My City von Reiner Knizia – erschienen im KOSMOS Verlag
Mein Auto, meine Yacht, meine Stadt! Doof nur, dass diese bei MY CITY nicht gerade beständig ist. Vielleicht hätte man beim Bauen jemanden fragen sollen, der sich besser mit Gründungstechniken von Gebäuden auskennt. Denn dafür reichen keine Pappplättchen und Aufkleber – auch wenn letztere bei einem Legacy-Spiel nicht fehlen dürfen. Ein solches, sich dauerhaft veränderndes Spiel ist auch MY CITY – obwohl es ebenfalls eine Variante enthält, die sich immer und immer wieder spielen lässt.
Thema... nach einer langen Reise erreichen wir einen Fluss und beschließen, dort eine Stadt zu Bauen. Im Gepäck haben wir allerhand Gebäude dabei, die man scheinbar recht problemlos in der Landschaft platzieren kann. Allerdings sind wir nicht so leicht zufrieden zu stellen. Denn im Laufe einer Kampagne bauen wir 24 mal diese eine Stadt – immer wieder und immer wieder. Da können sich andere Gründer mal eine Scheibe von abschneiden (von wegen York und New York und so).

Illustrationen… sind von Michael Menzel und kommen erst einmal unscheinbar daher. Wenn man sich aber die Zeit und Muse nimmt, die Plättchen genauer zu betrachten, dann erkennt man schon einige schöne Details. Imposant dahingegen ist die Covergestaltung. Nicht nur die angedeuteten Polyominos fallen ins Auge, sondern das in der Einleitung angedeutete Haftungsproblem wird ebenfalls thematisiert. Denn ich deute die Zeichnung so, dass gerade ein paar Gebäude weg fliegen und wir dann wieder neu anfangen müssen, MY CITY zu bauen.
Ausstattung… natürlich könnte ich nun die 96 Polyomino-Legeteile erwähnen und ihre Aufteilung in 4 Wappen-Sets mit jeweils 8 Gebäuden in 3 Farben. Das macht pro Mitspielenden 24 unterschiedliche Gebäude, die einzeln auch auf den Spielkarten zu finden sind. Aber das wirklich Spannende an MY CITY sind die 8 einzelnen Kapitel-Umschläge! Dort ist immer ein Regelblatt, ein paar Aufkleber sowie eine Wertungsübersicht enthalten. Außerdem kommt später manchmal noch ein wenig Spielmaterial hinzu.
Nicht vergessen darf man aber auch die vier Spielpläne. Die sind beidseitig bedruckt, was es ermöglicht, auf der einen Seite die Legacy-Kampagne zu spielen und auf der anderen Seite ein "ewiges Spiel".
Ablauf… ist schnell erklärt. Alle legen sich ihre Gebäudeplättchen zurecht und dann wird eine Karte aufgedeckt. Diese zeigt jeweils ein Gebäude und alle müssen nun das papperne Äquivalent auf ihren Plan legen. Nach und nach entsteht somit puzzle-artig eine Stadt. Am Ende der Partie sind alle Gebäudekarten aufgedeckt und die einzelnen Städte werden gewertet. Dann kann man sich möglicherweise Siegpunkte markieren und muss einen Malus aufkleben, oder man erhält als Besiegter stattdessen Boni-Aufkleber, damit das nächste Mal leichter selbst ein Sieg eingefahren werden kann.
Nach und nach kommen über die Kapitel neue Regeln bzw Änderungen hinzu. So werden 24 Partien innerhalb der Kampagne gespielt und am Ende vergleicht man die eingesammelten Siegpunkte – oder auch nicht, da einem die Partien als solches Spaß gemacht haben und man gar nicht so genau wissen will, wer am Ende siegreich war.
