Die Wikinger Saga von Knut Happel und Christian Fiore – erschienen bei Schmidt Spiele
Fangen wir gleich mit dem größten Fauxpas an: Wikingerhelme haben gar keine Hörner an den Seiten gehabt. Das ist ein moderner Irrglauben, der sich bei mir durch Wickie und die starken Männer ins Gehirn gebrannt hat. Die Erschaffung dieses Irrglaubens in unserer heutigen Kultur soll dahingegen auf die Uraufführung von Richard Wagners Ring des Nibelungen aus dem Jahr 1876 zurückzuführen sein. Aber geschenkt. DIE WIKINGER SAGA will schließlich keine wissenschaftliche Arbeit sein, sondern uns unterhalten. Da kann man doch auch mit einem sagenhaft illustrierten Helm auf dem Cover werben.
Thema... auf den Spuren der nordischen Mythologie erleben unsere Wikingermannschaften spannende Abenteuer. Wir erkunden unbekannte Wälder, begegnen gefährlichen Meeresungeheuer und können uns der Hilfe mancher Götter erfreuen. Zumindest in der Theorie. Denn trotz großem Brimborium merkt man davon im eigentlichen Spiel wenig.
Illustrationen... stammen von Michael Menzel und beeindrucken. Die jeweiligen Story-Szenarien sind dabei genauso farbenprächtig dargestellt wie die einzelnen Wikinger. Dabei wurde sogar darauf geachtet, dass auch das vermeintlich schwache Geschlecht tatkräftig auftritt. Und die geniale Cover-Gestaltung habe ich ja schon gewürdigt.
Ausstattung… kommt genauso überzeugend daher, wie die grafische Gestaltung. Ein praktisches Insert sortiert die einzelnen Elemente übersichtlich – und hat dabei eine Menge zu tun. Denn man muss unterscheiden zwischen den unterschiedlichsten Wikinger- und Wegekarten. Dann sind noch Götterkarten in der Box und die großen Abenteuerkarten. Hat man da die Übersicht gewonnen, gilt es noch Wegemarker von Hellsichtmarkern zu unterschieden. Selbst für den Spielplan werden noch unterschiedliche Schiebetafeln benötigt. Da erfreut man sich an den schlichte Goldmünzen und den knuffigen Wikingerfiguren.
Ablauf… nachdem man sich auf eine Reiseroute im Abenteuerland geeinigt hat, kann man zu Beginn einer Etappe mit dem zur Verfügung stehendem Gold neue Wikinger anheuern. Damit hat man dann das eigene Kartendeck für den nächsten Reiseabschnitt aufgemotzt. Je nach Position auf der Siegpunktleiste darf man davon nun eine bestimmte Anzahl auf die Hand nehmen. Bevor man davon nun eine Wikingerkarte ausspielt, wird vorher noch eine Wegekarte aufgedeckt. Diese sorgt dafür, dass der Wikingerpfad (oder auf Seereisen ein Schiff) entlang einer Leiste nach rechts verschoben wird. Nun spielen alle eine Wikingerkarte aus, die angibt, wie weit sich die eigene Figur auf dieser Schiebeleiste nach rechts bewegt.
Dabei versucht man, bestimmte Wegepunkte zu erreichen, die die jeweilige Abenteuerkarte vorbestimmt. Wenn man sich geschickt anstellt, erhält man Belohnungen (Siegpunkte, Geld, zusätzliche Götterkarten...). Wenn es unglücklich läuft, kann man sich aber auch Strafen einhandeln. Das Ziel ist es also, geschickt mit den eigenen Handkarten die wertvollen Wegepunkte auf der Leiste zu erreichen. Nach jeder eigenen Bewegung kann man es gut sein lassen oder das Glück in einer folgenden Runde herausfordern.
So geht das über mehrere Etappen. Je nach Wegeziel kann man unterschiedliche neue Wikinger mit individuellen Fähigkeiten anheuern. Auch kommen je nach Ziel-Ort, den man besuchen will, spezifische Wegekarten und Abenteuerkarten ins Spiel.
Lediglich die letzte Runde mit dem finalen Abenteuer in Bifröst spielt sich ein wenig anders. Dafür kann man nämlich nur bestimmte Wikingerkarten benutzen, die man in den vorherigen Runden nach und nach aus dem eigenen Deck aussortiert hat – oder anders ausgedrückt, für das Finale reserviert hat.
Das gefällt mir nicht so gut: So ein Titel wie DIE WIKINGER SAGA weckt Erwartungen. Hey, hier dürfen wir eine Saga nachspielen! Wenn man sich dann die ganzen Karten anschaut, merkt man schnell, mit wie viel Liebe zum Detail gearbeitet wurde. Die einzelnen zu erlebenden Welten sind mit einem einleitenden Text versehen, die Illustrationen sind atemberaubend. Nur: davon kommt beim eigentlichen Spielen überhaupt nichts zum Tragen. DIE WIKINGER SAGA ist rein mechanisch. Man zählt ab, wie viele Schritte man gehen will und vergleicht das mit den Werten auf den Handkarten, die einem zur Verfügung stehen. Mehr ist es nicht. Natürlich gibt es da noch die ein oder andere kleine Sonderfähigkeit, aber DIE WIKINGER SAGA würde auch als rein abstraktes Spiel funktionieren. Diese ganze thematische Einkleidung wirkt somit leider nur gezwungen. Da wird anfangs ein großes Abenteuer angekündigt, meine Wikinger sind super ausgerüstet und wollen kämpfen und am Ende schiebe ich bloß ein Stück Pappe nach rechts. Wenn es zumindest zum Abschluss noch ein kleiner Text als Auflösung des Abenteuers gegeben hätte. Aber so wird einem zuerst der Mund wässrig gemacht und dann wird man im Story-Wust stehen gelassen.
