damit zu beschäftigen. Ich gehe einfach mal davon aus, dass in einem Jahr kein Mensch mehr von diesen Spielen reden wird.
nachhaltige Nachhaltigkeit?
Ebenfalls leider noch kein so großes Thema ist die Nachhaltigkeit der Produkte. Natürlich gibt es Bestrebungen von einzelnen Verlagen, hier mehr zu tun. Allerdings war ich verwundert, wie wenig mit diesen Bestrebungen getrommelt wurde. Manche Verlage setzen beispielsweise schon auf Alternativen wie Säckchen und Pappschachteln, um Plastik-Zipptüten zu vermeiden. Oder Papier-Banderolen um Kartensätze, damit die nicht eingeschweißt werden müssen. Aber in diesem Themenkomplex ist noch massiv Potenzial für weitere Verbesserungen vorhanden! Auch über die Verpackungsgrößen der einzelnen Spiele wird nun glücklicherweise diskutiert. Aus Sicht der Brettspielenden ärgern wir uns über unnötig große Verpackungen, weil unser Lagerplatz endlich ist und wir ungern das Gefühl haben, unnötigerweise Luft zu lagern. Für die Verlage können kleinere Packungen ebenfalls ein Vorteil sein, weil man damit die Transportkosten niedrig halten kann. Allerdings hängen zukünftige Veränderungen auch viel vom Kunden-Verhalten ab. Der Kundschaft wurde in den letzten Jahrzehnten antrainiert, dass die Größe der Verpackung für einen bestimmten Preis steht. Jetzt muss der Kunde umlernen, dass auch kleinere Verpackungen ihren Preis wert sind. Der KOSMOS-Verlag will das aktiv angehen und ich kann nur hoffen, dass andere große Verlage und vor allem auch die Kundschaft dem folgt.
Für mich hat somit auch die Brettspiel-Industrie einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten. Einerseits über neue Wege, unnötigen Verbrauch zu reduzieren, andererseits aber auch über die Vermittlung von Werten. Ersteres klingt immer ein wenig komisch, wenn man bedenkt, dass Brettspiele natürlich ein gewisses Luxusgut sind. Warum muss ein Verlag in jede Packung Würfel und Holzklötzchen rein legen, wenn diese doch schon mehr als ausreichend im Spiele-Haushalt vorhanden sind? Oder warum soll ich überhaupt noch ein Worker Placement Spiel kaufen, wenn ich schon zehn davon im Regal stehen habe? So ganz von der Hand zu weisen sind diese Fragen nicht. Doch mir geht es auch um den zweiten Teil. Natürlich muss nicht jedes Spiel einen Bildungsauftrag leisten und Spiele dürfen einfach auch nur Spaß machen. Aber es wäre schon wünschenswert, wenn es ein breiteres Angebot an vermittelnden Themen gäbe. Einerseits zum Thema Nachhaltigkeit, aber gerne auch zu Themen wie Inklusion und Diversität. Das müssen auch gar nicht nur kooperative und Heile-Welt-Spiele sein. Es würde schon helfen, wenn Spiele zum Nachdenken über das eigene Handeln anregen. Ich fände es wünschenswert, wenn mehr unterschiedliche Perspektiven gezeigt werden. Dann wird vielleicht auch deutlich, dass mir nichts weggenommen wird, wenn jemand anderem etwas zusätzlich angeboten wird (wie bspw. durch eine gendergerechte Anleitung).
Digital oder analog – warum nicht beides?
Damit kann ich auch gut den Bogen zurück zur Messe schlagen. Denn das digitale Angebot der diesjährigen SPIEL war leider ein Rückschritt in alte Zeiten. Die Entscheidung, dass die SPIEL.digital nur von Verlagen genutzt werden kann, die auch in Präsenz vor Ort sind, ist in meinen Augen eine falsche gewesen. Dadurch wurden Verlage ausgeschlossen, die aus verständlichen Gründen nicht vor Ort sein konnten oder auch wollten. Zusätzlich wurden den ausstellenden Verlagen damit weitere Arbeit aufgebürdet, wenn diese neben der Präsenzveranstaltung auch noch etwas im digitalen Rahmen anbieten wollten. Insbesondere für Kleinverlage wie Board Game Circus oder Frosted Games war das kaum zu stemmen. Umso größer mein Respekt für alle Verlage, die das trotzdem versucht haben.
