Zwergar von Jan Madejski – erschienen bei Granna
Bisher kannte ich inflationär benutzte R‑Buchstaben nur im Pirrrraten-Kosmos. Mit Zwergen verbinde ich eher das W oder das F, was aber auch an meiner Rollenspielvergangenheit liegt, bei dem unser Zwerg nicht die die hellste Leuchte unter der aventurischen Sonne war. Oder aber sind die Zwerge in ZWERGAR in Wirklichkeit verkappte Piraten? Die Affinität zu Gold besteht schon mal als Gemeinsamkeit...
Thema... ha, endlich werden mal die wahren Helden beim Namen genannt: Ingenieure. Denn für deren Kunstfertigkeit soll das Königreich Zwergar bekannt sein. Dementsprechend sollen wir nun die Projekte des Chefingenieurs fertigstellen. Dafür benötigen wir allerdings die allerfeinsten Erze aus den Tiefen des Berges, die über eine clevere Aufzugsanlage nach oben befördert werden. Dabei wird uns wie im wahren Leben bewusst: das kostet alles Energie, weswegen unsere Öfen lieber brennen sollten als leer vor sich hin zu schmauchen.
Illustrationen… sind aus der Feder von Piotr Sokołowski ... und bunt! Irgendwie komme ich mit dem für ZWERGAR gewählten Stil nicht ganz klar. Wobei, das stimmt so gar nicht. Ich finde die einzelnen Illustrationen wundervoll, aber die schiere Menge der Eindrücke erschlägt mich ein wenig und ich sehe dann nur noch Rot- und Goldtöne. Mir wäre also eine etwas reduzierte grafische Gestaltung lieber gewesen, die dafür gesorgt hätte, dass die einzelnen Illustrationen auch richtig zur Geltung kommen können.
Ausstattung… hat ein paar Besonderheiten zu bieten. Die einzelnen Rohstoffe sind ganz themengerecht eingefärbte Steine. Diese und das weitere Kleinmaterial in Form von farbigen Holzfiguren und Pappplättchen werden in extra Pappschachteln gelagert, womit man sehr gut Ordnung halten kann. Ansonsten sind noch eine Menge an Karten in der Box, sowie persönliche Tableaus und ein großer Spielplan, der auf der Rückseite kunstvoll illustriert ist.
Bei den Karten unterscheidet man zwischen Ereigniskarten, die am Anfang einer Runde aufgedeckt werden, und Projektkarten. Von diesen gibt es mehrere unterschiedliche Sets. Je nach Personenanzahl wird eine bestimmte Menge dieser Sets benutzt und zusammen gemischt.
Ablauf… über mindestens acht Runden setzt man seine Zwerge an bestimmte Orte ein und handelt dort die entsprechenden Aktionen ab. Klassisches Worker Placement. Allerdings bekommt man dabei meist auch einen neuen Arbeiter zurück, den man dann wieder neu einsetzen kann. Dabei haben die unterschiedlichen Farben eine Bedeutung, da diese an bestimmten Orten zusätzliche Fähigkeiten besitzen, die es geschickt zu nutzen gilt.
Das alles macht man, um Erze zu gewinnen, die man dann nutzt, um siegpunktbringende Projekte zu verwirklichen bzw. diese auch noch aufzuwerten. Ganz zwergisch baut man diese Erze in Stollen ab. Damit diese auch in unsere Hände gelangen, müssen sie aber erst über eine Aufzugsanlage nach oben bewegt werden. Diese Konstruktion befördert aber die Loren von allen Mitspielenden gleichzeitig. Wenn ich also meine Lore zum Ausleeren ganz nach oben bewege, dann freuen sich auch alle anderen. Mechanisch wird das genial einfach mit rotierenden Pappstreifen durchgeführt. Ist einer oben angelangt, wird dieser geleert und danach wieder unten eingesetzt. Zusätzlich zum Rohstoffmanagement gibt es noch ein Hitzemanagement. Man kann auf dem eigenen Tableau und auf dem Spielplan Öfen installieren. Bei mir wird damit Hitze erzeugt, die ich für den Aufzug und die Projekte benötige. Mit Öfen auf dem Spielplan bekomme ich verschiedene Boni.
