Zum Feste eine Würdigung an ein oftmals unterschätztes Hilfsmittel: die Karte. Unlängst habe ich bei DECKTECTIVE schon wieder eine neue Funktion kennenlernen dürfen (dieses Mal als Bühnenbild). Aber auch als zentrales Element der Spielmechanik ist die Spielkarte unübertroffen wandlungsfähig. Gerne bezeichne ich die Spielkarte als das Schweizer Taschenmesser unter den Spielmaterialen. Und die echten Schweizer Taschenmesser bestechen durch ihre Möglichkeit, mehrere Funktionen in einem zu vereinigen. Aus diesem Grund stehen heute die Multi-Use-Cards im Mittelpunkt. Also Spielkarten, die mehrere Funktionen im Spiel haben. Ich bleibe dabei übrigens bei der englischen Namensgebung, denn eine halbwegs griffige deutsche Bezeichnung ist mir für dieses Phänomen nicht bekannt.
Doch genug der einleitenden Worte, hier kommt nun meine entsprechende Top-Liste:
- RUHM FÜR ROM von Carl Chudyk (erschienen bei Lookout Spiele)
- OH MY GOODS von Alexander Pfister (erschienen bei Lookout Spiele)
- SAN JUAN von Andreas Seyfarth (erschienen bei alea)
- A FEW ACRES OF SNOW von Martin Wallace (erschienen bei Treefrog Games)
- BRÜGGE von Stefan Feld (erschienen im Hans im Glück Verlag)
Bei RUHM FÜR ROM habe ich erst- und auch letztmaligst versucht, mir die Regeln über ein Erklärvideo beibringen zu lassen. Ich lese an für sich gerne Regeln und behaupte, dass ich dabei meist auch eine recht gute Vorstellung des Spiels erhalte. Aber bei RUHM FÜR ROM habe ich nur Bahnhof verstanden. Das lag meiner Meinung nach aber nur bedingt an der Güte der Regel, sondern mich verwirrten maximal die ganzen Einsatzbereiche der Karten. Die Möglichkeiten waren so vielfältig und alles so fein miteinander verwoben, dass ich beim Lesen überhaupt keine Ahnung bekommen habe, wie das funktionieren soll. Also schaute ich ein Video – und war immer noch verwirrt. Zum Glück habe ich dann das Spiel erklärt bekommen und nun hat es im Kopf "klick" gemacht. Seit dem bin ich schwer begeistert von diesem tollen Spiel, so dass ich mich sogar bei ebay in Unkosten gestürzt habe, um mir eine passende Lego-Minifigur zu besorgen.
Bei RUHM FÜR ROM sind die Karten u.a. Bauplätze, Bauwerke, Rollen, Siegpunkte, Baumaterial und und und. Wenn man die Regeln einmal verinnerlicht hat, kann man dieses ganze Gewirr recht gut auseinander halten und dann sogar die vielen Kleinigkeiten genießen. Dabei ganz vorne dabei sind die tollen Grafiken von Klemens Franz, die einen nicht unbegründet an Asterix und Obelix erinnern. Aber auch andere kleine Knuffs erhalten die Freude. Wenn man mal wieder Karten nachziehen muss, dann kann man ganz der klassische Philosoph sein und geht ersteinmal eine Runde nachdenken.
Mit OH MY GOODS! ist ein weiteres Spiel aus dem Hause Lookout auf den vorderen Plätzen gelandet. Allerdings weist dieses Werk von Alexander Pfister einen ganz anderen Charakter auf. Denn im Gegensatz zum schwergewichtigeren RUHM FÜR ROM ist OH MY GOODS! ein auf das Wesenliche reduzierte Engine-Builder. Hier gilt es Produktionsgebäude zu errichten und Warenketten optimal zu nutzen. Dabei nehmen die Karten ebenfalls eine Vielzahl von Funktionen ein (Waren, Bauwerke, Geld...). Und da nicht nur die Karten vielfältig sein sollen, ist sogar noch ein weiter interessanter Spielmechanismus vorhanden. Damit OH MY GOODS! nämlich fluffig leicht bleibt, ist ein Push-Your-Luck-Element enthalten – das natürlich ebenfalls über die Karten gesteuert wird. Mir gefällt zudem die thematische Einbettung sehr gut. Ebenfalls, dass auch Montagsgefühle mit Hang zum schlampigen Arbeiten gewürdigt werden.
Nach zwei Storyerweiterungen ist nun mit AUFBRUCH NACH NEWDALE sogar ein eigenes Brettspiel erschienen, das auf OH MY GOODS! basiert. Bei diesem merkt man dann, wie elegant der Kartenmechanismus des Ursprungs doch ist.
SAN JUAN wiederum ist der Kartenableger eines berühmten Vorgängers. Nicht ohne Grund wird es mittlerweile als PUERTO RICO KARTENSPIEL vermarktet. Da ich es allerdings als SAN JUAN kennengelernt habe, werde ich es auch weiterhin so bezeichnen. Aufmerksame Leser meines Blogs ist dieses Kartenspiel von Andreas Seyfarth sicherlich schon öfters begegnet (es ist eine Art Stammgast in diversen Top-Listen).
