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kritisch gespielt: Lift Off

Lift Off von Jeroen Vandersteen – erschienen im Hans im Glück Verlag

Lift Off - Cover
Foto: Hans im Glück Verlag

Auch wenn ich in Darm­stadt arbei­te und lebe, habe ich nichts mit der ESOC zu tun. Denn auch wenn die ESOC ein Aus­hän­ge­schild Darm­stadts ist, nimmt man sie hier in der Stadt sel­ten wahr. Da gibt es ande­re Unter­neh­men, die akti­ver in der Öffent­lich­keit sind (bspw. Merck oder die Soft­ware AG). So habe ich also kei­ne Ahnung, ob Autor Jere­on Van­ders­teen beruf­lich auch mal in Darm­stadt weil­te. Über ihn konn­te ich nur in Erfah­rung brin­gen, dass er aktu­ell für die ESA arbei­tet, nach­dem er schon für die NASA aktiv war. Aber auf alle Fäl­le ist es kein schlech­tes Zei­chen für ein Welt­raum­spiel, wenn die­ses ein Mann vom Fach ent­wi­ckelt hat. Aller­dings macht die Gra­fik schnell klar, dass man LIFT OFF nicht unbe­dingt als Simu­la­ti­on anse­hen soll­te, son­dern alles eher mit einem gewis­sen Augen­zwin­kern betrach­tet wer­den muss.

Lift Off - Spezialisten
damals gab es noch kei­ne Berater-Affären

The­ma... nicht nur die USA und die UDSSR wett­ei­fern in den 1950/60er-Jah­ren um die neu­es­ten Mei­len­stei­ne der Raum­fahr­ge­schich­te, auch vier pri­va­te Raum­fahr­agen­tu­ren machen mit bei die­sem Ren­nen ins All. Dafür gilt es For­schungs­la­bo­re aus­zu­bau­en und leis­tungs­star­ke Rake­ten zu ent­wi­ckeln. Das alles geht nur mit frem­den Fach­wis­sen, wes­we­gen man immer wie­der ent­spre­chen­de Spe­zia­lis­ten anheu­ern muss. Die­se sind aller­dings recht wech­sel­haft und wan­dern von Spie­ler zu Spieler.

Illus­tra­tio­nen… sind von Nache Ramos und sind mutig – sehr mutig sogar. Denn die gra­fi­sche Gestal­tung spal­tet die Geschmä­cker. Die eine Hälf­te mei­ner Mit­spie­ler emp­fin­det sie als pott­häss­lich, die ande­re als schlicht­weg geni­al. Ich gehö­re zur zwei­ten Grup­pe. Denn schon beim ers­ten Blick auf das Cover war es um mich gesche­hen: die­ses Spiel woll­te ich haben. Dabei neh­me ich ger­ne auch die ein oder ande­re Unge­nau­ig­keit in Kauf, denn die­ser Ret­ro­look hat es mir angetan.

Lift Off - Geld
auch hier: ohne Moos nichts los – aber das Geld hier sieht schon klas­se aus!

Aus­stat­tung… ist auf gewohn­tem Hans-im-Glück-Niveau: knuf­fi­ge Holz­ra­ke­ten, außer­ge­wöhn­li­che Papp-Plätt­chen und die berühmt-berüch­tig­ten klei­nen Kar­ten. Aller­dings fällt die­ses Mal die Zuord­nung schwer, da der Inhalt ledig­lich auf der Schach­tel­rück­sei­te auf­ge­führt wur­de und nicht im Regel­heft. Das ist ziem­lich unglück­lich! Denn so fehlt einem auch eine Hil­fe beim Ler­nen des spiel­ei­ge­nen Voka­bu­lars. Das Lesen der Regel wäre leich­ter, wenn man ver­nünf­tig nach­schla­gen könn­te, was Tech­nik­kar­ten, Mis­si­ons­kar­ten, Spie­lend­kar­ten und Spe­zia­lis­ten­kar­ten sind – und wie die­se sich von­ein­an­der unterscheiden.

Ablauf… dem The­ma gerecht wer­den, könn­te ich den Ablauf mal ganz tech­nisch erklä­ren: das Spiel geht über 2×4 Run­den, wobei jede Run­de wie­der in 4 Schrit­te unter­teilt ist. Zu Beginn...

