Outlive von Grégory Oliver – erschienen bei Pegasus Spiele
"Die Kirschen in Nachbars Garten..." Dieser Spruch fiel mir ein, als ich neulich eine Partie OUTLIVE spielte. Nicht nur, weil ich ein wenig neidisch auf das Tableau meines Mitspielers schaute, sondern weil ich kurz dachte: "ja, so in einem kühlen Bunker zu leben kann auch seine Vorteile haben". Der diesjährige Sommer lässt solche Gedanken zu. Allerdings bin ich mir bei genauerem Nachdenken sicher, dass ich doch lieber im Hier und Jetzt lebe, als in der Zeit, in der OUTLIVE spielt.
Thema... mal wieder ist unsere Erde in Zukunft von einem Atomschlag betroffen. Glücklicherweise gibt es auch dieses Mal Überlebende. Einige davon haben sich zusammengetan und suchen nun ein gemeinsames Glück. Glück bedeutet dabei: den eigenen Bunker in Stand setzen, genügend Lebensmittel zu organisieren und darauf hoffen, dass man in sechs Tagen von einem Rettungskonvoi mitgenommen wird. Alles so, wie man es aus einigen Büchern / Filmen / Videospielen kennt. Glücklicherweise fehlt dabei aber eine weitere ansonsten typische Eigenart: es gibt keine Zombies. Danke! Denn ich kann überhaupt nichts mit Zombies anfangen. Außerdem sind die für ein spannendes Setting auch gar nicht notwendig. Schließlich ist man auch so schon vielfältigen Gefahren ausgesetzt – und seien es auch nur die lästigen Jungs und Mädels vom Nachbarbunker.
Illustrationen... sind von Miguel Coimbra und – Achtung schlechter Wortwitz – atemberaubend schön. Nein, ernsthaft, ich finde seine Arbeiten wieder äußerst gelungen. Alles ist stimmungsvoll düster und dreckig. Besonders beeindruckt hat mich die gezeichnete Szene vor dem Frachtschiff im Inlay.
Aber auch die Funktionalität kommt nicht zu kurz, so dass man sich als erfahrener Spieler sehr schnell in OUTLIVE zurecht findet. So merken erfahrene Spieler z.B. auch nicht, dass auf dem Spielplan nicht alle Wegebeziehungen komplett abgebildet sind. Diesen großen grafischen Bock habe ich auch erst recht spät wahrgenommen.
Ausstattung... ist stattlich. Es gibt eine Menge Ressourcenmarker (Nahrung und Material), die zwar nicht als Holzteile daher kommen, aber dafür auf ganz dicker Pappe gedruckt sind, so dass sie sich doch sehr wertig anfühlen. Zusätzlich gibt es eine Unmenge an Ausrüstungsgegenständen und Ausbauten (Räume) für die Bunker sowie auch Ereignis- und Anführerkarten. Man merkt an dieser Fülle, dass OUTLIVE ein erfolgreiches Kickstarter-Projekt war, bei dem im Laufe der Kampagne auch für die nun vorliegende Retail-Version einiges zusätzliches Material freigeschaltet wurde.
Waren es doch Klonkriege und kein Atomunfall? Die zu findenden Überlebenden sind sich erstaunlich ähnlich. Konserven, Fleisch, Wasser, Holz, Metall, Elektronik und Munition – gut, dass es im Bunker aufgeräumter zugeht Wild schafft Fleisch – aber es muss erst gejagd werden nur ein gut ausgerüsteter Trupp kann fette Beute machen kein Ausstattungskatalog von IKEA, sondern mögliche Ausbauten der Bunker
Nicht zu vergessen sind natürlich der Spielplan, die Spieler-Tableaus (Bunker) und die schön gestalteten Meeples. Diese haben nicht ohne Grund Zahlen aufgedruckt. Nicht etwa, weil zukünftig die Überlebenden mit Nummern angesprochen werden, sondern weil diese Zahl Auskunft über die Stärke der einzelnen Personen gibt.
Ablauf... ist in zwei große Phasen unterteilt. Konsequenterweise werden diese Phase zwischen Tag und Nacht unterschieden. Da wir sechs Tage und Nächte auf den rettenden Konvoi warten, dauert eine Partie auch sechs Runden. Kernmechanismus ist, dass tagsüber Arbeiter an Orten eingesetzt werden, die dort typische Aktionen durchführen (also ist OUTLIVE der Worker-Placement-Gruppe zuzuordnen). Es gibt acht Orte und an denen werden meist Ressourcen gesammelt und Wild gejagt. Es können aber auch die Städte besucht werden, wo man entweder bei der Suche nützliche Kleingegenstände (sowie dummerweise auch leere Schränke) oder aber kaputte Ausrüstungsgegenstände findet, die man später in der Nacht gegen Abgabe von Ressourcen wieder intakt setzen kann. Alle Orte werden munter besucht, da für alle Arbeiter Bewegungszwang besteht. Allerdings ist die Reichweite auf zwei Schritte beschränkt und man darf keinen Ort besuchen, an dem schon ein eigener Arbeiter vorhanden ist. Klingt einfach, birgt aber einige Zwänge, wie jeder recht schnell am eigenen Leib erlebt.