Bei SAN JUAN bin ich auch erstmals mit Multi-Use-Cards in Berührung gekommen. Ich war von Anfang an ziemlich beeindruckt, was man mit Karten so alles machen kann. Bisher kannte ich lediglich aus BOHNANZA die Doppelfunktion aus Karten, die auch Geld darstellen. Nun standen die Karten für ganz viele Möglichkeiten. Dass PUERTO RICO immer noch eines meiner Lieblingsspiele ist, spielt sicherlich bei der Bewertung von SAN JUAN auch eine Rolle. Aber auch unabhängig davon habe mich in dieser Welt immer wohler gefühlt als bspw. im Weltraum. Was vielleicht auch daran liegt, dass die Karten bei SAN JUAN im Gegensatz zur RACE FOR THE GALAXY mit Texten versehen wurden und nicht alles über eine neu zu erlernende Symbolsprache geregelt wird.
A FEW ACRES OF SNOW wiederum kommt ganz anders als die bisherigen Listenplätze daher. Einerseits ist hier eine gewisse Verwandtschaft zu dem aus den War Games bekannten Card Driven Mechanismus zu erkennen – kein Wunder, dass es bei A FEW ACRES OF SNOW auch um einen historischen Konflikt geht, den wir in Deutschland nur bedingt kennen (obwohl Franzosen gegen Briten kämpften). Viel entscheidender ist aber ein anderes Element: denn A FEW ACRES OF SNOW ist ein waschechtes Deckbuilding-Spiel. Zusätzliches ist es auch ein reines 2‑Personen-Spiel.
Alles ins allem ist A FEW ACRES OF SNOW somit eine sehr reizvolle Kombination von Elementen, die man so nicht unbedingt in einem Spiel erwarten würde. Die Karten können dabei vielfältig genutzt werden und dienen sowohl als Kampf-Einheiten, wie aber bspw. auch als Felle, die wiederum verkauft werden können – Multi-Use-Cards eben.
BRÜGGE habe ich in der letzten Zeit öfters erwähnt (unter anderem ist Richter Julius mein aktueller Mitarbeiter des Monats). Und auch wenn es vielleicht nicht eines meiner Lieblingsspiele ist, kommt man bei einer solchen Top-Liste zu Multi-Use-Cards nicht an BRÜGGE vorbei. Zu vielfältig sind meiner Meinung nach die verschiedenen Kartenfunktionen (Geld verdienen, Kanäle bauen, Handlanger anwerben...). Außerdem ist BRÜGGE auch ein neuer Genre-Vertreter, denn die bisherigen Spiele würde ich alle nicht als typische Euros bezeichnen.
Stefan Feld schafft es aber, diesen Multi-Use-Cards-Mechanismus in ein für ihn charakteristisches Spiel zu packen. Am Ende geht es um die ominösen Siegpunkte und natürlich müssen wir Spieler auch mit einer Art Bedrohung zurecht kommen. Mir ist dabei das Karten-Nachzieh-Glück (in Kombination mit dem ebenfalls vorhandenen Würfelglück) etwas zu ausgeprägt, um es letztendlich als empfehlenswert zu bezeichnen. Aber gegen ein Partie BRÜGGE würde ich mich wiederum auch nie wehren.
Wie immer kommt bei solchen Top-Listen die Frage auf: "Und, welche Spiele hätten es noch verdient?" Oben erwähnt habe ich schon RACE FOR THE GALAXY. Das hat aber für mich das Problem, dass ich es zu selten spiele und ich dann immer wieder erst die Symbolsprache neu erlernen muss, um es letztendlich flüssig spielen zu können. Zusätzlich bevorzuge ich im Zweifelsfall immer ROLL FOR THE GALAXY. Aber Autor Tom Lehmann hat seinen dort aufgenommen Multi-Use-Cards-Mechanismus ebenfalls gut in THE CITY verarbeitet, was als kleines Urlaubs-Kartenspiel gerne mal mitgenommen wird.
Ganz knapp an den Top 5 vorbei geschrammt ist bei mir noch WESTERN LEGENDS von Hervé Lemaître. Bei diesem Western-Spiel können die beiliegenden Karten sehr multifunktional genutzt werden – bspw. um Poker zu spielen. Prinzipiell mag ich WESTERN LEGENDS sehr gerne, auch wenn es das Gegenteil eines stromlinienförmigen Euros ist. Somit ist es mehr ein Erlebnis als ein zielgerichtetes Spiel – aber das will man manchmal auch haben.
Im weiteren Sinne hatte ich noch PORT ROYAL und TYBOR DER BAUMEISTER auf meiner Auswahlliste. Womit man die Theorie aufstellen könnte, dass Autor Alexander Pfister gewissermaßen Fan von Multi-Use-Cards ist.
Im ersten Anlauf ganz vergessen, muss ich auch noch LA GRANJA von ode. erwähnen. Das ist ebenfalls ein reinrassiges Euro-Spiel mit tollen multifunktionalen Karten. Ich nehme mir schon die ganze Zeit vor, darüber mal zu schreiben, aber irgendwie komme ich leider nicht dazu.
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