Freie Fahrt von Friedemann Friese – erschienen bei 2F-Spiele
Als Verkehrsplaner muss ich mich oftmals mit den negativen Folgen des Slogans "Freie Fahrt für freie Bürger" aus den Wirtschaftswunderjahren herum schlagen. Umso sympathischer ist mir somit die Anwendung dieses Slogans auf eine mögliche Teil-Lösung der damit einhergehenden Probleme.
Thema... in ganz Europa werden Eisenbahnstrecken gebaut. Anfangs sind es lediglich private Investoren, die erste Strecken bauen. Aber je dichter das Netz wird, umso größer ist auch die Nachfrage nach einzelnen Streckenverbindungen – und auf einmal ist die entsprechende Strecke verstaatlicht und steht allen Interessenten zur Verfügung.
Illustrationen... sind wieder eindrucksvoll von Harald Lieske gestaltet. Das Cover ist eine gelungene Hommage an historische Plakate und die einzelnen Sehenswürdigkeiten der europäischen Städte sind ebenfalls stimmungsvoll gezeichnet. Ansonsten ist der Spielplan bekannt zurückhaltend gestaltet, so dass man während des Spielens nicht unnötig abgelenkt wird. Schade nur, dass man dabei nicht die toll gestaltete Rückseite des Plans bewundern kann.
Ausstattung... folgt der klassischen Schule der Eurogames: großer Spielplan, viele Karten, ein paar Pappmarker und Holzmaterial für die restlichen Sachen. Das sind in erster Linie Schienen sowie farbige Besitzmarker – und natürlich dürfen auch kleine Lokomotiven nicht fehlen.
Die Karten sind in drei Stapel zu unterteilen und bestehen jeweils aus einem Kartenset für die 45 Städte, die auch auf dem Spielplan zu finden sind. Im 2‑Personen- und im Solo-Spiel werden diese Stapel noch ausgedünnt, so dass jede Stadt nur zwei- und nicht dreimal im Spiel ist.
Alle Mitspielenden erhalten übrigens eine Art Tableau, dass anfangs aus zwei dicken Pappkarten besteht. Die abgebildete Lokomotive zeigt an, wie weit die Lokomotive fahren kann, der Wagon hat Platz für die Aufnahme der zu erreichenden Zielstadt. Im Laufe des Spiels erhält man noch einen zweiten Wagon bzw. dreht die Lokomotive um, so dass man nun eine größere Reichweite zur Verfügung hat.
Ablauf... beginnt mit einer Prolog-Phase, in der das Herzstück von FREIE FAHRT kennengelernt wird. Denn es werden nun Reiserouten zusammen gestellt und ausgewählt. Dabei werden immer drei Karten in Spalten untereinander ausgelegt. In der Prologphase wählt man nun zwei untereinander liegende Karten und setzt auf die obere Stadt die eigene Lokomotive. Die untere Stadt ist dann die Zielstadt, die man mit der Lokomotive erreichen will. Die dritte Stadtkarte der Routen-Spalte wird aus dem Spiel genommen und es wird sofort eine neue Kombination ausgelegt. Im späteren Spielverlauf geht man übrigens ähnlich vor. Allerdings muss man dann schon mit der Lokomotive in der Stadt stehen, die man als Startstadt auserkoren hat. Somit muss immer in der eigenen Auslage auch nur die anvisierte Zielstadt angezeigt werden, was sehr gut über die Waggons gelingt.
Um von der Startstadt zur Zielstadt zu gelangen, müssen die passenden Schienenverbindungen liegen. Deswegen ist eine mögliche Aktion, bis zu zwei Schienen aus dem eigenen Vorrat auf dem Spielplan zu legen. Diese Strecken werden dann mit einem eigenen Besitzmarker personalisiert. Eine andere Aktionsmöglichkeit ist das Auffüllen des eigenen Vorrats mit neuen Schienen. Und die letzte Aktionsmöglichkeit ist natürlich das Fahren der eigenen Lokomotive auf den gebauten Strecken. Anfang darf man zwei Verbindungen fahren, in der finalen dritten Phase des Spiel sogar drei. Allerdings darf man dabei nur eigene oder verstaatlichte Strecken benutzen. Verstaatlichte Strecken? Ja, wenn man eine Strecke benutzen will, die bisher einer anderen Person gehört, dann zahlt man dieser Person eine Münze, der entsprechende Besitzmarker wird entfernt und dadurch steht diese Strecke nun allen anderen zur Verfügung. Erreicht man mit der eigenen Lokomotive die Zielstadt, nimmt man die Karten der Reisroute zu sich und hat nun wieder Platz im Wagon, um eine neue Reiseroute auszusuchen. Ab der zweiten Phase hat man übrigens einen zweiten Wagon zur Verfügung, so dass man etwas freier bei der Wahl der Routen ist.
Wenn die letzte mögliche Reiseroute genommen wurde, beginnt die Endphase des Spiels. In dieser kann man den eigenen Betrieb einstellen, während die anderen noch weiter ihre Züge fahren lassen. Als Belohnung erhält man für das Aussetzen Siegpunkte, so dass die anderen unter Druck gesetzt werden, nicht zu lange aktiv zu sein. Am Ende werden nun erfolgreich besuchte Städte gewertet. Für jede erst erfüllte Stadtkarte erhält man fünf Punkte, weitere eingesammelte Karten dieser Stadt sind zwei Punkte wert. Zusätzlich erhält man noch drei Punkte für jeder Münze im eigenen Besitz.