Okay, ich ver­su­che es kür­zer: Im Grun­de genom­men, ver­sucht man ver­schie­de­ne Satel­li­ten ins All zu schie­ßen. Dafür benö­tigt man die rich­ti­gen Tech­nik­kar­ten und genü­gend Geld. Außer­dem muss auch das eige­ne For­schungs­la­bor ent­spre­chend aus­ge­baut sein und die Rake­te muss eine aus­rei­chen­de Trag­kraft besit­zen. Damit all das gege­ben ist, rüs­tet man sich mit­hil­fe von Spe­zia­lis­ten ent­spre­chend aus. Die­se kom­men auf Kar­ten daher und wer­den in jeder Run­de flei­ßig von Spie­ler zu Spie­ler gedraftet.

Lift Off - Spielertableau
Über­blick über die eige­ne Abschussbasis

Wäh­rend des Spiels erhält man für jeden erfolg­rei­chen Start Sieg­punk­te. Die­se bekommt man auch, wenn man an der gemein­sa­men Raum­sta­ti­on baut. Außer­dem wur­den vor Spiel­be­ginn Spie­lend­kar­ten ver­teilt (wie­der­um im Draft). Mit die­sen kann man noch­mals rich­tig Punk­te machen, wenn die ent­spre­chen­den Bedin­gun­gen erfüllt werden.

Das gefällt mir nicht so gut: an sich bin ich ein gro­ßer Freund des Draf­ting-Mecha­nis­mus. Aller­dings emp­fand ich die­sen bei LIFT OFF als etwas auf­ge­setzt und nicht wirk­lich ziel­füh­rend. Denn bei nur drei Kar­ten ist die Aus­wahl zum Draf­ten nun ein­mal über­schau­bar – zumal davon auch nur zwei aus­ge­spielt wer­den. Ich habe es (noch) nicht aus­pro­biert, aber ich kann mir vor­stel­len, dass das Spiel­ge­fühl nicht wesent­lich anders ist, wenn man auf das Draf­ting ver­zich­tet (außer das alles schnel­ler ginge). 

Lift Off - Spielendkarten
erst am Ende interessant

Noch unnö­ti­ger als das Draf­ten der Spe­zia­lis­ten fin­de ich das Draf­ten der Spie­len­de­kar­ten am Anfang der Par­tie. Da zu Beginn sowie­so alle Mög­lich­kei­ten offen ste­hen, kann man auch gleich die drei End­kar­ten zuge­ord­net bekom­men und dann dar­auf als Ziel spie­len. Oder um es gerech­ter zu machen: man darf sich aus fünf Kar­ten drei aus­wäh­len. Aber das vor­ge­se­he­ne Draf­ting macht die­sen Schritt unnö­tig kompliziert.

Ziem­lich unglück­lich bin ich auch mit der Spiel­re­gel. Nor­ma­ler­wei­se muss man dafür den Hans-im-Glück-Ver­lag loben. Die­ses Mal fand ich in der Regel aber nicht wirk­lich den roten Faden – dafür aber eini­ge Lücken. In gewis­ser Wei­se ist schon nach­voll­zieh­bar, war­um man sich für die gewähl­te Glie­de­rung ent­schie­den hat, aber das Nach­schla­gen fällt dabei sehr schwer. Auch fin­de ich es unpas­send, auf der ers­ten Sei­te ohne direk­ten Mehr­wert noch­mals in Gän­ze das Cover-Bild abzu­dru­cken, dann aber im wei­te­ren Ver­lauf auf die Auf­lis­tung des Mate­ri­als zu ver­zich­ten. Das gehört mei­ner Mei­nung nach in die Regel und nicht auf die Rück­sei­te der Schach­tel. Denn ger­ne neh­me ich bspw. eine Regel mit, um die­se in einer ruhi­gen Minu­te zu lesen – und dann habe ich nicht die kom­plet­te Box zur Hand. Zusätz­lich feh­len Hin­wei­se zu ele­men­ta­ren Fra­gen. Ich gehe bspw. davon aus, dass man den auf­ge­brauch­ten Sta­pel an Mis­si­ons­kar­ten durch Neu­mi­schen wie­der akti­viert – aber die Regel schweigt sich dazu aus. 

