Khôra – Aufstieg eines Imperiums von Head Quarter Simulation Game Club – erschienen bei iello
In meinen Einleitungen glänze ich bekanntlich gerne mit Wikipedia-(Halb)Wissen. Also flugs mal KHÔRA eingetippt – und dann verwundert die Augen gerieben. Das Kora soll ein schweres Hiebschwert aus Nepal sein? Glücklicherweise kam ich über die englischsprachige Seite auf die richtige Spur. Demnach soll Khôra das Gebiet der antiken griechischen Polis außerhalb der eigentlichen Stadt sein. Die deutsche Seite führt diesen Begriff allerdings nur unter Chora – übrigens nicht zur Verwechseln mit dem philosophischen Begriff Chora aus dem Werk von Platon.
Thema... wir sind an der Spitze eines Stadtstaates im antiken Griechenland – und natürlich wollen wir dort die Nummer 1 sein. Also bauen wir unsere Wirtschaft, unser Militär aber auch die Kultur aus, um unsere lästigen Widersacher zu überflügeln. Das wäre alles so schön einfach, wenn es da nicht diese Schicksalswürfel gäbe. Allerdings kann man diesen trotzen, wenn die eigene Bevölkerung unsere Anliegen nur ausreichend unterstützt. Ist das nicht ein tröstendes Bild?
Illustrationen… wurden erstellt von David Chapoulet und Jocelyn Millet und wissen zu beeindrucken. Die Spielkarten sind fast schon zu klein, um die dortigen Illustrationen richtig würdigen zu können. Der Spielplan hat zwar durch seine Leisten berechtigterweise den Charme eines Tabellenkalkulationsprogramms, aber dafür ist dort die Übersicht ausreichend gegeben. Für das Auge gibt es dann die Karten und Spieltableaus – und an denen kann man sich dann berauschen. Schade nur, dass bei der Symbolik ein klein wenig geschlampt wurde. Die Unterscheidung zwischen einzelnen Münzen und der Einkommensleiste ist nicht deutlich genug gelungen.
Ausstattung… klotzt in bekannter iello-Qualität. So sind in der Box besonders geformte Holzsteine für die Leisten auf den eigenen Tableaus enthalten, die wiederum doppellagig produziert wurden, damit dort auch nichts verrutschen kann. In diesen Tableaus ist eine große Fläche für eine von sieben Stadttafeln reserviert, für deren Entwicklungsleiste wiederum ein eigener kleiner Marker besteht.
Die Spielsteine für die allgemeinen Leisten auf dem zentralen Spielplan sind zwar einfach nur Scheiben, dafür sind diese aber schön bedruckt worden. Dann gibt es noch kleine bunte Würfel, schnöde anmutendes Pappmaterial (Münzen, Schriftrollen, sogenannte Wissensmarker, Errungenschaftsmarker...), viele Politikkarten, weniger Ereigniskarten und einen Satz Aktionsplättchen für alle, die bei anderen Verlagen wohl auch eher als Karte produziert worden wären. Außerdem wurde wieder ein gut konzipiertes Insert spendiert, so dass das ganze Material perfekt geordnet verstaut werden kann.
Ablauf… eine Partie KHÔRA geht über neun Runden und folgt einem festen Ablauf, der auch übersichtlich auf den einzelnen Tableaus aufgeführt ist. Nachdem das aktuelle Runden-Ereignis angekündigt wurde und alle ihr Einkommen bekommen haben, würfeln alle mit ihren eigenen zur Verfügung stehenden Würfel. Das sind am Anfang nur zwei, im weiteren Verlauf kann man sich einen dritten Würfel dazu holen. Diese Würfel aktivieren dann im nächsten Schritt die einzelnen Aktionen. Allerdings müssen diese Aktionen vorher gleichzeitig und verdeckt durch das Auslegen der entsprechenden Aktionsplättchen "angemeldet" werden. Dann werden nach und nach die einzelnen Aktionen aufgerufen und ausgeführt, wenn man das entsprechende Aktionsplättchen ausgelegt hat.
Um eine solche Aktion zu bezahlen, muss man einen Würfel benutzen, dessen Augenzahl mindestens dem Aktionswert entspricht. Die Aktion Militär hat bspw. den Aktionswert 4 und dafür benötige ich also einen Würfel mit der 4, 5 oder 6. Allerdings kann man niedrigere Würfelwerte auch durch die Abgabe von Bürgerpunkten aufwerten.
