Als Teil der Brettspiel-Community setze ich ganz selbstverständlich voraus, dass jeder interessierte Leser sich etwas unter "Drafting-Spielen" vorstellen kann. Allerdings habe ich beim Verfassen des Artikels feststellen dürfen, dass dieser Begriff – wie so oft – mehrere Bedeutungsebenen hat. Hunter&Cron folgen der Definition von BoardGameGeek. Dabei geht es vor allem um die Auswahl von Karten. Nach deren Definition sind also auch Spiele wie ZUG UM ZUG oder THURN UND TAXIS Drafting-Spiele. Ich bin da allerdings eher bei der engeren Definition, dass man Karten auf die Hand bekommt, sich diese anschaut und einen Teil davon weiter gibt – also folge da eher Matthias Nagy mit dem "klassischen" Drafting (auch wenn Matthias dann die weiteren Möglichkeiten ausführlich aufzeigt).
In meiner Top-Liste sind dabei nur Spiele vertreten, deren Hauptmechanismus das Drafting ist. Denn als Nebenmechanismus wird Drafting recht gerne im Kenner- und Expertenspiel genutzt, um zufällige Kartenzusammenstellungen nicht ins Extreme abdriften zu lassen und somit eine höhere Chancengleichheit herzustellen (als Beispiele nenne ich mal AGRICOLA oder TERRAFORMING MARS). Ich selbst bin meist gegen solche Drafting-Zusatzregeln, da diese oftmals die Spielzeit verlängern. Dann spiele ich lieber etwas unausgeglichen, aber schneller. Allerdings ist mir das Spiel-Erlebnis auch wichtiger als ein mögliches Gewinnen. Wenn ich also Drafting betreiben will, dann am liebsten mit folgenden Spielen:
- 7 WONDERS von Antoine Bauza (erschienen bei Repos Production)
- NORTE DAME von Stefan Feld (erschienen bei alea)
- DIE HOLDE ISOLDE von Nicolas Poncin (erschienen bei Schmidt Spiele)
- BETWEEN TWO CITIES von Matthew O’Malley, Morten Monrad Pedersen und Ben Rosset (erschienen bei Morning Players)
- INIS von Christian Martinez (erschienen bei Pegasus Spiele)
Mit 7 WONDERS verbinde ich immer ein tolles Erlebnis auf der SPIEL in Essen. Die Repos-Erklärbären mit ihren markanten Sombreros quatschten wild alle umliegenden Besucher an, um recht schnell einen 7er-Tisch voll zu bekommen. Dann wurde das Spiel rudimentär erklärt und schon war man mitten drin in einer Partie – und das zusammen mit Menschen aus sieben unterschiedlichen Nationen! Dieses dabei empfundene Hochgefühl des Gemeinschaftserlebnisses begleitet mich seitdem bei jeder Partie 7 WONDERS – und da sind mittlerweile einige dazu gekommen. Denn insbesondere mit größeren Gruppen ist 7 WONDERS eine sichere Bank. Zumindest dann, wenn deren Teilnehmer ein wenig Spiele-Erfahrung haben. Denn trotz des schnellen Einstiegs ist 7 WONDERS nicht gerade trivial. Vor allem dann nicht, wenn noch die ein oder andere Erweiterung mit ins Spiel kommt. Völlig zurecht wurde 7 WONDERS 2011 auch als Kennerspiel des Jahres ausgezeichnet (und das bei großer Konkurrenz)
Zugegeben, bei NOTRE DAME ist das Drafting nur ein Teil-Mechanismus. Denn zu Anfang eines Zuges erwirbt man darüber lediglich seine Aktionsmöglichkeiten – die dann wieder einem typischen Eurogames entsprechen. Trotzdem bezeichne ich NOTRE DAME in erster Linie als Drafting-Spiel. Das liegt vielleicht auch daran, dass mir bei NOTRE DAME zum ersten Mal dieser spezielle Karten-Mechanismus in aller Deutlichkeit aufgefallen ist. Drafting ist eben nicht nur ein Aussuchen von eigenen Möglichkeiten, sondern damit ist auch immer ein Informationsgewinn über die Möglichkeiten meiner Mitspieler verbunden. Doch auch über den Drafting-Mechanismus hinaus ist NOTRE DAME ein echter Leckerbissen, der immer wieder gerne bei uns in der Gruppe auf den Tisch kommt. Allerdings sollte man Ratten mögen...
