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kritisch gespielt: Wanderlust

Wanderlust von Phil Walker-Harding – erschienen bei Game Factory

Wanderlust - Box

Sind die neu­es­ten Brett­spiel-Titel Aus­druck einer kom­men­den Stadt­flucht? Denn nach DORFROMANTIK sol­len wir nun auch WANDERLUST erle­ben. Aus Kind­heits­ta­gen ist mir aber eher der Begriff "Wan­der­frust" geläu­fig. Erst mit spä­te­ren Jah­ren habe ich den Reiz einer län­ge­ren Wan­de­rung zu schät­zen gelernt. Doch nicht nur des­we­gen emp­fin­de ich den vom Ver­lag geän­der­ten Titel etwas unglück­lich – zumal das ursprüng­li­che SUMMER CAMP bes­ser zum Inhalt passt. Es gibt schon Grün­de, war­um der Zusatz "Aben­teu­er im Som­mer­camp" noch unter dem Titel auf­ge­führt wird.

The­ma... wie ich das von Wer­be­pro­spek­ten für Som­mer­frei­zei­ten ken­ne, wird eif­rig damit gewor­ben, dass wir im anste­hen­den Camp vie­le Aben­teu­er erle­ben wer­den. War­um man dabei auch noch Abzei­chen sam­melt, ist wohl eher so ein ame­ri­ka­ni­sches Ding. Zumin­dest ver­bin­de ich das in mei­nen rudi­men­tä­ren Erin­ne­run­gen mit dem Fähn­lein Fie­sel­schweif von Tick, Trick und Track. Was dahin­ge­gen The­men­packs wie Hand­ar­beit, Grup­pen­spie­le und Kochen mit Wan­der­lust zu tun haben sol­len, erschließt sich mir auch nicht auf dem zwei­ten Blick.

Illus­tra­tio­nen… stam­men aus der Feder von Adam Gra­son und gefal­len mir sehr gut. Die Illus­tra­tio­nen sind schön unauf­ge­regt und ver­mit­teln somit eine hei­me­li­ge Stim­mung, die gut zum eigent­li­chen The­ma passt. Zusätz­lich über­zeu­gen aber auch die hand­werk­li­chen Fähig­kei­ten, denn die weni­gen Sym­bo­le sind gut ver­ständ­lich – obwohl wir meist gar nicht nur auf die­se ange­wie­sen sind, da die Funk­tio­nen der ein­zel­nen Kar­ten immer noch­mals mit einem klei­nen Text­teil beschrie­ben werden.

Wanderlust - Übersicht
bes­ser auf­ge­räumt als die Tasche nach dem Sommercamp

Aus­stat­tung… WANDERLUST ist ein ast­rei­ner Deck­buil­der. Dem­entspre­chend sind auch vie­le unter­schied­li­che Kar­ten im Ange­bot. Ein Basis­set wird immer benutzt, zusätz­lich suchen wir uns zu Beginn drei von sie­ben mög­li­chen Aben­teu­er­decks aus. Die­se sind vor­sor­tiert in ein­zel­nen Boxen gela­gert und unter­schei­den sich nicht nur im Titel (die oben schon erwähn­ten Bei­spie­le Hand­ar­beit, Grup­pen­spie­le und Kochen – aber auch Akti­vi­tä­ten, Out­door, Freund­schaft und Was­ser-Sport), son­dern auch in ihren Funktionen.

Eben­so varia­bel wird auch der Spiel­plan aus­ge­legt. Die­ser besteht aus neun Pfad-Tafeln, die als 3*3‑Raster an einem Rah­men aus­ge­legt wer­den. Auf die­sem Rah­men wie­der­um sind Abla­ge­fel­der für die aus­lie­gen­den Abzei­chen vor­ge­se­hen. Ähn­lich funk­tio­nie­ren auch die per­sön­li­chen Tableaus, die zudem hel­fen, die unter­schied­li­chen Kar­ten­sta­pel im Spiel zu orga­ni­sie­ren. Dann gibt es noch klei­ne Ener­gie-Rie­gel-Mar­ker sowie für jede Per­son drei klei­ne Wanderfiguren.