Bei diesen verschiedenen Ort-Aktionen spielt die Stärke der einzelnen Arbeiter eine entscheidende Rolle. Einerseits kann man mehr Aktionen pro Ort durchführen, wenn man mehr Stärke aufweisen kann. Andererseits bedrohen stärkere Arbeiter auch schwächere Arbeiter – die dann ganz unterwürfig Ressourcen an den Stärkeren abdrücken (es sei denn, sie sind bewaffnet – dann wird Munition "abgedrückt"). Das alles passiert aber nur, wenn ein stärkerer Arbeiter auf einen schwächeren trifft. Bewegt sich ein schwächerer Arbeiter zu einem Ort, auf dem schon ein stärkerer steht, dann ist er so unauffällig, dass das der stärkere nicht mitbekommt.
In der Nachtphase kommt es nun zu einigen Verwaltungstätigkeiten im Bunker. Zuerst muss geprüft werden, ob Strahlung eindringt. Das passiert nicht, wenn genügend Menschen in der Luftschleuse versammelt sind (die somit makabererweise als lebende Schutzschilde fungieren). Dann müssen die Menschen im Bunker ernährt werden und es können neue Überlebende mit überzähliger Nahrung in den Bunker gelockt werden (was von vielerlei Vorteil ist, da Wasser nur begrenzt und Fleisch gar nicht mit in den nächsten Tag mitgenommen werden kann). Zusätzlich lassen sich nun Räume im Bunker ausbauen und Ausrüstungsgegenstände intakt setzen. Beides ist ratsam, da diese dann die Aktionen in der Tagphase aufwerten – allerdings muss man dafür die so knappen Ressourcen abgeben.
Am Spielende gibt es für hauptsächlich Siegpunkte für alle Überlebende sowie für vollständig gefüllte Räume. Ein paar Pünktchen gibt es auch noch für Ausrüstungsgegenstände. Einige mehr Punkte verliert man dagegen, wenn der eigene Bunker zu verstrahlt ist. Schlussendlich gibt es noch Punkte, wenn man Ereignisse abgewehrt hat.
Ereignisse? Die muss ich noch zum Abschluss der Ablauferklärung kurz erläutern. Am Anfang eines Tages wird ein Ereignis aufgedeckt, was dann alle Spieler betrifft. Diese Ereignisse haben die unschöne Eigenschaft, die Spieler im weiteren Verlauf einzuschränken. Mal gibt es weniger Ressourcen an den Orten, mal ist das Wild weniger nahrhaft oder ein anderes Mal der Bunker undicht. Diese Ereignisse sind so lange in Kraft, bis sich ein Spieler erbarmt und es gegen Abgabe von Ressourcen abwehrt. Dann freuen sich alle und dieser Spieler wird später mit Punkten belohnt.
Das gefällt mir nicht so gut: Räume sind wichtig und mächtig – schade, dass hier schon der Zufall bei der Startauswahl manche Weiche stellt. Wenn man gefühlt nur "schwache" Räume zur Auswahl hat, dann schaut man schon neidisch auf die Auswahl der Mitspieler. Um diese Ungleichheit etwas auszugleichen, schlage ich vor, dass man die Auswahl am Anfang erhöht. Oder aber man draftet die Räume. Noch besser hätte ich es aber gefunden, wenn alle Spieler gleiche Start-Sets zur Verfügung hätten, aus denen man sich dann nach persönlicher Vorliebe (bzw. gewählter Strategie) seine Lieblinge aussuchen kann. Oder aber, wenn die Anführer eigene Sets ins Spiel brächten. Denn zu Anfang der Partie zieht jeder Spieler zwei Anführer und sucht sich einen davon aus. Dieser gibt dann die Startressourcen und die relative Aufstellung bekannt. Gerne könnten sie aber meiner Meinung nach noch über eigene Räume mehr Einfluss ausüben.

Wer sich nicht auf das Thema einlassen will, der bemängelt die schwach ausgeprägte Spannungskurve. Denn im Grunde macht man sechs Runden lang die selben Aktionen: sammeln und später tauschen. Zwar vergrößert sich minimal die Strahlung und es können immer mehr Ereignisse aktiv sein, aber dafür verbessert sich auch die Ausrüstung und der Zustand des Bunkers. Allerdings passiert das alles in einem überschaubaren Rahmen. So richtig zieht da keine Spannungsschraube an, wenn man alles aus Sicht der reinen Mechanik betrachtet.
