Obscurio von L'Atelier – erschienen bei Libellud
Hier ist ein Verräter am Werk! Trotz Nachschlagens im Wörterbuch und Auflistung vieler obskurer Wortspiele bekomme ich keine vernünftige Einleitung für OBSCURIO hin. Als ob ich meinen Aphorismus des Monats ad absurdum führe, breche ich nun wohl ab – wird wohl nichts mit einer vernünftigen Einleitung.
Thema... einen Hexenmeister zu bestehlen ist selten eine gute Idee. Allerdings bestehlen wir ihn gar nicht, sondern wir befreien lediglich ein Grimoire aus seinen Fängen. Es ist also wie so oft reine Definitionssache. Das Grimoire will jedenfalls in die Freiheit und gibt uns Tipps, hinter welchen Türen der weitläufigen Bibliothek sich der Weg zum Ausgang befindet. Unglücklicherweise ist allerdings einer unserer Gefährten einem Zauberbann des Hexenmeisters zum Opfer gefallen und versucht nun, unsere Flucht zu sabotieren.
Illustrationen... sind von Xavier Collette und in vielfacher Hinsicht atemberaubend schön. Einerseits sind da natürlich die vielen Illusionskarten mit den verschlungenen Motiven, aber andererseits ist auch die Gestaltung des restlichen Materials schon ein echter Augenschmaus. Natürlich denkt man beim Betrachten von OBSCURIO sofort an MYSTERIUM – das ist dann aber ganz sicher als Kompliment zu verstehen. Allerdings hapert es trotz aller Kunst teilweise an der Verständigung. Denn die Symbolsprache ist teilweise ebenso künstlich und will deswegen erst erlernt werden.
Ausstattung... wird von 84 individuell gestalteten Illusionskarten dominiert. Diese kommen in ungewohnt runder Form daher, weswegen es für diese wohl keine passenden Kartenhüllen geben wird. Fast genauso dominant kommt ein faltbarer Kartenhalter daher, der acht dieser runden Karten aufnehmen kann. Auf der Rückseite des Kartenhalters ist übrigens eine Zeitleiste für die mitgelieferte Sanduhr vorhanden.
Aber OBSCURIO hat noch mehr außergewöhnliches neben Spielplan und allerlei Marker, Plättchen, Karten und Chips zu bieten – und da zähle ich den Beutel mit 14 unterschiedlichen Fallenplättchen schon als gewöhnlich hinzu. Denn ich muss noch das Buch-Tableau erwähnen. Dieses ist für den Spieler des Grimoire gedacht und dient als Ablage zweier Illusionskarten. Dabei versteckt sich noch ein Kniff. Denn dieses Tableau ist magnetisch, so dass zwei "Faltermarker" auf diesem haften bleiben und somit dauerhaft Details hervorheben.
Ablauf... im Kern geht es darum, Bildkarten richtig zueinander zuzuordnen. Eine Person spielt das Grimoire und zieht zufällig eine Illusionskarte als Ziel, die sie sich geheim anschaut. Dann zieht das Grimoire noch zwei weitere Illusionskarten, die offen auf dem Buch-Tableau ausgelegt werden. Mithilfe der Faltermarker kann das Grimoire nun Hinweise auf die zu erratende Karte geben. Denn diese wird später mit weiteren Illusionskarten gemischt und dann offen an den Rand des Spielplans ausgelegt. Die Aufgabe der anderen ist es dann, ihre Chips an die richtige Karte zu legen. Dazu darf gemeinsam beraten und diskutiert werden, wobei das nicht zu lange dauern sollte. Denn bei dieser Phase läuft die Zeit mit und je länger es dauert, umso mehr Handicaps müssen in der nächsten Runde beachtet werden.
Allerdings gibt es ein noch viel größeres Problem, denn in der Gruppe ist ein Verräter. Dieser wird auch schon vor der Spielphase des Auslegens der Zielkarten aktiv. Denn in einer Zwischenphase darf er sich vom Grimoire die Karten im Kartenhalter zeigen lassen und zwei davon auswählen, die ebenfalls sicher in der Auslage präsentiert werden. Der Verräter selbst kennt zwar nicht die eigentliche Zielkarte, aber erkennt vielleicht durch die beiden bekannten Karten auf dem Tableau des Grimoires gewisse Ähnlichkeiten und versucht somit die spätere Auswahl der Mitspielenden zu erschweren. Diese Phase wird in bekannter Werwolf-Art abgehandelt, bei der alle Mitspielenden die Augen zu schließen haben und nur der Verräter dann mit dem Grimoire in Kontakt treten darf.
Am Ende der Runde wird überprüft, ob zumindest eine Person die richtige Karte erraten hat. Denn dann darf man auf der Fortschrittsleister voranschreiten und ist dem Ausgang aus der gefährlichen Bibliothek näher gekommen. Für alle falschen Tipps müssen sogenannte Zusammenhaltsplättchen abgegeben werden. Sind diese leer bevor das Ende der Fortschrittsleiste erreicht wurde, hat der Verräter gewonnen – ansonsten natürlich die restliche Gruppe inklusive Grimoire.
