Eine Wundervolle Welt von Frédéric Guérard – erschienen im Kobold Spieleverlag
Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber bei mir erklingt sofort im Kopf ein bestimmter Song, wenn ich EINE WUNDERVOLLE WELT vor mir habe:
"Ich sehe grüne Bäume und auch rote Rosen.
Ich sehe wie sie für mich und für dich blühen.
Und ich denke so bei mir: Was für eine wunderbare Welt."
(Link zum Video mit den original Lycics)
Der Song von Louis Armstrong passt textlich aber nicht so ganz zu dem Spiel. Da müsste man schon ein wenig Hand anlegen, damit das besser passt. Im Gegensatz zu meiner Beeple-Kollegin Sonja habe ich es normalerweise nicht so mit Poesie, aber ich versuche mich dann doch mal an dieser Aufgabe:
"Ich sehe Atommeiler und auch schwarze Panzer.
Ich sehe Soldaten für die Welt und Finanzer.
Und ich denke so bei mir: das ist eine Wundervolle Welt."
Thema... zehn Jahre nach dem Großen Krieg, sollen sich die Bevölkerungen der fünf Imperien freuen. Noch nie war die Welt sicherer und fortschrittlicher. Welch ein Glück, dass die charismatischen Anführer dieser Imperien nur die Zufriedenheit der Menschheit als Ziel haben – und vielleicht noch ein klitzekleines bisschen die eigene Stellung im Vergleich zu den anderen. Man darf sich also schon fragen, wie wundervoll diese Welt wirklich ist...
Illustrationen… stammen von Anthony Wolff und überzeugen mich sehr. Seine Illustrationen schaffen die Gratwanderung, die Ironie des Themas aufzugreifen, aber dabei nicht platt zu überzeichnen. Irgendwie ist es befremdlich zu sehen, dass im direkten Umfeld eines Atomkraftwerkes Leute am Strand des Wassers liegen, was wahrscheinlich maßgeblich zur Kühlung der Anlage benutzt wird. Auch die Zweiteilung und Farbgebung des Covers ist eine deutliche Anspielung auf Propagandawerke unterschiedlicher politischer Systeme.
Ausstattung… das Herzstück von EINE WUNDERVOLLE WELT sind die über 150 Karten, die im Spielverlauf gedraftet werden. Im Kern ist das Spiel für mich aber weniger ein Drafting-Spiel, sondern vielmehr ein Engine-Builder. Damit es entsprechend etwas zu produzieren gibt sind noch 170 kleine Plastikwürfel in der Box, die sich in sechs unterschiedliche Ressourcen unterteilen. Diese werden zusammen mit blauen und roten Personenplättchen auf dem Spielplan abgelegt, auf dem sich auch noch ein Rundenzähler befindet, der auch angibt, in welche Richtung die Karten beim Drafting weitergegeben werden.
Ablauf… Über vier Runden wird klassisch gedraftet. Man startet mit sieben Karten, sucht sich eine aus und gibt den Rest weiter. Nun beginnt wieder der Auswahlprozess mit den sechs neuen Karten und das Ganze macht man so lange, bis sieben Karten vor einem ausliegen. Kennt man zu Genüge aus anderen Spielen. Nun beginnt aber ein weiterer Entscheidungsprozess. Von diesen so gesammelten Karten kann man welche für die spätere Herstellung zur Seite legen oder aber man wirft Karten ab, um somit sofort Ressourcen zu erzeugen. Diese Ressourcen legt man auf die Karten, die man bauen will. Hat man dort alle benötigten Ressourcen zusammen, wandert die Karte aus dem Baubereich in das eigene Imperium und ist nun von Nutzen.
Denn nachdem diese Auswahl von allen durchgeführt wurde, beginnt für jede Ressourcenart nacheinander eine eigene Produktionsphase. Dazu schaut man auf die gebauten Karten im eigenen Imperium und erhält dafür hoffentlich viele entsprechende Würfel, die man dann wiederum sofort auf die noch zu bauenden Karten ablegen kann. Ziel ist es, eine optimale Verkettung zu erreichen, um möglichst effizient und viel zu bauen. Am Spiel-Ende gibt es dann für verschiedene Kriterien Punkte, deren Multiplikatoren allerdings nur über die gebauten Karten ins Spiel gebracht werden. Man ist also selbst dafür verantwortlich, für was man am Ende Punkte bekommen wird. Lediglich im einfachen Spiel geben die einzelnen Start-Karten schon unterschiedliche Schwerpunkt vor.
Das gefällt mir nicht so gut: Leider muss man sich im Spielverlauf zu wenig mit dem Thema auseinandersetzen. Im Endeffekt handelt man rein mechanisch: Wie bekomme ich schnell grüne Ressourcen? Oder soll ich mich doch besser auf die gelben konzentrieren? Dass diese Würfelchen mehr sind als bloße Platzhalter und da eigentlich Ideologien wiedergespiegelt werden, davon bekommt man nichts mit. Für das Spiel als solches stellt das überhaupt kein Problem dar. Ich finde es aber schade, dass die Chance vertan wurde, die Zwiespältigkeit des interessanten Themas deutlicher zu vermitteln.
