Die Befreiung der Rietburg von Gerhard Hecht – erschienen im KOSMOS Verlag
Bei DIE LEGENDEN VON ANDOR ist es ein gängiges Mittel, manche Ungeheuer in die Rietburg gelangen zu lassen. Frei nach dem Motto: sollen die dortigen Bewohner selbst mit der Bedrohung fertig werden, wir haben Wichtigeres zu tun! Doch wie so oft ist das zwar praktisch, aber in gewisser Weise auch empathielos – dieses Vorgehen haben wir hier in Westeuropa ziemlich perfektioniert. Glücklicherweise erfolgt nun aber Abhilfe und wir können unsere Sinne schärfen. Denn wer wissen will, wie anstrengend und nervenaufreibend die Verteidigung einer solchen Burg aussieht, der sollte sich DIE BEFREIUNG DER RIETBURG zu Gemüte führen.
Thema... die Rietburg ist gefallen! Die dortigen Bewohner konnten sich nicht gegen die angreifenden Kreaturen erwehren – und nun macht sich scheinbar auch noch der Drache Tarok auf den Weg dorthin. Also begeben sich unsere Helden schnurstracks auf den Weg zur Rietburg, um diese zu befreien. Aber das ist gar nicht so einfach, strömen doch dauern neue Kreaturen nach. Bis hierhin ist die Geschichte noch nachvollziehbar. Aber warum man ausgerechnet durch vier erfüllte Aufgaben dem Drachen ein Schnippchen schlagen kann, wird lediglich mit einer alten Prophezeiung erklärt. Aber vor lauter Kämpfen kommt man ohnehin nicht zum Nachdenken.
Illustrationen… sind natürlich von Michael Menzel, dem geistigen Vater der Andor-Welt. Und da Andor bestimmt eine Herzensangelegenheit für ihn ist, schöpft er aus dem Vollen und bietet äußert stimmungsvolle Illustrationen. Hinzu kommt die bereits bewährte Symbolsprache, so dass man sich an der grafischen Gestaltung nur erfreuen kann.
Ausstattung… wäre nicht der Spielplan mit einer minimalen Funktion und die sechs Heldenfiguren als Papp-Aufsteller, ich hätte DIE BEFREIUNG DER RIETBURG als Kartenspiel bezeichnet. Denn der Großteil des Materials wird durch die 120 Spielkarten bestimmt, die wiederum in mehrere Gruppen zu unterteilen sind. Da gibt es Heldenkarten, Freundekarten, Begegnungskarten, Aufgabenkarten und Erzählerkarten.
Wobei in einer Partie allerdings nie alle Karten auf einmal benutzt werden – so werden bspw. nur 6 der 16 Aufgabenkarten benötigt. Zusätzlich können erst einmal einige Begegnungskarten für einen einfacheren Spielverlauf aussortiert werden. Auch von den sechs Helden kommen immer nur maximal vier zum Einsatz. Diese bringen neben ihren Karten teilweise auch noch eigenes Material mit. So benötigt Bogenschützin Chada ihre Köcher, Zwerg Kram seine Axt und Eara ihre Zauberbücher. Für alle Helden stehen aber zusätzlich auch noch Willenspunkte zur Verfügung. Was fehlt, sind die typischen Würfel aus DIE LEGENDEN VON ANDOR – und einige Zipptütchen, damit man das Material halbwegs sinnvoll voneinander getrennt in der Box aufbewahren kann.
Ablauf… nachdem die sechs auf dem Spielplan verzeichneten Orte erst mit verdeckten Aufgaben und dann mit Begegnungskarten gefüllt wurden, beginnt das Abenteuer. Dieses endet, wenn wir vier Aufgaben erfolgreich erfüllt haben (Freude) – oder wenn die dafür zur Verfügung stehende Zeit abgelaufen ist (keine Freude). Um aber überhaupt erst einmal zu wissen, wie diese Aufgaben lauten, müssen die darüber liegenden Karten abgearbeitet werden. Das geht ganz leicht, wenn diese Karte lediglich ein Gegenstand ist, den man dann einfach aufnimmt. Im Normalfall liegt dort aber eine bösartige Kreatur, die es nun zu bekämpfen gilt. Denn erst, wenn diese besiegt ist, wird die Karte entfernt.
Da die Würfel fehlen, verläuft der Kampf ganz ohne Zufallselemente. Die Stärke der Gegner ist bekannt und man kann somit seine Chance gut ausrechnen. Dafür müssen wir nur eine unsere wenigen Handkarten ausspielen, die meist einen Kampfwert aufzeigt, der dann höher oder gleich dem Kampfwert der Kreatur sein muss. Natürlich kann man sich auch wieder zusammen tun und gemeinsam kämpfen.
