Evergreen von Hjalmar Hach – erschienen bei Horrible Guild
So sehr ich das Cover von EVERGREEN auch bewundere: ein klein wenig finde ich es schon schade, dass zumindest die deutsche Ausgabe nicht einen kleinen grünen Kaktus zeigt...
Thema... die Illustrationen erinnern mich ein wenig an Der Kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry. Aber anstatt darauf zu achten, dass keine Affenbrotbäume unseren kleinen Planeten überwuchern, wollen wir bei EVERGREEN genau das Gegenteil erreichen: unser Ziel ist es, im Wettbewerb zueinander den grünsten Planeten zu gestalten – auf das Ruby Rhod begeistert sein wird.
llustrationen… stammen von Wenyi Geng, die damit meines Wissens nach zum ersten Mal im Brettspielbereich aktiv war. Sehr gerne können noch mehr Arbeiten folgen. Denn mir gefallen ihre Illustrationen außerordentlich gut! Zusätzlich erkennt man die Erfahrung der helfenden Hände im Hintergrund beim Grafikdesign (Lorenzo Silva, Noa Vassalli und Fábio Frencl). Die Symbolsprache ist eindeutig und leicht zu lernen, viele durchdachte Details helfen unauffällig aber effektiv. Meiner Meinung nach hätten die beiden grünen Flächen nicht unbedingt nebeneinander liegen müssen, aber zumindest wird Farbfehlsichtigen über kleine Symbole die Zuordnung ermöglicht.
Ausstattung… sorgt mit den vielen kleinen Holzteilen für die richtige Atmosphäre! Was könnte sonst besser zum Thema passen? Damit die Setzlinge, kleine und große Bäume, Gebüsche und Seen auf den Spiel-Tableaus nicht dauernd verrücken, bieten diese passende Vertiefungen an. Auch die Zählsteine können so sicher nach und nach verrückt werden. Und selbst für die umherwandernden Sonnenscheibe wurden kleine Ausschnitte hergestellt.
Der eigentliche Motor von EVERGREEN sind allerdings die Karten. Diese zeigen immer einen der sechs Landschaftstypen, eine der fünf Zusatzaktionen sowie Habitat-Punkte für die finale Endwertung.
Ablauf… aufgrund der vier durchzuführenden Spielrunden und dem Naturthema werde ich dazu verleitet, von vier zu spielenden Jahreszeiten zu reden. Allerdings würde das nicht zur Mechanik passen. Denn in der ersten Runde spielt man fünf Karten, dann vier, drei und in der letzten Runde nur noch zwei Karten. Somit würde nach dem Sommer der Frühling kommen, dann der Herbst und schließlich der Winter. Aber vielleicht ist das bei unserem Planeten auch so.
Die Karten, die wir spielen, bekommen wir über eine offene Auslage. Dort liegt immer eine Karte mehr als Personen mitspielen. Reihum nehmen wir uns eine Karte und handeln diese ab. Auf dem abgebildeten Landschaftstyp können wir dann auf unseren Tableaus Setzlinge anpflanzen, diese zu kleinen Bäumen hochziehen oder später sogar zu noch größeren Bäumen anwachsen lassen. Zusätzlich lösen wir mit der Karte Zusatzaktionen aus, die stärker werden, je öfter wir diese Aktionsart ausgewählt haben. Von der anfänglichen Kartenauswahl bleibt eine übrig, die wir dann zur Kartensammlung für die Endwertung schieben.
Am Runden-Ende erhalten wir in einer Wertungsphase einen Punkt für jeden Baum im größten zusammenhängenden Gebiet sowie weitere Punkte für alle Bäume, die Sonnenstrahlen abbekommen. Die Sonne wandert nämlich um das Tableau herum und wir bilden dann gedanklich von dieser Seite abstrahlende Sonnenlinien. Trifft eine solche auf einen Baum, erhält man Punkte. Folgt in der Linie direkt danach ein weiterer Baum, so steht dieser dummerweise im Schatten und geht leer aus. Bei den hohen Bäumen vergrößert sich dieser Schattenwurf logischerweise noch um ein weiteres Feld.
Am Spiel-Ende erhalten wir noch zusätzlich Punkte für unsere großen Bäume. Deren Ertrag ist abhängig von den Karten an, die wir bei der jeweiligen Runden-Auswahl nicht genommen haben.
Das gefällt mir nicht so gut: Die Aktionsmöglichkeiten sind recht eingängig, aber bei der Wertung sieht man oftmals Fragezeichen im Kopf. Viele Mitspielende waren unsicher, ob sie das mit dem Schattenwurf richtig berechnen würden. Zumal ein Baum im Schatten keine Punkte gibt, aber trotzdem nachfolgende Bäume verschatten kann. Oftmals haben wir deswegen die Wertungen nacheinander gemeinsam durchgeführt, auch wenn das eigentlich simultan erfolgen könnte. Die Anleitung widmet dem Thema sehr anschaulich eine ganze Seite. Diese sollte man zu Beginn unbedingt aufgeschlagen in der Nähe liegen haben. Noch schöner wäre allerdings eine kleine Spielhilfe gewesen, bei der dann auch noch der Unterschied zwischen Gebüsch und See bei der Wertung des größten Waldes erklärt wird.