Diese Bürgerpunkte findet man auf den Leisten des Spielplans. Wie man sich denken kann, werden die Leisten durch Aktionen beeinflusst – aber auch durch ausgespielte Politikkarten. Davon hat man anfangs fünf auf der Hand. Spielt man diese durch die Aktion Politik aus, gibt es entweder einen dauerhaften Effekt, einen Soforteffekt oder am Spielende für bestimmte Voraussetzungen Siegpunkte. Auf der rechten Seite des Spielplans sind Wissensmarker abgebildet. Diese kann man von dort militärisch oder käuflich aus dem Vorrat erwerben. Oftmals wird eine bestimmte Anzahl an eigenen dieser Marker vorausgesetzt, um Karten auszuspielen oder die eigene Stadt weiter zu entwickeln. Denn alle Personen verfügen über unterschiedliche Stadtplättchen, auf denen wiederum einzigartige Entwicklungen frei geschaltet werden können.
Nach der Aktionsphase kann man noch Fortschritte auf den Tableau-Leisten Wirtschaft, Kultur und Militär erzielen – wenn man dafür das notwendige Kleingeld beisammen hat. Erst wenn das alles durchgeführt wurde, wird das aktuelle Ereignis ausgeführt. Außerdem wird dann noch geprüft, ob manche Meilensteine erreicht wurden, was dann entsprechend belohnt wird.
Das gefällt mir nicht so gut: Bei KHÔRA gibt es einen großen Streitpunkt: haben die Würfel einen spielerischen Mehrwert oder nicht? Ich bin mir das selbst nicht ganz sicher. Es gibt Partien, bei den flutscht alles und dann sehe ich die Würfel als spannendes Element und Emotionen-Verstärker an. Es gibt aber Partien, bei denen erwürfele ich in den ersten drei Runden nur kleine Werte und komme somit recht schwer in die Partie rein. Natürlich besteht dann der Anspruch und die Herausforderung, das Beste daraus zu machen. Aber trotzdem fühlt es sich auch ungerecht an. Wären beispielsweise Würfel, die dann für alle gelten, die bessere Wahl gewesen? Oder ein Aktionspunkte-System? Keine Ahnung. So sehr stören mich die Würfel auch nicht, dass ich nun mit Hausregeln dagegen vorgehen würde. Aber das ist eine dieser berühmten Ecken und Kanten, die andere Verlage vielleicht abgeschliffen hätten. Doch wäre dann KHÔRA noch so reizvoll, wie es ist?
Ich habe oftmals so meine Problemchen mit Entwicklungs-Spielen, bei denen Militär eine Rolle spielt. Deswegen war ich anfangs auch bei KHÔRA skeptisch. Gut finde ich, dass die Militäraktion nicht destruktiv ist. Mir wird also nichts kaputt gemacht. Allerdings können die Runden-Ereignisse dafür sorgen, dass mir doch etwas weg genommen wird. Dabei wird bei der Hälfte der zufälligen Ereignisse nur die Militärstärke als Vergleichswert heran gezogen. Wer dort auf der niedrigsten Stufe liegt, verliert mal Siegpunkte, Geld oder Politikkarten. Das wäre jetzt weniger doof, wenn es dafür vergleichbare Ereignisse für die anderen Entwicklungsleisten gäbe. Das ist so aber nicht der Fall. Wenn verglichen wird, dann immer nur die Militärstärke. Das hat in vielen ersten Partien für Unmut gesorgt und fühlt sich unausgeglichen an. Allerdings nur, wenn man das Spiel nicht gut genug kennt. Denn mit einer gewissen Erfahrung, kann man damit schon ganz verträglich umgehen. Es sollte nur am Anfang entsprechend angesprochen werden, damit alle wissen, was da auf einen zukommen kann.
Die Gestaltung mit den vielen Leisten ist Segen und Fluch zugleich. Als ich erste Bilder von KHÔRA sah, habe ich innerlich abgewunken. Keine Lust, kleine Holzscheiben auf einer Menge Leisten hoch und runter zu schieben. Nach dem ersten Anspielen musste ich aber innerlich um Vergebung bitten. Denn KHÔRA fühlt sich überhaupt nicht so trocken an, wie es auf den ersten Blick aussieht.
Das gefällt mir gut: Der Schlüssel zum Erfolg kommt anfangs recht unscheinbar daher. In der ersten Partie nimmt man die Politikkarten auf die Hand, denkt sich "na gut" und fängt an zu spielen. Das ist auch genau der richtige Weg, da man erst mit einer gewissen Spielerfahrung die Stärke dieses Spiel-Elements erkennt. Nicht ohne Grund wird für das eigentliche Spiel empfohlen, diese Anfangskarten mittels Drafting zu verteilen. Denn mit den richtigen Politikkarten kann man sehr gut eine Strategie für die Partie aufbauen.
