My City Roll & Write von Reiner Knizia – erschienen im KOSMOS Verlag
Kann sich noch jemand an den Film Memento des Regisseurs Christopher Nolan erinnern? Wobei diese Frage schon doppeldeutig ist, handelt der Film doch von einer Person, die die Fähigkeit verloren hat, neue Erinnerungen zu bilden. Ein solcher Mensch hätte mit MY CITY ROLL & WRITE zumindest keinerlei Probleme, weil keine Erinnerung an MY CITY bestehen würde. Aber der gemeine Kritiker in mir kann dieses Vorwissen natürlich nicht ausblenden...
Thema... wir spielen den Werdegang von Studierenden des Fachbereichs Städteplanung nach. In vier Kapiteln (=12 Partien) bauen wir immer wieder eine Stadt neu auf, bei dem wir bestimmte Vorgaben beachten müssen. Als "Erstis" sind die Anforderungen noch überschaubar, im Laufe der Zeit werden wir aber mehr und mehr gefordert.
Illustrationen… sind erneut von Michael Menzel und orientieren sich natürlich an dem Grundspiel. Auch bei der Covergestaltung wird wieder anschaulich vorweggenommen, was uns in dem Spiel erwartet.
Ausstattung… ein mächtig dicker Block, eine Anleitung und drei ungewohnte Plastikwürfel. Die beiden blauen Würfel zeigen meist eine bestimmte Anzahl an weißen Quadraten und der weiße ein Haus mit einer vorgegebenen Schraffur.
Wer MY CITY nicht vergessen hat, sucht vielleicht noch nach Umschlägen in der Box. Allerdings ist das ROLL & WRITE kein Legacy-Spiel. Durch die Kapitel wird zwar eine Kampagne ermöglicht, aber dabei wird nichts dauerhaft verändert und es gibt auch keine freizuschaltenden Überraschungen.
Ablauf… am Anfang eines Spielzugs werden die drei Würfel geworfen, deren Ergebnis dann für alle gelten. Die Würfel zeigen dabei mit den weißen Quadraten ein zusammen zu setzendes Polyomino und geben zusätzlich die Art der Schraffur vor, mit der diese Tetris-artigen Formen auf dem Spielplan eingezeichnet werden. In späteren Kapiteln kommen noch besondere Gebäude hinzu, wofür das Sonderzeichen auf einem der blauen Würfel verantwortlich ist. Dieses Einzeichnen von Gebäuden mache ich so lange, bis ich aussteigt – meist, weil ich der Meinung ist, dass ich nicht mehr sinnvoll agieren kann. Dabei sind die Spielenden durchaus unterschiedlich oft am Werk, da ich während des Spiels auch Würfelwürfe ignorieren darf, was allerdings zu Punktabzügen in der Endwertung führt.
Diese Wertung erfolgt je nach Kapitel unterschiedlich. Wenn ich eine durchgehende Kampagne spielt, dann addiere ich die einzelnen Ergebnisse der Kapitel zusammen, um darüber einen Endstand zu erzeugen. Ich kann aber problemlos auch nur einzelne Kapitel spielen und mir dabei die Rosinen raus picken, die mir am meisten Spaß gemacht haben.
Das gefällt mir nicht so gut: Schlimm genug, dass ich das immer noch bei Roll-and-Write-Spielen sagen muss: in der Box fehlen leider die notwendigen Stifte! Aufgrund der Handlichkeit hatte ich MY CITY ROLL & WRITE zu einem Wochenend-Kurzausflug eingepackt und mich dabei sehr auf die Erstpartie gefreut. Nach Öffnen der Box wurde es aber zwangsläufig wieder beiseite gelegt, weil wir keine Stifte parat hatten. Da finde ich den Hinweis in der Regel, dass man doch am besten Bleistifte verwenden sollte (weil man dann radieren kann) als blanken Hohn. Dann legt doch bitte welche bei!
Ich habe bei der Ausstattung somit das Gefühl, dass irgendwie der angepeilte Verkaufspreis eingehalten werden musste und dafür dann die Stifte geopfert wurden. Und auch bei den Würfeln wurden wohl Einsparpotentiale gesehen. Zumindest fühlen sich diese Plastikobjekte billig an. Vielleicht tue ich dem Verlag aber auch unrecht und eine vernünftige Produktion von vergleichbaren Holzwürfeln war nicht möglich. Schließlich muss auf den blauen Würfeln noch der kleine graue Halbkreis an der Kante erscheinen, um darüber die zusammengesetzten Polyominos anzeigen zu können. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass dieses Detail ausschlaggebend für die Wahl der nun vorliegenden Plastikwürfel war.
