Die Rote Kathedrale von Shei S. und Isra C. – erschienen im KOSMOS Verlag
Irgendwie fühlt es sich in diesen Tagen des Russland-Ukraine-Krieges komisch an, etwas zu einem Bauwerk in Moskau zu schreiben. Allerdings finde ich es auch blödsinnig, nur aus diesem Grund nicht über DIE ROTE KATHEDRALE zu schreiben. Weder die Autoren noch die beteiligten Verlage haben eine direkte Beziehung zu Russland – man hat lediglich das Thema dort hin versetzt. Außerdem sollte man ohnehin nicht vorschnell die Boykott-Keule für alles aus Russland schwingen. Es gibt genügend Menschen in und aus Russland, die nicht glücklich mit der aktuellen Situation sind. Diese gilt es zu unterstützen! Denn meiner Meinung kann sich das Putin-Problem nur von innen lösen, weswegen man die oppositionellen Kräfte unbedingt stärken und nicht alles russische unter Generalverdacht stellen sollte.
Thema... schon der Untertitel "Die Baumeister des Zaren" macht deutlich, dass es zur Abwechslung mal wieder darum geht, ein Bauwerk fertig zu stellen. Da ich die Basilius-Kathedrale noch nicht live und in Farbe gesehen habe, kann ich nicht abschätzen, ob dieser Sakralbau nun komplett fertig gestellt wurde oder nicht. Das ist schon kein unwichtiges Detail, denn am Ende einer Partie ist das Bauwerk selten vollständig errichtet. Da hätte sich irgendwie die Sagrada Família besser als Thema angeboten – zumal das Spiel im spanischen Verlag Devir entwickelt wurde.
Illustrationen… stammen von Pedro Soto und Chema Román und haben einen sehr eigenen Stil. Ich bin leider zu wenig kunsthistorisch gebildet, um bei der Gestaltung fundiert Anleihen zur russischen Malerei des 17. Jahrhunderts zu finden. Auf jeden Fall gefällt mir der optischen Auftritt gut, zumal auch die Symbolsprache eindeutig ist.
Ausstattung… in einer sehr kompakten Box befindet sich einiges: Spielplan, Werkstatt-Tableaus, Karten, verschiedenfarbige Würfel, tolle Holzkomponenten für die Ressourcen und die persönlichen Anzeigen, verschiedene Pappplättchen sowie kleine Plastikteile für unterschiedliche Edelsteine.
Diese kleine Spelbox hat viele Vorteile (Platzbedarf, Ressourcen schonender Transport ...) aber auch den Nachteil, dass deswegen der zentrale Spielplan recht klein ist – wodurch wiederum auch die Zählsteine entsprechend fitzelig sind. Trotzdem ist das alles noch zu handhaben, weswegen ich gut mit diesem kleinen Manko leben kann. Der Rest des Materials ist über jeden Zweifel erhaben.
Ablauf… ist in gewisser Weise recht gewöhnlich. Die einzelnen Bauabschnitte der Kathedrale erfordern bestimmte Rohstoffkombinationen, die ich passend bezahlen und vorher besorgen muss. Allerdings gibt doch einige pfiffige Details in DIE ROTE KATHEDRALE zu beachten. So darf ich nur an die Bauabschnitte bauen, die ich vorher auch reserviert habe. Zusätzlich muss ich mit dem Baumaterial gut haushalten, weil meine Lagermöglichkeit auf dem eigenen Werkstatts-Tableau begrenzt ist.
Am prägnantesten ist aber der besondere Würfelmechanismus. Denn dabei wähle ich einen Würfel aus und schreite entsprechend der Augenzahl auf dem Ressourcen-Rondell voran. Das Zielfeld gibt mir dann vor, was ich nun erhalte. Liegen dort schon Würfel, erhöht sich sogar der Ertrag. Zusätzlich kann ich dann noch einen variablen Quadranten-Vorteil aktivieren. Am Ende würfelt man alle dort liegenden Würfel, so dass die Augenzahlen wieder neu verteilt werden.