Man darf sich von den Würfeln und den Karten nicht täuschen lassen: KHÔRA ist ein Strategiespiel. Natürlich kann man ein wenig vor sich hinwurschteln und mal hier was machen und mal dort. Aber damit gewinnt man keine antike Amphore. In KHÔRA sollte man einen Plan haben und diesen konsequent verfolgen. Die Würfel und Ereignisse sind dabei zufälligen Störgeräusche, die aber auch den Reiz hoch halten. Glücklicherweise lässt sich nämlich nicht alles bis ins Kleinste durchplanen und man muss schon eine gewisse Flexibilität behalten. Das ist angenehm fordernd, ohne dass KHÔRA mit einer Regelfülle überfordert. Auch dank des guten Grafik-Designs begreift man schnell die Regeln und Abläufe. Dabei sollte man aber immer wissen, in welchen Bereiche man aktiv werden will und welche man eher mal links liegen lässt.
Welche Bereiche das sind, hängt sehr davon ab, welche Stadt man spielt. Deren Fähigkeiten unterscheiden sich deutlich und damit auch deren Spielweise. Es ist wichtig, immer die Fähigkeit der eigenen Stadt zu bedenken. Wenn Athen will, dass ich Politikkarten ausspiele, dann sollte ich das auch tun. Ähnlich wie bei den Clans von CLANS OF CALEDONIA verschiebt sich mit den Städten die eigene Ausrichtung. Dadurch ist auch eine angenehme Variabilität und der berühmt-berüchtigte Wiederspielreiz gegeben – schließlich will ich alle Städte erfolgreich durchdrungen haben. Besonders gut in diesem Zusammenhang gefällt mir, dass die Fähigkeiten der Städte nicht wahllos ausgesucht wurden, sondern einen historischen Hintergrund haben (weswegen ich eben auch CLANS OF CALEDONIA angesprochen habe und nicht die fiktiven Fantasy-Völker aus TERRA MYSTICA). Da die Beteiligten mit Liebe zum Detail gearbeitet haben, sind auf den Rückseiten der Städte sogar kurze geschichtliche Beschreibungen aufgeführt.
Ohnehin wird das Thema erfreulich gut transportiert. Ja, wir reden immer noch von einem recht abstrakten Eurospiel, bei dem man hauptsächlich Scheiben hoch und runter schiebt, sich Marker nimmt und mal ein paar Karten ausspielt. Aber diese Karten und vor allem die Ereignisse vermitteln trotzdem ein passendes Zeitgefühl. Ich war jedenfalls positiv überrascht, wie sehr KHÔRA versucht das Thema zu vermitteln. Diesen Anspruch an sich selbst zeigt auch die letzte Seite der Anleitung, die auf einige historische Details im Spiel eingeht. Auch ist mir positiv aufgefallen, dass auf eine gewisse Diversität geachtet wurde, die glücklicherweise nicht aufgesetzt wirkt.
Fazit: KHÔRA war für mich eine positive Überraschung. Auf dem ersten Blick hatte ich ein recht langweiliges Leistenmanipulieren erwartet. Doch schon bei der Erstpartie wusste ich die vielen kleinen zu treffenden Entscheidungen zu schätzen. Mit der eintretenden Spielerfahrung reifte dann noch die Erkenntnis, dass KHÔRA ein unterhaltsames Strategiespiel ist, in dem mehr steckt, als man das beim ersten Anblick erwartet.
Titel | Khôra – Aufstieg eines Imperiums |
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Autor | Head Quarter Simulation Game Club |
Illustrationen | David Chapoulet und Jocelyn Millet |
Dauer | 60 bis 75 Minuten |
Personenanzahl | 2 bis 4 Personen |
Zielgruppe | strategisch agierende Kennerspielrunden |
Verlag | iello |
Jahr | 2021 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom deutschen Vertrieb Hutter Trade ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
Ich habe mir auf BGG Ersatzkarten heruntergeladen. Dadurch werden alle negativen Ereignisse zu positiven. Oder es verlieren alle etwas und nicht nur der, der sowieso schon am wenigsten hat. Jetzt ist das Spiel für uns richtig toll.
Das klingt gut! Da werde ich auch mal nach schauen. Danke für den Hinweis!