Colt Express von Christophe Raimbault – erschienen bei Ludonaute

Eines meiner absoluten Lieblingsspiele ist definitiv ROBO RALLY! Leider ist das jetzt nicht unbedingt ein Spiel für jedermann und insbesondere nach einem anstrengenden Tag wollen sich leider viel zu wenige meiner Mitspieler mit komplizierten Förderbändern, Laserfallen oder Roboterpressen auseinander setzen. Deswegen habe ich schon immer nach Spielen Ausschau gehalten, die den genialen simultanen Programmier-Mechanismus aufgreifen und mit einfacheren Abläufe versehen. Kurz dachte ich, dies in TWIN TIN BOTS gefunden zu haben. Seit zwei Jahren weiß ich es aber besser: COLT EXPRESS ist es!
Thematisch wird der Programmier-Mechanismus nicht weiter ausgeführt: wir befinden uns nun vielmehr im Wilden Westen – ein Thema, was in Deutschland bei Brettspielen als Kassengift angesehen wird. Dass diese Aussage nicht auf COLT EXPRESS zutrifft liegt wohl auch daran, dass die ganze Aufmachung des Spiels das Thema eher mit einem Augenzwinkern aufgreift. Aber zum Augenzwinkern kommt man kaum, da man ersteinmal die Augen aufreißt, um sich das tolle Spielmaterial anzusehen. Anstatt eines Spielbretts wird das Spielgeschehen in einen tollen 3D-Zug verlagert. Den gilt es anfangs zusammen zu bauen (für einen dauerhaften Spielspaß empfehle ich den ein oder andere Tropfen Kleber). Zusätzlich war noch Platz auf den Stanzbögen, so dass noch Dekomaterial in Form von Kakteen oder Büffelskeletten beigelegt wurden. Natürlich total unnütz – schafft aber Atmosphäre. Glücklich sind auch die, die noch den zusätzlichen Spielplan besitzen, da auch dieser die Westernstimmung verstärkt. Einzig: es fehlt eine gleichwertige Startspielerfigur. Doch das lässt sich zum Glück ja ändern! 😉

Um was geht es? Wir Spieler steuern jeweils einen Banditen, der einen Zug ausraubt. Dort haben die mitreisenden Passagiere wertvolle Geldbeutel aber auch Edelsteine bei sich, derer wir habhaft werden wollen. Zusätzlich fährt noch ein Marschall mit, der auf einen Geldkoffer in der Lokomotive aufpassen soll – aber im Laufe des Spiels verlässt er seinen Platz, um nachzusehen, was denn im Zug los ist. Gewonnen hat am Ende der Spieler, der das meiste Geld besitzt. Dafür muss man fleißig rauben – oder zumindest gut schießen. Denn der beste Schütze bekommt noch einen Bonus von 1.000 $ (den gleichen Wert besitzt auch der Koffer, die anderen Gegenstände sind zwischen 250 $ und 500 $ wert).
Wie es wird geschossen? In einem Familienspiel? Ja ... und das ist auch gut so! Schließlich spielen wir hier einen Spaghetti-Western nach und da müssen auch blaue Bohnen fliegen. Allerdings ist dieses Element gut in das Spiel eingebaut. Wer getroffen wird, stirbt nicht etwa, sondern erhält nur einen Streifschuss, der ihn im folgenden behindert. Wie das? Der Ablauf funktioniert folgendermaßen: Die Spieler besitzen zehn Aktionskarten, die für die Aktionen bewegen, schießen, prüglen, Beute aufheben und Marschall bewegen stehen. Am Anfang der Runde mischt man diese und zieht sechs auf die Hand. Eine zufällig bestimmte Rundenkarte gibt vor, wie diese Aktionskarten reihum auf einen gemeinsamen Ablagestapel zu spielen sind. Dabei kann es bspw. vorkommen, dass Karten verdeckt und nicht offen gespielt werden, weil der Zug durch einen Tunnel fährt. Mit diesen Aktionskarten plant man also seine Runde im Voraus (so wie man bei Robo Rally seine Roboter programmiert). Ob dann alles wie geplant funktioniert, erfährt man bei der Auswertung. Wie bei MAMMA MIA! wird der ausgespielte Ablagestapel nun umgedreht und anschließend die Karten in der Ausspiel-Reihenfolge ausgeführt. Und bekanntlich kommt es dann meist anders, als man vorher geplant hat! Bekommt man dabei einen Schuss ab, so erhält man eine Karte, die im weiteren Spielverlauf einem die Hand zumüllt, da man mit dieser Karte keine Aktion durchführen kann. Bekomme ich also viele Schüsse ab, bin ich schwer verletzt und kann nur noch wenig machen.

Was macht den besonderen Reiz aus? Bei diesem Spiel steht weniger das Spielende mit dem Sieg eines Spielers im Mittelpunkt, sondern das Erlebnis dorthin. Es werden viele kleine Geschichten erzählt; man hat das Gefühl, dass man einen Film nachspielt. Nicht alles ist perfekt. Die Handhabung des tollen Materials ist ein wenig fummelig (vor allem für ungeschickte Finger) und wenn man ungünstig sitzt auch unübersichtlich. Man hat auch das Gefühl, dass die Charaktere mit ihren Spezialfähigkeiten unterschiedlich stark sind. Das sind aber geringfügige Mängel im Vergleich zu dem Spielerlebnis, was einem geboten wird. Ich kann mich immer wieder satt sehen an den tollen Illustrationen von Jordi Valbuena. Ich freue mich immer wieder wie bolle, wenn mein Plan funktioniert und ich dabei noch einem Mitspieler in Suppe spucken konnte. Und wenn es mich trifft? Dann weiß ich, wen ich in der folgenden Runde ins Visier meines Revolvers nehme!
COLT EXPRESS ist nicht ohne Grund vielfach ausgezeichnet (z.B. Spiel des Jahres 2015). Für mich ist es ein herausragendes Spiel. Fernab von irgendwelchen Siegpunktoptimierungen wird hier etwas am Spieletisch erlebt, was auch noch Tage danach Gesprächsstoff sein kann.

Titel | Colt Express |
Autor | Christophe Raimbault |
Illustrationen | Jordi Valbuena |
Dauer | 30 bis 45 Minuten |
Spieleranzahl | 2 bis 6 Spieler |
Zielgruppe | Familienspiel |
Verlag | Ludonaute |
Jahr | 2014 |
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