Raids von Matthew Dunstan und Brett J. Gilbert – erschienen bei iello
Als ich auf der SPIEL in Essen auch iello besuchte, war mir auf dem ersten Blick gar nicht klar, dass RAIDS eine Neuheit war. Das Cover hatte mich zu sehr an SEA OF CLOUDS erinnert. Der zweite Blick belehrte mich aber schnell eines Besseren. Denn dann hatte ich das Spielmaterial erfasst – und war gebannt. Wieder einmal hat mich das Grafik-Konzept eines iello-Spiels voll abgeholt. Doch wie immer stellt sich die entscheidende Frage: Wie ist das eigentliche Spiel fernab der beeindruckenden Illustrationen?
Thema... ist klassischer Wikinger-Stoff. Drachenschiff mit einer Mannschaft voll laden, in See stechen und ... Handel treiben. Denn das haben Wikinger nun einmal hauptsächlich so gemacht. Da wir aber von Wikingern zusätzlich ein Bild von wilden Räubern vor Augen haben, geht es zusätzlich auch ein wenig kämpferisch zu. Allerdings trifft es dann hauptsächlich unsere Wikinger-Konkurrenten und am Wegesrand wartende Ungeheuer.
Illustrationen... sind von Biboun und müssen sich nicht verstecken – ganz im Gegenteil! Denn die Illustrationen sind, wie oben schon erwähnt, beeindruckend schön. Alles ist in frischen, deutlichen Farben getaucht und auch die vielen kleinen Details kommen nicht zu kurz. Dort ein Kratzer auf dem Holz, hier spritzen ein paar Wassertropfen nach oben und der Spielplan stellt eine Art Weltkarte dar. Glücklicherweise leidet darunter jedoch nicht die Funktionalität, denn die wenigen Symbole sind einfach zu verstehen und entsprechend eindeutig. Man merkt einfach, hier ist ein Profi am Werk gewesen.
Ausstattung... folgt den Ansprüchen der Grafik und ist ebenfalls hochwertig. Hingucker sind natürlich die kleinen Metallmünzen. Aber auch die Holzteile (Schiffe und Wikinger) sind ebenso von guter Qualität wie die restlichen Pappteile (Reise-Plättchen und Häfen). Abgerundet wird der sehr gute Gesamteindruck noch durch das durchdachte Tiefziehteil, was alles aufgeräumt an seinen Platz behält.
Ablauf... eine Partie RAIDS wird über vier Runden gespielt. In jeder Runde bewegen die Spieler ihre Schiffe auf einer Rundreise – unterbrochen von Halten auf den einzelnen Kontinenten. Für diese Halte stehen auf dem Spielplan verschiedene Anlegepunkte zur Verfügung, die zusätzlich Reise-Plättchen zur Abholung bereit halten. Allerdings werden diese Plättchen erst aufgenommen, wenn man bei eigenem Zugbeginn noch an diesem Anlegepunkt steht.
Denn das kann sich durch das Mitwirken der lieben Mitspieler ändern. Diese können nämlich ihre Schiffe ebenfalls auf die schon besetzten Anlegepunkte stellen. Gemäß dem Highlander-Motto kann es aber nur einen geben, so dass es nun zu einem Kampf kommt. Dieser ist aber sehr einfach abzuhandeln. Der angreifende Spieler muss einen Wikinger aus seinem Schiff abgeben. Nun kann der Verteidiger zurückschlagen und zwei Wikinger abgeben und der Angreife müsste nun wiederum drei Wikinger abgeben, wenn er unbedingt diesen Anlegepunkt besetzen will. Das macht man so lange, bis der Schwächere (Vernüntigere?) nicht mehr mitmachen kann/will und den Platz verlässt – natürlich ohne das dort liegende Reise-Plättchen mitzunehmen.
Die Reise-Plättchen sind unterschiedlicher Art. Mal gilt es viele für die Endwertung zu sammeln, mal versucht man welche im Laufe der Partie mittels Handelsplätze gegen Siegpunkte zu verkaufen. Außerdem kann man sein Schiff ausrüsten und gegen Ungeheuer kämpfen (diese ergeben ebenfalls Siegpunkte). Zwischendurch fährt man immer an Siedlungen vorbei und lädt neue Besatzung auf.
Die Spielerreihenfolge bestimmt sich dabei immer nach der Position der Schiffe. Das jeweils hinten liegende Schiff ist dann an der Reihe. Wer große Sprünge machen will, muss dann ein wenig auf seinen nächsten Zug warten. Allerdings werden Reiseplättchen abgeräumt, wenn diese zwischen dem letzten und vorletztem Schiff liegen. Damit wird verhindert, dass der Letzte in Ruhe alles abräumen kann – und natürlich fördert das die Interaktion.
Das gefällt mir nicht so gut: Wie wohl auch im historischen Wikinger-Leben darf man bei RAIDS keine Schwäche zeigen. Die Kämpfe sind komplett zufallsfrei und damit vorher ausrechenbar. Wenn also ein Spieler nur noch einen oder sogar gar keinen Wikinger auf seinem Schiff stehen hat, dann wird dessen Schiff gerne von den anderen Spielern über den Spielplan gescheucht. Das kann für den entsprechenden Spieler dann arg entmutigend sein. Die Regel warnt zwar explizit vor dieser Situation und mit etwas Spielerfahrung bekommt man das auch ganz gut in den Griff – allerdings kann dieses Erlangen von Erfahrung recht frustrierend sein.