Wie schon bei MY CITY wird keine verbindende Geschichte wahrgenommen. Ein neues Kapitel wird zwar in zwei-drei knappen Sätzen eingeleitet, aber dadurch entsteht nicht wirklich ein Gefühl für das Thema. Hier hätte ich mir gerne noch etwas literarisches Futter für die Kampagne gewünscht, so dass ich den Eindruck habe, auch eine Geschichte zu erleben.
Das gefällt mir gut: Die allgemeine Meinung zu MY CITY ROLL & WRITE scheint zu sein, dass man das nicht bräuchte. Es würde nur wiederholen, was der große Bruder schon gemacht hat, und ist dabei nur zufälliger und somit weniger planbar. Letzteres sehe ich allerdings als Vorteil an und ansonsten ist mir das etwas zu kurz gedacht. In meinen Augen hat MY CITY ROLL & WRITE schon einige Sachen zu bieten, die dafür sorgen, dass ich es sogar lieber gespielt habe als die große Legacy-Kampagne – auch, weil es eben keine dauerhaften Legacy-Elemente besitzt. Für mich ist damit ein fluffigeres Spielgefühl vorhanden. Ich muss mir keine Gedanken machen, wo ich nun einen Aufkleber platziere oder welche Sachen ich auflevel. Ich muss mich somit auch nicht drei Partien später über etwas ärgern, was ich vorher durch die Unwissenheit, wie es weitergeht, noch für eine gute Idee hielt. Dadurch fühle ich mich freier und weniger unter Druck gesetzt.
Zusätzlich sind sowohl die einzelnen Spiele schneller wie auch die Kampagne. Somit kann ich auch viel einfacher das erworbene Wissen über die Zusammenhänge nutzen und noch eine weitere Kampagne der ersten folgen lassen. Oder noch besser: ich kann nur die Kapitel spielen, die mir am meisten Spaß gemacht haben. Denn die Kapitel spielen sich teilweise schon sehr unterschiedlich. Mal ist Schnelligkeit gefragt, mal Leidensfähigkeit, in dem man bestenfalls keine Würfe ignoriert. In meinen Augen ist somit ausreichend Varianz geboten, um sich nicht gelangweilt zu fühlen. Zusätzlich fallen auch manche Wertungselemente wieder raus, so dass nicht automatisch jedes neue Kapitel komplizierter wird – auch wenn der Vergleich von Kapitel 1 zu Kapitel 12 schon deutliche Komplexitätsunterschiede aufzeigt. Doch nun kann ich mir den gewünschten Komplexitätsgrad aussuchen. Ich bin nicht mehr an die vorgegebene Reihenfolge oder auch an feste Spiele-Runden gebunden, was ich ebenfalls als befreiend empfinde. Und ganz nebenbei ist natürlich auch der Spielaufbau schneller und ich kann MY CITY ROLL & WRITE besser mitnehmen – so fern ich an Stifte denke.
Auch wenn MY CITY ROLL & WRITE nun weniger planbar ist, so sind die Entscheidungen doch nicht trivial. Es hilft schon, sich Gedanken über die möglichen Wahrscheinlichkeiten der Würfe Gedanken zu machen. Darüber hinaus habe ich auch ausreichend Freiheitsgrade. Soll ich den aktuellen Wurf ignorieren? Wann höre ich auf? Auf welches Wertungselement konzentriere ich mich? Da steckt schon eine Menge Spiel in der kleinen Box und zu keiner Zeit habe ich mich durch die Würfel gespielt gefühlt. Vielmehr sind das echte Emotionsverstärker. Bei MY CITY habe ich ganz oft schon in Gedanken vorgepuzzelt und es stellte sich oftmals nur noch die Frage, wann welches Element verbaut wird. Das war mir schon recht mechanisch. Nun muss ich viel offener denken und der Spannungsbogen ist größer. Dabei zocke ich auch mal und ärgere mich dann maßlos, wenn die falsche Schraffur erscheint. Für mich ist MY CITY ROLL & WRITE somit lebendiger als das große Brettspiel.
Fazit: Wenn MY CITY schon bekannt ist, wird man viele Ideen schon kennen und sich vielleicht fragen, warum man nun auch das ROLL & WRITE spielen soll. Weil es ein ganz anderes Spielgefühl aufweist! Es ist weniger denklastig und deutlich emotionsgeladener. Für mich sind das echte Verbesserungen!
Titel | My City Roll & Write |
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Autor | Reiner Knizia |
Illustrationen | Michael Menzel |
Dauer | 20 bis 30 Minuten |
Personenanzahl | 1 bis 6 Personen |
Zielgruppe | Würfelspielrunden mit Fortsetzungsdrang |
Verlag | KOSMOS |
Jahr | 2022 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
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