Aus, aus, die SPIEL ist aus! Nun fängt allerdings das Spiel um die SPIEL erst an. Denn wie auch in der Fußball-Dauerberieselungs-Industrie müssen nun etliche Expertenmeinungen eingeholt und Kommentare abgegeben werden. Wie war die SPIEL? Was lassen sich für neue Trends erkennen? Und vor allem: wie fühlt ich euch jetzt? Doch nicht nur die großen Player sind derart aktiv, sondern auch die kleinen Blogs und Hobbyisten. So will ich mich ebenfalls ungefragt zu Wort melden und euch nun mein Fazit zur SPIEL 2022 präsentieren. Wenn euch das zu viel Gelaber ist und ihr lieber nur die Highlights schauen wollt, so seht euch gerne meinen Beitrag zu Tag 0 oder meine positiven Überraschungen an. Und wenn ihr lieber etwas auf die Ohren wollt: meine Beiträge zum Beeple-Radio findet man entweder direkt dort oder über meiner kleinen Übersicht.
voll, voller, am vollsten
Das ist in etwa mein Gefühl, wie die Tage von Donnerstag bis Samstag besucht waren – der Sonntag war dann wieder entspannter. Im Vergleich zum letzten Jahr war alles deutlich voller, im Vergleich zu 2019 aber leerer. Ist das nun gut oder schlecht? Wo soll denn die Reise hingehen? Volle Hallen sind natürlich toll, weil es zeigt, wie viele Menschen von Spielen begeistert sind. Andererseits sind solche Menschenmassen natürlich auch anstrengend für die Sinne und vermiesen einem das Gefühl, wenn man nie einen Platz zum Anspielen ergattert und sich nur durch die Gänge schieben lässt. Ich empfand deswegen dieses Jahr als sehr angenehm. Hier und da staute es sich mal, aber im Großen und Ganzen war es positiv trubelig. Somit überwiegte bei mir die Freude über das Gewusel, zumal ich wieder viele schöne Begegnungen hatte und auch wieder neue Menschen kennenlernen durfte. Dieses Gemeinschaftsgefühl ist mir ohnehin wichtiger als die vielen vielen Spiele. Die bekomme ich später meist noch im Laden zu kaufen – die privaten Treffen nicht.
In diesem Zusammenhang ist es übrigens müßig darüber zu streiten, ob nun die Verkaufsschlangen länger als früher waren oder nicht. Die gab es schon immer. Genauso wie Spiele, die in zu kleinen Auflagen auf der Messe waren. Ob es nun der Zoll oder die allgemeinen Liefer- und Produktionsprobleme waren: das hat es schon in früheren Jahren gegeben und wird sich auch nicht ändern. Anscheinend wurden die Verlage im Vorfeld gebeten, ihr Angebot so zu strecken, so dass zumindest an allen Tagen etwas zum Kauf angeboten werden konnte. Das hilft aber wenig, wenn sich dann schon Verkaufsschlangen vor den Ständen gebildet haben, bevor überhaupt die Messe öffnete. Denn oftmals stehen dann schon genügend Leute dort, die früher in die Halle gekommen sind (Mitarbeiter:innen, Erklärer:innen und Presse). Finde ich das verwerflich? Nicht wirklich. Diese Leute opfern einiges an Zeit, um anderen zu helfen. Dann sollen sie halt einen Vorteil haben, wenn es sie glücklich macht. Aber ich habe ebenso gelernt, dass man sich diesem Stress erst gar nicht aussetzen sollte. Das Meiste gibt es auch später noch problemlos. Hier plädiere ich für mehr Gelassenheit.
aus klein wird groß – auch beim Preis
Mit ein wenig Messe-Erfahrung ist es schon spannend zu sehen, wie sich die einzelnen Stände verändern. Wie manche Kleinverlage immer größer wurden und wie die ganze Branche sich nun professioneller aufstellt. Dabei wurde mir auch vor Augen geführt, wie lukrativ anscheinend das ein oder andere Spiel ist. Ich kann mich nicht bewusst daran erinnern, in den letzten Jahren einen Stand von Tabletop Tyconn gesehen zu haben – und nun nahm dieser eine riesige Fläche ein. EVERDELL sei dank, habe ich mir da gedacht.
