Vienna von Stefan Feld – erschienen bei Queen Games
Ich bin zu wenig Österreich-Kenner, um nun einen geistreichen Bezug zwischen Wien und einer Insel herzustellen. Mir als Musikliebhaber ist lediglich das Donauinselfest ein Begriff. Dabei ist die Donauinsel gar nicht natürlichen Ursprungs, sondern künstlich angelegt. So gesehen habe ich nun doch eine passende Verknüpfung von VIENNA zum Vorgänger LA ISLA: das ist eine künstliche Entscheidung und nicht organisch gewachsen.
Was bleibt unverändert? Das spielmechanische Grundgerüst würde nur in Nuancen angepasst und grundsätzlich bleibt alles beim alten: wir ziehen zu Beginn einer Runde drei Karten und müssen diese für nachfolgende Aktionen benutzen. Da hilft es, dass wir Multi-Use-Cards auf die Hand bekommen, die drei unterschiedliche Funktionen ermöglichen.
Als erste Aktion spielen wir eine Karte in einen der drei zur Verfügung stehenden Karten-Slots. Damit erhalten wir unterschiedliche Optionen für den weiteren Spielverlauf. Spätestens ab der vierten Runde müssen wir uns aber von einer dieser Karten trennen, weil schließlich eine Karte immer wieder neu ausgelegt werden muss. Über die zweite Aktion erhalten wir durch das Ablegen einer Karte den dort abgebildeten "Rohstoff" (bei VIENNA ist das ein Bestechungsmittel wie Schokolade oder Tabak). Als dritte Aktion geben wir diese Bestechungsmittel wieder ab, um unsere Spielfiguren auf den Spielplan zu stellen. Haben wir damit ein Zielplättchen vollständig umschlossen, erhalten wir dieses. Die letzte Aktion wird über unsere letzte Karte gesteuert. Denn nun schieben wir auf einer von fünf Leisten einen Marker weiter. Über diese Leisten wird am Ende der Wert unserer gesammelten Zielplättchen festgelegt. Zwischendurch bekommen wir aber auch schon immer mal wieder Siegpunkte.
Was ist neu? Selbstredend das Thema und damit einhergehend auch die Gestaltung. Statt auf einer einsammeln Insel als Forscher seltene Tiere zu erkunden, sind wir nun als Geheimdienste in der Nachkriegszeit um 1950 in Wien aktiv.
Auch die Ausstattung hat sich massiv verändert. LA ISLA erschien 2014 in der mittleren Boxgröße von alea. Der Spielplan musste auf Modulen zusammengelegt werden, die Karten waren recht klein und der Mutterverlag Ravensbuger hatte noch ausreichend kleine bunte Plastikfigürchen übrig. Der Rest bestand aus klassischer Pappe und Standard-Holzmarkern. VIENNA denkt alles ein wenig größer. Das beginnt bei der Größe der Karten und damit einhergehend auch beim eigenen Tableau. Der Spielplan ist nun fest vorgeben, bietet aber auf andere Art und Weise Varianz. Für das restliche Material wurde noch eine zusätzliche Ablage bereitgestellt, um endgültig und vollständig freie Flächen auf dem Tisch zu besetzen.
Wobei das natürlich etwas übertrieben ist – schließlich benötigen wir noch weiteren Platz für das über das Grundspiel hinausgehende Material. VIENNA unterscheidet zwischen einer "Einstiegsversion" und einer "Vollversion". Die Einstiegsversion ist im Endeffekt eine minimal angepasste Neuauflage von LA ISLA. Die Vollversion bietet noch zusätzliche Elemente. Nun können wir nämlich Aufträge annehmen und diese später erfüllen, wenn wir die Voraussetzungen erfüllen. Damit verdienen wir Geld, was wir in zusätzliche Hilfen reinvestieren können. Die Vollversion führt neue Entscheidungsebenen ein und sorgt somit für mehr Komplexität.