Lift Off - Spielplan
der Spiel­plan nimmt doch eini­gen Platz weg

Wenn man es genau will, ist auch der Spiel­plan in der vor­lie­gen­den Form unnö­tig. Die­ser fun­giert ledig­lich als Sieg­punkt­leis­te, als Raum­sta­ti­ons­leis­te und als Abla­ge der Mis­si­ons­kar­ten. Dann hät­te man aber auch kon­se­quent dort noch die Abla­ge für die rest­li­chen Kar­ten orga­ni­sie­ren kön­nen. So nimmt die­ser Spiel­plan viel unnö­ti­gen Platz weg, den man bes­ser für die Aus­la­ge der Mit­spie­ler nut­zen könn­te. In Abwä­gung wäre es mir lie­ber gewe­sen, man hät­te rich­ti­ge Tableaus für die jewei­li­gen Spie­ler ent­wi­ckelt und somit das dor­ti­ge Kar­ten­ma­nage­ment erleichtert.

Die Gra­fik habe ich schwer gelobt – und ich fin­de sie immer noch klas­se. Aller­dings muss man schon kri­tisch hin­ter­fra­gen, war­um die Tech­nik­kar­ten unbe­dingt die glei­chen Far­ben auf­wei­sen müs­sen, wie die Far­ben der Mit­spie­ler. So etwas ver­wirrt unnö­tig und hät­te sicher­lich auch anders gelöst wer­den kön­nen (es gibt doch mehr als nur vier Far­ben). Die gewähl­te Sym­bol­spra­che ist eigent­lich sehr gut zu ver­ste­hen und ein­deu­tig zu erken­nen. Aller­dings hät­te ich es mir gewünscht, dass sich die Sym­bo­le von "und" (│) und "oder" (/) deut­li­cher unter­schei­den lassen.

Lift Off - Detail
anfangs glaubt man gar nicht, wie weit man mit den Punk­ten kom­men kann

Das gefällt mir gut: LIFT OFF ist for­dernd. Bei mei­ner ers­ten Par­tie war ich schon froh, in jeder Run­de irgend­wie eine Mis­si­on ins All geschos­sen zu haben und dann noch am Ende noch halb­wegs eine Spie­lend­kar­ten zu erfül­len. Damit gewinnt man aber gegen geüb­te Spie­ler kei­nen Blu­men­topf. Denn mit ein wenig Übung und dem Wis­sen über die im Spiel befind­li­chen Kar­ten, kann man ganz anders agie­ren. Dann ist es kei­ne Theo­rie mehr, meh­re­re Starts pro Run­de durch­zu­füh­ren und am Ende die Maxi­mal­punk­te aus den End­kar­ten her­aus­zu­ho­len. LIFT OFF besitzt somit eine hohe Lern­kur­ve. Dabei hat man dann das schö­ne Gefühl, sich zu beloh­nen, da man mit jeder Par­tie bes­ser abschnei­det. Aller­dings muss man dazu natür­lich auch die Schat­ten­sei­te kund­tun: Anfän­ger haben es nicht leicht. Aber so ist das mit etwas kom­ple­xe­ren Titeln und ich fin­de es gut, dass Hans im Glück wie­der etwas schwer­ge­wich­ti­ge­res im Ange­bot hat.

Lift Off - Missionen
genug Vari­anz ist defi­ni­tiv gegeben

Zusätz­lich hat­te ich aber nie das Gefühl, über­for­dert zu sein. Das Spiel­prin­zip ist klar geglie­dert (wenn man sich durch die Regel durch­ge­kämpft hat). Die War­te­pau­sen sind ver­hält­nis­mä­ßig kurz und die Spiel­zü­ge recht kna­ckig. Dabei muss man dann immer ein paar unlieb­sa­me Ent­schei­dun­gen tref­fen – so ist das beim Draf­ting. Da hat man drei super Kar­ten auf der Hand und muss trotz­dem zwei wei­ter geben. Oder man hat eine mit­tel­mä­ßi­ge und eine schlech­te auf der Hand, die dann aller­dings super für den Mit­spie­ler wäre. Wel­che soll ich also behal­ten und wel­che wei­ter­ge­ben? Die­ses Spiel­ge­fühl kommt schon sehr gut zum Tra­gen. Das ist natür­lich ein klei­ner Wider­spruch zu mei­ner Kri­tik am etwas auf­ge­setz­ten Draft-Mecha­nis­mus. Sagen wir mal so: ich mag den Draft-Mecha­nis­mus sehr ger­ne. Ins­be­son­de­re wegen sol­cher Abwä­gungs­fra­gen. Die Fra­ge ist nur, ob LIFT OFF die­se Abwä­gun­gen über­haupt benö­tigt. Es wäre auch ohne die­se zu tref­fen­den Ent­schei­dun­gen ein schö­nes Opti­mie­rungs­spiel, bei dem man immer ver­su­chen muss, einer­seits genü­gend Geld zu haben aber auch die lang­fris­ti­gen Zie­le nicht aus den Augen zu verlieren.

