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kritisch gespielt: MicroMacro: Crime City

MicroMacro: Crime City von Johannes Sich – erschienen bei Edition Spielwiese

MicroMacro - Box
Foto: Pega­sus Spiele

Wahr­schein­lich befas­sen sich alle Ein­lei­tun­gen zu MICROMACRO: CRIME CITY mit Ali Migutsch, dem God­fa­ther of Wim­mel­bil­der. Sei­ne Arbei­ten sind abso­lut prä­gend und ich kann mich noch an eini­ge Puz­zle mit sei­nen Moti­ven erin­nern, die ich als Kind immer und immer wie­der gemacht habe. Durch mei­ne Kin­der bin ich aber auf Wimm­lin­gen gesto­ßen, der wun­der­vol­len Welt von Rot­raut Susan­ne Ber­ner. Und die­se Wim­mel­bil­der gefal­len mir sogar noch deut­lich bes­ser, wes­we­gen ich das unbe­dingt hier in der Ein­lei­tung als Stich­wort fal­len las­sen woll­te. Aller­dings geht es dort fried­li­cher zu als bei Migutsch – und deut­lich unblu­ti­ger als in der Kri­mi­hoch­burg MICROMACRO: CRIME CITY.

The­ma... an allen Ecken der Stadt pas­sie­ren Ver­bre­chen. Das geht viel­leicht etwas im Gewim­mel unter, ist aber so. CRIME CITY hat sei­nen Namen zurecht und kann von der Ver­bre­chens­häu­fig­keit viel­leicht nur noch von Got­ham City getoppt wer­den. Dem­entspre­chend viel gibt es für auf­merk­sam beob­ach­ten­de Ermitt­ler zu tun.

MicroMacro Crime City - Friede
Frie­de, Freu­de, Eierkuchen?

Gestal­tung… stammt von Hard Boi­led Games und deren krea­ti­ven Köp­fen Johan­nes Sich, Dani­el Goll und Tobi­as Jochin­ke. Man merkt, dass der Autor auch Teil des Design-Teams ist, denn alles erscheint aus einem Guss und das eine wür­de nicht ohne das ande­re funk­tio­nie­ren. Der Illus­tra­ti­ons-Stil weiß wun­der­bar zu abs­tra­hie­ren, so dass die Ver­bre­chen gar nicht so schlimm aus­se­hen. Ohne­hin wird nie die eigent­li­che Tat son­dern nur deren Fol­gen gezeigt. Dabei erin­nert mich der Stil und auch das Spiel­prin­zip ein wenig an das mobi­le App-Spiel HIDDEN THROUGH TIME.

MicroMacro Crime City - Übersicht
nur echt mit der eige­nen Lupe

Aus­stat­tung… das Herz von MICROMACRO: CRIME CITY ist ein gro­ßer(!) Papier­plan, den man am bes­ten auf dem Boden legt oder an die Wand pinnt. Die 16 Kri­mi­nal­fäl­le kom­men auf klei­nen Kar­ten daher, die man anfangs noch in Umschlä­ge sor­tie­ren muss, damit man die Kar­ten immer getrennt von­ein­an­der hält. Da die Ent­wick­ler in ihrer Jugend sicher­lich ganz vie­le Yps-Hef­te kon­su­miert haben, liegt zusätz­lich als Gim­mick noch eine klei­ne Lupe bei.

Ablauf… zu Beginn eines Fal­les bekommt man über eine ein­lei­ten­de Kar­te das Opfer eines Ver­bre­chens gezeigt. Durch einen klei­nen Begleit­text wird einem dann noch mit­ge­teilt, wo unge­fähr in der Stadt die­se Abbild auf der Kar­te zu fin­den ist. Nun schaut man sich die­se Sze­ne und das Umfeld genau an und ver­sucht dar­aus Rück­schlüs­se zu zie­hen, was pas­siert ist. Das beson­de­re am Spiel­plan ist näm­lich, dass auf die­sem ver­schie­de­ne Zeit­ebe­nen abge­bil­det sind. Man kann also wenn man den Bil­dern folgt die Zeit danach oder davor sehen. Die wei­te­ren Fall-Kar­ten geben dabei nach und nach Hin­wei­se, in wel­che Rich­tung man den­ken und wo man suchen soll. Man kann aber auch die Pro­fi­va­ri­an­te spie­len und auf die­se Hin­wei­se ver­zich­ten. Am Ende soll­te man das Ver­bre­chen durch­schaut haben und den Tat­ver­lauf und die Täter benen­nen können.

