zuletzt gelesen: BRÜDER von Hilary Mantel
Über BRÜDER bin ich eher zufällig gestolpert. Mir wurde FALKEN bzw. die Thomas Cromwell-Trilogie von Hilary Mantel empfohlen. Bevor ich mir aber eine ganze Trilogie aufhalse, wollte ich erst einmal den Stil der Autorin kennenlernen. Das ist erfolgt – und ich bin nun unsicher, ob ich die Trilogie lesen soll oder nicht. Denn der Stil von Mantel ist schon sehr eigen. Dauernd wechseln Perspektiven und teilweise auch Zeitebenen. Zusätzlich werden manchmal auch reine Dialogszenen benutzt, die unvermittelt beginnen und wieder enden. Dadurch wechseln auch ständig die Blickebenen. Mal spüren wir mikroskopisch Details nach, mal sehen wir eher das Große und Ganze. Das machte BRÜDER sehr anstrengend zu lesen. Ständig kommen und gehen Namen, ohne dass zu diesen eine wirkliche Beziehung aufgebaut wird. Als begeisterter Leser von Neal Stephenson und bspw. seines Barock-Zyklus habe ich weiß Gott keine Probleme mit Abschweifungen. Aber mir fehlte bei BRÜDER der Witz, die unterhaltsame Hintersinnigkeit und eine wahrgenommene Lust am Fabulieren.
Inhaltlich folgen wir in BRÜDER den drei französischen Revolutionären Georges Danton, Camille Desmoulins und Maximilien de Robespierre und erleben somit die Französische Revolution sowie die folgenden Anfangsjahre der Ersten Republik. Die Inhalte fußen augenscheinlich auf eine fundierte historische Basis, immer wieder werden originale Textauszüge präsentiert. Allerdings fehlen mir alternative Perspektiven. Wir sehen vieles aus den Augen der drei Protagonisten oder ihrem Umfeld. Aber wir erfahren nichts aus der Gegenperspektive, was für mich etwas unbefriedigend war. Dauernd wird das Volk als Entscheidungshilfe für Entschlüsse genannt. Da hätte mich eine Perspektive genau aus diesem Volk interessiert. Wie erlebte denn dieses die Umbrüche? Warum war immer und immer wieder eine solche Unruhe vorhanden? So tief sich in Details der Protagonisten vertieft wird, so wage bleibt das Leben der "normalen" Bevölkerung.
Trotzdem habe ich BRÜDER gerne gelesen, weil das Leben dieser drei Männer definitiv erzählenswert ist. Im Nachhinein hatte ich mir aber mehr erhofft. Vielleicht hätte ich BRÜDER auch als Hörbuch erleben sollen. Dann wäre die schiere Namensmenge zwar noch schlechter zu verarbeiten gewesen, aber vielleicht hätte ich dann ein besseres Gefühl für die Protagonisten erhalten. So soll Desmoulins gestottert haben – seine Dialoge lasen sich aber so geschliffen, dass ich mir das beim Lesen nicht wirklich vorstellen konnte.
"Kommen Sie mir nicht mit Literatur", sagte Lafayette. Er dachte an den Leichnam Berthiers, seine aus dem aufgeschlitzten Bauch quellenden Gedärme. Er beugte sich vor uns stupste mit den Fingerspitzen gegen die Seiten. "Kennen Sie Camille Desmoulins?", fragte er. "Haben Sie ihn schon einmal gesehen? Er ist eins von diesen Juristenknäblein. Hatte nie etwas Gefährlicheres in der Hand als einen Brieföffner." Er schüttelte den Kopf. "Wo kommen sie nur alle her, diese Menschen? Sie sind Novizen. Sie waren nie im Krieg. Sie waren nie bei der Jagd. Sie haben noch nie ein Tier getötet, geschweige denn einen Menschen. Aber sie sind völlig versessen aufs Morden."
Hilary Mantel – Brüder, S. 275 (E‑Book)
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