RAIDS ist eher taktischer Natur. Man muss immer recht kurzfristig auf die Auslage aber natürlich auch auf die Mitspieler reagieren. Dem gegenüber steht aber, dass man zum Gewinnen durchaus eine Strategie haben sollte. Will ich meine Punkte über Set-Collection der Runen erzeugen? Oder lieber Ungeheuer besiegen oder Handel treiben? Denn entsprechend rüstet man sein Schiff aus. Doof wird es dann aber, wenn die nachfolgenden Reise-Plättchen durch ihre Anordnung so überhaupt nicht zur ersonnenen Strategie passen wollen. Da kann man dann wenig dagegen machen. Eine wirkliche Misch-Strategie führt auch selten zum Erfolg und so kommt man sich manchmal durchaus gespielt vor.
Zusätzlich stoßen mir die Hafen-Plättchen etwas sauer auf. Diese belohnen gestaffelt die Spieler am Ende einer Runde mit zusätzlichen Siegpunkten. In der ersten Runde ist das klar und deutlich geregelt: wer zuerst in den Heimat-Hafen einläuft, bekommt die meisten Punkte. In den anderen Runden kommt dann aber eine Zufallskomponente ins Spiel, die unnötig ist. Denn die Spieler erhalten dann Zusatzpunkte für bspw. die meisten Runen, Segeln, Schilden usw. Damit werden allerdings hauptsächlich die Spieler belohnt, die ohnehin schon gut ausgerüstet sind. Diejenigen, die aus oben genannten Gründen über den Spielplan gescheucht wurden, schauen schon wieder in die Röhre. Das verstärkt dann nur den Frust. Hier hätte ich es besser gefunden, wenn die Regelung der ersten Runde für alle Runden gilt: der Schnellste wird belohnt! Somit könnte es auch mehr Sinn ergeben, eine Runde schnell zu beenden und damit wieder Mannschaftsstärke zu sammeln.
Das gefällt mir gut: RAIDS besticht in meinen Augen durch seine angenehme Interaktion. Okay, zugegeben, manchen meiner Mitspieler war die Interaktion alles andere als angenehm. Doch genau das meine ich. In einem Familienspiel mit diesem Thema und der konzipierten Spiellänge darf es gerne auch mal zur Sache gehen. Denn natürlich ist RAIDS eine Art Ärgerspiel, da einem böse mitgespielt werden kann und Pläne zunichte gemacht werden. Gut so, denn dadurch werden Emotionen geschürt!
Natürlich darf man dabei den eigenen Spielsieg nicht zu sehr in den Mittelpunkt stellen. Außerdem sollte man sich schon daran erfreuen können, den Mitspielern auch mal in die Suppe zu spucken. Aber auf der anderen Seite ist RAIDS jetzt auch nicht wirklich heftig bei den Verdrängungseffekten. Vielleicht bekomme ich jetzt nicht das unbedingte Wunsch-Plättchen, aber eigentlich kann man alle Reise-Plättchen ganz gut gebrauchen. Somit hat man stetig das Gefühl, dass man besser ausgestattet ist bzw. Reichtümer angesammelt hat.
Ich finde dabei den "Kampf-Mechanismus" sehr gelungen, da dieser komplett ohne eine Glückskomponente abgehandelt wird. Wenn ich Ärger machen will, dann weiß ich, was mich erwartet. Der Kampf ist somit eher ein taktisches, psychologisches Spielchen als ein emotional aufgeladener Akt. Manchmal setzt man sich nur auf einen Ort, weil man dadurch dem anderen seine Wikinger "ziehen" will. Die Überraschung ist dann groß, wenn dieser gar nicht mehr den Ort ansteuert. Aufgrund der offenen Informationen wird also die Denkmaschine angeregt: Was haben meine Mitspieler vor? Wo kann ich was abstauben? Und wie muss ich vorausplanen, damit ich ganz sicher mein Wunsch-Plättchen bekommen kann? Allerdings alles auf eine Art, die nicht anstrengend oder stundenlanges Nachdenken nach sich zieht.
Nochmals explizit loben will ich die Ausstattung, die strukturierte Regel sowie die grafische Gestaltung. Das Spielmaterial von RAIDS besitzt einen hohen Aufforderungscharakter – und das Spielerische kann in meinen Augen auch mithalten.
Fazit: RAIDS ist sicherlich kein Spiel für jedermann. Wer direkte Interaktion in einem taktischen Familienspiel nicht mag, der sollte die Finger davon lassen. Wer aber gerne Emotionen am Tisch hat und sich an toll ausgestatteten und illustrierten Spiele erfreut, der kommt mit RAIDS auf seine Kosten. Ich gehöre zu zweiten Gruppe und hatte deswegen jede Menge Spaß – auch wenn ich dabei selten erfolgreich war.
Titel | Raids |
Autor | Matthew Dunstan und Brett J. Gilbert |
Illustrationen | Biboun |
Dauer | 40 Minuten |
Spieleranzahl | 2 bis 4 Spieler |
Zielgruppe | keinem Kampf aus dem Weg gehende Familienspieler |
Verlag | iello (im deutschen Vertrieb von Huch!) |
Jahr | 2018 |
Ich bedanke mich bei Huch! für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars. Ich bin mir sicher, dass durch diese Bereitstellung meine Meinung nicht beeinflusst wurde. Die Besprechung spiegelt meine gemachte Erfahrung wider.
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