Kurz vor Ende kann es noch zu einer Anklage des Verräters kommen. Hierbei diskutiert die Gruppe und einigt sich auf eine verdächtige Person – und zwar so lange, bis der Verräter tatsächlich enttarnt ist. Lag man bei den ersten Versuchen falsch, kostet dass nicht nur Zeit, sondern man verliert auch weitere Zusammenhaltsplättchen.
Das gefällt mir nicht so gut: OBSCURIO hat die zweifelhafte Ehre, etwas an sich recht einfaches, furchtbar kompliziert zu machen. Das Einfache ist: über Bildinformationen auf ein anderes Bild schließen zu lassen. Das hat schon öfters gut funktioniert und kam den Machern deswegen wohl zu banal daher. Also muss da noch ordentlich Zuckerguss drauf! Warum nicht noch ein Verräter-Mechanismus dazu packen? Und wenn es schon den Verräter gibt, dann muss man den auch enttarnen können. Außerdem ist doch ein reines Bilder vergleichen zu einfach, lass uns noch ein paar Handicaps einbauen, um für zusätzliche Verwirrung zu sorgen. Kann man natürlich alles machen, aber im Endeffekt ist mir das viel zu viel Brimborium um das, was den eigentlichen Spaß ausmacht: über Bildinformationen auf ein anderes Bild schließen zu lassen.
Mir gefällt dabei das Spielgefühl nicht. Die Spielphase, in welcher der Verräter die zusätzlichen Illusionskarten für die Auswahl bestimmt, zieht sich meist wie Kaugummi. Denn natürlich muss sich der Verräter ebenfalls erst ein paar Gedanken machen, was wohl das Grimoire mit den Hinweisen gemeint haben könnte. Allerdings darf er sich nicht durch Nachfragen oder irgendwelche andere Aktivitäten verraten. Bei uns hat es schon ein paar Versuche gedauert, bis wir eine Methode gefunden haben, die Auswahl der Karten lautlos zu übermitteln (wir zeigen mittlerweile mit der Hand die Zahlennummern an, da das darauf zeigen im wahrsten Sinne des Wortes zu viel Wind erzeugt hat). In der Zwischenzeit langweilen sich die anderen Mitspielenden und müssen dem Drang widerstehen, nicht doch heimlich zu lunzen. Aber auch später wird die Rolle des Verräters nicht prägender. Meist ist man sich auch ohne Zutun des Verräters unsicher, was für ein Bild überhaupt gemeint ist, da braucht es dieses destruktive Element überhaupt nicht. Noch schlimmer wird es gegen Ende, wenn das Spiel verlangt, dass der Verräter enttarnt wird. Denn danach reduziert sich seine aktive Rolle nur noch darauf, zwei zusätzliche Karten auszusuchen. Bei den anschließenden Diskussionen hat er nichts mehr zu sagen. Kurzum, dieses Verräter-Element empfinde ich als unnötigen Ballast.
Auch die Fallenplättchen bringen mehr Leid als Freud. Die Idee dahinter finde ich durchaus reizvoll. Am Anfang einer Runde werde diese gezogen, die dann ein wenig das Spielgeschehen beeinflussen. Mal darf der Verräter die Zielkarte sehen, mal werden 7 Karten ausgelegt und ein anderes Mal wird muss das Grimoire seine Bilder mit einer roten Scheibe abdecken, damit die Farben nicht mehr wirklich erkennbar sind. Allerdings gibt es auch andere Hausnummern: so werden bspw. die zur Auswahl stehenden Karten an den Ausgängen nur nach und nach aufgedeckt und man muss sich immer sofort entscheiden, ob diese Karte nun die Zielkarte ist oder nicht. Das macht die Sache ungleich schwerer. Hat man nun sogar zwei oder drei Fallenplättchen dieser Güte einzubauen, dann kann man die Runde fast gleich abschenken. Zumal ich auch den Mechanismus unglücklich finde, der diese Fallenplättchen reguliert. Die Anzahl der Fallen in der nächsten Runde wird über die mitlaufende Zeit per umzudrehender Eieruhr bestimmt. Somit muss ein weiterer Verwaltungsakt erledigt werden, der zudem im Eifer des Gefechts gerne vergessen wird. Außerdem beschneidet dieser Mechanismus das Kernelement des Spiels. Denn gerade das Diskutieren über die Bilder macht doch den Reiz aus. Warum wird dabei ein künstlicher Druck ausgeübt? Und warum kann sich der Verräter bei der langweiligsten Phase so viel Zeit lassen, wie er will? Das passt in meinen Augen nicht zusammen. Wir haben am Ende auf dieses Element verzichtet und nur noch abhängig von den falschen Antworten Fallenplättchen gezogen. Und wo ich schon bei den Fallenplättchen bin: die dafür verwendeten Symbole sind leider alles andere als selbsterklärend. So schlägt man also dauernd in der Anleitung nach, um sicher zu gehen, dass man die Symbole richtig deutet.