Größtenteils spielt sich EINE WUNDERVOLLE WELT recht solitär. Natürlich achtet man immer auch auf die Mitspielenden, da bei jeder Produktion eine kleine Mehrheitenwertung stattfindet. Und mit etwas Spielerfahrung wägt man beim Weitergeben der Karten schon ab, ob man nun selbst lieber diese oder jene Karte behält. Aber im Vergleich zu anderen Drafting-Spielen wie bspw. 7 WONDERS oder auch PAPER TALES ist es weniger interaktiv. Man baut also die Panzer nicht, um anderen Schaden zuzufügen. Oder man kann keine Kredite geben, auch wenn man im Geld schwimmt. Interessanterweise ist genau diese Konzentration auf die eigene Sache ein Pluspunkt, den viele Mitspielende angegeben haben. Die wollen nicht, dass in ihre Suppe gespuckt wird. Die wollen in Ruhe ihren Motor aufbauen und die anderen sollen nicht stören. Für solche Spieltypen ist EINE WUNDERVOLLE WELT genau das Richtige.
Das gefällt mir gut: Mechanisch finde ich EINE WUNDERVOLLE WELT äußerst reizvoll. Und da ich ohnehin bekennender Würfelschubser bin, geht mir bei diesem Spiel das Euro-Herz auf. Ich mag das Pläne schmieden, das Abwägen, welche Karte ich behalten soll und welche nicht, das alles über den Haufen werfen, weil eine unerwartete Karte doch noch besser passt. Dauernd muss ich Entscheidungen treffen, alles fühlt sich bedeutend an. Es ist klar, dass ich Karten abwerfen muss, um frühzeitig Ressourcen zu generieren. Aber von welchen Karten soll ich mich trennen? Und auf was hoffe ich für den weiteren Spielverlauf? Dieses Tüfteln mag ich gerne. Zumal man hier den Vorteil hat, sich nicht bei jeder ausgespielten Karte sofort entscheiden zu müssen. Ich sammele erst einmal die sieben Karten und schaue dann, was sich am Besten daraus machen lässt.
Dabei ist das richtige Timing ungemein wichtig. Es bringt mir nichts, wenn ich eine Runde zu spät die Bohrinsel baue. Denn wenn ich diesen nun in der aktuellen Runde nicht zur Verfügung habe, dann bekomme ich auch nicht das U‑Boot fertig und kann die Expedition zum Mittelpunkt der Erde ebenfalls abhaken. Wie schaffe ich das trotzdem? Oder soll ich stattdessen lieber zu erst die Recyclinganlage bauen und nur den Zeppelin? Es ist eminent wichtig, die Reihenfolge der Produktionen zu beachten und entsprechend einzuplanen. Wenn hier ein Rad ins nächste greift, ist das ungemein befriedigend.
Zusätzlich darf man sich aber auch nicht zu sehr auf die Ressourcen-Gewinnung versteifen. Denn am Ende produziert man ohne Ende, bekommt aber kaum Punkte, weil man vergessen hat, auch Karten mit Siegpunkt-Multiplikatoren zu bauen. Dabei sind auch einige unterschiedliche Strategien möglich. Wenn sich alle auf die blauen Karten konzentrieren, dann sollte man selbst vielleicht auf die gelben Karten umschwenken. Oder doch lieber auf die grünen? Für alle Strategien gibt es stärkere und schwächere Karten. Je früher man die starken auf die Hand bekommt, umso besser lässt sich darauf spielen. Allerdings ist jede Strategie-Wahl mit einem Risiko behaftet, da man sich nicht sicher sein kann, ob noch die passenden Karten folgen oder nicht. Die Karten sind nicht gruppiert in Zeitalter oder ähnliches. Man muss damit leben, dass die Karten ungleich verteilt ins Spiel kommen. Aber das finde ich spannend und reizvoll.
Lediglich in der abschließenden vierten Runde können die letzten Karten belanglos werden (oder aber hoch spannend). Bis dahin ist das Spieltempo erfreulich hoch, zumal durch das simultane Spielen kaum Downtime auftritt. Die Altersangabe von 14+ halte ich für zu hoch angesetzt, da das eigentliche Spielprinzip recht eingängig ist. Natürlich fällt es Neulingen anfangs schwer, die Zusammenhänge sofort zu verinnerlichen. Aber spätestens nach einer Partie sitzt alles.