Das gefällt mir nicht so gut: Diesen finalen Siegpunkte-Vergleich am Ende empfinde ich als unglücklich. Klar ist er nachvollziehbar und fördert auch die Spannung in den letzten Runden. Das allerdings nur, wenn man noch um den Sieg mitspielt. Ist man dahingegen schon weit abgeschlagen, dann kann dieser Rückstand ziemlich demotivierend wirken. Und machen wir uns nichts vor: nicht alle puzzeln gleich gut solche Tetris-Teile. Es gibt Menschen, die machen scheinbar nichts anderes und bekommen immerzu perfekte Flächen hin. Andere haben damit hingegen Probleme und bauen sich eine Lücke nach der anderen. Jetzt müssen nicht alle Beteiligten immer alle gleich gut sein, um miteinander Spaß zu haben. Ich z.B. bin wohl die größte Niete in PATCHWORK und mag es trotzdem. Allerdings versucht MY CITY dem entgegen zu wirken und versucht einen Aufholmechanismus in Form der Bonus- und Malus-Aufkleber zu etablieren. Wer in der abgeschlossenen Runde erfolgreich war, bekommt nun eine kleine zusätzliche Aufgabe zu lösen, wer schlecht war, erhält eine kleine Hilfe. Allerdings bleibt das Grundprinzip unverändert: es werden Polyominos gepuzzelt. Das kann ich gut und dann mache ich mir über die kleinen zusätzlichen Malus-Felder keine Sorgen. Kann ich das nicht gut, dann helfen mir auch die kleinen Boni wenig. Die Folge ist: die Siegpunkt-Schere wird nach und nach aufgehen.
Somit hätte ich mir für MY CITY erhofft, dass auf eine finale Endwertung verzichtet wird. Meiner Meinung nach hätte es ausgereicht, über die unterschiedlichen Legacy-Elemente ausreichend Motivation für die nachfolgenden Partien der Kampagne zu erwecken. Auch wäre es sicherlich förderlich gewesen, wenn dauerhaft eine Stadt erweitert würde anstatt sie jedes Mal neu bauen zu müssen. Ich gehe davon aus, dass dann auch eine größere Bindung zu eigenen Stadt entstanden wäre. Denn im aktuellen Fall hat man nie wirklich das Gefühl, eine Stadt zu gründen. Man puzzelt Polyominos, doch die verbindende Geschichte wird nicht wahrgenommen. Aber gerade dieses Erzählen von Geschichten ist die große Stärke des Legacy-Prinzipes. Dieses Potential wird in der vorliegenden Form nicht annähernd ausgereizt.
Das gefällt mir gut: Allerdings hat diese Konzentration auf die Mechanik auch ihre Vorteile. Denn trotz fehlender Geschichte, übt MY CITY einen Sog aus, dem man sich nur schwer entziehen kann. Die einzelnen Partien sind erfreulich schnell gespielt (etwa 30 Minuten pro Partie), so dass es selten bei nur einer Runde bleibt. Macht man aber trotzdem mal eine Pause, dann wird einem der Einstieg leicht gemacht. Weil sich auf die Mechanik konzentriert wurde, muss man sich nicht erst wieder in eine Geschichte hinein finden. Es ist nicht wichtig, wie die Rahmenhandlung vor zwei oder drei Wochen war, da diese keinen Einfluss ausübt. Stattdessen muss man nur wissen, wie die aktuellen Regeln zum Puzzeln sind. Diese liegen aber hervorragend aufbereitet als Übersicht den aktuellen Umschlägen bei und sind auch in der Anleitung nochmals erläuternd nachzuschlagen.
Ebenfalls ist es von Vorteil, dass sich die Anzahl der Regeln die Waage hält. Es kommen nicht dauernd nur neue Regeln hinzu, sondern es werden dafür auch manche Abläufe bzw. Wertungen reduziert. Somit muss man immer nur eine bestimmte Menge an Regeln überblicken und verzweifelt nicht etwa an der Fülle der immer neu dazu kommenden Möglichkeiten. MY CITY wird zwar nach dem doch sehr leichten Einstieg mit der Zeit etwas anspruchsvoller, pendelt sich dann aber auf einem bestimmten Level eines gehobenen Familienspiels ein. Der Grundcharakter bleibt über die ganze Kampagne erhalten, trotzdem ändern sich immer etwas die Tonlage. Mal wird der eine Aspekt mehr betont, mal ein anderer. Diese Bündelung erfolgt über die Kapitel. Jedes Kapitel bringt ein neues Element ins Spiel. Da ein Kapitel aber auch drei Partien umfasst, wiederholen sich diese neuen Anforderungen. Man wird mit ihnen vertraut und fühlt sich nicht überfordert. Trotzdem muss man auch flexibel sein. Was anfangs wichtig war, ist es auf einmal nicht mehr.