Wie gefällt mir der neue Anstrich? Wie das manchmal so ist: Veränderungen bringen Vor- und Nachteile. Die Illustrationen von Lukas Siegmon sind eine Augenweide und die neue Themeneinbindung empfinde ich als äußerst gelungen. Leider verursachen die damit verbundenen Änderungen eine Verschlechterung hinsichtlich der Übersichtlichkeit. Bei LA ISLA war durch den symmetrischen Spielplan immer schnell zu erkennen, ob ich für die Belohnung nun 2, 3 oder 4 umliegende Figuren benötige. In VIENNA ist das deutlich schwieriger, weil – durchaus löblich – darauf geachtet wurde, dass sich die tatsächliche Stadtstruktur auch auf dem Spielplan wiederfindet. Die wichtigen Gebäude in Wien sind aber nun einmal nicht in einem festen Raster angeordnet. In der Einstiegsvariante kann ich noch ganz gut mit dieser Herausforderung leben, da dort nur die Farbe und die Flagge bei den Orten eine Rolle spielen. Aber in der Vollversion kommen dann noch die Siegel als weitere Information dazu, die dann auch noch unglücklich von den Spielfiguren abgedeckt sein können. Somit kann das aufkommende Spielgefühl an MICROMACRO CRIME CITY erinnern, was aber nur bedingt auf Gegenliebe stößt.
Das sind aber nur Äußerlichkeiten, über die ich durch meine Liebe zu Wien und dem Thema hinwegsehen kann. Als viel störender empfinde ich aber die Änderungen bei der Begrenzung der Spielzeit. Denn all zu oft haben wir erleben müssen, dass sich die Partien gegen Ende wie Kaugummi gezogen haben. In LA ISLA war das Ende der Partie klar durch die Summer der Schwellen-Überschreitungen auf der Werteleiste definiert. Bei VIENNA ist das minimal verändert, was aber eine unglückliche große Wirkung hat. Denn nun wird der Enden-Zählmarker nur einmal pro Runde vorgerückt. Selbst wenn bspw. in einer Runde drei Schwellen-Überschreitungen stattfinden, wird der Marker nur einen Schritt vorgerückt. Damit dauert VIENNA meist deutlich länger als LA ISLA, was dem Spielgefühl schadet. Denn nun sind am Ende meist alle Belohnungen schon eingesammelt und wir versuchen nun nur noch Punkte über die Sonderfunktionen einzusammeln. Zusätzlich ist denn meist der Großteil der Wertungsmarker schon am rechten Ende angelangt. Bei der Endabrechnung treten somit kaum noch Unterschiede bei der Bewertung der einzelnen Belohnungen auf, womit fast nur noch die schiere Anzahl der Belohnungen von Bedeutung ist. Aber genau dieses Element – welche Belohnung ist am Ende wie viel wert ? – machte u.a. den besonderen Reiz von LA ISLA aus. Denn dann geht es nicht mehr nur um stumpfes Sammeln, sondern immer auch darum, was ich überhaupt sammel und wie ich den Punkte-Kurs für das Ende beeinflussen kann. Zudem war die Einleitung des Endes auch ein taktisches Element, mit dem ich spielen konnte: Soll ich mich eilen, das Ende herbeizuführen oder versuche ich auf Zeit zu spielen? Dieses Element ist bei VIENNA verunglückt und in der Einstiegsversion spielen wir hausgeregelt nur noch nach der ursprüngliche Vorgabe von LA ISLA.
Wir haben uns in der Einstiegsversion auch gefragt, wie nun die vollständigen Sets an Belohnungen gewertet werden. Die Anleitung redet von 10 Punkten, die Spielhilfe von 15 Punkten. Orientieren wir uns an LA ISLA, dann müssten es 10 Punkte sein. Laut BGG-Forum sind aber wohl 15 Punkte der richtige Wert. Leider habe ich von Verlagsseite dazu keine Aussage finden können. Apropos Spielhilfen: durch den Verzicht auf Textelement ist die Übersicht von VIENNA inhaltlich deutlich schwerer zu verstehen als die von LA ISLA – wobei man für diese allerdings eine herausragende Sehkraft benötigt.
In LA ISLA gibt es sehr starke Karten. Ein zusätzlicher Kartenslot oder eine zusätzliche Figur bringen schon enorme Vorteile. Diese Hilfen sind nun nicht mehr Bestandteil der Einstiegsversion, sondern müssen in der Vollversion angemessen teuer bezahlt werden. Trotzdem sind auch weiterhin starke Karten in der Einstiegsversion vorhanden. Eine Karte belohnt mit 5 Punkten, wenn wir eine Figur auf ein schon besetztes Gebäude stellen. Das ist immer riskant, weil dort Konkurrenz um Belohnungen besteht. Allerdings sind 5 Punkte eben auch ein Wort – insbesondere in Kombination mit der Problematik gegen Ende der Partie, bei der man nur noch über solche Karten Punkte machen kann. Oftmals konnte ich beobachten, wie diese Karte in den Slots gehortet wurde – gerne begleitet vom Lamentieren anderer Personen, denen diese Karte nicht in die Hände fiel.