Auch wenn sich EINE WUNDERVOLLE WELT eher solitär spielt, so achtet man trotzdem auf die Mitspielenden. Welche Farben werden dort gesammelt? Was kommt vielleicht nochmals bei einem an und was nicht? Dabei sind die Züge aber weniger gut vorhersehbar wie bspw. bei 7 WONDERS. Denn durch die Möglichkeit des Karten-Abwerfens werden für die Mitspielenden auf einmal eigentlich unpassende Karten interessant, weil diese darüber bestimmte Ressourcen erhalten können. Positiv zu erwähnen ist auch noch die sinnvolle Anpassung des Drafting-Mechanismus im 2‑Personen-Spiel, da darüber mehr Karten in Umlauf gebracht werden. Auch das Solo-Spiel ist an seine eigene Besonderheit angepasst und bietet zusätzlich noch eine kleine Szenarien-Kampagne, durch die man gut die verschiedenen Herangehensweisen erforschen kann.
Loben kann ich übrigens auch die Ausstattung. Die Würfel hätten zwar gerne auch aus Holz sein dürfen, aber ich bin ehrlich: die durchsichtigen Plastik-Würfel üben schon einen gewissen Reiz aus und passen gut zum Look des Spiel. Die Personenplättchen sind aufgrund der dicken Pappe schön griffig und kommen insgesamt recht edel daher.
Fazit: EINE WUNDERVOLLE WELT war für mich eine positive Überraschung. Das Cover hat mich, ohne das Wissen um das Thema, wenig angesprochen. Aber aufgrund einiger wohlwollender Stimmen wollte ich es doch einmal ausprobieren – und dann kam es immer und immer wieder auf den Tisch! Mit der Konzentration auf die Mechanik kann ich gut leben, da mir diese bestens gefällt. Aber ich hätte auch nichts dagegen gehabt, wenn das Thema noch präsenter gewesen wäre.
Titel | Eine Wundervolle Welt |
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Autor | Frédéric Guérard |
Illustrationen | Anthony Wolff |
Dauer | 30 bis 60 Minuten |
Personenanzahl | 1 bis 5 Personen |
Zielgruppe | draftende Kennerspielrunden |
Verlag | Kobold Spieleverlag |
Jahr | 2020 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
Krieg oder Frieden – eine Kampagnen-Erweiterung
Da wir von EINE WUNDERVOLLE WELT so angetan waren, haben wir recht schnell nach mehr gelechzt. Gibt es dazu nicht schon Erweiterungen? Crowdfunding sei dank, lautet die Antwort: ja! Zwei zusätzliche Boxen bietet der Kobold Verlag an. In KORRUPTION & AUFSTIEG ist Spielmaterial für eine sechste Person enthalten und scheinbar ganz viele neue Karten. Das fand ich jetzt noch nicht so reizvoll. Viel spannender klang dahingegen KRIEG ODER FRIEDEN, da diese uns eine kleine Kampagne spielen lässt.
Der Inhalt kommt erst einmal überschaubar daher: sechs Umschläge, eine Anleitung und ein Booster-Pack sind neben viel Luft in der Box enthalten. Die sechs Umschläge beinhalten das Material für die einzelnen Szenarien, wobei man nur fünf in der Kampagne erlebt. Inhaltlich geht es – ganz dem Titel gerecht werdend – um die Frage, ob ein neuer Großer Krieg ausbricht oder ob die Imperien noch rechtzeitig die friedliche Alternative wählen. Für die einzelnen Szenarien gibt es nun gemeinsame Ziele, die man erfüllt oder eben nicht. Als Konsequenz daraus ändert sich die jeweilige Geschichte. Zusätzlich bekommt man je nach Ausgang einer Partie unterschiedliche Mitgebsel für die folgenden Kampagnen-Partien. Das finde ich übrigens nicht ganz so glücklich, da hier bei uns langsam aber sicher eine Schere aufging. Aber da wir nur von fünf Partien reden, ist das kein echter Beinbruch.
Insgesamt ändern sich die Regeln nur unwesentlich. Alles bleibt noch gut überschaubar und die wenigen Änderungen fügen sich gut ins Gesamtkonstrukt ein. Mehr noch: sie erweitern das Repertoire so sinnvoll, dass wir nicht mehr ohne diese Zusätze spielen wollen. KRIEG ODER FRIEDEN unterhält, bringt den ein oder anderen Spin hinein und hat auch langfristig einen Mehrwert. Kurz und knapp: eine gute Erweiterung!
Korruption und Aufstieg kann ich ebenfalls sehr empfehlen. Die Karten, die hier enthalten sind, bringen teilweise eine ganz neue Funktion mit sich. Diese sind teils sehr stark, bringen aber dafür Korruption auf eine Ressource, das heißt, man erhält eine weniger davon als normal. Dies eröffnet ganz neue strategische Elemente, z.B. ganz bewusst auf eine Ressource zu verzichten (wenn man nichts davon bekommt, schadet die Korruption auch nicht) und sich dementsprechende Korruption zu suchen und somit in anderen Ressourcen starken Ertrag bekommt. Diese Karten halte ich somit für eine sehr sinnvolle Ergänzung, zu sechst zu spielen würde ich aufgrund der Dauer (vor allem beim Draften) aber nicht unbedingt empfehlen. Dies geht ohnehin nur mit einem sehr großen Tisch.