Glaskugel zum Spiel des Jahres 2022 – ich tippe die Preisträger und die Nominierten
Alle Jahre wieder verkündet die Jury des Vereins Spiel des Jahres im Mai die nominierten und empfohlenen Spiele des aktuellen Jahrgangs. Alle Jahre wieder schaue ich somit auch in meine imaginäre Glaskugel. Da ich im letzten Jahr nicht ganz so erfolgreich war, habe ich keine Kosten und Mühen gescheut, um mir eine neue Glaskugel zum Spiel des Jahres 2022 anzuschaffen. Denn da diese ganze Aktion ohnehin nur eine Spielerei ist, hält mich dieser Misserfolg nicht davon ab, mein Glück auf ein Neues zu versuchen.
Wie immer muss ich gleich zu Beginn meine Unwissenheit klar stellen. Ich glaube zwar mittlerweile ansatzweise verstanden zu haben, wie die einzelnen Kategorien anzusehen sind. Aber dabei gibt es natürlich auch immer gewisse Graubereiche – insbesondere beim grauen Pöppel des Kennerspiels. Ab wann ist ein Zugang zu einem Spiel noch zu rot oder doch schon zu anthrazit einzuordnen? Da wäre ich doch gerne mal Mäuschen bei den stattfindenden Diskussionen. Noch viel größer ist die Unwissenheit aber bei den Spielen selbst. Wahrscheinlich glücklicherweise habe ich nur einen Bruchteil des aktuellen Jahrgangs selbst gespielt. Natürlich verfolgt man diverse andere Blogs und bekommt somit einen halbwegs guten Überblick, aber das ersetzt nicht die tatsächlichen Spielerlebnisse. Somit bin ich auch immer wieder gespannt auf die Listen der Jury. Denn dort tauchen dann Spiele auf, die ich bisher noch nicht im Fokus hatte. Selbst für jemanden wie mich, der doch ein wenig in der Szene drin ist, hat die Liste somit eine persönliche Relevanz – die allgemeine Relevanz ist ohnehin unumstritten. Trotzdem sollte nochmals auf die Zielrichtung hingewiesen werden, die mit dem Preis einher geht. Alle Jahre wieder lese ich Kommentare, bei denen ich das Gefühl habe, dass nicht verstanden wurde für was der Preis steht und welche Zielgruppe damit erreicht werden soll.
Zusätzlich muss ich noch eine weitere Klarstellung vorbringen, bevor ich die Ergebnisse meiner Glaskugel verkünde. Denn bei den nun aufgeführten Spielen nenne ich nicht die Kandidaten, die ich persönlich nennen würde, sondern ich versuche den Geschmack der Jury vorauszusehen. Meine persönliche Meinung verkünde ich dann bei der Kommentierung zu den Ergebnissen bzw. bei meinen Top‑5 des aktuellen Jahrgangs.
Zu guter Letzt noch eine Bitte: man sollte sich bei der medialen Aufmerksamkeit nicht nur auf die nominierten Titel konzentrieren, aus denen dann der zukünftige Siegertitel hervorgehen wird. Für mich fast noch spannender sind die Empfehlungslisten. Denn über diese Listen wird immer wieder aufgezeigt, wie vielfältig Brettspiele heutzutage sind.
Spiel des Jahres
Ich könnte jetzt mit breiter Brust verkünden: das Spiel des Jahres wird SCOUT von Kei Kajino! Aber wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich lange hin und her überlegt und in meinem Kopf über einen längeren Zeitraum die imaginären Spielboxen hin und her geschoben. Dabei ging es mir bei SCOUT überhaupt nicht um die spielerische Qualität, sondern eher um die Frage: ist das noch der rote Bereich oder doch eher der graue Bereich – auch, weil die Anleitung leider nicht ganz optimal geschrieben ist. Doch unabhängig davon ist das Spielprinzip leichtgewichtig genug, um es recht schnell erfassen zu können. Zusätzlich kann man es gut in kleineren Gruppen spielen, wenn auch der Spielreiz mit der Personenanzahl steigt. Zu zweit stellt sich zwar durch die Regelanpassungen ein anderes Spielgefühl ein, aber trotzdem funktioniert das Spiel immer noch und findet bei einigen Pärchen auch entsprechenden Anklang. Ohnehin kam SCOUT bei meinen Beobachtungen der Zielgruppe immer sehr gut an.
