Mycelia von Daniel Greiner – erschienen bei Ravensburger
Bei MYCELIA bin ich froh, dass ich nun lediglich darüber schreibe. Denn wenn ich das Spiel in meinem gemeinsamen Podcast besprechen würde, käme ich in die Verlegenheit, den Titel aussprechen zu müssen – und dabei tue ich mich sehr schwer. Glücklicherweise ist das Internet manchmal noch ein Hort des Wissens, so dass ich nun wieder etwas gebildeter bezüglich der Mycele bin. Trotzdem würde ich den Titel wahrscheinlich immer noch falsch aussprechen.
Thema... auch dafür musste ich zur Sicherheit noch einmal nachschlagen. Ganz profan müssen wir im Spiel Wassertropfen von unserem Tableau räumen. Aber warum? Das will sich einfach nicht bei mir einprägen. Kein Wunder, denn schließlich ist die thematische Erklärung dafür ziemlich aufgesetzt: in der wundervollen Welt von Mycelia versuchen wir die Unterstützung der Waldgöttin zu erhalten, in dem wir heilige Tautropfen aus unserem Wald zum Schrein des Lebens bringen – irgendwie musste man anscheinend den vor Alliterationen strotzenden Untertitel "im Tal der tausend Tautropfen" erklären. Aber in Fleisch und Blut geht das aufgesetzte Thema nicht über.
Illustrationen… wurden von Justin Chan erstellt und sind zuckersüß. So süß, dass sie mir teilweise Zahnschmerzen verursachen. Nein, ernsthaft, mir gefallen die Kartenillustrationen schon sehr sehr gut. Aber die Covergestaltung ist nicht mein Ding und trotz aktuellem Barbie-Boom habe ich durchaus Probleme gehabt, nur aufgrund der farblichen Covergestaltung Personen zum Mitspielen zu animieren. Anders sah das in den Familienrunden mit jüngeren Kindern aus, womit möglicherweise die anvisierte Zielgruppe optimal erreicht wird.
Ausstattung… hat – wieder ganz zielgruppengerecht – ein Gimmick zu bieten: einen imposanten Tautropfensammler bzw. themengerecht "der Schrein". Für den eigentlichen Spielablauf hat dieser aber keine wirkliche Funktion. Da sind die persönlichen Tableaus schon deutlich wichtiger. Auf diesen verteilen wir anfangs nach einer zufälligen Vorgabe kleine Plastik-Tautropfen.
Der Motor des Spiels sind allerdings Karten, denn MYCELIA ist ein Deckbuilding-Spiel. Wir beginnen mit einem Startdeck von sechs Karten, weitere können wir uns im Spielverlauf dazu kaufen – allerdings nicht mit schnödem Geld, sondern themengerecht(?) mit bunten Blättern.
Wenn wir mit dem Spielverlauf vertraut sind, können wir auch etwas komplexere Karten ins Spiel bringen und die Tableaus umdrehen, so dass diese sich nun unterscheiden. Zusätzlich ist noch ein wenig Material für eine Solo-Variante in der Box enthalten.
Ablauf… ist sehr eingängig. Drei Karten ausspielen, die dort abgebildeten Effekte nutzen und eventuell danach noch neue Karten ins eigene Deck kaufen – die dann sogar direkt auf den Nachziehstapel wandern. Das Ziel des Spiels ist ebenso einfach: es sollen keine Tropfen mehr auf meinem eigenen Tableau liegen. Damit das gelingt, kann ich diese entweder nach und nach in das abgebildete Portal schieben oder manchmal kann ich Tropfen durch Kartenfunktionen auch direkt abwerfen.
Allerdings landen diese Tropfen dann nicht direkt in einer Regenwolke, sondern in dem dreidimensionalen Tropfensammler. Hat sich dort eine bestimmte Menge angesammelt, wird die Scheibe gedreht. Dann purzeln effektvoll die Tropfen raus – mit ihnen aber auch ein Würfel. Der wird nicht gerne gesehen, zeigt er doch an, auf welchen Stellen auf den Tableaus nun wieder neue Tropfen gelegt werden müssen.
Zusätzlich können wir einmal in unserem Zug gegen Bezahlung auch noch Sonderfunktionen nutzen. Im Startdeck sind davon zwei schon vertreten, durch das Fortgeschrittenen-Deck können weitere dazu kommen.
Das gefällt mir nicht so gut: leider ist die verwendete Symbolsprache nicht eindeutig genug. Eigentlich in jeder Partie wird nochmals dieses oder jenes Detail nachgeschlagen bzw. nachgefragt. Dabei spart die Anleitung leider auch ein wenig mit Erklärungen. Statt in einem Anhang alle Effekte abzubilden und eindeutig zu erklären, wird ein Beispiel für die Symbolik vorgestellt, welches dann aber nicht die möglichen Fragen eindeutig klärt. Es ist anfangs immer eine gewisse Unsicherheit am Tisch zu spüren, ob nun alles richtig verstanden wurde oder nicht.
Dabei ist die beiliegende Übersichtskarte nur eine schwache Hilfe. Denn auch diese erklärt nicht eindeutig genug die unterschiedlichen Darstellungsweisen. Zusätzlich wird die gewählte Schriftgröße bei älteren Semestern als Zumutung empfunden. So wie man dabei manchmal eine Lupe bräuchte, wäre diese auch für das Symbol hilfreich, welches erklären soll, dass die Vorgabe auf der Karte ganz genau eingehalten werden muss. Statt dies bspw. durch einen gestrichelten Rahmen oder ähnliches anzuzeigen, ist rechts unten ein kleiner Käfer versteckt, der diese wichtige Einschränkung vermitteln soll. Intuitiv ist das nicht zu verstehen.