Am Spielende werden zur Siegpunktbestimmung die einzelnen Mehrheiten an den Bauabschnitte der Kathedrale ermittelt. Dabei spielen auch Verzierungen eine Rolle, die man ebenfalls im Laufe der Partie an der Kathedrale anbringen kann und wofür die kleinen Plastikedelsteine sehr hilfreich sind.
Das gefällt mir nicht so gut: DIE ROTE KATHEDRALE erinnert mich an ein barockes Wert – es hat mir persönlich nämlich ein paar Schnörkel zu viel. So ist beispielsweise der Würfelmechanismus im Kern klasse. Den verstehen alle auf Anhieb und die Aufgabe ist reizvoll. Dabei hätte man es bei der eigentlichen Rohstoffgewinnung belassen können und die zusätzlichen Quadranten-Vorteile werden gar nicht benötigt. Ja, sie können mehr Abwechslung bringen, machen aber das Spiel auch komplizierter – zumal man ständig an diese Option erinnern muss. Auch die zwei unterschiedliche Arten von Siegpunkten klingen anfangs interessanter als sie sich dann im Spiel anfühlen. Denn auch dieses Element hemmt unnötig den Spielfluss, weil man beim Abtragen der Punkte immer höllisch aufpassen muss, die richtige Leiste zu beachten. Meiner Meinung nach hätte man sich also mehr auf den Kern des Spiels konzentrieren und diesen sauberer in den Vordergrund stellen sollen.
Denn diese Schnörkel ziehen sich durch das ganze Spiel. Noch ein Beispiel: wenn ich einen Bauabschnitt reserviere, dann erhalte ich ein Werkstattplättchen. Das muss ich allerdings bezahlen können, um es dann auf meiner Werkbank platzieren zu dürfen. Dieses Plättchen gibt mir dann Vorteile, wenn ich den farbigen Würfel benutze, zu dem das Plättchen zugeordnet wurde. Somit wird die Entscheidung, welchen Würfel ich als nächstes benutze, nochmals beeinflusst – und damit kann sich auch die Downtime erhöhen. Mit der kann man ohnehin schon Probleme haben. Denn auch wenn man einen Plan für den nächsten Zug schon im Kopf hat, kann dieser sich durch den vorangegangenen Zug eines Mitspielenden komplett in Luft auflösen, weil dieser nun meinen geplanten Würfel neu werfen musste und nun ganz andere Optionen auf mich warten. Noch anstrengender wird es mit Mitspielenden, die gar nichts voraus denken und erst einmal alle Optionen durchgehen, wenn sie an der Reihe sind. Denn davon gibt es viele.
Zusätzlich hadere ich ein wenig mit dem Spannungsbogen. Oftmals ist in den letzten Runden schon etwas die Luft raus. Für die abschließende Mehrheitenwertung ist es meist wichtiger, wann ich einen Bauabschnitt reserviere und nicht wann ich ihn fertigstelle. Das bedeutet, dass im Mittelspiel die entscheidenden Weichen gestellt werden. Am Ende verwaltet man dann bloß den Bau. Man kann dann ein wenig Glück und Pech mit den Würfeln haben, aber der große, alles veränderte geniale Spielzug ist dann nicht mehr möglich. Dem Spiel täte meiner Meinung nach etwas mehr dauerhafte Konfrontation gut. Das kurzfristige Ringen um den idealen Bauplatz ist mir etwas zu wenig. Außerdem ist die Endwertung etwas vertrackt, so dass sich das Bestimmen der finalen Siegpunkte etwas in die Länge zieht.
