Oben und Unten von Ryan Laukat erschienen im Schwerkraft-Verlag
Dies ist ein Update des Ersteindrucks!
Als Jugendlicher war ich begeisterter Rollenspieler (am liebsten spielten wir DAS SCHWARZE AUGE). Da wir uns aber viel zu selten treffen konnten, habe ich zu Hause gerne entsprechende Solo-Abenteuer gespielt. Besonders in Erinnerung ist mir dabei noch Nedime – die Tochter des Kalifen – und das nicht, weil hier ein Schleietanz pubertäre Triebe anregte, sondern weil ich dadurch meinen Charakter über einen legendären Zaubertrank dauerhaft kräftig hochleveln konnte. Ach, Nostalgie... Warum ich darauf komme? Weil man sich durch OBEN UND UNTEN teilweise in diese Zeit zurück versetzt sieht.
Thema... könnte aus einem Roman oder eben einem Rollenspiel entspringen. Die Spieler wurden von Barbaren vertrieben und haben nach langer Flucht ein schönen Flecken Erde für ein Dorf gefunden. Dieses Dorf gilt es OBEN auszubauen. Überraschenderweise befindet sich am Dorfplatz aber auch ein Zugang zu einem geheimnisvollen Höhlensystem, welches im Spiel UNTEN zu erkunden gilt.
Grafik... ist vom Autor selbst und demnach sehr stimmig (wie das eigentlich immer der Fall ist, wenn Grafiker und Autor die gleiche Person sind). Ryan Laukat hat sein Spiel wunderschön illustriert und dabei auch an viele kleine Details gedacht. Zudem ist die Symbolsprache eindeutig. Das ist wichtig, denn bis auf das Buch der Begegnungen ist das Spiel völlig sprachneutral. Optisch ist OBEN UND UNTEN definitiv ein Leckerbissen!
Ausstattung... ist der schönen Grafik angemessen und haptisch hochwertig. Besser ins Gesamtbild hätte noch eine individuelle Figur für die Ruhmesleiste gepasst. Und für die Schlusswertung wäre noch eine Zählleiste hilfreich – aber das ist Jammern auf höchstem Niveau und zeigt, wie zufrieden ich mit dem Material bin. Hilfreich für Anfänger wäre auch noch eine Kurzübersicht über die verwendeten Symbole, da eben sehr viel über die sprachneutralen Symbole organisiert wird.
Die Karten sind übrigens randlos gestaltet. Das ist aus optischen Gründen sicherlich zu begrüßen, allerdings können die Kanten beim "groben" Mischen darunter leiden, was dann wiederum sehr auffällt. Somit ist für Schöngeister der Einsatz von Kartenhüllen ernsthaft zu erwägen.
Ablauf... ist etwas Besonderes. OBEN wird ein klassisches Aufbauspiel gespielt. Man beginnt mit drei Personen. Diese können neue Personen antrainieren, Häuser bauen, Waren ernten usw. – laaaangweilig könnte man meinen.
Wäre es vielleicht auch, wenn es nicht auch noch nach UNTEN ginge. Denn schickt man einen Abenteuertrupp nach UNTEN zur Erkundung des Höhlensystems, dann findet man sich in einer anderen Art Spiel wieder: einem Geschichtenspiel im Stile klassischer Rollenspiel-Soloabenteuer. Man erlebt eine Situation und kann sich dann zwischen mindestens zwei Alternativen entscheiden, was der Trupp machen soll. Dem Spiel liegt dafür ein Buch der Begegnungen mit 223 unterschiedlichen Abschnitten bei. So erlebt man UNTEN verschiedene Abenteuer, für die man dann mit Ruhm (oder auch bei zweifelhaftem Verhalten mit Abzug desselben) und Gegenständen belohnt wird. Allerdings ist man bei diesen Abenteuern abhängig vom Würfelglück.