Das gefällt mir nicht so gut: ZWERGAR will zu viel. Um den bekannten Worker-Placement-Mechanismus abzuwandeln, gibt es nun noch die Spezialfähigkeiten der einzelnen farbigen Figuren. Dieses Prinzip kennt man schon aus RÄUBER DER NORDSEE, nur ist dieses Spiel im Vergleich zu ZWERGAR weniger regellastig und somit deutlich einstiegsfreundlicher. Bei ZWERGAR wurden diese Umtausch-Variationen übertrieben. An jedem Ort muss ich schauen, was die dortigen Belohnungen sind. Da entwickelt sich kein Gefühl für, sondern man ist auf die Symbole angewiesen, ohne die man verloren wäre. Allerdings kann auch nicht alles mit deren Hilfe erklärt werden, so dass man immer wieder in der Anleitung nachschaut – und dort irgendwann hoffentlich fündig wird. So werden bspw. die eigenen Vorarbeiter im Stollen anders behandelt als auf dem restlichen Spielplan. Eine Info dafür gibt es aber nicht über die Symbolik.
Dieser Regelwust zieht sich leider durch das ganze Spiel. Die unterschiedlichen Projektkarten sorgen auch so schon für Varianz. Da wären die zusätzlich damit einhergehenden Sonderregeln gar nicht nötig gewesen – zumal diese sich auch noch in der Anleitung verstecken. Statt diese dort in irgendeiner Art und Weise hervorzuheben, gehen sie im vielen Text unter. So nett der Gedanke ist, die Anleitung mit kleinen Erzählungen aufzupeppen (EVERDELL lässt grüßen), so unhandlich wird ein Nachschlagen nach Details, die dann in der schieren Textmenge untergehen. Ich hätte mir somit eine deutlich bessere Struktur der Anleitung gewünscht, bei der man schnell die aufkommenden Fragen beantwortet bekommt.
Auch die grafische Gestaltung will zu viel. Der Spielplan ist wunderschön gezeichnet und könnte gut als Wimmelbild-Panorama benutzt werden. Die eigentliche Aufgabe, die Spielenden funktional zu unterstützen, wird aber nicht erfüllt. Man kann nämlich nicht auf dem ersten Blick die wichtigen Informationen erfassen. Hier wäre eine deutlich zurückhaltendere Gestaltung angebrachter gewesen. Selbst die Tableaus lassen einen nicht sofort erkennen, wie viele Öfen man denn nun besitzt. Außerdem fragt man sich, warum bspw. nun drei Kisten für vier Rohstoffarten bestehen...
Selbst beim Material will man zu viel. Die echten Steine sind eine Augen- und Handweide. Aber wirklich praktisch sind die Steine nicht, die in sehr unterschiedlichen Größen daher kommen. Auch in diesem Fall kann man wieder nicht auf einen Blick erfassen, ob da vier oder fünf "Kohle"-Steine liegen oder nicht. Hinzu kommt noch der grafische Fehler, dass sich die Symbole für die schwarze und silbernen Steine auf dem Spielplan zu ähnlich sind. Ständig muss man sich vergewissern, welche Art denn nun gemeint ist. Das nervt auf Dauer, zumal beide Sorten am häufigsten abgebildet sind.
Zu guter Letzt ist der Spannungsbogen nicht sehr ausgeprägt. Die Anleitung schreibt selbst, dass man für ein verkürztes Spiel statt zehn nur acht Runden spielen kann. Meiner Meinung gibt es auch kaum einen Grund, warum ich das lange Spiel wählen sollte. Denn in diesen zusätzlichen zwei Runden passiert zu wenig neues. Ja, man kann nun noch mehr Projekte erfüllen und mehr Siegpunkte fühlen sich schon toll an. Aber ansonsten verlängert sich nur die Spielzeit ohne dass man dafür wirklich mehr geboten bekommt.