Wanderlust - Aufbau
Der Wett­lauf kann beginnen!

Ablauf…aus den Pfad-Tafeln wer­den zufäl­li­ge Weg­stre­cken gebil­det, die aber nur eine Rich­tung ken­nen: ab nach Osten! Und auf die­sen Wegen soll­ten wir uns spu­ten, denn WANDERLUST ist ein Wett­ren­nen. Ent­spre­chend kon­se­quent wer­den wir mit Sieg­punk­ten belohnt, wenn wir schnell Brü­cken über­schrei­ten. Die Par­tie endet, wenn eine Per­son auf allen drei Wegen die End­punk­te erreicht hat.

Doch wie bewe­gen wir uns? Recht ein­fach: immer dann, wenn das eine aus­ge­spiel­te Kar­te vor­gibt. Im Anfangs­deck sind drei sol­cher Bewe­gungs­kar­ten vor­han­den. Weil wir damit aber nicht schnell genug vor­an­kom­men, soll­ten wir uns wäh­rend des Spiel wei­te­re (Bewegungs-)Karten kau­fen. Dabei kön­nen wir uns aus einer Basis-Aus­la­ge bedie­nen oder aus den Aus­la­gen der ein­zel­nen Aben­teu­er­decks – wobei davon immer nur zwei Kar­ten zur Ver­fü­gung stehen.

Wanderlust - Starthand
unse­re Starthand

Bezahlt wird mit Ener­gie, wobei eine Kar­te immer auch unab­hän­gig von ihrer eigent­li­chen Funk­ti­on als eine Ener­gie­ein­heit zum Kau­fen aus­ge­spielt wer­den kann. Ganz sel­ten kön­nen wir auch Ener­gie in Form der Rie­gel spei­chern – nor­ma­ler­wei­se geben wir aber aus, was wir haben. Dabei kön­nen wir übri­gens auch mehr als eine Kar­te kau­fen. Ohne­hin sind kei­ne Ein­schrän­kun­gen bei der Rei­hen­fol­ge unse­rer Aktio­nen vor­han­den. So kön­nen wir auch recht fle­xi­bel den Zeit­punkt der Boni wäh­len, die wir viel­leicht bekom­men, wenn wir uns auf einem Pfad wei­ter bewegt haben.

Wanderlust - Wettrennen
Kopf an Kopf – wenn alle schnell sind

Das gefällt mir nicht so gut: WANDERLUST ist schon sehr auf das Wett­ren­nen fokus­siert. Wir erhal­ten am Ende zwar auch weni­ge Punk­te für gekauf­te Kar­ten, die­se sind aber nicht annä­hernd gleich­wer­tig. Wir kön­nen es es uns also nicht erlau­ben, auf Bewe­gun­gen zu ver­zich­ten. Dem­entspre­chend sind die Kar­ten mit Bewe­gungs­mög­lich­kei­ten deut­lich nach­ge­frag­ter als ande­re, so dass wir von einer glück­li­chen Aus­la­ge ziem­lich pro­fi­tie­ren kön­nen. Alles ande­re als Bewe­gungs­kar­ten lohnt sich kaum – was auch dar­an liegt, dass die Par­tien oft­mals zu kurz sind, um sich erst ein­mal in Ruhe ein star­kes Deck zusammenzubauen. 