Das gefällt mir nicht so gut: Größtes Problem bei FREIE FAHRT ist die fehlende Übersicht. Das Spiel würde sich wesentlich entspannter anfühlen, wenn man auf dem Spielplan überblicken könnte, wo nun die nächsten Ziele liegen und vor allem, wie oft schon die einzelnen Orte besucht wurden. Mit passenden kleinen Würfelchen oder Scheiben kann man eine bessere Übersicht erzeugen – und es ist schade, dass diese Hilfsmittel nicht vorhanden sind.
Der Spielreiz steigt mit der Personenanzahl. Das 2‑Personen-Spiel krankt ein wenig daran, dass zu viel Platz auf dem Spielplan besteht. Für diese Konstellation wäre es vielleicht hilfreich gewesen, wenn der Plan an den Rändern eingeschränkter wäre. Das 3‑Personen-Spiel wird schon interessanter, rund geht es aber erst ab 4 Personen, denn dann kommt die spezielle Dynamik der Strecken-Verstaatlichungen richtig zum Tragen. Wegen mangelnder Lust darauf kann ich das mögliche Solo-Spiel nicht beurteilen. Ich habe nicht das Gefühl, dass das typische Spielgefühl von FREIE FAHRT in ein Solo-Erlebnis eingefangen werden kann. Aber vielleicht tue ich dieser Variante unrecht.
Ein kleinerer Spielplan hätte übrigens auch den Vorteil, dass dadurch die Spieldauer etwas kürzer wäre. Denn insgesamt zieht sich das Spiel etwas zu sehr. Die Unterteilung in die drei Phasen ist zwar ein geschickter Kniff und sorgt für eine guten Spannungsbogen. Aber ein wenig mehr Kürze brächte Würze.
Das gefällt mir gut: Öfters habe ich in meinem Umfeld von einer Ähnlichkeit zwischen FREIE FAHRT und ZUG UM ZUG gehört. Diese Analogie finde ich aber unpassend, da sich beide Spiele deutlich unterschiedlich anfühlen. Wenn schon unbedingt FREIE FAHRT mit anderen Eisenbahnspielen verglichen werden soll, dann schlage ich TRANS AMERICA oder noch besser TRANS EUROPA vor. Denn dieses Spielsystem bietet in meinen Augen das deutlich ähnlichere Spielgefühl. Auch dort beginnt man wie bei FREI FAHRT erst mit einem kleinen privaten Netz, was schnell deutlich größer wird, wenn man an die anderen Netze andockt. Bei TRANS AMERICA geschieht diese Vergrößerung automatisch, bei FREIE FAHRT muss dahingegen der Zwischenschritt über die Verstaatlichungen geschehen – und dieser Schritt muss jedes Mal wohl überlegt sein. "Schenke" ich drei Siegpunkte her, wovon alle profitieren, oder mache ich lieber noch einen extra Schlenker? Dieser kann dann aber einen Zeitverlust darstellen, der deutlich mehr weh tut als die ausgegebene Münze.
Auch bei den Zielen hat man nun bei FREIE FAHRT mehr Einfluss als bei TRANS AMERICA. Noch immer ist da die Glückskomponente vorhanden, dass manche Routen perfekt passen und manche gefühlt gar nicht. Doch aufgrund der nicht all zu hohen Gewichtsklasse kann ich mit diesem Zufallselement beim Aufdecken neuer Routen ganz gut leben. Zusätzlich hat man es nun zumindest etwas mehr selbst in der Hand, welche Routen man aufnehmen will und welche nicht.
Diese beiden Elemente (Streckenbau und Routenauswahl) sorgen für den Spielreiz von FREIE FAHRT. Das dazugehörige Regelwerk ist erfreulicherweise angenehm schlank und schnell verinnerlicht. Man braucht entsprechend keine lange Erklärungszeit und kann recht schnell loslegen. In der ersten Phase ist man noch gemächlich mit dem Aufbau des eigenen Netzes beschäftigt, gegen Spielende zieht das Tempo deutlich an. Verantwortlich dafür ist die clevere Reichweitenerhöhung der Lokomotive in Phase 3, die somit auch den Spannungsbogen anziehen lässt. Diese Dynamik ist gut gelungen, noch besser wäre es aber gewesen, wenn die Spieldauer etwas kürzer gewesen wäre.
Übrigens finde ich es sehr angenehm, dass FREIE FAHRT sich nicht nur auf Westeuropa beschränkt, sondern auch dem Osten viel Raum gibt. Leider sind aktuell erst durch den Krieg in der Ukraine Städte wie Lwiw und Kharkiv in aller Munde. Dabei sind diese Städte ebenso traditionsbehaftet wie bspw. Oslo oder Lisboa. Uns täte es in Westeuropa manchmal ganz gut, uns selbst nicht zu wichtig zu nehmen und dabei die Nachbarn auch kulturell zu ignorieren.
Fazit: FREIE FAHRT weiß mit der Klarheit und Stringenz des Spielsystems zu überzeugen. Leider leidet in der Umsetzung des Konzepts auf den Spielplan ein wenig die Übersichtlichkeit. Trotzdem wird typisches Eisenbahn-Feeling vermittelt, das sich angenehm altmodisch anfühlt.
Titel | Freie Fahrt |
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Autor | Friedemann Friese |
Illustrationen | Harald Lieske |
Dauer | 50 bis 90 Minuten |
Personenanzahl | 1 bis 5 Personen |
Zielgruppe | Familienspielrunden mit Gruppenticket |
Verlag | 2F-Spiele |
Jahr | 2021 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
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