Zu zweit kann ich OUTLIVE nicht gänzlich empfehlen. Hier fehlt mir etwas die Konkurrenz, auch wenn die Rohstoffmengen mit der Spieleranzahl skaliert sind. Aber die Interaktion zwischen den ganzen Arbeitern da draußen macht einen großen Teil des Spielreizes aus – und diese ist mir im 2‑Personen-Spiel zu gering.
Auch merkt man im 2‑Personen-Spiel, wie hoch der ganze Verwaltungsaufwand von OUTLIVE ist. Zu Beginn eines neuen Tages muss der Spielplan wieder hergestellt werden. Bei acht flinken Händen geht das recht fix – sind es nur vier, kann das dauern. Aber auch die Nachtphase ist mit einigem Verwaltungsaufwand garniert. Hier sollte zügig parallel gespielt werden, sonst steht diese in keinem guten Verhältnis zur eigentlichen Aktionsphase am Tag. Diese wiederum kann sich bei wenig entscheidungsfreudigen Menschen ebenfalls ziehen. Mit all zu großen Grüblern macht OUTLIVE dann wenig Spaß.
So gut mir die Umsetzung des Themas gefallen hat, so gibt es doch dabei ein paar kleine Ungereimtheiten. So finde ich es irgendwie unglücklich, dass Überlebende als lebende Konserven fungieren. Ich kann kein Fleisch in die nächste Runde mitnehmen (im Gegensatz zu Konserven). Also tausche ich das schnell in Überlebende um, die dann halt zur Not in der nächsten Runde wieder sterben. Bis dahin haben sie mir aber vielleicht noch einen Vorteil durch einen gefüllten Raum gebracht. Das passt nicht so ganz. Hier hätte ich es schöner gefunden, wenn die Verstorbenen aktiver in die Endwertung einfließen und dabei die Spieler belohnt werden, die die geringste Sterblichkeitsrate aufweisen.
Das Material ist zwar schön dick und fühlt sich gut an. Allerdings ist es auch recht klein und somit fummelig. Hier hätten ein paar Millimeter mehr Kantenlänge ganz gut getan. Ja, die so dargestellten Ressourcen sind schöner anzusehen und transportieren besser das Thema als lediglich ein paar bunte Holzklötzchen – diese lassen sich dafür aber besser greifen.
Ebenfalls nicht ganz glücklich bin ich bei den Texten auf den Räumen. Diese sind teilweise zu wenig präzise. Ohne ein Griff zur Regel, in der die Funktionen ausführlicher beschrieben sind, sind einige nicht auf den ersten oder zweiten Blick zu verstehen. In diesem Zusammenhang ist auch unglücklich, dass die Regel die Orte nicht vernünftig sortiert hat, so dass man unnötig lange den Erklärungstext suchen muss.
Das gefällt mir gut: Die Worker-Placement-Mechanik ist eher ein Worker-Movement-Mechanismus – und diesen liebe ich schon seit LUNA. Man muss schon sehr genau seine Züge in der aktuellen Runde planen, um sich nicht selbst manövrierunfähig zu machen (und am besten denkt man auch schon an die nächste Runde). Durch die unterschiedlichen Stärken der Bandenmitglieder kommt aber noch eine weitere Tiefe in die Planungen hinein. Denn dadurch ist man dauernd im Zwiespalt. Bewege ich schnell meinen 5er-Arbeiter, kann ich mir dort viele Rohstoffe sichern – ich verzichte aber auf Drohgebärden und vielleicht eine größere Vielfalt an Rohstoffen aus den Händen meiner Mitspieler. Bewege ich dahingegen zuerst meine 3er-Arbeiter, dann können diese Opfer der gegnerischen 5er-Arbeiter werden. So wird sich ständig belauert. Denn der Platz ist eng! Die wenigen Orte sorgen dafür, dass man ständig auf Mitspieler trifft.
