Auch dieses Jahr wieder: meine positiven Überraschungen auf der SPIEL 2021 als Top-Liste
Traditionen wollen gelebt werden. Bevor ich mich an meinen Fazit-Artikel setze, nun also erst einmal als Appetithäppchen meine positiven spielerischen Überraschungen auf der SPIEL 2021. Natürlich könnte ich in diesem Zusammenhang auch etwas über negative Überraschungen sprechen. Aber da diese Erfahrungen allesamt auf Ersteindrücken basieren, möchte ich nicht, dass dabei das ein oder andere Spiel zu negativ gekennzeichnet wird. Sonst hätte ich damals bspw. bei ALTIPLANO meinen Erstpartie-Frust von der Seele geschrieben, um später dann das Spiel doch noch ausgiebig zu loben.
Bei dieser alljährlichen Überraschungs-Liste beschränke ich mich auch dieses Mal wieder auf die Neuheiten, die ich bisher hier im Blog noch nicht im Vorfeld besprochen habe. Ein paar Spiele meiner Vorfreude-Liste haben mich z.B. überzeugt (ARCHE NOVA ist toll, LISBON TRAM 28 ebenfalls), viele konnte ich aber noch gar nicht anspielen. Entweder weil mir die Zeit dafür fehlte oder weil die Spiele schlichtweg noch gar nicht vorlagen. Aber das wird sicherlich noch nachgeholt. Außerdem entdeckt man auf der Messe auch immer wieder Spiele, die man vorher noch nicht im Fokus hatte und die einen dann beim ersten Anspielen überzeugen. Meist hält die Begeisterung auch an, wenn dann noch mehrere Partien dazu kamen. So bin ich gespannt, ob die nun folgenden Spiele zum Dauerbrenner werden oder doch nur ein kurzes Messe-Glühwürmchen sind. Im Ersteindruck haben mich aber diese Spiele am meisten überzeugt:
CODEX NATURALIS von Thomas Dupont (erschienen bei Bombyx bzw.Huch!)
Hach, über CODEX NATURALIS könnte ich nun lange und ausgiebig schwärmen, weil ich das so wunderschön finde. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, aber die Illustrationen von Maxime Morin lassen zumindest meine Geschmacks-Nerven komplett aufblühen. Doch nicht nur die Illustrationen wissen zu gefallen, auch die Blechdose und die vergoldeten Karten haben das gewisse Etwas.
Allerdings weiß CODEX NATURALIS nicht nur durch Äußerlichkeiten zu überzeugen, sondern auch mit spielerischen Inhalten. Im Kern ist es ein Legespiel, bei dem einzelne Karten an den Ecken überlappend abgelegt werden. Auf diesen Ecken sind Symbole abgebildet, die teilweise Ausspielbedingungen darstellen oder aber Siegpunktgeneratoren. Man ist also ständig in der Zwickmühle, welche Symbole man nun abdecken kann und welche nicht. Wesentlich mehr Regeln kennt das Spiel gar nicht, so dass man nach fünf Minuten Erklärzeit schon loslegen kann. Es will also gar kein abendfüllender 2‑Stunden-Klopper sein, sondern ein kniffliges 30-Minuten-Spiel mit vielen kleinen Entscheidungen – bei denen man auch die Mitspielenden ein wenig ärgern kann, wenn man gewisse Karten aus dem offenen Nachziehstapel wegschnappt. Für mich ist CODEX NATURALIS ein echtes Messe-Highlight!
BALADA von Jakub Muřín, Jindřich Pavlásek und Petr Vojtěch (erschienen bei Albi)
Der Albi Verlag kam mit einigen schönen Spielen auf die SPIEL nach Essen. TERRA FUTURE ist bspw. ein schöner schneller Engine-Builder, bei dem man lediglich 9 Karten in ein 3*3‑Raster auslegt. Das hat mir schon ganz gut gefallen. Aber noch mehr hat mit BALADA überzeugt. Vielleicht auch deswegen, da ich so ein großer Roll-and-Write Fan bin – wobei BALADA der Unterkategorie des Flip-and-Write zuzuordnen ist.