MYCELIA ist im Kern ein Rennspiel – und hat dadurch auch das Problem geerbt, dass manchmal ein Sieg zu früh feststeht. Es gibt Partien, da ist die führende Person nicht mehr einzufangen, da kein Aufhol-Mechanismus vorgesehen ist. So erhalten die zusätzlichen Tautropfen auch immer alle. Die dadurch entstehende Brise Zufall lockert zwar auf, sie sorgt aber nicht wirklich dafür, dass gezielt nur die führende Person eingebremst wird. Ich persönlich finde das gar nicht so schlimm. Die überschaubare Spielzeit lässt dieses Element zu und es ist nun einmal ein Rennspiel. Zusätzlich fühlt man sich auch beim Verlieren seltsam belohnt, wenn man einen Wassertropfen nach dem nächsten wegschafft – wenn die Wohnung auch nur so einfach aufzuräumen wäre. Trotzdem täte dem Spiel etwas mehr Interaktion gut.
Das gefällt mir gut: MYCELIA gelingt das, was WANDERLUST nicht ganz geschafft hat: es ist ein spannender Einstieg in die Welt der Deckbau-Spiele. Das Grundprinzip wird anschaulich erklärt und nur drei auszuspielende Karten überfordern auch nicht. Trotzdem sind die Partien nicht eintönig und bieten immer wieder kleine Spannungshöhepunkte. Welche Karten erscheinen in der Auslage? Wo muss ich neue Tropfen platzieren? Bekomme ich von meinen Mitspielenden kleine Geschenke? Durch den Renncharakter wird mitgefiebert und bestenfalls ergibt sich auch ein Kopf an Kopf Rennen unter den Beteiligten.
Dazu muss allerdings gelernt werden, das eigene Deck zu verstehen. Es ist mehr als hilfreich, wenn ich mir die Karten in meinem Deck einpräge. Habe ich eine Karte, die mich drei Tropfen direkt aus dem Wasser nehmen lässt, dann sollte ich auch dafür sorgen, dass diese Situation eintritt. Außerdem ist es ärgerlich, wenn ich ein Tropfen von einem roten Feld schieben darf, diese Situation aber gar nicht mehr vorliegt. Mit etwas Routine werden diese Zusammenhänge schnell verinnerlicht – und dann kann auf die fortgeschrittenen Karten umgestiegen werden. Diese ermöglichen es nun u.a., dass wir Karten aus unserem Deck entfernen können. Für mich ist das ein zentrales Element von Deckbau-Spielen. MYCELIA macht allerdings es richtig, diesen Effekt erst nach einer kleinen Lernphase ins Spiel zu bringen.
Auch auf anderen Ebenen findet es das richtige Maß. Das Spiel-Ziel ist bewusst einfach gehalten und direkt verständlich. Wir können uns ganz darauf konzentrieren, die Wassertropfen aufzuräumen und müssen keine Angst vor einer Siegpunktabrechnung am Ende haben. Entsprechend leicht erklärt sich das Spiel, zumal die verschiedenen Optionen der Karten auch überschaubar sind. In diesem Zusammenhang ist auch die gute Anleitung zu loben.
In dieser wird der Solo-Modus wird nicht ohne Grund als schwer bezeichnet. Denn dieser hat es durchaus in sich. Über ein eigenes Kartendeck werden Tropfen vom gegnerischen Tableau viel zu schnell abgeräumt. Das ist mechanisch gelungen und durchaus reizvoll, wenn man Solo-Varianten mag. Möchte ich den Gegner weniger schwer erleben, dann lege ich einfach zu Beginn etwas mehr Tropfen auf das Solo-Tableau.
Als letzten Trumpf kann MYCELIA noch mit der Gestaltung punkten. Der Tropfensammler würde genauso gut als kleiner Ablagespielplan funktionieren, wenn man bei Ziel-Füllung dann den Würfel händisch wirft. Der 3D-Aufbau ist aber ein gelungener Eyecatcher und lockert mit seiner Ausspuck-Mechanik das Spielerlebnis willkommen auf. Ich selbst hätte zwar lieber Papp- oder Holztropfen gesehen, aber ich muss schon zugestehen, dass die Plastiktropfen sich sehr gut greifen lassen und dem Spiel eine besondere Note geben. Wobei diese Aufgabe eigentlich perfekt schon die Karten-Illustrationen übernehmen. Die knuffigen Pilz-Helden sind wirklich herzallerliebst und der kleine Flavour-Text hat zwar keine wirklich spielerische Bedeutung, zeigt aber den liebevollen Umgang mit den Darstellern. Nur die Cover-Gestaltung hätte gerne etwas weniger rosafarben sein dürfen, damit ich auch erwachsene Mitspielende besser an den Tisch bringen könnte.
Fazit: Ob nun das aufgesetzte Thema MYCELIA mit seiner arg gewollten Knuffigkeit Segen oder Fluch ist, das wird die Zeit zeigen. Spielerisch überzeugt es als einfacher Einstiegs-Deckbauer auf ganzer Linie. Lediglich die Symbolsprache könnte etwas deutlicher bzw. müsste etwas besser erklärt sein.
Titel | Mycelia |
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Autor | Daniel Greiner |
Illustrationen | Justin Chan |
Dauer | ca. 45 Minuten |
Personenanzahl | 1 bis 4 Personen |
Zielgruppe | aufräumende Familienspielrunden |
Verlag | Ravensburger |
Jahr | 2023 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
Danke für die ausführliche Besprechung. Was das Thema betrifft, vermute ich, dass es auf eine der Hauptaufgaben des Pilzes in der Symbiose zwischen Bäumen und Pilzen hinweist, nämlich möglichst viel Wasser aufzunehmen und an den pflanzlichen Partner weiterzuleiten. Schau mal nach Mykorrhiza. LG Lars