Mit dieser thematischen Einbindung einher geht ein enormer verwalterischer Aufwand. Das vorbildliche Insert hilft zwar dabei, trotzdem ist man ständig am Sortieren, Auslegen, Vorlesen, Zurücklegen usw. Ich hatte dauernd das Gefühl, dass man die eigentliche Spielidee doch deutlich mehr auf den Punkt hätte destillieren können. Dann wäre DIE WIKINGER SAGA vielleicht "nur" ein Kartenspiel und nicht ein solche ausuferndes Familienspiel geworden, aber das hätte dann dem Charakter deutlich besser entsprochen.
Die Anleitung sagt zurecht, dass man sich die einzelnen Welten nach gewünschtem Schwierigkeitsgrad selbst zusammen stellen kann. Allerdings wird man trotzdem nicht drumherum kommen, dass acht einzelne Abenteuer zu spielen sind, damit man im finalen Abenteuer auch genügend Wikingerkarten zur Verfügung hat. Aber die damit verbundene Spieldauer ist mir oftmals zu lang. So lange trägt das Spielprinzip in meinen Augen nicht.
Zudem auch einiges an Spielspaß davon abhängt, wie gut man in die Partie kommt. So schön das Anwerben neuer Karten am Anfang der Runde auch ist: hat man kein Gold, kann man sich keine neuen Personen kaufen. Da aber ein nicht zu unterschätzende Glücksanteil im Spiel ist, kann man nicht sicher davon ausgehen, wie viel Gold man in den nächsten Runden zur Verfügung hat. So richtig funktioniert damit auch der angedachte Aufholmechanismus nicht. Recht schnell trennte sich bei uns immer die Spreu vom Weizen – und dann wurde es für die hinten liegenden Mitspielenden zäh. Auch das Reservieren der Wikingerkarten für das finale Abenteuer hört sich spannender an, als es sich dann tatsächlich darstellt. Im Endeffekt entscheidet auch dort das größere Glück, wann welche Wegekarte auftritt und wie die eigenen Handkarten dazu passen. Richtig planvoll kann man dabei nicht agieren.
Zusätzlich besteht keine echte Interaktion zwischen den Mitspielenden. Was die so machen, ist mir im Grunde genommen egal. Lediglich beim Anwerben kann man sich ein wenig in die Quere kommen. Die restliche Zeit spielt man nebeneinander her. Manchmal macht sich vielleicht ein wenig Schadenfreude breit, aber ansonsten passiert im Miteinander wenig.
Das gefällt mir gut: Trotz dieser ganzen Schwächen kann man eines nicht abstreiten: DIE WIKINGER SAGA macht durchaus Spaß. Es ist immer wieder spannend, wenn neuen Wegekarten aufgedeckt werden und man dann die eigenen Optionen überprüft. Insbesondere am Ende eines Abenteuers kann man volles Risiko gehen. Das weckt in einem selbst schon Emotionen – auch wenn die Mitspielenden das eher kalt lässt.
Auch der Deckbau als solches ist reizvoll. Die vielen Sonderfähigkeiten wollen entdeckt werden, auch wenn die ganz profane negative Schrittweite fast schon die mächtigste Eigenschaft ist. Durch das leicht veränderte Finale hat man auch immer das kleine Dilemma-Gefühl in sich. Soll ich diese starke Karte nun mit ins Finale nehmen? Oder hoffe ich darauf, sie auch noch im nächsten Abenteuer gebrauchen zu können? Allerdings besteht nun einmal keine Sicherheit, dass diese Karte dann auch tatsächlich noch einmal bei mir auf die Hand kommt. Denn die Länge der einzelnen Abenteuer können sich schon deutlich unterscheiden. In dieser Hinsicht gefällt mir auch, dass mit dem Wikingerschiff noch ein verändertes Schiebe-Element als Alternative für den Wikingerpfad hinzugefügt wurde. Denn dadurch kommt eine kleine aber feine Varianz ins Spiel und man erlebt schnell, wie kurz doch solche Schiffe sind – und das hohe Laufwerte durchaus auch eine Gefahr darstellen.
Ansonsten merkt man schon die Sorgfalt, mit der das Spiel bearbeitet wurde. Die Anleitung ist umfangreich, erklärt aber auch alle Sonderfähigkeiten der einzelnen Karten ausführlich. Für einen einfacheren Einstieg wird zudem ein separates Tutorial angeboten. Illustrationen und Ausstattung sind über jeden Zweifel erhaben.
Fazit: DIE WIKINGER SAGA hat einen interessanten Kern, der aber durch das aufgeblähte Drumherum leider verloren geht. So schön das Spiel illustriert und ausgestattet ist – weniger thematisches Getöse bei Konzentration auf das Wesentliche wäre meiner Meinung nach sinnvoller gewesen.
Titel | Die Wikinger Saga |
Autor | Knut Happel und Christian Fiore |
Illustrationen | Michael Menzel |
Dauer | 60 bis 90 Minuten |
Spieleranzahl | 2 bis 4 |
Zielgruppe | Sitzfleisch habende Familienspieler |
Verlag | Schmidt-Spiele |
Jahr | 2020 |
Ich bedanke mich bei Schmidt Spiele für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars. Ich bin mir sicher, dass durch diese Bereitstellung meine Meinung nicht beeinflusst wurde. Die Besprechung spiegelt meine gemachte Erfahrung wider.
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