Nebel über Carcassonne von Klaus-Jürgen Wrede – erschienen im Hans im Glück Verlag
Ich war nun schon das ein oder andere Mal in Carcassonne und habe die Zeit dort immer sehr genossen. Glücklicherweise habe ich dabei aber nie Nebel über Carcassonne erlebt und bin somit anscheinend um den Kontakt mit den dortigen bösen Geistern herum gekommen – Touristenströme reichen schon aus für gruselige Szenen. Wobei ich dabei natürlich reflektierend zugeben muss, dass ich selbst dort als Tourist war...
Thema... in einer kleinen Spielbox-Erweiterung von 2004 sind wir schon auf DIE KATHARER gestoßen. In NEBEL ÜBER CARCASSONNE haben wir es nun mit deren Geistern zu tun. Die sind – verständlicherweise – etwas verstimmt und wollen demnach nicht unser Bestes. Da es im Mittelalter noch keinen ECTO‑1 gab, müssen wir uns anders zu helfen wissen, um die Geister zu verjagen. Dabei hat sich herausgestellt, dass abgeschlossene Nebel, Städte und Straßen am effektivsten helfen – was rein logisch kaum zu erklären ist. Aber das sind Geister bekanntlich auch nicht.
Illustrationen… stammen von Anne Pätzke und Marcel Gröber, die schon länger die Illustrationen der Neuauflage von CARCASSONNE betreuen. Somit passen diese Ausgabe auch gut zum aktuellen Aussehen. Da ich aber noch die von Doris Matthäus gestaltete Erstauflage benutze, fremdel ich dahingegen noch ein wenig mit der Gestaltung. Der Mensch ist nun einmal ein Gewohnheitstier.
Ausstattung… kommt klassisch daher: 60 Landschaftsplättchen, viele Holz-Meeples und eine Wertungstafel. Aber der Detailblick offenbart mehr: das Startplättchen ist nun vierfach so groß und außerdem befinden sich Nebelfelder auf manchen Landschaftsplättchen. Zusätzlich werden uns noch drei Pappfiguren begleiten und für die sechs im Spiel vorhandenen Schwierigkeitsstufen besteht noch eine Übersicht. Diese zeigt auf, welches Material benutzt wird und welche Besonderheiten zu beachten sind.
Ablauf… ist dem ursprünglichen CARCASSONNE ganz ähnlich, auch wenn wir nun kooperativ zusammen spielen: sind wir an der Reihe, legen wir ein frisch gezogenes Landschaftsplättchen orthogonal an. Finalisieren wir damit eine Stadt oder eine Straße, dann wird gepunktet – oder wir vertreiben bis zu 3 Geister von einem Landschaftsplättchen.
Das ist keine unwichtige Alternative. Denn immer wenn auf einem Plättchen Nebel abgebildet ist, müssen wir darauf die kleinen Geister-Meeples legen. Ist es ein neuer Nebel, dann so viele Meeples wie Geister-Abbildungen. Verlängern wir dahingegen einen bestehenden Nebel, dann können wir einen Geist weniger auf das Plättchen legen. Können wir das jedoch nicht mehr machen, weil schon alle Holz-Geister gelegt wurden, dann haben wir sofort die Partie verloren! Das machen wir auch, wenn wir zu bestimmten Zeitabschnitten nicht auch eine bestimmte Punktzahl erreicht haben. Geister bekommt man aber glücklicherweise auch dann wieder los, wenn wir Nebelfelder abschließen,
NEBEL ÜBER CARCASSONNE bietet dabei verschiedene Schwierigkeits-Level an. Ab dem zweiten kommen noch mit den Friedhöfen und Schlössern zwei besondere Landschaftsplättchen zum Einsatz, ab Level 3 auch noch zwei Hunde als treue Begleiter. Natürlich haben all diese Elemente noch kleine Zusatzregeln im Gepäck.
Das gefällt mir nicht so gut: Den größten Aufreger in der Szene verursacht NEBEL ÜBER CARCASSONNE mit dem letzten Schwierigkeits-Level. Denn dieses Level 6 als bockschwer zu beschreiben, ist eher eine Untertreibung. Es müssen schon einige glückliche Zufälle zusammen kommen, damit dieses Level erfolgreich abgeschlossen wird. Das provoziert. Manche reden nun davon, dass das Spiel kaputt ist, weil Level 6 augenscheinlich schließlich nicht zu schaffen ist. Ganz so weit gehe ich aber nicht. Denn erstens habe ich kein Problem damit, nur in den Schwierigkeitsstufen zu spielen, bei denen ich Spielspaß verspüre. Zweitens ist es anscheinend zu schaffen, wenn es auch neben einer guten Vorbereitung (bspw. sollte man sehr genau alle im Spiel befindlichen Plättchen kennen) bestimmte glückliche Voraussetzungen benötigt. Also alles gut? Nein, denn trotzdem empfinde ich dieses Level als unglücklich. Gab es wirklich in der Entwicklung des Spiels keine anderen Szenarien, die vielleicht zwischen Level 4 und Level 5 angesiedelt werden konnten? Ist wirklich ein solch glückabhängiges Level die "Krone des Spiels"? Ich empfinde die gewählte Level-Struktur jedenfalls als äußerst unelegant entwickelt und somit als unnötigen und vermeidbaren Stimmungskiller.