Allerdings muss man auch von Ort zu Ort ziehen, schließlich sind die Bedrohungen durch die Kreaturen auf der ganzen Burg verteilt. Auch dafür gilt es Karten auszuspielen. Ganz schnell liegen somit unsere gesamten Karten vollständig auf dem Tisch und unsere Hand ist leer. Wir können diese zwar nun wieder aufnehmen, allerdings wird dann eine Erzählerkarte aufgedeckt. Diese begrenzen nicht nur unsere Zeit (siehe oben bei der Nicht-Freude), nein, diese Karten bringen sogar auch noch zusätzliche Begegnungskarten ins Spiel. Hat man eben noch einen Ort gesäubert, kann dieser nun schon wieder frisch von einer Kreatur besetzt sein.
Die sechs Helden bringen natürlich unterschiedliche Fähigkeiten mit. Diese machen sich einerseits durch die unterschiedlichen Kampf- und Bewegungswerte der Karten bemerkbar, aber noch viel mehr durch andere Spielelemente, die es im Laufe der Zeit zu entdecken gilt.
Das gefällt mir nicht so gut: Bei DIE LEGENDEN VON ANDOR konnten man wunderbar diesen vermaledeiten Würfeln die Schuld geben, wenn mal wieder eine Legende nicht geschafft wurde. Da hatte man alles wunderbar geplant und dann wirft man selbst nur 1er und 2er, während dieser blöde Troll nun schon zum zweiten Mal einen 6er-Pasch aus dem Hut zaubert. Andersherum geht das natürlich auch. Diese emotionalen Tief- bzw. Höhepunkte fehlen nun. Das Kampfsystem ist relativ trocken und die eigentliche Spannung wird lediglich darüber erzeugt, welche Kreaturen nun aufgedeckt bzw. welche Orte neu besetzt werden. Somit fühlt sich ein Scheitern oftmals unbefriedigend an, weil man der Meinung ist, dass dies lediglich an der unglücklichen Kartenverteilung lag, auf die man noch nicht einmal wirklich Einfluss hatte. Es sei mal dahingestellt, wie sich die Glück- und Unglück-Verteilungen in den beiden Spielen statistisch tatsächlich darstellen. Gefühlt bieten DIE LEGENDEN VON ANDOR mehr Emotionen – während bei der BEFREIUNG DER RIETBURG eher verwalterische Langeweile entstehen kann (man könnte es auch genretypisch beschreiben: DIE LEGENDEN VON ANDOR gehen in Richtung Amitrash, während DIE BEFREIUNG DER RIETBURG ein klassisches Eurospiel darstellt). So ist bei der BEFREIUNG DER RIETBURG eigentlich ab Mitte der Partie klar, ob man überhaupt noch eine Chance zum Gewinnen hat oder nicht. Meint es die Kartenverteilung nicht gut mit uns, kann keine glückliche 6 in einem finalen Verzweiflungswurf noch etwas retten. Somit kann aber auch der Spannungsbogen frühzeitig abfallen, was dann natürlich unbefriedigend ist. Möglicherweise hätte man an diesem Punkt noch mehr Möglichkeiten der aktiven Veränderungen anbieten sollen, um bspw. die Begegnungskarten gezielter verteilen zu können. Es ist immer wahnsinnig ärgerlich, wenn man gerade mit viel Aufwand einen Ort frei geräumt hat und dann teleportiert die nächste Erzählerkarte einen Skral oder Gor dorthin.
Die Erzählerkarten heißen übrigens so und nicht Zeitkarten, da sie immer auch mit einem kleinen Textteil verbunden sind. Allerdings ist man recht schnell von diesen generischen Texten genervt. Denn alsbald überkommt einem das Gefühl, als wäre hier ein schlechter Text-Bot am Werk gewesen. Wirkliche Stimmung kommt über die Karten nicht auf und nach kurzer Zeit schaut man nur noch schnell nach, welche Orte mit neuen Karten versorgt werden.
Wie auch bei DIE LEGENDEN VON ANDOR besteht bei DIE BEFREIUNG DER RIETBURG die Gefahr des dominanten Alphaspielers. Das ist wohl ein notwendiges Übel solcher kooperativen Spiele. Dem kann nur entgegengesetzt werden, dass die Handkarten nicht offen ausliegen und somit die einzelnen Spieler angehalten sind, selbst intensiv über ihre eigenen Möglichkeiten nachzudenken. Positiv ausgedrückt: man kann DIE BEFREIUNG DER RIETBURG auch problemlos alleine spielen, auch wenn das so nicht vorgesehen ist.