Dieses Spiel ist für mich ein Musterbeispiel für einen aktuellen Trend. Spiele werden immer opulenter ausgestattet – und der Großteil dankt dafür. Dass dabei auch die Preise ansteigen, ist unvermeidlich. Das wird zwar klagend wahrgenommen, aber trotzdem wird gekauft. Ich bin mir unsicher, ob mir diese Entwicklung gefällt. Nicht jedes Spiel benötigt Double-Layer-Playboards und hübsch geformte Miniaturen – vor allem dann nicht, wenn dadurch das Spiel in der Summe nicht mehr erschwinglich ist. Auf der anderen Seite lasse ich mich auch gerne verführen und kritisiere die billig wirkende Ausstattung eines MINECRAFT: BUILDERS & BIOMES – wobei das dann für die Zielgruppe bezahlbar bleibt. Ich habe darüber mehrere Gespräche geführt und Karsten Grosser hat da einen sehr passenden Vergleich aufgeführt: in der Automobil-Industrie ist es doch auch nicht anders. Dort werden Kleinwagen ebenfalls immer besser ausgestattet und somit auch teurer. Das stimmt, aber ist dieser Weg ein guter? Sollte nicht gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten hier ein Umdenken stattfinden, damit Spiele nicht zum Luxusgut werden (was sie in gewisser Weise natürlich sind)? Werden wirklich mehr Menschen zum Brettspiel gebracht, wenn es ein immer teureres Hobby wird?
mehr Nachhaltigkeit gewünscht
Zusätzlich beißen sich diese gehobenen Ansprüche etwas mit dem Wunsch, mehr Nachhaltigkeit in die Branche zu bekommen. Aber das ist ohnehin eine Hybris, mit der wir leben müssen. Eigentlich müsste man komplett auf neue Spiele verzichten, denn der Großteil hat sicherlich schon genügend, um damit viele Jahre glücklich zu sein. Trotzdem beteilige auch ich mich begeistert an der alljährlichen Neuheiten-Rallye. Da freut man sich über kleine Lichtblicke, die das eigene Gewissen etwas beruhigen. Mit Freude nehme ich wahr, dass zumindest im Kleinen immer mehr auf Folien und und unnötigen Kunststoff verzichtet wird. Selten hatte ich so viele Spiele ausgepackt, bei dem die Karten in Papier verpackt und das Material in einem Umschlag und nicht in einem Folienbeutel lag. Dieser Weg darf gerne noch konsequenter weitergegangen werden. Und wir Spielenden denken dann hoffentlich nochmal intensiv darüber nach, ob wirklich jede Spiel mit Karten-Sleeves ausgestattet werden muss...


mehr Diversität wagen
Schon in meinem letzten Fazit habe ich dazu aufgerufen, neben Nachhaltigkeit auch die Themen Inklusion und Diversität zu fördern. Natürlich gibt es da draußen noch genügen Motzköpfe, die sich über Gendersternchen echauffieren und sich die vermeintlich gute alte Zeit zurück wünschen. Glücklicherweise sehen viele Verlage das anders. Und so ein Plakat wie von Mattel ist schon eine Ansage in die richtige Richtung. Bei diesem Thema plädiere ich weiterhin für einen entspannteren Umgang. Es wird mir nichts weggenommen, wenn anderen etwas zusätzlich angeboten wird. Trotzdem sollte man sich nun auch nicht in einen Kulturkampf um das Gendersternchen verbeißen. Denn es gibt darüber hinaus noch genügend andere Baustellen. So war die große Masse in Essen wieder äußerst homogen besetzt. Es fehlt meiner Meinung nach in der Branche etwas der Wille, neue Gesellschaftsschichten anzusprechen – was auch gut an den zur Verfügung gestellten Sprachen der Anleitung dokumentiert wird. Ich verstehe nicht, warum fast nie auch eine Anleitung in türkisch oder arabisch beiliegt. Warum in dieser Hinsicht nicht auch ein Mehr wagen?
was auf die Ohren
Vielleicht hilft diesbezüglich auch der von mir wahrgenommene neue Trend. Denn ich fand es auffällig, wie sehr mittlerweile das Gehör bei Spielen angesprochen wird. Zwei der drei nominierten Spiele des Innovationspreises innoSPIEL geben uns etwas auf die Ohren. Auf der Messe habe ich zusätzlich Spiele wie HIPSTER, DISC OVER, LAUT SALAT, STEREO MIND und einige mehr gesehen, die mit Musik, Lauten oder Geräuschen arbeiten. Das ist in meinen Augen ein guter Weg, um inklusiver zu werden. Vor allem bei den Musik-Spielen habe ich erlebt, wie gut damit unterschiedliche Gruppen verbunden werden konnten.
