The 7th Continent von Bruno Sautter und Ludovic Roudy – erschienen bei Serious Pulp bzw. Pegasus Spiele

Es gibt immer wieder so Projekte, die einerseits sehr reizvoll andererseits aber auch abschreckend zugleich sind. Als Serious Pulp vor ein paar Jahren THE 7TH CONTINENT ankündigte, habe ich damals schon sehr mit mir gehadert, weil ich dieses Projekt nicht unterstützt habe. Aber ich war mir unsicher, ob mir das Spiel nicht zu vielw englischsprachige Texte enthielt. Ich traue mir schon zu, englischsprachige Inhalte halbwegs vernünftig zu erfassen. Allerdings vermittelt das bei mir meist mehr das Gefühl von Arbeit denn von Spaß – und bei einer geschätzten Spieldauer von mehreren Stunden war das jetzt nicht unbedingt motivierend. Allerdings hat sich das damalige Zaudern gelohnt, denn seit letztem Herbst ist tatsächlich das Unwahrscheinliche eingetreten: dank der Zusammenarbeit mit Pegasus Spiele bzw. Board Game Circus wurde THE 7TH CONTINENT übersetzt. Somit konnte ich mich mit etwas zeitlicher Verzögerung ins Abenteuer stürzen.
Thema... es ist 1907 und vor kurzem wurde ein geheimnisvoller Kontinent vor der Küste der Antarktis entdeckt. Erste Expeditionen haben dorthin stattgefunden und ganz langsam setzen sich die Puzzle-Teile der neuen Erkenntnisse zusammen. Dummerweise schwebt aber ein Schatten über allem: dieser Kontinent scheint verflucht zu sein. Aus diesem Grund begeben wir – alles ehemalige Expeditionsteilnehmer – uns erneut dorthin, um diesen Fluch zu brechen. Dabei scheint allerdings ein Nebeneffekt des Fluches zu sein, dass wir uns kaum noch an etwas aus der ersten Expedition erinnern können.
Illustrationen… stammen von Ludovic Roudy und haben ihren ganz eigenen Charme. Mit der Symbolsprache bin ich nicht hundertprozentig zufrieden, da diese nicht immer selbsterklärend ist. Trotzdem merkt man schnell, wie sehr die Spielmechanik mit den Illustrationen verwoben sind – was auch auf der Hand liegt, wenn einer der Autoren selbst Hand angelegt hat.
Ausstattung… THE 7TH CONTINENT besteht größtenteils aus Karten – Unmengen an Karten. In der mir vorliegenden Edition sind etwa 850 Stück vorhanden, die auch noch gleich aufgrund eines Einführungs-Fluches erweitert wurden. Der Großteil der Karten sind durchnummerierte Abenteuerkarten. Es bestehen aber auch noch Entdeckungskarten, Aktionskarten, Charakterkarten, Speicherkarten... All diese Karten sind aber aufgrund der zwei Aufbewahrungsboxen mit Trennelementen wohl geordnet, so dass man erstaunlich schnell eine Partie aufbauen kann.
Bei dieser ganzen Menge an Karten verliert man übrigens schnell das restliche Material aus dem Blick. Das kann bei der Größe der Würfel und der Pappaufsteller aber auch leicht passieren. Diese sind aber bewusst klein gehalten, denn schließlich will sich irgendwann ein Kontinent auf dem Tisch ausbreiten.
Ablauf… Wir starten unser Abenteuer auf einer Geländekarte, die meist von einer Menge Nebel umgeben ist. Manchmal kann man schon auf dieser Karte eine Aktion durchführen (Feuer machen, ausruhen, graben...), manchmal muss man sich aber auch lediglich von dort weg bewegen. Dabei lüftet man dann den Nebel, was meist mit einer Überraschung verbunden ist – und diese kann ungeliebt oder wohlgesonnen sein. Auf manchen Geländekarten sind auch geheime Nummern versteckt, die es erst einmal zu finden gilt. Das ganze Kartensystem basiert ohnehin auf diesen Nummern. Bewegt man sich weiter, wird angegeben, welche Abenteuerkarte man anlegen muss. Öffnet man bspw. eine Truhe, zieht man eine Karte mit der entsprechenden Nummer.