Ohnehin ist das Thema sehr stimmig umgesetzt. Die Zwänge des Mechanismus passen perfekt in diese düstere karge Zukunft. Alles ist knapp, man kämpft ums Überleben und denkt dabei nur an sich und die eigenen Leute. Dazu kommen noch die fiesen Ereignisse, die einem das Leben nur noch schwerer machen. Manche Mitspieler fanden diese zufällig ins Spiel kommende Ereignisse nervig (da man sich nur auf die schon bekannten einstellen kann). Ich sehe das anders, da diese auch durch den Zufall gut zum Thema passen. Ohnehin ist der Anteil an Zufallselementen nicht zu unterschätzen. Aber so stelle ich mir das auch vor. Wenn ich in den Stadtruinen etwas suche, dann kann ich mir eben nicht sicher sein, was ich dort finden werde. Auch das zu jagende Wild muss ich so nehmen, wie es auftaucht. Und um den Zufall seine Wucht zu nehmen, gibt es schließlich auch die entsprechenden Ausrüstungsgegenstände. Für mich passt jedenfalls das Verhältnis Zufall zur relativen Planbarkeit.
Gut gefällt mir auch der semi-kooperative Teil bei der Abwendung der Ereignisse. Ressourcen sind immer knapp und eigentlich gut angelegt, wenn man dafür Räume ausbaut oder Ausrüstung ausbessert. Allerdings nerven einen die Ereignisse auch und will diese schnell beseitigt wissen – zumal es dafür auch noch akzeptable Siegpunkte gibt. Hier muss man nun sehr genau abschätzen: kann ich mit dem Ereignis vielleicht besser leben als meine Mitspieler, so dass ich kein wirkliches Interesse an der Beseitigung habe? Oder gerate ich durch das Ereignis so sehr ins Hintertreffen, dass ich besser aktiv werden sollte, um es schnellstmöglich aus dem Spiel zu nehmen. Diese Abwägung ist abhängig von den eigenen Räumen und Ausrüstungsgegenständen. Auf jeden Fall bringt dieses semi-kooperative Element nochmals zusätzliche Würze ins Spiel.
Ansonsten ist eine Menge Abwechslung geboten. Die große Menge an Ausrüstungsgegenständen, Räumen und Ereignissen bringen so eine große Varianz in OUTLIVE. Damit wird auch der etwas repetitive Ablauf interessant genug. Ich zumindest finde, dass der Spannungsbogen gehalten wird und keine Langatmigkeit aufkommt.
Positiv überrascht war ich von der guten redaktionellen Arbeit. Keine Ahnung, wie sich diese Version zum Kickstarter-Original unterscheidet. Ich weiß also nicht, wie viele Veränderungen von Pegasus noch nachträglich durchgeführt wurden. Aber im Vergleich zu manch anderen Kickstarter-Spielen wurde hier schon an relativ viel gedacht. Die Spielertableaus vermitteln zusammen mit beiliegenden Übersichtskarten fast alle wichtigen Regeln. Wenn jetzt noch die Raumfunktionen eindeutiger bezeichnet oder zumindest die Räume durchnummeriert wären, (so dass man deren Funktion besser in der Regel nachschlagen könnte), dann wäre ich sogar noch zufriedener.
Abschließen möchte ich nochmals die tollen Illustrationen loben. Diese sind zum großen Teil mitverantwortlich dafür, dass man sehr gut in das Thema eintauchen kann. Ich bin wirklich beeindruckt von der tollen Arbeit von Miguel Coimbra. Mancher Charakter hätte vielleicht weniger freizügig gezeichnet werden können – aber im aktuellen Sommer kann man schon nachvollziehen, dass man gar nicht so viel Kleidung auf der Haut haben will.
Fazit: Mir gefällt OUTLIVE richtig gut. Über die ein oder andere Schwäche sehe ich gerne hinweg, da ich mich voll in dem Thema wiederfinde. Dabei ist es von der Wirkung ein wenig vergleichbar mit VITICULTURE. Auch bei diesem Spiel ist noch die ein oder andere Ecke und Kante vorhanden, aber beides sind tolle Vertreter des Worker-Placement-Mechanismus. Bei OUTLIVE werden die damit verbundenen Zwänge und Nöte thematisch greifbar. In einer Welt mit knappen Ressourcen ist Interaktion schon dadurch gegeben, dass ich meinen Mitspielern etwas wegnehme. Dass dieser mir dann wieder etwas mit Gewalt wegnehmen will, ist leider ebenfalls nachvollziehbar. Zum Glück muss ich das in der Realität nicht erleben und ich bin dankbar, dass OUTLIVE nur ein Spiel ist.
Titel | Outlive |
Autor | Grégory Oliver |
Illustrationen | Miguel Coimbra |
Dauer | 60 bis 90 Minuten |
Spieleranzahl | 2 bis 4 Spieler |
Zielgruppe | planende Kennerspieler |
Verlag | Pegasus |
Jahr | 2018 |
Ich bedanke mich bei Pegasus für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars. Ich bin mir sicher, dass durch diese Bereitstellung meine Meinung nicht beeinflusst wurde. Die Besprechung spiegelt meine gemachte Erfahrung wider.
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