Wobei ich eben einen fal­schen Begriff ver­wen­det habe. Denn bei WANDERLUST bau­en wir uns im eigent­li­chen Sinn kein Deck zusam­men: wir haben näm­lich kaum Mög­lich­keit, Kar­ten aus unse­rem Deck zu ent­sor­gen. Somit häu­fen wir ohne Ende Kar­ten an und ver­su­chen über man­che Son­der­funk­tio­nen im Spiel­zug einen gewis­sen Durch­lauf zu erzeu­gen, damit die wert­vol­len Kar­ten über­haupt zum Tra­gen kom­men. Die ein­zel­nen Decks sind am Ende also ziem­lich auf­ge­bläht. Was auch an der sehr begrenz­ten Markt­aus­la­ge liegt. Ledig­lich zwei Kar­ten pro Aben­teu­er­deck sind in mei­nen Augen zu wenig. Lie­gen dort zu Beginn sehr teu­re Kar­ten, zieht es sich hin, bis die­se end­lich mal genom­men wer­den kön­nen. Und sind die Kar­ten als sol­ches unat­trak­tiv, wer­den sie gar nicht gekauft und ver­stop­fen die Aus­la­ge. Was auch dar­an liegt, dass die Neu­be­stü­ckung der Aus­la­ge rela­tiv teu­er ist. Denn dafür müs­sen wir einen Ener­gie­rie­gel zah­len, den wir eigent­lich bes­ser für ande­re Gele­gen­hei­ten auf­he­ben wol­len. Zusätz­lich tut es weh, dadurch viel­leicht die Aus­la­ge für die Mit­spie­len­den zu ver­bes­sern, wäh­rend man selbst nicht all zu viel davon hat. Nein, der Markt über­zeugt nicht in der bestehen­den Art und Weise.

Wanderlust - Decks
viel Aus­wahl, zu wenig Varianz

Die Idee mit den ver­schie­de­nen Kar­ten­decks ist reiz­voll. Doch lei­der unter­schei­den sich die Decks in ihren Funk­tio­nen zu wenig. Ein­zig das Deck "Grup­pen­spie­le" ist uns nach­hal­tig in Erin­ne­run­gen geblie­ben. Durch man­che Kar­ten för­dern sich die Mit­spie­len­de gegen­sei­tig, was sich im Extrem­fall unaus­ge­wo­gen ange­fühlt hat. Wenn zwei Per­so­nen sich immer gegen­sei­tig unter­stüt­zen, schau­en die ande­ren ganz schön in die Röh­re. Aber so war das frü­her wohl auch im Som­mer­camp, wenn zwei Bud­dies die ande­ren nicht haben mit­ma­chen lassen. 

So bin ich schluss­end­lich beim The­ma gelan­det. Das passt lei­der nicht wirk­lich zur Mecha­nik. Anders als bspw. bei WETTLAUF NACH EL DORADO wird näm­lich nicht deut­lich, war­um wir in einem Som­mer­camp im Wett­streit auf die­sen Wegen vor­an­schrei­ten sol­len. Auch die Umbe­nen­nung in WANDERLUST lässt das The­ma nicht bes­ser grei­fen. Damit könn­te ich mir viel­leicht noch das Wett­ren­nen erklä­ren und die Aus­zeich­nun­gen wären dann die Stem­pel für den Wan­der­pass – aber in die­sem Zusam­men­hang pas­sen die the­ma­ti­schen Aben­teu­er­decks über­haupt nicht mehr dazu. Die­se Unaus­ge­go­ren­heit ist des­we­gen schmerz­haft, weil die Gestal­tung und das The­ma erst ein­mal neu­gie­rig machen. In mei­nen Grup­pen war immer eine gro­ße Bereit­schaft vor­han­den, das Spiel auf den Tisch zu brin­gen. Aller­dings wur­de es dann sel­ten ein zwei­tes Mal gefor­dert. Und wenn, dann nur, weil die Kar­ten­packs Neu­gier erzeu­gen. Den Decks feh­len aber die Beson­der­hei­ten. Und vor allem feh­len Auf­hol­me­cha­nis­men. Wenn eine Per­son näm­lich mal in Füh­rung ist, dann ist die­se kaum noch ein­zu­fan­gen. Damit geht lei­der auch die Span­nung flöten.