Im Laufe der sieben gespielten Runden gilt es dann noch, die Erholungsphasen der einzelnen Dorfmitglieder richtig zu managen – denn jede Aktion kostet Kraft und man benötigt schon ein Bett, um sich wieder zu erholen (oder man putscht sich auf mit Apfelwein!!!). Am Ende dieses überaus friedlichen Spiels findet über eine clevere Schlusswertung die Bestimmung des Siegers statt. Hier zählen dann neben den gebauten Gebäuden (teilweise mit weiteren Siegpunktgeneratoren) auch der relative Platz auf der Ruhmesleiste sowie ziemlich viele Punkte für unterschiedliche Waren/Gegenstände, die man im Laufe des Spiels gesammelt hat.
Das gefällt mir nicht so gut: Objektiv gesehen mehr, als mir anfangs klar war. Dabei kann ich den ein oder anderen Fehler im Buch der Begegnungen verzeihen. Natürlich ist es unglücklich, wenn in den kleinen Geschichten ein Wort fehlt oder der gewählte Stil nicht ganz sauber ist. Man hat dabei das Gefühl, dass der Übersetzter mit heißer Nadel stricken musste und kein vernünftiges Lektorat stattgefunden hat. Allerdings ging einem das früher in den Abenteuerbüchern auch mal so und im Großen und Ganzen fand ich es nicht auffallend störend.
Viel störender empfinde ich es allerdings, dass die Geschichten zwar bis zur Phase der Entscheidungsfindung toll erzählt sind, dann aber das Ergebnis lediglich als Verwaltungsakt beschrieben wird ("erhalte 2 Münzen und ein Fisch"). Da wird vorher eine Stimmung aufgebaut und auf dem Höhepunkt des Ganzen fällt alles schnöde in sich zusammen. Wie sehr hätte ich mir dann eine kleine Fortsetzung der eigentlichen Geschichte gewünscht.
"Optimierspieler" werden sich sicherlich auch an dem hohen Glücksanteil stoßen. So kann ich bspw. eine großen und perfekt ausgestatteten Trupp nach UNTEN schicken – in der Hoffnung, dass ich damit nun fette Beute machen kann. Dann wird aber per Zufall eine Geschichte ausgewählt, für die ein kleiner Rumpftrupp auch ausgereicht hätte. Wenn man das im Voraus gewusst hätte, dann wäre sicherlich eine andere Personalplanung erfolgt. Auch die Belohnungen sind absolut zufällig. Wenn ich Pech habe, erhalte ich fünfmal im Spiel bspw. als Belohnung ein Seil – ein anderer Spieler aber fünf verschiedene Gegenstände. Das ist deswegen ein entscheidender Unterschied, da man am Spielende erheblich mehr Siegpunkte für unterschiedliche Gegenstände erhält als wenn man einen Gegenstand ganz oft hat. Planbar ist das alles also nicht – aber: für mich ist das kein Widerspruch zur Spielidee! Abenteuer sind nicht planbar, die Überraschung, was einen in den Höhlen erwartet, macht den Spielreiz aus. Außerdem gibt es Möglichkeiten, schlechte Würfelwürfe zu modifizieren. Das kostet einem dann Zeit, ist aber zumindest möglich. Nichtsdestotrotz kann beim Würfeln natürlich das Glück oder Pech erbarmungslos zuschlagen. Das ist nicht immer fair und ganz sicher auch nicht planbar. Eine gewisse Frusttoleranz sollte also vorhanden sein.
Eine weitere störende Kleinigkeit sind die Schlüssel-Gebäude, von denen am Anfang immer vier verschiedene zum Erwerb ausliegen. Diese können einem im weiteren Spiel enorm weiterhelfen, so dass sie meistens auch immer sofort gekauft werden (und danach wird dann die eigene Strategie ausgerichtet). Im 3‑Personen-Spiel hat nun aber ein Spieler die Möglichkeit, als einziger ein zweites Schlüssel-Gebäude zu kaufen, was ich schon als relevanten Vorteil sehe. Hier sind wir dazu übergegangen, dass vierte Gebäude nach der ersten Runde aus der Auslage zu entfernen.