Zu TOP TEN von Aurélien Picolet kann ich leider wenig sagen, da ich es bisher leider noch nicht gespielt habe – in Zeiten von Covid-19 haben es Partyspiele schwer. Aber genau darin sehe ich auch die Chance für TOP TEN. Wir sehnen uns alle danach, wieder in größeren Gruppen beisammen zu sein und dabei eine schöne Zeit zu haben. Und das scheint mit TOP TEN sehr gut möglich zu sein. Ich habe lange überlegt, ob ich es nicht sogar zum Titelträger hochstufen soll. Aber aufgrund der fehlenden Erfahrung habe ich mich das nicht getraut. Ich gehe aber von einer Nominierung aus.
Beim dritten zu nominierenden Spiel habe ich lange hin und her geschwankt. Schlussendlich hat sich der persönliche Geschmack als Zünglein an der Waage durchgesetzt. So gehe ich aslo davon aus, dass SO KLEEVER! von François Romain noch weiter die Chance haben wird, in die Fußstapfen von JUST ONE zu treten. Die Nähe zu diesem und auch zum anderen Titelträger CODENAMES ist vielleicht ein Argument gegen diesen Platz auf dem Treppchen. Aber SO KLEEVER! ist eigenständig genug, um sich von diesen Spielen abgrenzen zu können. Außerdem funktioniert es auch gut in kleineren Runden und hat deutlich weniger Leerlaufzeiten vorzuweisen.
Somit bin ich nun bei dem anderen "Schwank-Titel" und den Empfehlungen. Dort sehe ich CASCADIA, weil dieses doch ziemlich gut ins Beuteschema passt. Mechanik, Thema, Ausstattung und Optik sind überzeugend, aber die etwas unklaren Wertungen und die nicht ganz auf die Zielgruppe passende Einstiegshürde lassen mich ein wenig zweifeln, dass es auch für höhere Weihen geeignet ist. Ich bin gespannt, wie die Jury das sieht. Dann sehe ich noch TREK 12 auf der Liste, da dieses doch erstaunlich mehrdimensional für ein Roll-and-Write-Spiel ist und durch die Kampagne eine interessante Entwicklung nimmt. Zusätzlich würde ich mich darüber freuen, 5‑Minute Mystery auf der Liste zu finden. Hier haben meine Erfahrungen mit der Zielgruppe immer große Zustimmungswerte ergeben und es ist selten bei nur einer Partie geblieben, weil man immer weiter machen wollte. Ähnliches habe ich mit IMAGENIUS erlebt, was für mich eine Art Geheimtipp ist. Dieses Spiel dürfte gerne für die Zielgruppe etwas mehr in den Blickpunkt gerückt werden. Außerdem habe ich noch 7 WONDERS ARCHTITECTS auf der Liste, weil das einen überzeugenden Einstieg in diese Spielewelt ermöglicht. Keine Ahnung habe ich übrigens von den kleinen hektischen Hirnverzwirblern, die auch immer gerne in den Listen auftauchen. Diesbezüglich lasse ich mich mal überraschen. Ansonsten schwirren mir noch ein paar Titel im Kopf herum, die mich aber alle nicht so wirklich überzeugen (MEADOW, SAVANNAH PARK, ECHOES, FRAMEWORK...). Aber vielleicht tue ich denen auch unrecht und die Jury sieht das ganz anders – übrigens beruht das bestimmt auch auf Gegenseitigkeit. So würde es mich mehr als wundern, wenn auf einmal CODEX NATURALIS auf der Liste auftauchen würde. Das finde ich klasse, weiß aber, dass diese Begeisterung nicht unbedingt geteilt wird.