Um Aktionen auszuführen, muss man eine Art Probe durchführen. Dazu deckt man Aktionskarten vom Nachziehstapel auf, die dann eine bestimmte Anzahl an Erfolg-Symbolen aufzeigen müssen. Manchmal kann man die dazu genutzte Anzahl an Aktionskarten selbst bestimmen, manchmal ist eine Mindest- oder gar Höchstmenge vorgeschrieben. Zusätzlich kann man die Proben mithilfe von Ausrüstungsgegenständen und Handkarten auch noch zum eigenen Nutzen beeinflussen. Diese Aktionskarten haben aber noch eine andere wichtige Funktion. Sind alle Karten vom Nachziehstapel aufgebraucht, bildet man einen neuen. Zieht man daraus nun eine Fluchkarte, dann ist das aktuelle Abenteuer beendet. Game over – please insert a coin! Man muss dann wieder von vorne beginnen. Dementsprechend setzt man viel daran, diesen Nachziehstapel im Laufe eines Abenteuers immer wieder neu zu füllen. Man kann zwar auch ohne diesen "Überlebensdruck" spielen, allerdings fehlt dann etwas die Würze.
Unsere Aufgabe bei THE 7TH CONTINENT ist es, Flüche zu brechen. Dafür sammeln wir bestimmte Gegenstände ein und erfahren auch einiges über die Geschichte des Kontinents. Dabei müssen auch immer mal kleine Rätsel gelöst werden, wie man diese aus Escape Spielen kennt. Da ein solches Fluch-Abenteuer nicht in ein bis zwei Stunden gespielt ist (ganz im Gegenteil), besteht die notwendige Möglichkeit, den aktuellen Spielstand zu speichern. Allerdings muss man sich das eher so vorstellen, dass man dabei ein Nachtlager eingerichtet hat. Wacht man am nächsten Morgen auf, stellt man fest, dass man wieder komplett von Nebel umgeben ist. Denn bei dieser Speicherung wird lediglich das Geländeplättchen, auf dem man sich am Ende des Session befand, gesondert zusammen mit der Ausrüstung gesichert. Alle anderen Geländeplättchen werden größtenteils wieder in den Vorrat zurück sortiert. Dieses Speichern ist selbst dann eine Notwendigkeit, wenn man den Luxus besitzt, das Spiel wochenlang aufgebaut lagern zu können. Denn dadurch kommen auch wieder Karten ins Spiel, mit denen man den Nachziehstapel manipulieren kann.
Das gefällt mir nicht so gut: Auch wenn mit dieser Speicherung in gewisser Weise ein Tagesablauf simuliert wird, nervt es auf Dauer, dass man gefühlt immer wieder neu anfangen muss. Hier muss jede Gruppe ihren eigenen Stil finden, wie sie das Spiel erleben will. Verzichtet man ganz auf das Kartenmanagement des Nachziehstapel, dann konzentriert man sich nur auf die Entdeckungen und ist wahrscheinlich über die Langsamkeit des Vorankommens frustriert. Spielt man mit hartem Überlebenskampf, dann kann es passieren, dass man zwei Stunden damit beschäftigt ist, neue Nahrung zu besorgen und nichts anderes macht – auch das ist wenig erbaulich. Wir haben für uns einen Mittelweg gefunden, durch den wir uns unter Druck gesetzt haben, niemals den Nachziehstapel komplett leer werden zu lassen. Wenn wir dann aber abspeicherten, dann haben wir den Nachziehstapel wieder jungfräulich gebildet. Thematisch gesehen haben uns wir so lange auf den Beinen gehalten, bis uns die Erschöpfung zur Pause trieb.
Ich habe übrigens ganz bewusst das Wort "wir" gewählt. Ursprünglich hatte ich vor, THE 7TH CONTINENT als Solo-Spiel anzugehen. Aber in der Konstellation kam ich so gar nicht in das Spiel rein. Das war mechanisch schon ganz interessant, mich hat das Spiel aber nicht gefangen. Erst als ich eine Person neben mir hatte, mit der ich mich beratschlagen konnte, kam ich in den notwendigen Sog hinein, um unbedingt am Ball bleiben zu wollen. Auf einmal berührte mich das Spiel. Es wurde diskutiert, abgewogen und gemeinsam gejubelt oder geflucht. Der Versuch, dieses Spielgefühl dann auf eine größere Gruppe zu übertragen, scheiterte aber grandios, weil schnell alles viel zu unübersichtlich wurde. In meinen Augen ist somit THE 7TH CONTINENT ein tolles kooperatives Spiel für 2, maximal noch 3 Personen. Passionierte Solisten haben wahrscheinlich aber auch alleine ihren Spaß.