Die Mechanik ist bekannt und leicht verstanden. Es werden pro Spielzug drei Karten aufgedeckt. Eine zeigt eine Landschaft, die anderen beiden Ereignisse. Nun hat man zur Aufgabe, eines dieser beiden Ereignisse in ein passendes Landschaftsfeld auf dem kleinen Spielplan einzuzeichnen. Dieser zeigt die zeitliche Abfolge eines Heldentages und auf der Rückseite einer Heldennacht. Nachdem nämlich alles Landschaften gefüllt sind, schreitet die Heldin oder der Held den Pfad ab und führt die Ereignisse durch. Mal befreit man eine Prinzessin, mal öffnet man eine Truhe oder sammelt Schwerter auf, die man im Kampf gegen einen Bösewicht benötigt. Für erfolgreich überstandene Ereignisse wird man mit Punkten belohnt. Übrig gebliebene Schwerte (aber auch Wunden) nimmt man übrigens von der ersten Tag-Runde mit in die finale Nacht-Runde.
So richtig viel Fleisch hat BALADA gar nicht zu bieten. Aber es kommt sehr charmant herüber und die kurze Spielzeit macht es zu einem thematisch stimmigen kleinen Aperitif oder Absacker. Zusätzlich überzeugt mich auch wieder die besondere grafische Gestaltung. Für mich ist es somit eine der positiven Überraschungen auf der SPIEL 2021, da man dazu im Vorfeld fast nichts mitbekommen hat.
MINDBUG von Skaff Elias, Richard Garfield, Marvin Hegen und Christian Kudahl (erschienen bei Nerdlab Games)
MINDBUG hatte es anfangs nicht so leicht in meiner Gunst. Denn es erinnert in vielerlei Dinge an MAGIC: THE GATHERING – und das mag ich so gar nicht. Wahrscheinlich oute ich mich als Banause, aber meine Versuche, in diese Spielewelt einzusteigen, endeten immer im Fiasko. Warum sollte ich mich mit einem derart unnötig komplizierten und langatmigen Spielprinzip auseinander setzen müssen? Als Schüler mit unendlich viel freier Zeit hätte ich das wahrscheinlich sogar getan, aber damals fehlte mir dafür das notwendige Kleingeld. Und ohnehin bin ich nicht wirklich der Typ für solche 2‑Personen-Kartenduell-Spiele. Mit RIFTFORCE konnte ich noch gerade so leben, aber auch mit KEYFORGE fremdel ich immer noch, auch wenn ich das aufgrund meiner eigenen fjelfras-Decks lieben müsste.
Nun habe ich im Messe-Vorfeld eine liebe Anfrage von Nerdlab Games erhalten, ob ich mir nicht mal deren MINDBUG ansehen würde wollen. Da mich der Enthusiasmus dahinter angesprochen hat, bin ich dieser Anfrage gerne nachgekommen, auch wenn ich bezüglich des Spielprinzips skeptisch war. Und siehe da: MINDBUG konnte mich durchaus überzeugen, weil auf ganz viel Geplänkel verzichtet wird. Da müssen keine Ressourcen gesammelt und Karten aufgeladen werden, da geht es von Anfang an zur Sache. So ist MINDBUG ein schnelles Spiel, was man auch gut mal mitnehmen kann. An den Abenden in Essen war es jedenfalls schon ein treuer Begleiter. Die ersten Vorab-Exemplare haben sich auch sehr gut verkauft, so dass die nun anlaufende Kickstarter-Kampagne sicherlich ein Erfolg werden wird.
