Get on Board: New York & London von Saashi – erschienen bei iello
Während meiner Urlaubsreise in Portugal habe ich unter anderem gelernt, dass sich dort an Haltestellen gesittet in Schlangen angestellt wird. Touristen, die sich nicht daran halten, werden für diese Unhöflichkeit lautstark zurechtgewiesen. Ob sich in London und New York ähnlich verhalten wird, weiß ich nicht. In New York war ich noch nicht und in London bin ich vornehmlich mit der Tube unterwegs gewesen. Wenn ich aber das Coverbild von GET ON BOARD: NEW YORK & LONDON zum Maßstab nehmen soll, dann würde sich demnach für die Zukunft Lissabon als mögliche Erweiterung anbieten.
Thema... unser Bus sammelt Fahrgäste ein und bringt diese zum Ziel. Schulkinder in die Schule, Touristen zu Sehenswürdigkeiten, Geschäftsleute in den Wolkenkratzer – nur die Oma fährt ohne Ziel mit uns mit. Darüber kann man nun gerne ein wenig nachdenken...
Illustrationen… sind von Monsieur Z und ganz sicherlich eine Hommage an Miroslav Šašek und dessen "This is..."-Reihe. Mir gefällt der Grafikstil sehr sehr gut. Leider hat das Spielbrett aber auch etwas von den Wimmelbildern eines Ali Mitgutsch: man ist etwas erschlagen von den vielen Farben und Symbolen.
Ausstattung… irritiert etwas. Denn im Spielverlauf dokumentieren wir unsere gefahrene Strecke mithilfe kleiner bunten Holzstäbchen, die in anderen Spielen oftmals Eisenbahngleise darstellen. Aber nach diesem kleinen inhaltlichen Stolperer kann man wieder die Ausstattungsqualität von iello bewundern. So haben z.B. die Ticketkarten kleine Stanzlöcher, die keine Funktion haben, aber eine wunderbare Würdigung alter Zeiten sind. Neben den Ticketkarten sind noch Wertungskarten in der Box sowie verschiedene persönliche Ziele in den beiden Städten New York und London. Diese wiederum sind jeweils auf einer Seite des doppelseitigen Spielplans zu finden. Im Duell bzw. 3‑Personen-Spiel fahren wir durch New York, sind wir mehr als 3 Personen, dann suchen wir eine optimale Streckenführung in London.
Vom Spielplan unabhängig ist übrigens der Block, auf dem wir unsere besuchten Personen und Gebäude notieren. Der ist für beide Städte gleich . Trotzdem gibt es von diesen Blättern unterschiedliche Varianten. Denn am oberen Rand sind zu den Ticketkarten jeweils unterschiedliche Streckenführungen zugeordnet. Beim Spielaufbau ist darauf zu achten, dass sich für alle dort die Zuordnung unterscheidet. Weil es leider immer noch nicht üblich ist, muss man auch die beiliegenden Bleistifte loben.
Ablauf… GET ON BOARD: NEW YORK & LONDON ist ein Flip-and-Write-Spiel. Zu Beginn jeder Runde wird eine Ticket-Karte aufgedeckt. Jetzt überprüfe ich auf meinem Spielplan, welche Streckenführung dadurch von mir verlangt wird. Bin ich an dann der Reihe, lege ich der Vorgabe entsprechend Stäbchen auf dem Spielplan ab. Dabei kann ich bis zu fünfmal die geometrische Vorgabe ignorieren, was ich aber am Ende mit ansteigenden Strafpunkten bezahle.
Jedes Mal, wenn ich auf dem Stadtplan ein Symbol mit meinem Stäbchen treffe, markiere ich mir das Element auf meinem Blatt. Dort sammele ich Schulkinder und Omas, aber auch Touristen und Geschäftsleute. Die beiden letztgenannten Gruppen aktiviere ich mit Zwischenwertungen, die anderen muss ich erst bei der Endwertung berechnen. Zusätzlich gibt es zwei offene Ziele (bspw. 5 einzusammelnde Omas), für die es mehr Punkte gibt, wenn ich diese vor allen anderen erfülle. Außerdem bekommen alle noch ein persönliches Ziel. Dort sind Stellen auf dem Stadtplan markiert, die ich am Ende alle während meiner Fahrt erreicht haben sollte.
Wichtig ist noch, dass Streckenabschnitt von verschiedenen Farbstäbchen belegt werden können. Anders als bspw. bei ZUG UM ZUG kann ich also nichts exklusiv für mich beanspruchen. Allerdings werde ich am Ende mit Minuspunkten bestraft, wenn ich all zu oft schon genutzt Abschnitte befahre. Zusätzlich hätte man GET ON BOARD: NEW YORK & LONDON auch "Snake – Das Brettspiel" nennen können. Denn niemals darf ich meine eigene Fahrstrecke im späteren Verlauf treffen. Passiert mir das, bin ich sofort ausgeschieden! Klingt hart, ist hart – kann man aber normalerweise immer vermeiden, wenn man nicht völlig unaufmerksam ist.