Das gefällt mir gut: Ich bin bekennender Liebhaber von Rondell-Spielen. Dementsprechend feiere ich auch den Würfelauswahl-Mechanismus. Dieser erfordert immer wieder interessante Entscheidungen. Zumal man mit Geld auch noch ein wenig nachhelfen kann, wenn man unbedingt noch diesen oder jenen Rohstoff benötigt. Die Würfel geben also den taktischen Rahmen vor, aber man ist immer noch frei genug in den eigenen Entscheidungen. Da kann ich es auch verschmerzen, dass man gefühlt dauernd die einzelnen Schrittlängen abzählt, weil man nicht auf den ersten Blick die Möglichkeiten erkennt. Aber diese durch die Würfel erzwungene Zufallsfaktoren sorgen dafür, dass DIE ROTE KATHEDRALE nicht zu sehr verkopft gespielt wird und durch das Würfeln auch noch ein paar zusätzliche Emotionen ins Spiel kommen.
Die einzelnen Elemente dieses Spiels sind angenehm herausfordernd miteinander verzahnt. Es ist schon befriedigend, wenn man durch die Werkstattplättchen den eigenen Spielzug erfolgreich verlängert oder mit einer gut platzierten Verzierung die Mehrheiten an einem Turm entscheidend verändert. Die jeweiligen Aktionsmöglichkeiten sind dabei immer noch übersichtlich, zumal das gut gestaltete Werkstatt-Tableau dabei hilfreich unterstützt. Ebenfalls gefällt mir die Lagerbeschränkung auf dem Tableau, da man hierbei schon ein wenig Hirnschmalz einbringen muss, um effizient an der Kathedrale bauen zu können.
DIE ROTE KATHEDRALE skaliert dabei gut mit der teilnehmenden Anzahl an Mitspielenden. Selbst das Solo-Spiel ist mit dem eigenen Kartendeck für simulierte Spielzüge gut geeignet, das Spielgefühl einzufangen. Zusätzlich sorgen die verschiedenen Quardrants-Helferkarten und die zufällige Verteilung der Werkstattplättchen für genügend Variation – zumal für den Bau der Kathedrale auch noch unterschiedliche Bauvorlagen bestehen. Als Zugabe sind noch die Werktstatt-Tableaus doppelseitig gestaltet. Dabei unterscheiden sich die Tableau-Seiten hinsichtlich der Handhabung der Werkstattplättchen, was ebenfalls einen neuen Twist integriert, der glücklicherweise aber nicht all zu prägnant ist.
Die sehr kompakte Box hat einige Aufmerksamkeit in der Szene erzeugt. Ich kann nur hoffen, dass die Kundschaft diesen eingeschlagenen Weg nicht abstraft und dieser somit weiter verfolgt wird. Mir ist schon bewusst, dass für eine kleinere Box bestimmte Parameter gegeben sein müssen. So ist bspw. oftmals der Spielplan entscheidend dafür, wie groß eine Box ist. Trotzdem sollte man die vielen luftigen Boxen kritisch hinterfragen. DIE ROTE KATHEDRALE zeigt, dass auch ein "großes" Spiel in kleiner Verpackung daher kommen kann, ohne dass dafür am Material gespart werden muss (was zudem auch noch überzeugend gestaltet ist).
Fazit: Die einzelnen Elemente des Spiels sind alle sinnvoll miteinander verzahnt und bieten herausfordernde Unterhaltung. Gerne hätte man sich bei der Entwicklung aber mehr auf den herausfordernden Würfelmechanismus konzentrieren und den Rest etwas entschlacken können. So übersieht man etwas das innovative Element und hat das Gefühl, mal wieder ein leicht aufgeblähtes Ressourcen-Umtausch-Spiel mit finaler Mehrheitenwertung zu spielen.
Titel | Die Rote Kathedrale |
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Autor | Shei S. und Isra C. |
Illustrationen | Pedro Soto und Chema Román |
Dauer | 45 bis 90 Minuten |
Personenanzahl | 1 bis 4 Personen |
Zielgruppe | abzählende Kennerspielrunden |
Verlag | KOSMOS |
Jahr | 2021 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
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