Mitte Juli, Montag – das ist für viele Menschen in der Brettspiel-Blase immer ein besonderer Termin. Die Social-Media-Timelines werden nur mit einem Thema vollgeballert: das Spiel des Jahres steht nun fest. Hunderte, natürlich berechtigte, Glückwunsch-Posts lassen einen viele andere Themen kurzzeitig vergessen. Zusätzlich beginnt eine Kommentar-Welle, an der auch ich mich gerne beteilige. Nicht, dass ich was Wichtiges oder gar Neues zu sagen hätte, aber so ganz will man die Traditionen nicht einschlafen lassen. Zusätzlich macht auch immer der Vergleich Spaß, wie gut denn nun mein Blick in die Glaskugel war.
Leider war ich dieses Jahr wieder nicht vor Ort. Dabei wäre es dieses Mal mit dem Sommerurlaub kompatibel gewesen. Aber trotz niedriger Covid19-Inzidenz-Zahlen war mir die persönliche Anwesenheit nicht wichtig genug. Ich hoffe auf das nächste Jahr...
Spiel des Jahres 2021: MICROMACRO: CRIME CITY von Johannes Sich
Schon bei der Bekanntgabe der Nominierten fiel mir ein Stein vom Herzen: dieses Jahr wird kein weiteres Kommunikationsspiel ausgezeichnet. Gut so, denn es gibt auch noch andere preiswürdige Spielarten. Dies zeigt eindrucksvoll MICROMACRO: CRIME CITY! Zumal dieses Spiel wohl der Begründer eines neues Genre sein wird. Denn ich bin mir sicher, dass wir diese Art Spiel noch häufiger sehen werden – nicht nur von den eigentlichen Machern. Allerdings werden sich dabei so manche Nachahmer wundern, wie viel Zeit und Arbeit in ein solches Projekt zu stecken ist. Es reicht eben nicht aus, ein paar lustige Personen auf einen großen Plan zu zeichnen. Somit wird auch die Bezeichnung "Wimmelbild-Spiel" der Autorenleistung nicht gerecht. Denn MICROMACRO: CRIME CITY ist mehr als ein bloßes Wimmelbild. Hier werden Geschichten gezeigt und der spielerische Reiz besteht darin, die zeitliche Abfolge nachzuvollziehen. Das ist das Neue, das ist der besondere kreative Prozess, der mit dem Titelgewinn gewürdigt wird. Ich selbst erkenne die Punkte an und kann die Entscheidung zu Gunsten von MICROMACRO: CRIME CITY sehr gut nachvollziehen. Allerdings sehe auch ein wenig die Schwachpunkte. Das relativ solitäre Spiel sowie die besondere Thematik sind sicherlich schon oft genug berechtigterweise thematisiert worden. Für mich stellt aber insbesonder das Thema kein Ausschlusskriterium dar, zumal in der Neuauflage auf die anfängliche Kritik reagiert wurde. Man sieht aber gut am Thema, dass das Spiel nicht dafür entwickelt wurde, den Massenmarkt zu bedienen. Dass es nun so kommt, ist ein nicht unerwünschter Nebeneffekt. Aber das war so sicherlich nicht geplant. Vielmehr war es ein Herzblut-Projekt der Beteiligten und das spürt man in jeder Sekunde, die man sich mit MICROMACRO: CRIME CITY auseinandersetzt.
