28 von Pedro Santos Silva – erschienen bei Mebo
Da ich noch nie in Lissabon war, kann ich nicht aus eigenem Erfahrungsschatz über die Straßenbahn-Linie 28 berichten. Allerdings war ein Lissabon erprobter Kollege beim Spielen ganz angetan von der Umsetzung und den vielen Aha-Momenten. Anscheinend ist diese Linie der Geheimtipp für Touristen auf der Suche nach einer kultigen Stadtrundfahrt. In einer Berlin-Edition müsste das Spiel dann wohl 100 heißen.
Thema... als findiges Fremdenführungsbüro verkaufen wir Tickets an ahnungslose Touristen, damit diese die Sehenswürdigkeiten von Lissabon erleben können. Der Clou daran ist: es werden kein Taxis, Doppeldecker-Busse oder Fahrrad-Rikschas zum Transport genutzt, sondern man fährt mit der ehrwürdigen Linie 28. Aber das alles will gut organisiert sein, denn komischerweise lassen die Sehenswürdigkeiten nur ganz bestimmte Touristengruppen zu. Zusätzlich fahren die Straßenbahnen keine festen Linienwege – und schubsen sich zur Not sogar den Weg frei.
Illustrationen… sind von André Fernandes Trindade, der in 28 einen sehr eigenen Stil pflegt. Meines Wissens nach sind seine Arbeiten zu 28 sein erstes Brettspiel-Projekt – und wenn es nach mir geht, dürfen gerne noch weitere folgen. Mir gefallen die klaren Farben und Konturen und auch an der Symbol-Sprache gibt es nichts zu bemängeln.

Ausstattung… ist umfangreich: ein großflächiger Spielplan, ganz viele bunte Meeples als potentielle Fahrgäste, ein dazugehöriger Nachziehbeutel, vier Straßenbahntableaus für die jeweiligen Mitspielenden mit entsprechenden Bonusmarkern, ganz viele "Fahrkarten" und Auftragskarten sowie weitere schöne Holzfiguren. So stelle ich mir eine passende Ausstattung für ein klassisches Eurospiel vor. Heimlicher Star ist aber die kleine Handglocke.
Ablauf… nachdem auf dem Spielplan die Haltestellen mit zufälligen Fahrgästen bestückt und die offenen Auftragskarten ausgelegt wurden, beginnt ein Transport-Optimierungs-Spiel. Bin ich an der Reihe, kann ich bis zu zwei Aktionen ausführen, wofür mir vier Optionen zur Verfügung stehen: die eigene Straßenbahn bewegen, Fahrgäste zusteigen lassen, Fahrgäste an Sehenswürdigkeiten absetzen oder einen der vier Boni freischalten. Bis auf den Ausstieg sind all diese Aktionen damit verbunden, dass ich passende "Fahrkarten" aus der Hand ablege.
Das Ziel unseres Tuns lautet, an bestimmten Sehenswürdigkeiten die geforderten passenden Touristen abzuliefern. Gelingt mir das, bekomme ich die entsprechende ausliegende Karte. Dabei gibt es noch einen Clou. Die Karte ist nicht nur an für sich eine bestimmte Anzahl an Siegpunkten wert, sondern ich lege diese erhaltenen Karten in einer Reihe aus. An den Seiten können sich somit farbige Tickets vervollständigen, wofür ich mit extra Punkten belohnt werde.
Durch die freizuschaltenden Boni wiederum verbessere ich meine Handlungsmöglichkeiten. So kann ich dadurch eine dritte mögliche Aktion freischalten oder meine Straßenbahn kann eine zusätzlichen Bewegungsschritt durchführen. Oder aber ich kann weitere Fahrgäste in meiner Tram aufnehmen. Diese ist nämlich anfangs Platz mäßig ein wenig limitiert. Da ich aber immer nur entweder alle oder gar keine Fahrgäste an den Haltestellen auflesen kann, hat es schon Vorteile, wenn ich eine große Anzahl an Fahrgästen bei mir aufnehmen kann.
Das gefällt mir nicht so gut: Der Spannungsbogen entspricht einer Rundfahrt mit einer Straßenbahn – trotz vielleicht kleiner Höhepunkte fährt man im Kreis. Man macht am Ende fast die gleichen Aktionen wie am Anfang. Karten sammeln, Passagiere einladen, zur Sehenswürdigkeit fahren und wieder ausladen. So lange, bis die feste Anzahl an Aufträgen erfüllt sind. Diese werden aber nicht wertvoller oder es ändern sich auch nicht die Rahmenbedingungen. Alles bleibt im gleichen Fluss. Das kann am Abend eines anstrengenden Tages entspannend sein, es sorgt aber nicht dafür, dass man nach einer Partie 28 unbedingt sofort eine nächste spielen will.
Bei meiner Aufzählung des Kreislaufs habe ich aber eine Sache außer Acht gelassen: Boni besorgen. Davon sind zwei dermaßen mächtig, dass man sie auf jeden Fall aktivieren sollte. Denn der zusätzliche Bewegungsschritt und auch die dritte Aktionsmöglichkeit sind eigentlich ein Muss. Selbst der Straßenbahnausbau wird eigentlich immer aktiviert, weil man dadurch deutlich flexibler ist. Somit ist übrigens die anfängliche zufällige Kartenverteilung durchaus ein Erfolgsfaktor. Wer damit schnell einen der wichtigen Boni erfüllen kann, hat es später leichter.