DIE HOLDE ISOLDE hat dahingegen ein ganz anderes Zielpublikum vor Augen: den Familienspieler, der nicht all zu komplexe Spielregeln mag. Und abgesehen vom etwas dümmlichen Namen, wird diese Zielgruppe perfekt bedient. Wobei ich gar nicht zu viel über den Titel herziehen sollte. Diesen finde ich zwar sehr gezwungen, allerdings muss ich auch zugeben, dass er seine Wirkung hat (kann ich immer wieder gut bei der Spielausleihe von Darmstadt spielt! beobachten). Dazu kommt noch eine ansprechende grafische Gestaltung und schon ist eine gewisse Neugier geweckt. Spielt man dann DIE HOLDE ISOLDE, wird man mit den typischen Nöten und Zwängen eines Drafting-Spiels konfrontiert werden. Wie gerne würde man zwei Karten sofort behalten oder aber auch alle weitergeben. Das verstehen sogar schon jüngere Mitspieler, die dann auch noch Freude am Thema haben. Doch, doch, als Familienspiel kann DIE HOLDE ISOLDE definitiv punkten.
Auch bei BETWEEN TWO CITIES hatte ich eine tolle internationale Einführungsrunde auf der SPIEL in Essen. Dabei ist es mehr als nur ein 7 WONDERS Clon. Denn dieses Mal spielt man nicht gegen sein direkten Nachbarn, sondern mit ihnen. Schließlich baut man mit seinem linken und rechten Nachbarn gemeinsam an einer Stadt. Die Auswahl beim Drafting fühlt sich somit auch ganz anders an als bei anderen Spielen aus diesem Genre. Ich hatte während der dazugehörigen Crowdfunding-Kampagne große Bedenken, ob das Prinzip wirklich funktionieren kann. Mittlerweile habe ich oft genug festgestellt: ja, das funktioniert – und das erstaunlich gut. Schön ist auch, dass BETWEEN TWO CITIES nicht zu komplex ist und somit auch gut mit unbedarften Mitspielern gespielt werden kann. BETWEEN TWO CITIES hat sich vor allem bei größeren Gruppen bewährt, für die 7 WONDERS einen zu schweren Einstieg bedeuten würde.
Zu INIS habe ich ein etwas zwiegespaltenes Verhältnis. Das liegt auch daran, dass ich nicht wirklich ein großer Fan von Area-Control-Spielen bin. Bei INIS kommt noch hinzu, dass die Spielzeit sehr von den Mitspielern abhängt und im Extremfall einfach viel zu lange dauern kann. Dafür hat INIS aber einen ganz tollen Drafting-Mechanismus und eine sehr eigene Grafik, die mir durch ihre Originalität richtig gut gefüllt (außerdem nicht zu vergessen die mittlerweile aufgepimpte Startspielerfigur). Man könnte es vielleicht auf den Punkt bringen: ich wünsche mir diesen Drafting-Mechanismus in einem anderen Spiel. Das hätte dann gute Chancen, diesen Platz einzunehmen. Bis dahin darf INIS auf der Top-Liste stehen bleiben.
Natürlich gibt es noch weitere interessante Drafting-Spiele, die es nicht in meine Top-Liste geschafft haben. Eines möchte ich noch unbedingt erwähnt haben, da es wirklich nur knapp das 5er-Treppchen verpasst hat: TIDES OF TIME schafft nämlich das Kunststück, ein gutes Drafting-Spiel für ausschließlich zwei Personen zu sein – und das ist aufgrund der Besonderheiten dieser Spiel-Mechanik nicht zu unterschätzen. Nicht ohne Grund interpretiert das hervorragende 7 WONDERS DUEL diesen Mechanismus auf ganz andere Art und Weise.
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