Das gefällt mir gut: OBEN UND UNTEN lebt vom Spielgefühl! Darauf sollte man sich einlassen können. Allerdings ist es auch spielmechanisch nicht belanglos. Auch wenn es gegen das eigentliche Spielprinzip verstößt, kann ich versuchen, das Spiel ganz ohne Höhlenbesuche zu gewinnen (und bspw. ganz auf den Häuserbau setzen). Die Erfolgs-Wahrscheinlichkeit dafür ist zwar gering, da man oberirdisch nur eine geringe Auswahl an Waren/Gegenstände haben wird – aber es ist möglich. Ich selbst musste mich allerdings in den entsprechenden Testpartien regelrecht dazu zwingen, nicht nach UNTEN zu gehen. Denn natürlich ist meine eigentliche Neugier darauf aus, Begegnungen zu erleben.
Nicht zu unterschätzen sind die verschiedenen Waren/Gegenstände – und, dass damit Handel betrieben werden kann. Insbesondere Anfänger haben die Schlusswertung nicht im Blick und horten somit die eigenen Waren im eigenen Lager. Wer aber geschickt solche Waren von den Mitspielern erwirbt und dann auch noch das nötige Glück bei den Begegnungen hat, der hat große Chancen, das Spiel zu gewinnen. Mit diesem Wissen lassen sich aber auch interessante Verhandlungen um eben diese Waren führen – so dass auch eine alternative Strategie erfolgreich sein kann, wenn man sich für rare Waren entsprechend bezahlen lässt. Allerdings sollte das nicht dazu führen, nun genau ausrechnen zu wollen, wie hoch eine mögliche Siegpunktdifferenz wäre. Dafür ist das Spiel eigentlich zu luftig und leicht, als dass man nun ewig über solche Optimierungen nachdenken sollte (die Mitspieler werden es danken).
Das Material ist übrigens über alle Zweifel erhaben. Es sind viele individuelle Grafiken enthalten (die Personen unterscheiden sich, die Häuser auch und selbst die Spielertableaus sind nicht alle gleich illustriert), die zumindest bei mir einen sehr hohen Aufforderungscharakter auslösen. Und die 223 Geschichten sind auch ausreichend. Es ist mir jedenfalls noch nicht passiert, dass ich bewusst eine Geschichte doppelt erlebt habe (was auch daran liegen kann, dass sich die Geschichten im Grunde ähneln).
Fazit: Ich bin ein wenig zwiegespalten – und das nicht, weil OBEN UND UNTEN ein schlechtes Spiel ist. Nein, eher deswegen, weil es ein großartiges Spiel hätte sein können, wenn man sich ein wenig mehr Arbeit mit dem Buch der Begegnungen gemacht hätte. Die abrupten Auflösungen der Geschichten sind schon sehr störend und vermiesen mir ein wenig den sehr guten Gesamteindruck. Hier wurde die Chance vertan, echte und nachhaltige Geschichten zu erzählen – auch weil sich die Begegnungen thematisch ähneln. Ansonsten muss man sich bewusst sein, dass es ein Abenteuerspiel ist, was eben nicht planbar ist. Der Glücksanteil ist durchaus erheblich – das ist für mich aber für ein stimmungsvolles Familienspiel mit diesem Thema auch passend. Ein weiterer Pluspunkt: endlich hat mal jemand außerhalb Hessens verstanden, welch aufputschende Wirkung Apfelwein hat (auch wenn ich persönlich lieber Cidre trinke)!
Danke für die ausführliche Vorstellung samt Pro und Kontra. Mich stören die von dir angeführten Negativ-Punkte aber kaum, weshalb ich demnächst mal zuschlagen werde.
Ich mag das Spiel auch sehr gerne und kann damit insbesondere bei sogenannten Gelegenheitsspieler voll punkten. Deswegen kann ich es auch ohne Bedenken an Leute empfehlen, die sich gerne auf ein Thema einlassen und nicht auf Teufel komm raus auf Spielsieg spielen. Denn letztere werden dann ganz schön rummaulen, dass das Spiel überhaupt nicht berechenbar ist. Ist es auch nicht – es will erlebt werden!
Das klingt nach einem schönen Spiel! Das Schwarze Auge hat mir damals zu Schulzeiten auch schon die eine oder andere Freude mit Kumpels bereitet, wenn wir uns als Barbaren, Magier oder Elfen verdingt haben. 🙂