Wanderlust - Standardangebot
im Gegen­satz zum The­ma ist der Wecker in WANDERLUST heiß begehrt

Das gefällt mir gut: WANDERLUST ist ein ein­fa­cher Ein­stieg in das Gen­re der Deck­buil­ding Spie­le. Wir müs­sen uns nicht über die Rei­hen­fol­ge der mög­li­chen Aktio­nen Gedan­ken machen und ler­nen Schritt für Schritt die Beson­der­hei­ten des Sys­tems ken­nen. So ist z.B. auf eine Aus­ge­wo­gen­heit zu ach­ten. Es hilft mir nicht, wenn ich noch fünf Kar­ten mit Bewe­gungs­schrit­ten auf der Koch­leis­te habe, wenn ich dort schon am Ende ange­kom­men bin. Sin­ni­ger wäre es also gewe­sen, auch auf den ande­ren Leis­ten beweg­lich zu sein. Sind alle auf dem glei­chen Niveau unter­wegs, ent­steht durch­aus ein reiz­vol­les Wett­ren­nen. Wenn aller­dings schon Deck­bau-Erfah­re­ne am Tisch sit­zen, durch­schau­en die­se zu schnell das recht simp­le Sys­tem und ren­nen davon.

Wanderlust - Tableau
Neu­lin­ge wer­den gut an die Hand genommen

Durch die unter­schied­li­chen Boxen wird eine Vari­anz erzeugt, die dem Spiel grund­sätz­lich gut tut. Dabei schim­mern auch immer gewis­se Cha­rak­te­ris­ti­ken durch. Bei den Grup­pen­spie­len wird sich gegen­sei­tig unter­stützt, beim Kochen erhal­te ich recht viel Ener­gie. Da steckt Poten­ti­al in der Idee. Nur müss­ten sich die Kar­ten noch mehr unter­schei­den und weni­ger unaus­ge­wo­gen wir­ken. Das grund­sätz­li­che The­ma und die schön gestal­te­te Auf­ma­chung sind defi­ni­tiv Plus­punk­te, es hapert aber an den Details.

Wanderlust - Kochen
hei­ße Scho­ko­la­de und Marsh­mal­lows im Tausch zu Energieriegeln

Fazit: WANDERLUST ist eher Wett­lauf­frust. So sehr sich auf einen leich­ten Ein­stieg in das The­ma Deck­bau kon­zen­triert wird, so sehr fehlt die Raf­fi­nes­se, unter­schied­li­che Spiel­wei­sen zu ermög­li­chen. Für das schlich­te Wett­ren­nen ist am Ende aber viel zu viel Ver­wal­tung not­wen­dig. Scha­de, denn das Spiel hät­te deut­lich mehr aus den Mög­lich­kei­ten machen können.

Titel Wan­der­lust
AutorPhil Wal­ker-Har­ding
Illus­tra­tio­nenAdam Gra­son
Dau­er30 bis 45 Minuten
Per­so­nen­an­zahl2 bis 4 Personen
Ziel­grup­pewett­ren­nen­de Familienspielrunden
Ver­lagGame Fac­to­ry
Jahr2023
Hin­weisfür die Bespre­chung wur­de vom Ver­lag ein
Rezen­si­ons­exem­plar zur Ver­fü­gung gestellt

2 Kommentare

  • Der Titel ist sicher etwas unglück­lich. Ver­mut­lich wird hier der eng­li­sche Begriff "Wan­der­lust" ver­wen­det, was "Fern­weh" bedeu­tet. Das passt dann auch zum "Sum­mer Camp" und somit auch die Themendecks.

    • Okay, die­se Bedeu­tungs­ebe­ne kann­te ich nicht. Ich glau­be wir kön­nen uns pro­blem­los auf "unglück­lich" eini­gen, zumal zeit­gleich auch noch ein Spiel mit glei­chen Namen ver­öf­fent­licht wurde.