Es ist als Außenstehender einfach nur schade zu sehen, wie die Ressourcen nicht genutzt wurden, die letztes Jahr mit viel Arbeit (und auch Kapital) aufgebaut wurden. Wenn die dortigen Schwachstellen früher angegangen und das bestehende Konzept weitergeführt worden wäre, dann hätte das auch ein Mehrwert für die Spielenden vor Ort gegeben. Denn sind wir mal ehrlich: die SPIEL hängt digital meilenweit hinter einem mittlerweile etablierten Standard hinterher. Ich rede gar nicht davon, dass ich unendlich viel virtuelle Spieletische mit tausenden von digitalen Erklärbaren haben möchte oder einen zentralen Online-Shop, der mir all meine Einkäufe gebündelt liefert. Aber man kann heutzutage schon besser aufbereitete Informationen erwarten. Beispiele gefällig? Ein klarer Zeitplan mit Programmpunkten, wann wo etwas stattfindet, eine sinnvoll getagte Neuheitenliste (gerne auch mit Downloadmöglichkeiten zu Anleitungen und verlinkten Medienbeiträgen), aber bspw. auch ausführliche Infos zu den Gastro-Angeboten sind alles Punkte, die Besuchende einer analogen Messe gerne auf einer SPIEL.digital-Seite finden würden. Stattdessen kann man sich lediglich den SPIEL-Guide als pdf-Dokument herunterladen. Von weiteren Synergie-Effekten will ich gar nicht reden, da das den Rahmen sprengen würde. Aber die SPIEL verkauft sich gerne und auch berechtigterweise als die internationale Brettspiel-Leitmesse. Damit sie das auch bleibt, muss meiner Meinung nach mehr in den digitalen Rahmen investiert werden. Das wäre ein Gewinn für alle – auch für die Messe. Wenn Verlage aus Asien oder Südamerika nicht mehr anreisen müssen und trotzdem ein Teil der SPIEL sein können. Wenn die Zeiten bespielt werden, in denen die Hallen geschlossen sind. Wenn die SPIEL.digital der zentrale Anlaufpunkte im Vorfeld und Nachklapp der Messe ist und nicht andere Webseiten dies übernehmen müssen.
bis zum nächsten Jahr
Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu ausufernd werde. Außerdem klang das vielleicht alles ein wenig negativ – was es gar nicht sein soll. Ich habe die Tage in Essen genossen. Ich habe mich gefreut, wieder viele bekannte und auch neue Gesichter zu sehen. Ich habe wieder die besondere Magie der Messe wahrgenommen. Allerdings gilt es, nicht zu sehr in Nostalgie zu verharren, sondern auch den Blick nach vorne zu richten. Verbesserungen anzugehen, Fehler zu vermeiden. Aber nochmals: Ich finde es toll, dass die SPIEL 2021 stattgefunden hat. Das war so im Frühjahr diesen Jahres nicht unbedingt absehbar und ich kann mir vorstellen, wie viel Kraft und Energie das allen Beteiligten, Veranstalter und Verlagen, gekostet hat. Dafür möchte ich mich bedanken!
PS: Wer übrigens meine Podcast-Beiträge zum diesjährigen Beeple-Radio nachhören will, sollte den Beeple-Talk im bevorzugten Podcatcher abonnieren oder auf meine Übersicht klicken. Viel Spaß damit!
PS': Und noch ein Nachtrag... Denn ich habe doch eine wichtige Sache vergessen. Ich wollte unbedingt nochmals den Instagram-Kanal @BoardgameTonic loben. Die hatten im Sommer die Boardgame Times ins Leben gerufen – und für die SPIEL doch tatsächlich eine "echte" Auflage drucken lassen. Auch dank potenter Sponsoren...
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