Noch immer gilt bei deutschen Verlagen die wohl nicht unberechtigte Meinung, dass Western als Spiele-Thema eher Kassengift ist. Ich kann das nicht bestätigen, da bei mir persönlich das Westernthema eher ein Grund ist, mir das Spiel genauer anzusehen. Aber ich habe als Kind auch Karl May Bücher verschlungen. Allerdings muss ich zugeben, dass ich auch schon viele schlechte Western-Spiele spielen musste. Doch ich über diese will ich gar nicht reden, schließlich erstelle ich nur Top- und keine Flop-Listen. Somit einmal schnell nachladen und dann die Top-Liste nach und nach ins Visier nehmen...
- COLT EXPRESS von von Christophe Raimbault (erschienen von Ludonaute)
- WESTERN LEGENDS von Hervé Lemaître (erschienen bei Kolossal Games)
- BANG! THE DICE GAME von Michael Palm und Lukas Zach (erschienen bei Abacusspiele)
- GREAT WESTERN TRAIL von Alexander Pfister (erschienen bei eggertspiele)
- A FISTFUL OF MEEPLE von Jonny Pac (erschienen bei Final Frontier Games)
Über COLT EXPRESS muss man eigentlich kaum noch etwas schreiben. Als Spiel des Jahres-Titelträger muss es sich nicht über mangelnde Bekanntheit beschweren. Ich hatte mich damals sehr gefreut, als es für mich überraschend ausgezeichnet wurde. Dabei gründete sich die Überraschung nicht auf die definitiv vorhandene spielerische Qualität, sondern ich war schlicht verwundert, dass es sich trotz des speziellen Themas durchsetzen konnte.
In das Spiel selbst war ich übrigens auf dem ersten Blick verliebt – dieser fiel allerdings nicht auf das Cover oder ein ausliegendes Exemplar, sondern ganz entgegen meiner sonstigen Gewohnheit auf ein Trailer-Video. Schon da war deutlich, dass COLT EXPRESS ein Art nachgespielter Western ist. Als ich dann auf der Zugfahrt zur SPIEL nach Essen die Regel las, war klar, welches Spiel ich mir sofort auf der Messe besorgen musste – schließlich bin ich auch bekennender ROBO RALLY Fan. Diese Entscheidung habe ich nie bereut, sondern seitdem immer wieder viel Spaß mit dem Spiel – was auch daran liegt, dass man es gut als App oder auch bei der Board Game Arena spielen kann. So ist dieser erste Platz in der Top-Liste relativ ungefährdet, auch wenn die Konkurrenz stark ist.
WESTERN LEGENDS weist im Vergleich zu COLT EXPRESS ein ganz anderes Spielgefühl auf. Statt knackige Action auf einem Zug zu erleben, kann man sich hier eher wie die drei zwielichtigen Revolvermänner in ihren langen staubigen Mänteln fühlen, die am Bahnhof auf die Einfahrt des Zuges warten. WESTERN LEGENDS ist nämlich wesentlich epischer angelegt und wird von mir gerne als Musterbeispiel eines Sandbox-Spiels herangezogen. Man kann in diesem Spiel all das machen, worauf man als Westernheld Lust hat: man kann in der Stadt pokern, sich mit Banditen duellieren, nach Gold schürfen und Vieh treiben. Man kann aber auch das Vieh stehlen und die Bank überfallen, wenn man lieber die Karriere eines Outlaws führen will.
Doch dieses Spielgefühl ist nicht für alle Spielertypen geeignet. Wenn man WESTERN LEGENDS nur als siegpunktorientierter Euro-Spieler erlebt, dann hat es seine Schwächen, da eine Strategie deutlich stärker ist als andere. Wenn man sich aber über eine bestimmte Zeitspanne einfach nur in einer Westernumgebung ausleben will, dann ist WESTERN LEGENDS unschlagbar. Mit dem richtigen Soundtrack im Hintergrund taucht man ein in die staubige Weiten der Prärie.

BANG! THE DICE GAME wiederum ist so ziemlich das Gegenteil von WESTERN LEGENDS. Hier geht es Schlag auf Schlag bzw. Würfel auf Würfel. Wie auch im Original als Kartenspiel liegt der Reiz in den unbekannten Rollen der Mitspielenden. Der Sheriff ist klar zuzuordnen, doch wer sind seine Helfer und wer sind die Banditen? Und wer überlebt am Ende die wilde Schießerei? Das sind die entscheidenden Fragen und mit ein wenig Pech stellt sich heraus, dass man andauernd den falschen Leuten die Schadenswürfel hingeschoben hat.