Die Regel gibt übrigens noch Varianten für eine Partie mit 2 und 3 Personen vor. Bei beiden ist aber kein Verräter im Spiel, so dass dadurch OBSCURIO doch einen ganz anderen Charakter bekommt. Aus diesem Grund gebe ich als Spieleranzahl auch ab 4 Spieler an. Wobei meiner Meinung nach der größere Spielspaß mit Verräter sogar erst ab 5 Spielern beginnt.
Das gefällt mir gut: Das Material ist über allen Zweifel erhaben. An solche stimmungsvolle Bilder haben wir uns zwar schon seit DIXIT gewöhnt, aber trotzdem kann man davon nie genug bekommen. Zumal ich die Illustrationen glücklicherweise nicht als zu düster und dunkel empfinde. Aufgrund der äußeren Aufmachung hatte ich das ein wenig erwartet (MYSTERIUM lässt grüßen) und bin froh, dass dem nicht so ist. Aber fernab von den Bildern ist auch der Rest eine Augenweide. Sinnvolles Insert, halbwegs praktikabler Kartenhalter und obendrauf noch das wunderbar magnetische Grimoire-Tableau. Das kann man nun nämlich wirklich mal in andere Hände geben, ohne dass der Hinweismarker dabei unglücklich verrutscht.
Spielerisch erfindet OBSCURIO das Rad nicht neu. Nun darf also ein Verräter noch sein Unwesen treiben, was im besten Fall für ein Mehr an Spannung sorgt. "Meint die das wirklich ernst, dass die Zielkarte an Tür 2 liegt oder will sie mich bloß auf die falsche Fährte führen?" Wie immer ist in der Rolle des Verräters eine Person in Vorteil, die sich gut aus Sachen heraus reden kann und überzeugend auftritt. Wer darauf keine Lust hat, kann recht problemlos aber auch ganz ohne diesen Mechanismus spielen und sich auf die Bildzuordnungen konzentrieren.
Denn diese Zuordnungen sind manchmal auch so herausfordernd, dass es gar keinen Verräter benötigen würde, um Spannung zu erzeugen. Man darf nicht vergessen, dass das Grimoire lediglich zwei zufällige Karten zur Verfügung bekommt, um damit die Zielkarte zu beschreiben. Wenn es für das Grimoire doof läuft, dann ist das schon eine nahezu unmögliche Herausforderung. Kommen dann noch die Handicaps ins Spiel, kann sich der Verräter genüsslich zurück nehmen und den Mitspielenden beim Scheitern zusehen. Trotzdem finde ich den Großteil dieser Handicaps reizvoll (z.B. die verschiedenen Scheiben für das Grimoire-Tableau).
Fazit: OBSCURIO bläht leider eine einfaches Spielprinzip unnötig auf. Im besten Fall hat man durch die Verräter-Mechanik eine zusätzliche Spannungskomponente. Die wäre aber meiner Meinung nach gar nicht nötig, ist das eigentliche Spiel als solches reizvoll genug. So ist man ein Großteil der Zeit mit viel Verwaltungsaufgaben beschäftigt, die man doch viel sinnvoller hätten nutzen können: zum Spielen.
Titel | Obscurio |
Autor | L'Atelier |
Illustrationen | Xavier Collette |
Dauer | 45 Minuten |
Spieleranzahl | 4 bis 8 Spieler |
Zielgruppe | Familienspieler mit blühender Phantasie |
Verlag | Libellud (Asmodee Germany) |
Jahr | 2019 |
Ich bedanke mich bei Asmodee Germany als deutschen Vertriebspartner von Libellud für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars. Ich bin mir sicher, dass durch diese Bereitstellung meine Meinung nicht beeinflusst wurde. Die Besprechung spiegelt meine gemachte Erfahrung wider.
Ich musste bei den Bildern auch direkt an Mysterium denken – Xavier Collette hat da aber auch dran mitgearbeitet. Die Optik war auch das, was mich an dem Spiel fasziniert hat. Wir lieben Mysterium! Eigentlich mag ich Spiele mit Verrätermechanik nicht. Aber bei Obscurio hat man gar keine Zeit, sich lang und breit gegenseitig zu beschuldigen. Daher passt es hier. Wir hatten es zu fünft gespielt. Der Verräter hat bei uns auch mit seinen Händen die Zahlen angezeigt, damit es lautlos geschieht. Auf die Fallen hatten wir aber verzichtet, weil uns das für das erste Spiel zu kompliziert erschien. Der Verräter hatte bei uns übrigens gewonnen. Er konnte nicht identifiziert werden und ich als Grimoire hatte oft so unglaublich schlechte Karten, dass die anderen die Zielkarte nicht finden konnten. Momentan würde ich sagen, dass mir vom Spielerischen her (auch was den Spielfluss anbelangt) Mysterium besser gefällt. Das Material gefällt mir aber bei Obscurio besser – auch wenn die Karten rund sind. Aber in der Größe sieht man die Illustrationen so gut!
Hallo! Deinem Fazit kann ich mich sehr gut anschließen. Was lernen wir daraus? MYSTERIUM mit dem OBSCURIO-Material spielen? 😉