Mit der Vollversion verschiebt sich VIENNA endgültig vom gehobenen Familienspiel zum Kennerspiel. Nun werden deutlich komplexere Entscheidungen von uns gefordert und das reine Sammeln der Belohnungen rückt etwas in den Hintergrund. Denn in der Vollversion müssen wir Geld verdienen. Nur damit kommen wir an die hilfreichen Sonderfunktionen. Allerdings müssen wir nun auch unsere Agenten auf dem Spielplan bezahlen. Das ist schon für den eigentlichen Spielverlauf anzuraten, weil wir mit vielen Spielfiguren deutlich flexibler agieren können. Zusätzlich belohnt die Schlußwertung aber auch die Fraktionen, die noch die meisten Agenten auf dem Spielplan stehen haben. Auf der anderen Seite kann man das verdiente Geld allerdings auch als Schwarzgeld in der eigenen Geldkassette verschwinden lassen, was am Ende ebenfalls mit Punkten belohnt wird. Was sollen wir also mit dem verdienten Geld machen? Und welche Aufträge lohnen sich überhaupt für mich anzunehmen? In der Vollversion ist deutlich mehr Gehirnschmalz gefordert.
Der eigentliche Charakter von VIENNA wird aber nicht grundlegend geändert. Weiterhin gilt es, das Beste aus der vorhandenen Kartenhand herauszuholen – und das ist äußerst reizvoll! Natürlich spielt Kartenglück dabei eine Rolle, aber in einem Maße, welches ich als reizvoll ansehe. Unsere Pläne müssen kurzfristig angepasst werden, weil beim Nachziehen nicht das erhoffte Symbol erscheint. Ein anderer Geheimdienst war schneller und hat nun Vorsprung auf der Jagd nach meiner erhofften Belohnung. Was soll ich nun tun? Eine andere Belohnung anvisieren oder doch bei meinem Plan bleiben? Denn meine Aktionskarten geben mir für den ursprünglichen Plan Vorteile. Das sind die Herausforderung, die es zu meistern gilt – und ich bin mir sicher, auch bei den Geheimdiensten muss oftmals improvisiert werden. Entsprechend gut passt das neue Thema.
Für mich persönlich hätte es die erweiterte Vollversion nicht gebraucht. Ich war und bin mit der spielerischen Substanz von LA ISLA glücklich und spiele es seit Jahren gerne. Das wird mir allerdings von VIENNA auch gar nicht genommen und ich kann dort problemlos weiterhin die Einstiegsversion auf den Tisch bringen. Nun habe ich aber die Möglichkeit, die Zügel anzuziehen und damit vielleicht auch Personen von VIENNA zu überzeugen, denen LA ISLA etwas zu seicht und zufällig war. Ob ich dafür diese Materialaufwertung gebräucht hätte, zumal Platz im Regal ein rares Gut ist? Wahrscheinlich nicht, aber das neue Thema und die ansprechende Gestaltung ist schon ein empfundener Zugewinn.
PS: Übrigens existiert noch eine Deluxe-Version von VIENNA. Neben Aufbewahrungsboxen zur besseren Organisation des Materials sind dort die Belohnungen und die Spielfiguren aus Acryl. Das ist bei den Belohnungen ganz nett, weil diese Steine schon ein wenig besser aussehen. Bei den Spielfiguren sind die Acryl-Doubles jedoch eine Verschlimmbesserung. Denn nun erkennen wir die Farbe der Figuren nur noch, wenn wir die abgedruckten Farben sehen. Von der Seite aus betrachtet sehen alle Figuren gleich aus, so dass man sie besser auf dem Spielplan ablegt. Dann werden aber möglicherweise wieder die Symbole abgedeckt. Nein, dieses Upgrade hat mich nicht überzeugt.
Titel | Vienna |
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Autor | Stefan Feld |
Illustrationen | Lukas Siegmon |
Dauer | 60 – 90 Minuten |
Personenanzahl | 2 bis 4 Personen |
Zielgruppe | sowohl Familienspiel- wie auch Kennerspielrunden (Vollversion) |
Verlag | Queen Games |
Jahr | 2023 |
Hinweis | Vielen Dank an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars! |
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