Die Karten sind ohnehin so eine Sache. Am Ende der Runde zieht man immer vier davon nach. Manchmal verzichtet man auch auf die Aktionen und zieht sofort Karten nach, weil man nicht sinnvolles machen kann. Dann sammelt sich schon mal eine stattliche Anzahl auf der Hand und davon sind doch einige Mitspielende leicht überfordert. Gefühlt ist man zu sehr mit dem hin und her Wechseln der Karten beschäftigt – auch weil man im Umtauschkurs 3:1 eine fehlende Farbe ersetzen kann. Dieser Umtauschkurs ist aber nicht ideal. Glücklich darf man also sein, wenn die eigenen Karten gut zu den aktuellen Auslagen passen.
Insgesamt hat 28 einen recht hohen Glücksfaktor. Das zeigt sich auch an den Zusatzpunkten für gut zueinander passende Auftragskarten. Die passen mal besser und mal schlechter. Wirklich darauf hinarbeiten kann ich aber nicht, da einfach zu viel zwischendurch passiert. An für sich kann ich immer gut mit einem bestimmten Glücksfaktor leben. Allerdings spielt sich 28 einen Ticken zu lang und wiederholend, um diesen gänzlich unvoreingenommen gegenüber zu stehen.
Das gefällt mir gut: Im besten Fall ist 28 ein Hauen und Klingeln. Klingeln? Ja, Klingeln. Denn bisher habe ich die Funktionsweise der Glocke noch gar nicht erläutert. Die kommt hauptsächlich dann zum Einsatz, wenn man eine im Weg stehende andere Straßenbahn aus dem Weg schubst. Ich klingele diese an, damit sie sich weg bewegt und ich deren Platz einnehmen kann. Den Anspruch auf Realismus hinterfragen wir mal lieber nicht, trotzdem ist das ein schönes Element. Ich lebe hier in einer Stadt mit Straßenbahn und bin deswegen mit dem typischen Aufmerksamkeitsklingeln dieser vertraut. Ähnlich ist das auch beim Spielen. Ich schaue mir gerade meine Handkarten an und plane meinen nächsten Zug. Aus diesen Gedanken werde ich aber durch das Klingeln der Glocke geweckt. Was, hier wird wieder die Situation am Brett geändert? Ist davon meine Bahn und somit meine Planung betroffen? Die Glocke erzeugt Aufmerksamkeit, fordert auf, sich mit der nun stattfindenen Interaktion auseinander zu setzen. Sie ist somit auch mehr als ein bloßes Gimmick – aber natürlich ist sie das auch. Es macht eben Freude darauf zu klingeln und lockert das ganze Geschehen am Tisch etwas auf. Gerade bei vielen Menschen, die zu hoch konzentrierten Grübelorgien neigen, wird dieses Element eher abschätzig bewertet. Ich finde es super, weil es etwas Humor in das ansonsten oft all zu ernste Hobby bringt.
Interaktion war übrigens durchaus ein richtiges Stichwort. Auf dem Spielplan ist in voller Besetzung schon einiges los. Zusätzlich gibt es immer die direkte Konkurrenz um die offenen Aufträge und Fahrgäste. Ein Blick nach links und rechts ist also nicht nur im Straßenverkehr, sondern auch beim Spielen von 28 angebracht. Der Spielplan skaliert übrigens durch seine Doppelseitigkeit mit der Anzahl an Mitspielenden, so dass auch in kleineren Gruppen genügend Dichte besteht. Trotzdem bevorzuge ich das Spiel in Vollbesetzung, weil dann einfach die Konkurrenz größer ist und somit meist mehr Emotionen geboten werden. Denn man kann sich so schön ärgern, wenn einem die Bahn von der angepeilten Sehenswürdigkeit weggeschubst wird – da ist die zusätzliche Karte als Trostpflaster selten mehr als eben das.
Bei aller vorhandenen Leichtigkeit, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es bei 28 um Effizienz geht. Ich habe es oft genug erlebt, dass ich mit gefüllter Bahn endlich zur angepeilten Sehenswürdigkeit gefahren bin, ich dann aber keine Aktion mehr für das Ausladen übrig hatte. Somit öffnet sich auf einmal ein Fenster für die Konkurrenz, die mir diesen Auftrag dann noch wegschnappen kann. 28 ist durch den einfachen Zugang und die überzeugende Gestaltung ein Familienspiel. Aber einfach drauf los spielen und dann schauen, was passiert, ist nicht unbedingt die erfolgreichste Idee. Allerdings darf man sich nicht einreden, dass man bei 28 einer Strategie folgt. Die Entscheidungen sind rein taktischer Natur, weil sich zu schnell zu viel ändern kann. Deswegen sind kürzere Strecken oftmals die bessere Option als eine im wahrsten Sinne des Wortes lange Planung.
Fazit: Ganz nüchtern betrachtet ist 28 ein solides Spiel, was durch den hohen Glücksfaktor und dem eher gleichförmigen Spannungsbogen keine Begeisterungsstürme auslösen wird. Ich habe mich aber irgendwie in das Spiel verliebt. Vielleicht auch, weil ich mich beruflich u.a. mit Straßenbahnen auseinander setzen muss und ich gerne Pick-up and Deliver Spiele auf den Tisch bringe. Der nächste Sommerurlaub soll nun tatsächlich nach Lissabon gehen – und 28 hat an dieser Entscheidung durchaus seinen Anteil.
Titel | 28 |
---|---|
Autoren | Pedro Santos Silva |
Illustrationen | André Fernandes Trindade |
Dauer | 45 bis 60 Minuten |
Personenanzahl | 2 bis 4 Personen |
Zielgruppe | Tram fahrende Familienspielrunden |
Verlag | Mebo (im deutschen Vertrieb bei HeidelBär Games) |
Jahr | 2021 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
Kommentar hinzufügen