Naturthemen bleiben hoch im Kurs
Ansonsten bleibt es dabei, dass die Natur weiterhin eine sichere Bank bei der Themenwahl ist – und das nicht nur, weil das aktuelle Spiel und Kennerspiel des Jahres ebenfalls solche Themen besitzen. Überall springen einem Tiere und Pflanzen entgegen und insbesondere Kleinverlage versuchen damit Aufmerksamkeit zu generieren. Alles schön und gut, ich bin da auch gerne mit dabei. Aber bitte sich dadurch nicht im thematischen Allerlei verlieren und auch mal mutig sein. Bitte gerne auch kontroverse Themen anpacken, dabei aber die notwendige Seriosität walten lassen. Langfristig haben wir alle etwas von mehr Vielfalt.
Vielfalt ist übrigens das Stichwort zu einem anderen Thema. Ohne Crowdfunding wäre unser Spiele-Leben sicherlich trister. Denn auch wenn diese Plattformen immer mehr von großen Verlagen zu einer Art Ersatz-Vertrieb mit kombinierter Marketing-Maschine genutzt werden, so kommen dadurch immer noch viele frische Ideen auf den Markt. Selbst wenn gerne mal über die unausgereiften Ideen die Nasen gerümpft werden – zumindest sind Ideen vorhanden und werden ausprobiert! Ich möchte die Innovationskraft von vielen dieser Projekte nicht missen. Und wenn man diese dann auf der Messe schon mal im Vorfeld ausprobieren kann, dann hat die SPIEL eine weitere wichtige Funktion.
Produktkunde
Als Liebhaber von Roll-and-Write Spielen habe ich immer auch eine Augenmerk auf die Stifte. Im schlimmsten Fall sind gar keine vorhanden! Ansonsten gibt es schon riesige Unterschiede und ich bin immer neugierig auf neue Lösungen. Mit Interesse habe ich den Ausführungen bei Ravensburger gelauscht, als diese über die Vorzüge ihrer Stifte bezüglich der schlechteren Entflammbarkeit gesprochen haben. Dabei hat man den Eindruck bekommen, dass deren Fiasko mit SAINT MALO immer noch nicht überwunden ist. Somit schaue ich mir also gerne Roll-and-Write Spiele und deren Stifte an. Verlierer der Messe war dabei eindeutig Bombyx mit ihren Stiften zu LOOK AT THE STARS. Diese malen zwar wunderschön weiße Sternenlinien in den Nachthimmel – funktionieren aber nicht so zuverlässig, wie sie es sollten. Da nutzte auch keine ungewöhnliche Lagerung, zumal diese sich für zu Hause nicht wirklich anbietet...
Gaumenfreuden
Ich vermisse den Baumkuchenstand! So, jetzt ist das auch einmal raus. Aber unabhängig davon, konnte ich mich aus kulinarische Sicht nicht beschweren – und ich bin noch nicht einmal Kaffee-Trinker. Denn diese sind dieses Jahr bestimmt deutlich mehr auf ihre Kosten gekommen als in den Vorjahren. Mir fiel jedenfalls auf, dass an vielen Ecken mittlerweile aufwändig Kaffee zubereitet wird. So war die Schlange am Barista Bus morgens vergleichbar mit der Abhol- und Einkaufsschlange bei dem ein oder anderen Verlag.
Menschen verbinden
Sehr gut hat mir wieder das Rahmenprogramm zur SPIEL gefallen, auch wenn ich davon selbst wenig genutzt habe. Wir von Beeple haben das Meet & Play genutzt, um endlich live und in Farbe die Awards an ARCHE NOVA und SCOUT überreichen zu können. Den Research Day fand ich total spannend und ich hoffe, dass ich nun im Nachhinein die Zeit finde, mir dazu noch Inhalte anzusehen. Auch der Educator's Day soll wieder gut besucht gewesen sein. Diese Veranstaltungen werten die SPIEL in meinen Augen deutlich auf, deswegen bitte gerne damit weitermachen!


Aber auch auf der Messe gab es spannende Aktionen. Am Besten hat mir die anfangs weiße Wand am Stand von iello gefallen. Denn durch bereit gestellte Stifte wurde dafür gesorgt, dass diese nicht so blass blieb. Es war faszinierend zu beobachten, wie diese Wand sich langsam füllte – aber auch, wie an dieser Wand Gespräche entstanden. Dieses Modell darf gerne Schule machen!

Abschließend möchte ich gerne noch meinen Dank an alle Beteiligten aussprechen. Ich kann mir gut vorstellen, wie viel Arbeit so eine Messe bedeutet. Wie viel Stress das im Vorfeld aber auch während der Durchführung ist. Man spürte aber zu jeder Zeit das viele Herzblut für die Spiele und die Spielenden. Danke dafür!
Kommentar hinzufügen