Im Vergleich zu BANG! weiß THE DICE GAME durch das gestrafftere Spielgeschehen zu überzeugen. Hier kann man auch mal etwas früher ausscheiden, ohne noch stundenlang dem weiteren Partienverlauf folgen zu müssen. Zusätzlich gibt es auch hier verschiedene unterschiedliche Charaktere, die alle erkundet werden wollen.

GREAT WESTERN TRAIL ist dahingegen der Pazifist unter den hier vertretenen Western-Spielen. In diesem Werk gibt es keine rauchenden Colts und auch keine anderweitige Gewalt. Gegen die Einheimischen wird nicht gekämpft, sondern in vertrackter Weise Handel getrieben. So ganz passt das alles nicht zusammen, aber trotzdem empfinde ich GREAT WESTERN TRAIL als Western-Spiel. Denn die anderen Themen wie Viehtrieb, Bahnausbau und Besiedelung finde ich überzeugend wieder – auch wenn die große Stärke von GREAT WESTERN TRAIL sicherlich die überragende Mechanik ist.
Wer also überzeugte Euro-Spieler im Umfeld hat, die beim Western-Thema reflexartig die Nase rümpfen, der sollte sie von einer Partie GREAT WESTERN TRAIL überzeugen. Und vielleicht sind dann die Hemmungen beim nächsten Mal etwas niedriger, wenn es wieder in den Wilden Westen geht. Um dann keinen Kulturschock zu erzeugen, kann erst einmal mit Spielen wie RAILROAD REVOLUTION oder PIONEERS weitermachen.
A FISTFUL OF MEEPLES hatte ich anfangs gar nicht so wirklich auf dem Schirm. Es war eher ein kleiner Crowdfunding-Beifang für das ebenfalls im Wilden Westen angesiedelte COLOMA. Letzteres ist nicht schlecht, aber A FISTFUL OF MEEPLE ist noch besser. Dieses kombiniert erfrischend den Mancala-Mechanismus mit Worker-Placement-Elementen. Nebenbei spielt auch noch Dynamit eine tragende Rolle und natürlich dürfen auch Duelle nicht fehlen (wie man es bei der tollen Cover-Illustration auch erwarten darf). In der Summe hat mein wunderbar kompaktes Spiel, was definitiv Westernfeeling verbreitet.
Welche weiteren Spiele müssen noch ehrenhaft erwähnt werden? Da ist an erster Stelle REVOLVER zu nennen. Ein schönes asymmetrisches 2‑Personen-Kartenspiel, was auch nur so vor Thema trieft und es ganz knapp nicht in das Ranking geschafft hat. Ebenfalls noch in der engeren Auswahl war FLICK 'EM UP, was eine Schießerei überzeugend als Schnippspiel (!) umsetzt. Großes Kino, was aber leider etwas zu sehr von den speziellen Fähigkeiten der Mitspielenden abhängig ist. COLOMA habe ich schon angesprochen. Das gefällt mir gut wegen der geheimen Rollenauswahl, bietet mir aber etwas zu wenige Western-Gefühl.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch noch LEWIS & CLARK sowie CARSON CITY. Und ganz aktuelle haben wir sehr viel Spaß mit dem kleinen Memo-Spielchen GOLD.
Gute Liste! Ich finde ja, dass Desperados total unterschätzt wird, für mich eines der besten Westernspiele. Außerdem warte ich gespannt auf The Few and Cursed – großartiges Artwork und ein Kandidat für einen "Hidden Champion" im Deckbuilding
DESPERADOS ist damals an mir vorbeigegangen. Da kann ich leider gar nichts zu sagen. Bei THE FEW AND CURSED ist mir das Thema zu wild (wobei das dann eigentlich zum "Wilden" Westen passen müsste). Ähnlich geht es mir auch bei SHADOWS OF BRIMSTONE. Ich mag es lieber klassisch und kann mit diesem ganzen Monster-Gedöns nichts anfangen (so meide ich auch alle Spiele mit Cthulhu-Thema). Aber mitspielen würde ich es wohl trotzdem gerne einmal.