Damit will ich den anderen nominierten und empfohlenen Spielen keineswegs absprechen, dass dort nicht ebenso viel Herzblut investiert wurde. Wenn man den vielen Interviews von Autor und Illustrator Michael Menzel zuhört, dann bekommt man einen Einblick, wie viel an DIE ABENTEUER DES ROBIN HOOD gefeilt wurde. In meinen Augen wäre das ein ebenso verdienter Titelträger gewesen. Auch hierbei wurde innovativ gearbeitet und keine 08–15-Ware abgeliefert. Für mich wird dabei sogar noch mehr das gemeinsame Erleben gefördert. Aber ich bin mir sicher, dass uns dieses Spiel durch weitere Ableger noch länger begleiten wird. Zu ZOMBIE TEENZ von Annick Lobet kann ich leider wenig sagen. Das war die große Überraschung bei den Nominierungen. Dem Vorgänger ZOMBIE KIDS ging ein exzellenter Ruf im Kinderspielbereich voraus, aber aufgrund des Themas hatte ich dieses Spiel für mich als nicht interessant genug eingestuft. Da es kurz nach der Nominierung nicht mehr im Handel verfügbar war, konnte ich mir dazu leider bisher keine eigene Meinung bilden.
Mit der diesjährigen Empfehlungsliste kann ich auch ganz gut leben. PUNKTESALAT und SWITCH & SIGNAL habe ich dabei sogar richtig vorhergesagt. Von THE KEY: SABOTAGE IM LUCKY LAMA LAND kenne ich nur die beiden Vorgänger-Fälle, die mir gut gefallen haben. Wahrscheinlich ist das noch ein Überbleibsel des Covid-19-Jahrgangs, dass es nun die dritte Box auf die Empfehlungsliste geschafft hat. Aber das finde gut, weil dieses Spielprinzip ebenfalls innovativ und im besten Sinne Generationen übergreifend ist. Das hätte ich mir aus diesem Grund auch als nominiertes Spiel vorstellen können. CHAKRA finde ich selbst ein wenig zu fad, aber handwerklich ist das schon gut gemacht. BISS 20 habe ich aufgrund der fehlenden großen Runden leider noch nicht gebührend spielen können. Aber da vertraue ich der Jury, dass sie eine passende Wahl getroffen hat.
Kennerspiel des Jahres 2021: PALEO von Peter Rustemeyer
Völlig verdient hat in meinen Augen PALEO den Titel Kennerspiel des Jahres eingeheimst. Dieses Spiel habe ich in verschiedenen Entwicklungsstufen auf diversen Veranstaltungen erlebt. Das zeigt auch gut, über welch langen Zeitraum gute Spiele entwickelt werden. Wobei dieser Prozess auch nie abgeschlossen ist. So habe ich noch die Auflage mit der nicht überarbeiteten Regel und der etwas einseitigen Darstellung der Steinzeit-Menschen – beide Kritikpunkt wurden vom Verlag angegangen und geändert. Mich freut es auch für den Hans im Glück Verlag, da dieser mit PALEO einige neue Wege gegangen ist: neues Schachtelformat, erstes kooperatives Spiel, mutige Gestaltung.... Man merkt, dass im Verlag noch genügend Lust vorhanden ist und sich nicht auf alten Erfolgen ausgeruht wird. Das sollte ein Zeichen für die Branche sein, wieder etwas mutiger zu werden. Vor allem die großen deutschen Traditions-Verlage dürfen gerne wieder etwas mehr die Komfort-Zone verlassen.
Ebenfalls beachtet werden sollten aber auch die beiden anderen nominierten Spiele. FANTASTISCHE REICHE von Bruce Glassco hatte ich in meinem Glaskugelblick noch in die rote Kategorie gepackt, weil meine anthrazit-farbene Liste schon so voll war und wir das Spiel in der Familie rauf und runter gespielt haben. Aber das war natürlich Blödsinn von mir, denn die Zugänglichkeit ist klar dem Kennerspiel-Bereich zuzuordnen (der eben nichts mit der Komplexität eines Spieles zu tun haben muss). Dementsprechend gefreut hat es mich, dass es nun sogar so prominent in den Blickpunkt gestellt wurde. DIE VERLORENEN RUINEN VON ARNAK von Mín und Elwen war für viele in der Blase sogar Favorit. Ich habe mich bekanntlich dagegen gesträubt, da ich immer noch der Meinung bin, dass das Spiel mehr verspricht als es einhalten kann. Mechanik ist top, die Optik gefällt auch den meisten Leuten – mir persönlich fehlt etwas die Seele. Aber das kann man natürlich auch ganz anders sehen.