Ein wenig habe ich das Gefühl, dass wir dabei Zeuge einer Spieleentwicklung werden. In MY CITY werden verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, wie ein Spiel mit dieser Grundidee aussehen könnte. Normalerweise würde der Autor dann dieses eine Element behalten und dieses andere wieder wegnehmen. Bei MY CITY erleben wir dahingegen all diese Optionen. Deswegen fühlt es sich auch ein wenig untypisch für ein Spiel von Reiner Kinzia an. Normalerweise würden wir das perfekt abgestimmte, destillierte Endergebnis präsentiert bekommen. Nun aber erleben wir die verschiedenen Entwicklungsstufen innerhalb einer Kampagne. Interessanterweise ist dann das "ewige Spiel" nicht etwa das Endprodukt, sondern entspricht ungefähr Spiel 10 der möglichen 24 Partien. Um diesen Zustand herum hat mir MY CITY auch am meisten Spaß gemacht (siehe den unteren Spoiler). Somit wäre dieses "ewige Spiel" normalerweise wohl das Endprodukt gewesen, wenn man nicht das Wagnis Legacy-Spiel in Angriff genommen hätte.
Glücklicherweise hat man es aber nicht nur beim "ewigen Spiel" belassen. Denn so kommt man nun auch als Familienspieler in den Genuss, sich mit dem Öffnen von Umschlägen und Überkleben von Spielmaterialien beschäftigen zu dürfen. Was MACHI KORO LEGACY nicht geschafft hat, kann nun MY CITY für sich beanspruchen: es fesselt! Man möchte erleben, wie sich das Spiel weiterentwickelt. Die Länge der einzelnen Partie korrespondieren gut mit dem Anspruch. Da kann man auch mal Pech haben, weil bestimmte Gebäude zur falschen Zeit kommen. Aber wer nicht den Anspruch hat, unbedingt auf Gesamtsieg zu spielen, der kann darüber problemlos hinweg sehen. Zumal dieses sich Ärgern auch zeigt, dass man sich hat einfangen lassen. Ich plane im Voraus, ich lasse Lücken, die auf einmal doch gefüllt werden müssen. Ich bin also die ganze Zeit involviert, dauernd treffe ich Entscheidungen.
Ich würde übrigens ein wenig der Empfehlung des Verlages widersprechen. So empfanden wir es insgesamt als entspannter, die drei Partien eines Kapitels nicht unbedingt am Stück zu spielen. Denn wer ganz schnell ganz viele Partien spielt, der wird möglicherweise auch ganz schnell gelangweilt sein. Mechanisch ändert sich zu wenig, um dieses Tempo durchhalten zu wollen. Mit etwa mehr zeitlichen Abstand (bspw. ein Kapitel am Wochenende) sind wir jedenfalls besser gefahren.
Trotzdem möchte ich auch noch explizit die Arbeit des Verlages zu loben. Die gewählte Aufmachung passt sehr gut zum Spielprinzip. Die Aufbereitung der Regeln ist vorbildlich, die Handhabung der verschiedenen Elemente ist klar und deutlich. Die Aufkleber sind zwar teilweise etwas fummelig, aber immerhin kann man sie problemlos nochmals ablösen, wenn man etwas falsch gemacht hat.
Fazit: In MY CITY werden die verschiedenen Arten des Puzzeln von Polyominos aufgezeigt und ausgeschöpft. Was nach langweiligen Durchdeklinieren klingt, entpuppt sich aber aufgrund des gut aufbereiteten Legacy-Prinzips als spannendes Erlebnis. In den einzelnen Partien kommt immer etwas Neues um die Ecke gebogen und dadurch bleibt MY CITY auch über der 24 Partien der Kampagne frisch und interessant.
Titel | My City |
Autor | Reiner Knizia |
Illustrationen | Michael Menzel |
Dauer | 30 Minuten |
Spieleranzahl | 2 bis 4 Spieler |
Zielgruppe | Familienspieler mit Fortsetzungsdrang |
Verlag | KOSMOS |
Jahr | 2020 |
ACHTUNG SPOILER!!!