Wer sich dar­un­ter nun gar nichts vor­stel­len kann oder aber im Gegen­teil nicht war­ten will, die­ses Spiel­prin­zip aus­zu­pro­bie­ren, soll­te sich die Web­site des Spiels anschau­en. Denn dort gibt es auch einen Demo­fall zu lösen.

MicroMacro Crime City - Lupe
Was macht der da?

Das gefällt mir nicht so gut: Das Spiel­prin­zip lädt gera­de dazu ein, es gemein­sam in der Fami­lie bzw. mit Kin­dern zu spie­len. Auf­grund des abs­trak­ten Zei­chen­stils sehe ich da auch wenig Pro­ble­me bezüg­lich der dar­ge­stell­ten Ver­bre­chen. Es soll­te aber klar sein, dass die gezeig­ten The­men nun ein­mal auch Mord- und Tot­schlag sind und man­che Din­ge Fra­gen nach sich zie­hen wer­den. Man soll­te sich also nicht von der nied­li­chen Gestal­tung täu­schen las­sen: bei MICROMACRO: CRIME CITY wer­den die nie­de­ren Instink­te der Mensch­heit auf­ge­zeigt. Ich rate des­we­gen, die Fäl­le erst allei­ne ohne die Kin­der zu lösen und dann zu ent­schei­den, ob die­se für deren Gemüt geeig­net sind oder nicht. [EDIT: in der Neu­auf­la­ge sind nun die ein­zel­nen Fäl­le hin­sicht­lich der inhalt­li­chen Ebe­ne gekennzeichnet.] 

Zusätz­lich kann ich davon abra­ten, einen Fall mit mehr als drei bis vier Leu­ten anzu­ge­hen. Um die gan­zen Details erken­nen zu kön­nen, hängt man meis­tens mit der Nase direkt vor dem Plan, so dass die ande­ren nur noch die­sen Kopf, aber nichts mehr von CRIME CITY sehen. Und wenn man dann das ent­schei­den­de Detail ent­deckt hat, will man vor Unge­duld nicht auf die ande­ren war­ten, bis die end­lich auch so weit sind.

Pro­duk­ti­ons­tech­nisch war es nicht mög­lich bzw. bezahl­bar, dass die Fall-Kar­ten anfangs schon in den Umschlä­gen ein­ge­ord­net sind. Dies muss man vor dem Los­spie­len noch selbst erle­di­gen. Mir miss­fal­len dabei aller­dings die trans­pa­ren­ten Umschlä­ge, da man somit viel­leicht schon ein Blick auf die Lösung bekom­men kann. Hier hät­te ich es deut­lich bes­ser gefun­den, wenn die Umschlä­ge nicht trans­pa­rent wären. Noch schö­ner wäre es aller­dings, wenn auf dem Umschlag der Name des Fal­les ste­hen wür­de – viel­leicht noch mit einem Käst­chen zum Ankreu­zen, ob man den Fall schon bear­bei­tet hat oder nicht. Denn aktu­ell sucht man sich nicht nur auf dem Spiel­plan einen Wolf, son­dern auch beim Öff­nen der Box. Hier wird ein­fach immer alles wild rein­ge­wor­fen. Wenn dort ein Ord­nungs- bzw. Spei­cher-Sys­tem bestehen wür­de, wäre das eine ech­te Hilfe.

Das gefällt mir gut: Die Idee ist so sim­pel und geni­al, dass man sich mal wie­der fragt, war­um da noch nie­mand vor­her dar­auf gekom­men ist. Aller­dings unter­schätzt man dann bestimmt die Arbeit, die in die­ses Pro­jekt geflos­sen ist. Denn ich möch­te gar nicht wis­sen, wie viel Auf­wand hin­ter die­sem Wim­mel-Plan steckt. Über­all gibt es etwas zu ent­de­cken und man fragt sich dau­ernd, ob das etwas mit dem aktu­el­len Fall zu tun hat oder mit einem ande­ren. Mit der Zeit ent­wi­ckeln sich dann Schnitt­stel­len und man erin­nert sich an alte Fäl­le, bei denen man auch schon mal in die­ser Ecke von CRIME CITY war. Das Beson­de­re an MICROMACRO: CRIME CITY ist, dass es eben nicht nur ein Wim­mel­bild ist, son­dern auf dem Plan ein zeit­li­cher Ablauf rekon­stru­iert wird. Auf die­sem einen Plan sind also unter­schied­li­che Zeit­punk­te zu sehen. Man muss nicht nur die ein­zel­nen Per­so­nen fin­den, son­dern man muss die­se auch noch in einen zeit­li­chen Kon­text stel­len. Das ist auch der Punkt, bei dem das eigent­li­che Spiel anfängt. Es geht nicht nur ledig­lich um das Fin­den von Per­so­nen. Die ent­schei­den­den Fra­gen sind: Wie hängt das alles zusam­men? Wo beginnt der Fall? Wo endet der Fall? Gibt es ein Tref­fen und muss ich somit die­ser neu­en Per­son eben­falls folgen?