Ein weiterer Vorteil der Kleingruppe ist übrigens, dass man nun jemanden hat, um gemeinsam die Anleitung zu interpretieren. Nicht falsch verstehen: diese ist schon im Bereich des Möglichen gut strukturiert und deckt vieles ab. Manches hätte gerne aber noch etwas klarer formuliert werden können und das ein oder andere zusätzliche Beispiel wäre auch hilfreich gewesen. Aber ein solches Spielsystem ist eigentlich zu komplex, um wirklich jede Eventualität abzudecken. In meinen Augen müssen die Regeln für solch ein Spielkonzept deswegen lediglich einen Rahmen vorgeben, in dem man sich recht sicher bewegen kann. Den Rest sollte man dann im Sinne des Spiels angehen. Ich weiß, dass manche Mitmenschen in dieser Beziehung dogmatischer sind und gerne etwas schwarz auf weiß stehen haben. Ich bin da entspannter unterwegs. Allerdings ist es eben hilfreich, wenn man eine Person neben sich sitzen hat, um gemeinsam die auftretenden Zweifelsfälle zu diskutieren und eine gemeinsame Linie festzulegen.
Die mir vorliegende Classic Edition von THE 7TH CONTINENT kommt mit drei Flüchen daher ("Die gierige Göttin", "Ein Opfer an die Wächter" und "Die blutige Jagd"). Zusätzlich hatte ich noch den Einsteigerfluch "Das Lied des Kristalls" vorliegen, der allerdings eher eine Art Tutorial darstellt und noch nicht die epischen Ausmaße der anderen Flüche aufweist. Bei diesen Flüchen und den damit verbundenen Geschichten muss einem klar sein, dass sich der Kontinent, auf dem das alles spielt, wenig ändert. Wenn man also schon recht viel von diesem in einem Fluch-Durchgang entdeckt hat, dann ist ein zweiter und dritter Durchlauf mit einem anderen Fluch nicht mehr ganz so atemberaubend. Vieles hat man schon gesehen und die Überraschungen sind keine mehr. Deswegen würde ich wohl den Tipp geben: spielt einen Fluch, legt das System weg und lasst ein wenig Zeit vergehen. Mit diesem zeitlichen Versatz ist dann das Gefühl des Entdeckens wieder stärker, was meiner Meinung nach den großen Reiz von THE 7TH CONTINENT ausmacht. Insgesamt hätte es mir wohl besser gefallen, wenn die einzelnen Flüche lokaler angesiedelt gewesen wären. Wenn man sich also jeweils auf einen bestimmten Teil vom Kontinent beschränkt hätte. Dann wäre der Entdecker-Anteil jeweils größer und die einzelnen Abenteuer wahrscheinlich auch kompakter. Man müsste dann weniger durch die Landschaft streifen, nur um zu dieser oder jener Ecke zu gelangen.
Wenn ich übrigens schon bei Tipps bin: ich bin wahrlich kein Verfechter von Kartenhüllen. Aber bei THE 7TH CONTINENT haben diese teilweise schon einen echten Mehrwert, weswegen diese auch direkt Bestandteil eines beworbenen Einstiegpakets sind. Leider fehlt dabei der Hinweis, welche Karten denn nun damit eingetütet werden sollen. Das ist ärgerlich, wenn mit einem solchen Paket doch explizit Neulinge angesprochen werden sollen. Mit ein wenig Spielerfahrung merkt man dann schnell, dass es völlig ausreicht, die Aktionskarten zu schützen, da diese doch sehr oft gemischt werden.
Das gefällt mir gut: THE 7TH CONTINENT schafft Atmosphäre! Spielerisch passiert eigentlich gar nicht so viel. Man läuft ein wenig durch die Gegend, entdeckt dort mal was, muss ein Rätsel lösen oder sich einer Gefahr stellen. Der eigentliche Reiz ist aber das Erleben des Ganzen, das Entdecken des unbekannten Kontinents. Man ist gespannt, wie es hinter dem Nebel weitergeht. Man ist überrascht, wie schnell sich die Landschaft ändert. Eben war man noch im Regenwald, dann auf einmal in einer Steinwüste und dann im schneebedeckten Gebirge. Dieser 7. Kontinent ist wahrlich abwechslungsreich. Zumal man durch geheime Zugänge auf einmal auch durch dunkle Katakomben wandern kann. THE 7TH CONTINENT ist ein klassisches Sandbox Spiel und wir können darin die Landschaft völlig frei bereisen. Wollen wir wirklich diese Felswand hochklettern oder doch lieber versuchen, die Brücke zu reparieren? Der Spannungsbogen erfolgt nicht durch äußere Umstände, sondern durch den Eigenantrieb, diese Welt entdecken zu wollen.