Wesentlich mehr Seele sehe ich in AEONS END, was zumindest empfohlen wurde. Ich bin bei dem Spiel aber auch immer etwas zwiegespalten. Ich mag die Mechanik und die aufkommenden Emotionen, kann aber mit dem Setting leider so überhaupt nichts anfangen. Ich habe immer den Traum, dass dieses Spiel nochmals mit einer starken Lizenz daher kommt – so eine Art HARRY POTTER AEONS END wäre wohl genau das richtige für mich. Bei welchem Spiel ich dahingegen überhaupt nicht zwiegespalten bin, ist WASSERKRAFT, was zu meinen absoluten Lieblings-Expertenspielen gehört. Aber dass dieses für den anthrazit-farbenen Pöppel zu schwergewichtig ist, war mir im Vorfeld schon klar. Schön, dass es aber empfohlen wurde. RIFTFORCE hatte ich auch noch in rot eingeordnet, aber das ist für mich nicht entscheidend. Auch bei diesem Spiel freue ich mich, dass ein neuer kleiner Verlag ins Spotlight gesetzt wurde. GLOOMHAVEN – DIE PRANKEN DES LÖWEN hatte ich auch richtig vorhergesehen, auch wenn das überhaupt nicht meine Art von Spiel ist. Insgesamt fand ich es aber wohltuend, dass nun die Empfehlungsliste des Kennerspiel-Preises etwas aufgestockt wurde, so dass mehr Spiele in diesem Segment die gebührende Aufmerksamkeit erhalten.
Natürlich "fehlt" in meinen Augen das ein oder andere Spiel. Aber es wäre doch bedenklich, wenn es bei dem Übermaß an vielen interessanten Spielen nicht die ein oder andere Härtefallentscheidung gegeben hätte. Ich finde es richtig, dass die Listen kompakt bleiben, so dass man diese noch überblicken kann. Und mit der getroffenen Auswahl kann ich sehr gut leben! Insgesamt hat die Jury in meinen Augen dieses Jahr sehr vieles richtig gemacht.
Kinderspiel des Jahres 2021: DRAGOMINO von Bruno Cathala, Marie Fort und Wilfried Fort
Diese Auflistung ist nun reine Chronistenpflicht. Mit den aktuellen Kinderspielen befasse ich mich kaum noch und kann mir deswegen nicht anmaßen, eine Meinung dazu hinaus zu posaunen. DRAGOMINO hatte ich natürlich ein wenig beachtet, da es auf KINGDOMINO basiert. Aber ich habe es ebenso wenig gespielt wie die anderen nominierten Spiele FABELWELTEN oder MIA LONDON.
Von den empfohlen Spielen kenne ich lediglich INSPEKTOR NASE, was auch in älteren Mitspiel-Runden ein nettes Erlebnis war. Aber wirklich fundiert kann ich mich zum Kinderspiel-Jahrgang nicht äußern.
Abschließend gratuliere ich allen Beteiligten der Gewinner-Titel (den Autoren, den Redaktionen, den Verlagen und den Illustratoren) – bedanke mich aber genauso auch bei allen Beteiligten der nominierten bzw. empfohlenen Spielen für viele viele Stunden Spielspaß!
Verstehe immer noch nicht, wo bei Micro Macro das "Spiel" ist – es hat keine Pöppel, keine Würfel,keine Karten, kein Spielbrett und man kann nichts einsammeln.
Micro Macro ist alles, nur kein Spiel.
Ich brauch was zum Zocken............
Ich sehe den Begriff "Spiel" nicht so eng. Und übrigens: Karten hat es doch auch, nur werden diese eben etwas anders genutzt... 😉