Das gefällt mir gut: Natürlich ist es etwas unfair, wenn ich DIE BEFREIUNG DER RIETBURG mit DIE LEGENDEN VON ANDOR vergleiche. Denn in der Zeit, die man benötigt, eine Legende im gleichnamigen Spiel aufzubauen, hat man fast schon die halbe Rietburg befreit. Sprich: DIE BEFREIUNG DER RIETBURG will gar kein großes abendfüllendes Abenteuer bieten, sondern einen schnellen Thrill für Zwischendurch. Und dieses Ziel kann das Spiel erfüllen. Es ist flott aufgebaut und fluffig schnell gespielt. Die einzelnen Spielzüge gehen zügig von der Hand und man hat nie das Gefühl, sinnlos auf etwas zu warten – zumal die theoretische Wartezeit dann auch mit Diskussionen über das sinnvolle Handeln gefüllt wird. Doch was bedeutet sinnvoll? In erster Linie geht es darum, die möglichen Aktionen so miteinander abzustimmen, dass keine unnötigen Züge entstehen. Denn durch die nur wenigen Handkarten wird man immer wieder dazu gezwungen, die aktuelle Auslage neu bewerten zu müssen. Also sollte tunlichst das Wichtigste abgearbeitet sein, bevor neue Kreaturen an unbekannten Orten ins Spiel kommen.
Die einzelnen Aufgaben sind durchaus abwechslungsreich. Da von den 16 möglichen Aufgaben nur 6 im Spiel sind, kann man sich auch nie sicher sein, welche denn nun gefragt sind. Mit ein wenig Vorwissen kann man vielleicht auf die ein oder andere wetten – aber diese Wetten gehen dann selten gut aus. So sind es immer spannende Moment in einer Partie, wenn die Aufgaben aufgedeckt werden.
Es ist zwar etwas schade, dass die Geschlechter der einzelnen Helden nun vorgegeben sind, aber trotzdem sind die bekannten Recken das Salz in der Suppe. Denn sie spielen sich schon recht unterschiedlich und es macht Spaß, mit der Zeit die einzelnen Eigenarten der Helden zu entdecken. Dabei sind alle unterschiedlichen Fähigkeiten reizvoll. Hinzu kommen noch die unterschiedlichen Freunde, die man als Belohnung für manch einen erfolgreichen Kampf als zusätzliche Handkarten zur Verfügung bekommt. So setzt sich die Heldengruppe immer neu zusammen und das Spiel bleibt abwechslungsreich.
Die zufällige Verteilung der Karten ist zwar einerseits ein Problem, da etwas schlecht gewichtete Partien zustande kommen können. Andererseits wird somit aber auch verhindert, dass eine geskriptete Lösung möglich ist. Man kennt dieses Prinzip aus PANDEMIE. Ohnehin lässt sich DIE BEFREIUNG DER RIETBURG vom generellen Spielgefühl ganz gut mit PANDMIE vergleichen, zumal man in beiden Spielen auch gut den Schwierigkeitsgrad etwas anpassen kann. Am deutlichsten ist die Parallele aber neben dem Kartenverteilungsglück in den unterschiedlichen Fähigkeiten der Helden zu erkennen.
Fazit: DIE BEFREIUNG DER RIETBURG ist ein schnelles kooperatives Familienspiel mit bekanntem Fantasy-Thema. Der Verlauf einer Partie kann dabei recht unterschiedlich sein. Mal flutscht alles, ein anderes Mal ist man chancenlos. Durch die Kürze einer Partie ist das aber zu verkraften, zumal die unterschiedlichen Heldenfähigkeiten entdeckt werden wollen. Nach anfänglicher eigener Skepsis bin ich im Laufe der Zeit eher positiv überrascht worden. Mir hat es immer besser gefallen und auch in den Gruppen wurde es öfters nachgefragt, als ich das vorher erwartet habe. Grund dafür ist sicherlich auch die sehr ansprechende Aufmachung.
Titel | Die Befreiung der Rietburg |
Autor | Gerhard Hecht |
Illustrationen | Michael Menzel |
Dauer | 40 Minuten |
Spieleranzahl | (1) 2 bis 4 Spieler |
Zielgruppe | Andorfans mit wenig Zeit |
Verlag | KOSMOS |
Jahr | 2019 |
Ich bedanke mich beim KOSMOS Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars. Ich bin mir sicher, dass durch diese Bereitstellung meine Meinung nicht beeinflusst wurde. Die Besprechung spiegelt meine gemachte Erfahrung wider.
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