Das ist auch deswegen ein Problem, weil sich die Zeit zwischen zwei eigenen Zügen ziemlich dehnen kann. War ich eben Startspieler, bin ich in der folgenden Runde erst wieder ganz am Ende an der Reihe – und kann in der Zwischenzeit problemlos noch etwas anderes machen. Denn die Downtime ist nicht ohne. Das liegt einerseits daran, dass man die eigenen drei Aktionen direkt hintereinander durchführt. Andererseits will man diese aber auch ganz genau bedacht haben, was aufgrund der Kleinteiligkeit der Regeln alles andere als profan ist. Zusätzlich lässt sich auch wenig im Voraus planen. Ich muss schon wissen, welche Figuren wo liegen, damit ich meinen Zug effizient durchführen kann. Dafür muss ich aber den kompletten Spielzug der vor mir spielenden Person abwarten, schließlich ändert sich dabei dauernd etwas.
Da auf begleitende Texte verzichtet wird, müssen alle Informationen über Symbole erklärt werden – und das sind einige. Auch wenn ich diese Entscheidung zwecks Internationalisierung verstehe, so ist das Erlernen diese Sprache mühselig und der ein oder andere Text wäre hilfreich. Die zur Verfügung gestellte zusätzliche Legende für diese Symbole ist zwar eine Hilfe, trotzdem muss erst der Übersetzungsvorgang gestartet werden, was wieder Zeit kostet. Trotzdem bin ich dankbar für das an die Anleitung angehängte Glossar, mit dessen Hilfe jede einzelne Karte erklärt wird.


Das gefällt mir gut: Der Aufzugmechanismus ist das Highlight des Spiels. Anfangs war ich skeptisch, ob dieser so richtig zum Tragen kommt. Ich habe befürchtet, dass es zu Patt-Situationen kommt, weil niemand den Aufzug betätigen will. Allerdings ist das so glücklicherweise nie vorgekommen, da alle an die Erze und meist auch die eigenen Vorarbeiter ran kommen wollen. Außerdem will man gerne die ohnehin verfallende Hitze auch verbrauchen, da bietet sich die Nutzung des Aufzugs an. Und im Notfall helfen auch noch manche Ereigniskarten nach, so dass dauernd die Loren in Bewegung sind. Von Vorteil ist übrigens auch, dass man seine drei Aktionen am Stück macht. Dann ist man nicht zu sehr auf Vorlagen anderer angewiesen, sondern kann somit auch mal einen etwas komplexer anmutenden Spielzug durchführen.
Die verschiedenen Sets an Projektkarten ermöglichen eine gute Variabilität – zumal dadurch auch unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. Es hat schon seinen Reiz, diese nach und nach zu erkunden. Aufgrund der zufallsbedingten Verteilung kann man aber nicht im Vorfeld genau auf dieses eine Projekt spielen, sondern muss flexibel bleiben.
Auch wenn ich oben ein klein wenig das Material kritisiert habe, so ist es grundsätzlich schon ein sehr begrüßenswerter Ansatz, im Spiel auf Plastikkomponenten zu verzichten – und da gehören auch Zipp-Beutel mit dazu. Deswegen wird vorbildlich mit kleinen Pappschachteln zur Aufbewahrung des Spielmaterials gearbeitet. Auch die Steine sind zwar ungewohnt, können gerne aber auch als Idee in anderen Spielen wieder aufgegriffen werden. Und auch wenn mir die grafische Gestaltung zu unruhig und verwirrend ist, die einzelnen Illustrationen sind beeindruckend.
Fazit: Das Material von ZWARGAR ist etwas Besonderes, die Grafik leider jedoch nicht eindeutig genug. Zusätzlich ist das Spiel auch etwas zu grübellastig und in voller Länge zu wiederholend. Somit trifft auch in diesem Fall wieder der altbekannte Spruch zu: weniger wäre mehr gewesen.
Titel | Zwergar |
---|---|
Autor | Jan Madejski |
Illustrationen | Piotr Sokołowski |
Dauer | 60 bis 120 Minuten |
Personenanzahl | 2 bis 4 Personen |
Zielgruppe | tüftelnde Kennerspielrunden |
Verlag | Granna |
Jahr | 2021 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom Vertrieb Asmodee ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
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