OLTRÉÉ von Antoine Bauza und John Grümph (erschienen bei Studio H)
Schon auf der Messe stolperte ich über den Namen OLTRÉÉ. Ist das ein Wortspiel, dass ich nicht verstehe? "Old tree" kommt einem dabei in den Sinn, aber ist das wirklich gemeint? Kann mir da jemand helfen? Zumindest habe ich herausgefunden, dass es auf dem gleichnamigen Rollenspiel Oltréé! basiert, welches ebenfalls von John Grümph entwickelt wurde. Wahrscheinlich war sein Anteil an diesem kooperativen Brettspiel somit auch geringer als der seines Kollegen Antoine Bauza. Aber das ist reine Spekulation meinerseits.
Jedenfalls fühlt sich OLTRÉÉ auch wie ein typisches Rollenspiel an, da man dauernd Würfelproben ablegen muss. Inhaltlich geht es darum, dass wir eine alte Festung wieder aufbauen und verteidigen sollen. Zusätzlich warten im Umland Aufgaben und Probleme auf uns, die es zu lösen gilt. Das ist alles nicht sonderlich spektakuläre und innovativ. Aber es ist wunderbar stimmig und bietet mit der schönen Ausstattung und den überwältigenden Illustrationen von Vinvent Dutrait einen absoluten Schauwert. Nicht ganz klar wurde mir, wie hoch letztlich der Wiederspielreiz sein wird. Aber das Spiel behalte ich im Auge und warte auf die Zeit, bis es dann bei Board Game Box auf deutsch erhältlich sein wird.
SQUARING CIRCLEVILLE von Matt Wolfe (erschienen bei Spielworxx)
SQUARING CIRCLEVILLE hat mich vor allem deshalb gepackt, da es wunderbar das besondere Thema transportiert. Denn es spielt ein Stück echter Geschichte nach. In Circleville, einer Stadt in Ohio (USA), wurde das vormals runde Straßennetz nach und nach in ein quadratisches Raster umgewandelt. Dazu wurden erst Teile der Stadt abgerissen und dann wieder neu aufgebaut.
Genau das muss man nun auch bei SQUARING CIRCLEVILLE machen. Dabei gibt es überschaubare vier mögliche Hauptaktionen, die zudem noch über den von mir so geliebten Rondell-Mechanismus ausgewählt werden. Die Siegpunkt-Berechnung erfolgt über Mehrheiten in den einzelnen Stadtvierteln. Das ist alles sehr zugänglich, schnell verinnerlicht und geht rasch von der Hand. Manche hätten vielleicht etwas mehr Komplexität bei einem Spielworxx-Titel erwartet, aber ich bin ja der Meinung, dass Eleganz wichtiger ist als Komplexität.
Schlucken musste ich allerdings beim aufgerufenen Preis von 70 Tacken. Ja, ich kenne die Zusammenhänge, die auch aufgrund der kleinen Produktionsmengen von Spielworxx entstehen. Trotzdem wurde da bei mir persönlich eine Schmerzgrenze überschritten. Die wird auch nicht dadurch verschoben, dass schönes Holzmaterial enthalten ist und mir die reduzierte Gestaltung von Harald Lieske sehr gut gefällt. Aber vielleicht erhalte ich mal einen unerwarteten Geldsegen und dann gönne ich mir das Spiel doch noch.
Wo ich schon bei Rondell-Spielen bin. Auf der SPIEL hatte ich die Möglichkeit, zusammen mit Autor Mac Gerdts die Weiterentwicklung von TRANSATLANTIC zu spielen. Da wurde nochmals deutlich Hand angelegt und TRANSATLANTIC II geht nun mehr in Richtung NAVEGADOR als CONCORDIA. Trotzdem bleiben die typischen Elemente von TRANSATLANTIC enthalten (neuere Schiffe verdrängen ältere Schiffe, ohne Kohle geht nichts...) Da freue ich mich sehr darauf – und es gibt damit wohl schon jetzt einen heißen Kandidaten auf die vorderen Plätze bei der nächstjährigen Vorfreude-Liste.
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