Das gefällt mir nicht so gut: Bei GET ON BOARD: NEW YORK & LONDON fällt es schwer, die Übersicht zu behalten. Alles ist so quitschebunt, dass man kaum etwas auf den ersten Blick erkennt. So sympathisch ich den Illustrations-Stil auch finde, die Gestaltung der Stadtpläne ist nicht optimal. Die im Hintergrund befindlichen Sehenswürdigkeiten lenken nur von den eigentlichen Inhalten ab – zumal diese schon aufgrund ihrer schieren Anzahl für Verwirrung sorgen.
Doch wenn ich schon Probleme habe, die Übersicht zu behalten, wie soll das erst Farbfehlsichtigen gehen? Denn mit den Farben für die Straßenmarkierungen hat sich der Verlag keinen Gefallen getan. Beim Material wird auf "normale" Rot- und Grüntöne verzichtet. Aber statt nun ein helles Grün mit einem dunklen Rot zu kombinieren, sind beide Farben gedeckt. Ich habe das Problem mit einer App simuliert und kann nun das Stöhnen mancher Mitspielenden verstehen, die unter einer Farbfehlsichtigkeit leiden.
Auch die Anleitung weist leider Schwächen auf. Dort werden manche Details gar nicht beschrieben und manche nur äußerst versteckt. Das ist ein echter Mangel und man kann nur hoffen, dass dieser in einer Neuauflage behoben wird.
Zusätzlich erhoffe ich mir noch die ein oder andere Stadt als Erweiterung. So langsam kenne ich mich nämlich schon ziemlich gut aus in London und New York. Natürlich hat es auch seinen Charme, die Gewohnheiten der eigenen Stammgäste zu kennen. Oma Angelika steigt immer an der Themse ein und auch die anderen Gäste haben ihre festen Ort beim Einsammeln. Der restliche Spielablauf weist glücklicherweise genügend Varianz auf, so dass ich nicht im Vorfeld bestimmen kann, wie ich mich durch die Städte bewegen muss. Aber trotzdem würde ich mich über etwas Abwechslung beim Streckennetz freuen.
Das gefällt mir gut: Achtung, gleich wird es nerdig, weil ich Fachbegriffs-Bingo spiele. GET ON BOARD: NEW YORK & LONDON verbindet überzeugend die typischen Eigenschaften eines Roll-and-Write-Spiels mit dem Spielprinzip eines Pick-up and Deliver Spiels. Allerdings ist glücklicherweise die Interaktion etwas höher als bei klassischen Roll-and-Write Spielen. Einerseits versuche ich zuerst die Zwischenziele zu erreichen, andererseits aber dabei auch so wenig Parallelführungen wie nötig zu nutzen. Bei diesem Unterfangen ist meine Wunschplanung aber nicht immer mit der eigentlichen Durchführung unter einen Hut zu bekommen, weil ständig die falschen Karten aufgedeckt werden. Erst gegen Ende sind die Optionen überschaubarer. Somit muss man bei GET ON BOARD recht taktisch vorgehen. Welche Linienführung wird mir angeboten? Welche Ziele kann ich damit ansteuern? Warum sollte ich nun an einem Bürogebäude entlang fahren, wenn ich doch gar keine Geschäftsleute im Bus habe?
Allerdings sollte ich dabei nie den Gesamtplan aus den Augen verlieren. So ist tunlichst darauf achten, dass ich mich nicht in eine Sackgasse steuere und am Ende ausscheiden muss. Außerdem versuche ich eigentlich immer das persönlichen Ziel zu erfüllen, weil 10 Punkte schon eine echte Hausnummer sind. Aber was bringen mir die 10 Punkte, wenn ich dafür ständig parallel fahren oder die Kartenvorgabe missachten muss? Wie kann ich die Zielvorgabe optimal meinem Spiel anpassen? Und warum habe ich nun 5 Schulkinder eingesammelt, aber noch keine einzige Schule angefahren? Das sind die angenehmen Zwänge, die uns bei GET ON BOARD begleiten.
Allerdings artet das nicht in Gehirn-Jogging aus. Zwölf Karten sind schnell ausgespielt und in spätestens 30 Minuten ist selbst in großen Runden eine Partie beendet, weil man doch relativ viel parallel planen kann. Aufgrund der angepassten Spielplans für die kleine Besetzung sind auch bei dieser Personenanzahl angenehme Zwänge vorhanden. Die zentrale Achse von New York ist nämlich Stau geplagt und damit werden die dortigen Strecken so behandelt, als wenn dort schon fremde Streckenmarker liegen würden.
Fazit: Wie schon bei REMEMBER OUR TRIP variiert Autor Saashi gekonnt bekannte Elemente und lässt somit ein einzigartiges Spielgefühl entstehen. Die ungewohnte, aber hochwertige Gestaltung tut ihr übriges, damit sich das Spiel frisch und unverbraucht anfühlt. Für mich ist GET ON BOARD: NEW YORK & LONDON somit ein echtes Highlight.
Titel | Get on Board: New York & London |
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Autor | Saashi |
Illustrationen | Monsieur Z |
Dauer | 20 bis 30 Minuten |
Personenanzahl | 2 bis 5 Personen |
Zielgruppe | snakige Familienspielrunden |
Verlag | iello |
Jahr | 2022 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom deutschen Vertrieb Hutter Trade ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
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