So schön das Spielmaterial auch aussieht: all zu dicke Finger sollte man nicht haben. Es kann schon mal passieren, dass man beim Austauschen der Setzlinge in Bäume eine Kettenreaktion auslöst, die an den Domino Day erinnert. Glücklicherweise sorgen die Einkerbungen der Tableaus dafür, dass sich der Schaden in Grenzen hält. Aber ein wenig Fingerspitzengefühl ist sicherlich von Vorteil.
Der Schaden hält sich übrigens nicht in Grenzen, wenn man auf die wahnwitzige Idee kommt, das Spiel hochkant zu lagern. So hilfreich auf dem ersten Blick das lobenswert kunststoffreie Insert zu sein scheint – das Ding funktioniert nicht wirklich. Schon bei flacher Lagerung verschieben sich die einzelnen kleinen Holzteile in andere Fächer. Will ich dann einmal das wunderschöne Cover zeigen, erschallen aus der Box Geräusche, die man ansonsten nur aus Lego-Boxen kennt. Viel Spaß beim anschließenden Neu-Sortieren der ganzen Teile!
Das gefällt mir gut: EVERGREEN besitzt durchaus ein etwas solistisches Spielgefühl. Ich knobel ohne viel nach rechts und links zu schauen an meiner optimalen Auslage herum. Allerdings gefällt mir das gut. Möchte ich es bei vergleichbaren Thema interaktiver, dann greife ich zu PHOTOSYNTHESIS. Das weist viele Ähnlichkeiten auf – was nicht verwunderlich ist, schließlich wurde dieses Spiel ebenfalls von Hjalmar Hach entwickelt. Dort ist Interaktion sehr groß geschrieben und herrscht die ganze Zeit Konkurrenz um die besten Plätze im Wald und um rare Sonnenstrahlen. Wenn ich mich dabei allerdings doof anstelle, kann ich zur Hälfte der Spielzeit schon aus der Verlosung um den Spielsieg draußen sein. So schön harmonisch PHOTOSYNTHESIS auf den ersten Blick wirkt, kann es doch hundsgemein sein. EVERGREEN ist da ganz anders. Es ist vergleichbar hübsch und basiert auf ähnliche Überlegungen, spielt sich dahingegen aber wesentlich friedlicher. Ich kann mich in Ruhe auf meinem Planeten ausbreiten und die Mitspielenden können nur bedingt meine Planungen beeinflussen.
Ganz ohne Interaktion verläuft EVERGREEN aber auch nicht. Es lässt sich zwar spannend solo auf Highscore spielen, aber mehr Spaß macht es mit persönlicher Konkurrenz. Denn bei der Auswahl der Karten sind schon taktische Überlegungen zu treffen. Welche Karte brauche ich dringend? Was ist mir wichtiger: das Gebiet oder die Zusatzaktion? Und was für Karten bleiben dann für die anderen liegen? Da kann es von Vorteil sein, den Auswahlvorgang zu starten. Aber ganz am Ende davon zu sitzen ist ebenfalls reizvoll. Weil dann kann ich bestimmen, welche Karte die Endwertung beeinflusst. Und bevor ich mich da entscheide, schaue ich immer auch auf die anderen Tableaus. Hier kann schon ein nicht zu unterschätzender Einfluss ausgeübt werden. Um dabei keine Vorlagen zu liefern, nehme nehme ich auch mal im Vorfeld eine für meine kurzfristige Planung etwas unpassende Karte, damit diese dann auf keinen Fall die Punkte bei der Endwertung erheblich verkleinert.
Trotzdem ist EVERGREEN auch kein Hirnverzwirbler. Die Aktionen sind einfach zu erfassen und meist wird doch recht zügig durchgeführt, weil alle einen Plan im Kopf haben. Zusätzlich hilft die durchdachte Gestaltung in vielerlei Hinsicht sehr. Erfreut bin ich auch über das anziehende Tempo. In der ersten Runde baue ich langsam mein Waldgebiet auf und ich habe Zeit bis zur ersten Zwischenwertung. Die letzte Runde ist dahingegen fast sofort vorbei und ich sollte also schon in den Runden davor das auf mich zurasende Ende im Kopf haben. Das erwirkt eine schöne Dynamik.
Zu guter Letzt gefällt mir der finale Anblick! Es entstehen schöne grüne Waldlandschaften. War unser Planet zu Spielbeginn noch flach und karg, so sehe ich am Ende des Spiels mein Tun – und im Gegensatz zu PHOTOSYNTHESIS muss ich glücklicherweise auch keine Bäume fällen. EVERGREEN hat somit ein durchgehendes positives Spielgefühl.
Fazit: Autor Hjalmar Hach wandelt in EVERGREEN gekonnt seinen PHOTOSYNTHESIS-Mechanismus ab. Nun können wir friedliebend unsere Bäume der Sonne entgegen wachsen lassen und uns an begrünten Planeten erfreuen – und das formidable Material unterstützt uns dabei. Grüner Daumen hoch für das Spiel!
Titel | Evergreen |
---|---|
Autor | Hjalmar Hach |
Illustrationen | Wenyi Geng |
Dauer | 45 Minuten |
Personenanzahl | 1 bis 4 Personen |
Zielgruppe | wachsende Kennerspielrunden |
Verlag | Horrible Guild (im deutschen Vertrieb bei HeidelBär Games) |
Jahr | 2022 |
Hinweis | für die Besprechung wurde ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
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