Bei den großen Legacy-Spielen schreibe ich gerne mal so eine Art Tagebuch. Das bietet sich bei MY CITY aber nicht an, da zu wenig eine erfahrbare Geschichte hinter dem Spielmechanismus liegt. Deswegen verzichte ich darauf. Trotzdem will ich Neugierigen nicht zwei Fotos mit Endständen verwehren und auch kurz den Verlauf dazu abreißen.
Wir haben als 3er-Gruppe gespielt. Zwischenzeitlich hat unsere Tochter noch als vierte Mitspielerin mitgewirkt. Allerdings hat ihr Interesse nicht lange angehalten, so dass sie recht schnell wieder ausgestiegen ist. Bei mir lief es anfangs mittelmäßig und ich habe eigentlich immer regelmäßig den zweiten Platz gemacht. Das Mittelspiel lief dahingegen prächtig und ich habe meist die Partien gewonnen – allerdings habe ich dabei sträflich die Goldadern missachtet. Das hat sich dann hinten heraus gerächt, da ich das Gefühl hatte, dass die ganzen Ausgleichsvorteile überhand genommen haben. So hatte ich bspw. eine doofe Kirche, die trotzdem nur 3 Punkte brachte (anstatt eine kleine 2er-Kirche mit 5 Punkten). Zusätzlich fand ich das Puzzeln um den Schienenanschluss des Hafens total unbefriedigend und zu sehr einschränkend. Die letzten Partien habe ich damit den Anschluss an die Gesamtwertung verpasst.
Die Siegerin hat dagegen frühzeitig auf die Goldadern gesetzt und dann am Ende sehr überzeugend auf die Kirchen gespielt. Diesen Aspekt hatte ich am Ende ziemlich vernachlässigt, damit ich noch meine im Mittelspiel angesammelten Steine überkleben konnte – was mir aber nichts genutzt hat, da durch eine finale Schiene am Ende noch nicht einmal der Baum-Bonus für mich sprach. Wenn ich also nochmals eine komplette Kampagne spielen würde, dann hätte ich nun einen besseren Plan. Ich glaube allerdings nicht, dass mir das passieren wird.

So empfand ich vor allem das Mittelspiel am befriedigendsten – vielleicht weil das am ehesten meinen Fähigkeiten entsprach. Aber das Bilden von farbreinen Flächen in Kombination mit den Kirchen, das hat mir mehr Spaß gemacht als das Wettrennen um anzubindende Punkte. Nicht ganz so sicher bin ich mir bei der Karte, die ein Gebäude aus der Partie entfernen lässt. Die hat schon ziemlich Würze in die Partien gebracht. Man plant schließlich einiges vor und bibbert somit ständig, dass bitte dieses oder jene Teil unbedingt im Spiel bleiben soll. Sie kann aber auch für mächtig Frust sorgen, wenn genau das eine geplante Teil raus fliegt. Lustigerweise ist bei uns dreimal der Fall aufgetreten, dass diese "Ausschluss-Karte" die letzte im Stapel war und wir somit ganz ohne Grund gezittert hatten.
Ich bedanke mich beim KOSMOS Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars. Ich bin mir sicher, dass durch diese Bereitstellung meine Meinung nicht beeinflusst wurde. Die Besprechung spiegelt meine gemachte Erfahrung wider.
Sehr witzig. Ich suche gerade eine My City Rezension, um zu checken, ob meine fünfeinhalb Jährige da auch mitspielen kann und stolpere über die Stadt Ewwerscht auf dem einen Foto. Dann im Impressum feststellen, dass ihr 300 Meter von uns entfernt wohnt. 😀
Das ist wirklich verrückt. In "normalen" Zeiten würde ich jetzt sagen: lass uns zusammen was spielen! So bist du bspw. herzlich jeden Freitagabend zum Spielekreis bei uns in Eberstadt eingeladen. Aber aktuell können wir das leider nur auf später verschieben.
Zu MY CITY: das würde ich definitiv nicht mit so jungen Kindern spielen. Wenn es dir um das Legacy-Prinzip geht, wäre aber vielleicht ZOMBIE KIDS EVOLUTION eine Alternative.
Na, dann merke ich mir die Einladung zum Spielekreis für nach Corona. 😉
Danke für den Tipp!