Lift Off - Technikkarten
die Illus­tra­tio­nen sind nicht jeder­manns Sache – aber meine

Ein wei­te­rer gro­ßer Plus­punkt ist in mei­nen Augen die Gestal­tung. Ja, die ist nicht jeder­manns Sache. Aber unab­hän­gig von der Fra­ge, ob mir das gefällt, fin­de ich den Mut zu die­ser Gestal­tung lobens­wert. Es gibt so vie­le Spie­le, die nach 0815 gestal­tet sind, da muss man her­aus­ste­chen­de Arbei­ten auch mal ent­spre­chend wür­di­gen. Zumal die Gra­fik alles ande­re als wirr ist. Im Gegen­teil, sie ist gut und nach­voll­zieh­bar – nur mit dem gewähl­ten Illus­tra­ti­ons-Stil trifft man nicht jeder­manns Geschmack.

Die­ser Mut wird auch an ande­ren Stel­len deut­lich. So lie­gen im Spiel Papp­tei­le für die Raum­sta­ti­on bei – und trotz­dem ist das Puz­zeln die­ser Tei­le kom­plett frei­wil­lig und hat über­haupt kei­nen Ein­fluss auf das eigent­li­che Spiel. Natür­lich hät­te man das dann auch sein las­sen kön­nen. Aber war­um nicht, wenn man dadurch noch ein wenig zusätz­li­chen Spaß erle­ben kann? Ohne­hin kommt der Spaß nicht zu kurz. Über den ein oder ande­ren Spe­zia­lis­ten haben wir uns könig­lich amü­siert. So etwas lockert dann ein eigent­lich ziem­lich ver­kopf­tes Opti­mie­rungs­spiel auf und bringt eine the­ma­ti­sche Locker­heit ins Spiel, die ande­ren Spie­len mit ähn­li­chem Kom­ple­xi­täts­grad fehlt.

Lift Off - Raumstation
die Raum­sta­ti­on ist unnö­tig und nur eine Spie­le­rei – aber genau aus sol­chen Grün­den spie­le ich auch

Fazit: Ich kann jeden ver­ste­hen, der die Mei­nung ver­tritt, dass LIFT OFF häss­lich ist. Ich sehe das anders, aber über Geschmack lässt sich nun ein­mal strei­ten. Es wäre aller­dings ein Feh­ler, aus die­sem Grund LIFT OFF links lie­gen zu las­sen. Denn dann ver­passt man ein anspruchs­vol­les Ken­ner­spiel, bei dem die Gestal­tung und die The­men­wahl über man­che tro­cke­ne Durst­stre­cke hin­weg hel­fen. LIFT OFF ist dann ein span­nen­des Spiel, bei dem auch eine deut­li­che Lern­kur­ve erkenn­bar wird. Wie schon bei TERRAFORMING MARS zeigt sich, dass Leu­te vom Fach auch gute ent­spre­chen­de Spie­le ent­wi­ckeln kön­nen. Zumin­dest Spie­le, die ich sehr ger­ne spiele.

TitelLift Off
AutorJero­en Vandersteen
Illus­tra­tio­nenNache Ramos (und Mit­hil­fe von Andre­as Resch und dem Kreativbunker)
Dau­er30 Minu­ten pro Spieler
Spie­ler­an­zahl2 bis 4 Spieler
Ziel­grup­peret­ro­lie­ben­de Ken­ner­spie­ler
Ver­lagHans im Glück Verlag
Jahr2018

Ich bedan­ke mich bei Schmidt Spie­le (Ver­triebs­part­ner von Hans im Glück) für die Bereit­stel­lung eines Rezen­si­ons­exem­plars. Ich bin mir sicher, dass durch die­se Bereit­stel­lung mei­ne Mei­nung nicht beein­flusst wur­de. Die Bespre­chung spie­gelt mei­ne gemach­te Erfah­rung wider.

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