Ohnehin ist der Glücksanteil in NEBEL ÜBER CARCASSONNE mächtig. Bei einer ungünstigen Verteilung der Landschaftsplättchen wird es auch schon in den unteren Level schwierig zu gewinnen. Allerdings ist das jetzt kein neues Carcassonne-Phänomen. Schon das Grundspiel wird von einigen Gruppen mit der Hausregel erweitert, dass immer zwei Plättchen gezogen werden, von denen dann eines ausgesucht wird. Bei Spielen mit Kindern haben wir diese Hausregel oftmals auch angewendet. Das hat den kindlichen Frust dann öfters abgemindert. Ähnlich kann man nun in NEBEL ÜBER CARCASSONNE aktiv werden. Beispielsweise stelle ich mir eine Hausregel vor, dass wir dreimal im Spiel ein zusätzliches Plättchen ziehen dürfen. Eine erfolgreiche Partie ist damit immer noch nicht automatisch gegeben, aber man hat wahrscheinlich das Gefühl, weniger dem Glück ausgeliefert zu sein.
Ein wenig schade finde ich, dass die Geister-Abbildungen auf den Plättchen so wenig Ähnlichkeit mit den Holz-Geistern haben. Das hätte ich mir gerne etwas einheitlicher gewünscht – und dabei hätten die Geister dann gerne etwas knuffiger gezeichnet sein dürfen, um mehr den Twist zu einem Familienspiel zu erzeugen.
Das gefällt mir gut: Es ist faszinierend zu erleben, wie sich das Spielgefühl von NEBEL ÜBER CARCASSONNE einerseits vertraut und andererseits auch wieder komplett frisch und unverbraucht anfühlt. Ich habe nun schon einige der vielen Erweiterungen und Spin-Offs von CARCASSONNE gespielt und bin von denen mittlerweile eher etwas genervt. Entsprechend reserviert war ich auch über die Ankündigung zu NEBEL ÜBER CARCASSONNE. Braucht es das wirklich? Ist das Spielsystem nicht schon längst ausgelutscht? Nein, ist es nicht!
Denn durch den kooperativen Gedanken werden manche Eigenarten von CARCASSONNE umgekehrt. Das eigentlich destruktive Element des Mitwertens (ich "zecke" mich in eine große bestehende Stadt rein) wird auf einmal nicht nur toleriert, sondern aktiv herbeigesehnt. Es ist fast schon Pflicht, eine große Stadt zu erstellen, in der möglichst viele unterschiedliche Farben beteiligt sind – weil dann alle punkten und wir gemeinsam etwas davon haben. Entsprechend wird nun in der Gruppe überlegt, wie wir solche Situationen herstellen können.
Durch den Wegfall der Wiesenwertung ist NEBEL ÜBER CARCASSONNE auch um einiges zugänglicher. Vor allem Neulingen ist dieses Element oftmals am Anfang unklar, weil es auch so schwer zu überblicken ist. Nun kann man sich ganz auf die Städte und Straßen konzentrieren – und auf die Geister. Das sind echte Biester, bei denen man höllisch aufpassen muss, dass sich diese nicht zu schnell vermehren. Aus diesem Grund wird auch gerne darüber diskutiert, ob man nun bei kleinen Wertungen lieber die Punkte nimmt oder stattdessen lieber Geister vertreibt. Dabei sind zu jeder Zeit kleine Entscheidungen zu treffen, nichts im Spiel fühlt sich belanglos an.
Auch die in den späteren Schwierigkeitsstufen eingeführten Elemente machen NEBEL ÜBER CARCASSONNE nicht deutlich komplizierter – zumal diese in der Anleitung sehr gut eingeführt und beschrieben werden. So können die einzelnen Gruppen selbst ganz gut entscheiden, welchen Komplexitätsgrad sie sich zutrauen wollen und welchen lieber nicht. Doch selbst in Level 1 und 2 wird das Spiel nicht mal so eben nebenbei gewonnen.
Noch ist es leider eine besondere Erwähnung wert (in Zukunft hoffentlich nicht mehr): das Holzmaterial wird nicht mehr in Kunststoff-Zipptüten verwahrt, sondern in einer Tüte aus "Butterbrotpapier". Ein Anfang in die richtige Richtung!
Fazit: NEBEL ÜBER CARCASSONNE ist eine positive Überraschung. Wenn man glaubt, CARCASSONNE wäre ausgelutscht, dann wird man mit diesem kooperativen Spiel eines Besseren belehrt. Selten war CARCASSONNE so frisch und auch so spannend. Die viele Luft in der Box macht mir persönlich aber ein wenig Angst, dass nun auch die kooperative Variante mit Erweiterungen geflutet wird – schließlich haben wir beim Grundspiel schon erleben müssen, wie modular das System ist.
Titel | Nebel über Carcassonne |
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Autor | Klaus-Jürgen Wrede |
Illustrationen | Marcel Gröber und Anne Pätzke |
Dauer | 10 bis 40 Minuten |
Personenanzahl | 1 bis 5 Personen |
Zielgruppe | kooperative Familenspielrunden |
Verlag | Hans im Glück Verlag |
Jahr | 2022 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom Vertrieb Asmodee ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
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