Kennerspiel des Jahres
LIVING FOREST von Aske Christiansen ist noch gar nicht so lange in Deutschland erhältlich. Allerdings kam es mit reichlich Rückenwind bei uns an, da es vor kurzem schon beim L’As d’Or-Jeu de l’Année in der Kategorie "Initié" ausgezeichnet wurde. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass dieser Erfolg nicht automatisch auf Deutschland zu übertragen ist, aber es ist zumindest ein Fingerzeig. Ich glaube an LIVING FOREST weil es einerseits recht zügig gespielt werden kann und andererseits dabei eine wohltuende Interaktion auftritt. Der Komplexitätsgrad ist eher gering und das Spiel sorgt nicht unbedingt für rauchende Köpfe. Aber alleine schon drei unterschiedliche Siegbedingungen zeigen, dass man sich im Grenzbereich zwischen rot und grau eher auf der grauen Seite befindet.
Um WITCHSTONE von Martino Chiacchiera und Reiner Knizia habe ich lange einen Bogen gemacht. Zu abschreckend empfand ich persönlich die Gestaltung. Weil man ohnehin schon genug Spiele zuhause hat, darf man ruhig mal solche Äußerlichkeiten als Ausschlussgrund heranziehen. Aber auf einmal las ich einen positiven Bericht nach dem anderen über das Spiel, so dass meine Neugier dann doch geweckt wurde. Und siehe da: WITCHSTONE ist ein tolles Spiel, was perfekt in das Spektrum des Kennerspiels hineinpasst. So bleibt nur die Frage, als was wird sich Mit-Autor Reiner Knizia dieses Mal für die Verleihung verkleiden?
DUNE IMPERIUM von Paul Dennen ist sicherlich das komplexeste dieser drei Spiele meines imaginären Kennerspiel-Treppchens. Ich persönlich finde es ganz hervorragend, kann dabei allerdings auch recht gut mit der ein oder anderen Ungerechtigkeit bei den Intrigen-Karten leben. Für mich ist die besondere Stimmung des Spiels wichtiger als eine hundertprozentige Ausgewogenheit. Denn das Spiel schafft es gut, den typischen Dune-Geist in ein Spiel zu übertragen. Der Kino-Film war für mich schon ein Highlight, das Spiel steht dem nicht nach.
Auch wenn ARCHE NOVA wie eine Bombe in der Spielelandschaft eingeschlagen ist, so glaube ich nicht, dass es unter für das Kennerspiel nominiert werden wird. Eine solche Nominierung war schon damals bei TERRAFORMING MARS grenzwertig und ARCHE NOVA setzt in Sachen Komplexität noch ein klein wenig was drauf. Deswegen wird es zwar auf der Empfehlungsliste genannt werden, aber für den Titel ist es deutlich zu schwergewichtig. Viel eher kann ich mir stattdessen noch KHÔRA in der engeren Auswahl vorstellen. Genauso sehe ich mit MILLE FIORI einen weiteren Titel von Reiner Knizia als einen möglichen Titel für die Empfehlungsliste. Nicht sicher bin ich mir, ob SUCHE NACH PLANET X berücksichtigt wird. Das ist ein tolles Deduktionsspiel, was aber zwingend eine App als zusätzliches Spielelement benötigt. Akzeptiert die Jury einen solchen digitalen Begleiter? Als letztes Spiel habe ich noch einen Geheimtipp auf Lager, der aus persönlicher Überzeugung der Güte genannt wird. Mir gefällt BEYOND THE SUN ausgesprochen gut und weil meine Meinung von Gewicht ist, muss es also auch auf die Empfehlungsliste. Okay, das ist kein überzeugendes Argument, aber ich würde mich trotzdem darüber freuen.
Traue ich mir noch eine Vorhersage zum Kinderspiel des Jahres zu? Eigentlich nicht, da ich aus diesem Bereich mittlerweile fast komplett draußen bin und somit mit keiner fundierten Meinung dienen kann. Allerdings habe ich sehr viel Gutes von ZAUBERBERG von Jens-Peter Schliemann und Bernhard Weber gehört. Doch mehr kann ich zu dem Thema leider nicht beitragen.
Danke für diesen Artikel