Dieser Trieb wird durch die Geschichte der Flüche eingerahmt. Man ist ständig auf der Suche nach Hinweisen, wie man den Fluch brechen kann. Dabei wird nicht man gerade mit Erfolgserlebnissen überhäuft. Allerdings ist dann die Freude umso größer, wenn man ein wichtiges Puzzle-Stück gefunden hat. Das ist in gewisser Weise Arbeit, aber eine, die man gerne macht. Man fühlt sich immer als Bestandteil dieser Welt. Wie in einem Computerspiel bewegt man sich von einem Ort zum anderen und erlebt dauernd kleine Geschichten. Mal fällt man in eine Schlucht, mal muss man sich gegen ein Raubtier erwehren. Immer versucht man zu überleben und nicht in einem Grab zu landen – von denen es erstaunlich viele auf diesem Kontinent gibt. Hinter diesem System steckt eine unglaubliche Akribie. Alle Karten müssen zueinander passen, was insbesondere auch grafisch gut gelingt. Ich will gar nicht wissen, wie viel Stunden an Arbeit dafür aufgebracht werden musste (auch für die Lokalisierung). Da ziehe ich meinen Hut davor! Die Liebe zum eigenen Werk erkannt man dabei an vielerlei Details. So sind bspw. die meisten Landschaftskarten noch mit einem kleinen Text versehen. Der hat meist keine wirkliche Bedeutung, fördert aber die Immersion. Wir haben uns jedenfalls immer alle Texte vorgelesen, weil wir so ein Gefühl für diese Welt entwickeln konnten. Der Großteil des Spielgefühls entwickelt sich jedoch über die stimmigen Illustrationen.
Aber nicht nur die Atmosphäre von THE 7TH CONTINENT überzeugt, auch die Spielmechanik hat mich positiv überrascht. Das System ist schlank und effizient. Wenn man die Grundzüge verinnerlicht hat, erklärt sich auch vieles von selbst. Dabei hat das Proben-System diesen besonderen Push-Your-Luck Anteil, der Emotionen fördert. Wie viel Karten ist mir ein Erfolg wert? Kann ich es riskieren, nur wenige Karten aufzudecken? Muss ich dabei nicht lieber auf Nummer sicher gehen? Das ist eine spannendere Entscheidung als wenn ich bspw. bloß einen Würfel werfen würde. Auch die Gegenstände sind reizvoll – insbesondere die Möglichkeit, diese miteinander zu kombinieren. Manchmal ist es zwar etwas unfreiwillige komisch, wenn man sich vorstellt, wie man mit einem Floß durch Katakomben irrt. Aber im Großen und Ganzen passt das schon alles ganz gut. Denn diese Gegenstände nutzen sich mit Gebrauch ab. So ist man immer gezwungen abzuwägen, ob man nun wirklich die Fackel für das Feuer machen benutzen will oder diese vielleicht nicht noch ein wenig brennen lässt, da man damit sicherlich auch Tiere verscheuchen kann.
Über die verschiedenen Spiel-Modi habe ich schon berichtet. Hier gilt es für jede Gruppe ihren eigenen Stil zu finden. Wenn man es wirklich im harten Überlebenskampf spielt, dann muss einem klar sein, dass man mehrere Versuche spielen wird. Mit jedem Versuch wird man klüger. Man erkennt die Notwendigkeiten, auf die man sich dann vorbereiten muss. Durch die Ereignisse hinter den Nebelkarten ist das dann aber kein stumpfes Abarbeiten, sondern hier warten immer noch Überraschungen auf einen.
Was mir übrigens auch gut gefällt, ist die Kompaktheit und Einfachheit des Materials. Die eingesetzten Komponenten reichen völlig aus. Man braucht keine unzähligen Plastikminiaturen und tausend unterschiedliche Spielpläne, um auch nach außen zu zeigen, wie viel in dem Spiel drinnen steckt. Und für all die Leute, die etwas mehr Tinnef benötigen, gibt es zusätzliche Angebote. So konnte ich bspw. nicht bei dem Tagebuch widerstehen, um dort die entsprechenden Karten zu sammeln. Das fand ich so wunderbar stimmig, dass ich mir das noch zusätzlich geleistet habe.
Fazit: THE 7TH CONTINENT ist ein Fest für all diejenigen, die gerne frei eine neue unbekannte Welt entdecken wollen. Durch die vielen kleinen Fallen, Unglücke und Rätsel kommt echtes Indiana Jones Feeling auf. Wie bin ich doch froh, dass ich mich nun aufgrund der deutschen Lokalisierung an diesen Brocken gewagt habe, denn THE 7TH CONTINENT ist ein Erlebnis!
| Titel | The 7th Continent |
|---|---|
| Autoren | Bruno Sautter und Ludovic Roudy |
| Illustrationen | Ludovic Roudy |
| Dauer | 5 bis 1000 Minuten |
| Personenanzahl | 1 bis 4 Personen |
| Zielgruppe | kartengetriebene Abenteurer |
| Verlag | Serious Pulp (Pegasus Spiele für die deutsche Ausgabe) |
| Jahr | 2020 |
| Hinweis | für die Besprechung wurde vom Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |























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