MicroMacro Crime City - Fallakte
Kar­te für Kar­te kommt man der Auf­lö­sung näher

Geüb­te Kri­mi­freun­de oder erfah­re­ne Wim­mel­bild-Sucher soll­ten tat­säch­lich recht schnell die Pro­fi-Vari­an­te spie­len und auf die ein­zel­nen Fall-Kar­ten als Zwi­schen­schrit­te ver­zich­ten. Aber die­se haben defi­ni­tiv ihre Daseins­be­rech­ti­gung. Wenn man näm­lich mal nicht wei­ter weiß, stel­len sie eine gute Hil­fe dar. Denn manch­mal steht man auch mal auf dem Schlauch oder hat ein Detail über­se­hen und dann freut man sich, wenn man wie­der den Weg gewie­sen bekommt.

Die ein­zel­nen Fäl­le sind schlüs­sig, wenn manch­mal auch etwas zu sehr zuge­spitzt. Aber da sieht man pro­blem­los dar­über weg, zumal man zu jeder Zeit die Lie­be zum Detail spürt, die in die­ses Pro­jekt ein­ge­flos­sen ist (der Ideen­ge­ber des Mousta­che-Fal­les wird bspw. Fan von Fun­ny Van Dan­nen sein). Größ­ter Nach­teil an der Box ist sicher­lich, dass es "nur" eine begrenz­te Sum­me an Fäl­len gibt, die man viel zu schnell durch­ge­spielt hat. Aber glück­li­cher­wei­se gibt es auf der Web­site zum Spiel schon ein ganz klein wenig Nach­schub.

MicroMacro Crime City - Spielplan
unbe­malt eine etwas tris­te Wand-Deko

Natür­lich lädt der Plan dazu ein, die­sen in einer ruhi­gen Stun­de / Woche / Deka­de aus­zu­ma­len. Ich wür­de da einen Stil wie bei Sin City bevor­zu­gen und nur mit einem roten Bunt­stift Hand anle­gen. Aber ich bin mir sicher, dass wir irgend­wann auch sol­che Kunst­wer­ke wie bei DER KARTOGRAPH in den sozia­len Medi­en sehen wer­den. Dann macht sich der Plan auch bes­ser an der Wand. Denn der Ver­lag rät nicht grund­los, den Spiel­plan in der Woh­nung als Pos­ter an die Wand zu hän­gen. Ich kann mir sehr gut vor­stel­len, wie Gäs­te sich damit ver­gnü­gen – wenn wir denn mal wie­der Gäs­te zu Hau­se emp­fan­gen kön­nen. Ich habe den Spiel­plan jeden­falls bei mir auf der Arbeit an die Wand des Bespre­chungs­raums gehängt und dort somit eine Art Advents­ka­len­der ermöglicht.

Fazit: MICROMACRO: CRIME CITY rockt! Ich bin mir sehr sicher, dass wir von die­sem Spiel­prin­zip noch mehr erle­ben wer­den. Viel­leicht ein kind­ge­rech­te­res Set­ting mit ver­lo­re­nen Gegen­stän­den im Zoo oder ähn­li­ches. Ich freue mich jetzt schon dar­auf, denn die bei­lie­gen­den Fäl­le waren viel zu schnell gelöst!

TitelMicro­Macro: Crime City
AutorJohan­nes Sich
Gestal­tungHard Boi­led Games (Johan­nes Sich, Dani­el Goll und Tobi­as Jochinke)
Dau­er15 bis 30 Minuten
Per­so­nen­an­zahl1 bis 4 Personen
Ziel­grup­peFami­li­en­spiel­run­den mit Wimmelbild-Erfahrung
Ver­lagEdi­ti­on Spiel­wie­se (im Ver­trieb von Pega­sus Spiele)
Jahr2020
Hin­weisfür die Bespre­chung wur­de vom Ver­trieb ein Rezen­si­ons­exem­plar zur Ver­fü­gung gestellt

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