Orléans: Die Pest von Reiner Stockhauen – erschienen bei dlp games
Vorweggenommenes Fazit: ich wünsche der Pest nicht die Pest!
Thema... clevererweise wird bei ORLEANS nicht gesagt, in welcher Zeit das Spiel thematisch angesiedelt ist: irgendwann im mittelalterlichen Frankreich. Das entsprechende Zeitfenster wird auch in der 3. Erweiterung DIE PEST nicht enger eingegrenzt. Es wird lediglich festgestellt, dass der schwarze Tod über die Bevölkerung gekommen ist und Leid und Elend mit sich führt. Nur gut, dass es auch im Spiel mutige Pestdoktoren gibt!
Illustrationen… sind selbstredend von Klemens Franz, der bisher die gesamte ORLEANS-Reihe stilsicher begleitet hat. So nun wieder. Wobei ... die Ratten auf den Pestkarten sehen durchaus etwas speziell aus. Und das tanzende Skelett auf der Rückseite ist auch nur ein bisschen makaber.
Ausstattung… in der flachen Box finden wir einen neuen Spielplan für die Segensreichen Werke, neue Stundenglaskarten, drei neue Ortskarten, noch mehr Karten sowie eine Menge Leichenplättchen. Zusätzlich erhalten alle Mitspielenden ein zusätzliches kleines Tableau und einen Pestdoktor als Holzfigur.
In einer Partie DIE PEST ersetzt das neue Spielmaterial teilweise vorhandenes Material. Die neuen Segensreichen Werke verdrängen bisherige Alternativen ebenso wie die neuen Stundenglaskarten mit ihren Ereignissen die alten. Die Ablasskarten sind dahingegen zusätzliche Auftragskarten und die Pestkarten verändern die jeweiligen Bedingungen einer Partie. Und die Leichenplättchen füllen nach und nach unsere Beutel – ob wir wollen, oder nicht. Dabei wurde übrigens auch an die Besitzer des Fan-Kits gedacht, so dass beim Verlag kompatible Leichen-Holzfiguren zu erwerben sind.
Die neuen Ortskarten verdrängen übrigens ebenfalls bestehende Ortskarten. Denn der Pulverturm, die Sakristei und die Brasserie sind im Vorfeld einer Partie auszuschließen. Gerne können dann der Friedhof, die Heilquelle oder die Hintertür nachrücken – insbesondere die Hintertür möchte ich nicht missen, was nicht nur durch den hintersinnigen Titel und die passende Illustration begründet ist.

Ablauf… wir spielen das bekannte ORLEANS. Zu Beginn einer Partie werden allerdings drei zufällig ausgewählte Pestkarten aufgedeckt, wodurch sich die Bedingungen einer Partie ändern (bspw. dass die Geldboni auf der Fortschrittsleiste entfallen). Zusätzlich spielen wir nun mit den neuen Stundenkarten. Diese bringen bekannte und neue Ereignisse ins Spiel – aber vor allem auch Leichenplättchen. Meist müssen wir deswegen am Ende des Zuge mindestens ein Leichenplättchen in unseren Beutel werfen. Diese sind leider für nichts zu nutzen und müllen nur unseren Beutel bzw. den Markt zu.
Um diese Plättchen im Laufe der Partie doch noch loszuwerden, müssen wir die jeweiligen Aufgaben der Ablasskarten erfüllen. Davon haben wir zu Beginn zwei auf der Hand. Über das neue zusätzliche Tableau (dem Infirmarium – einem Krankensaal für Mönche) können wir jedoch weitere dieser Karten erhalten.
Das destruktive Element der Leichplättchen wird glücklicherweise durch den Pestdoktor abgefedert. Diese Figur ist eine Art Universaljoker und kann jede andere Person im Spiel ersetzen – auch den Mönch! Der Doktor ist zudem eine zusätzliche Figur und somit nicht Bestandteil der durch die Ritterleiste definierten Obergrenze an Plättchen, die wir zu Beginn unseres Zuges auf den Markt legen.
Das gefällt mir nicht so gut: ORLEANS hatte schon immer eine nicht zu unterschätzende Glückskomponente durch das Ziehen aus dem Beutel – ein Grund, warum mir das Bag-Buildung aus ALTIPLANO etwas besser gefällt. Nun kommt durch die Ablasskarten ein weiteres gewichtiges Glückselement dazu. Denn nicht zu selten ist eine Karte nur in dem Moment wirksam, wenn die Bedingung eintritt (indem ich z.B. das zweite Zahnrad herstelle). Ziehe ich die Karte später auf die Hand und habe schon zwei Zahnräder, dann kann ich die Karte nicht mehr aktivieren. Pech gehabt, obwohl ich nichts falsch gemacht habe. Oder ich ziehe kurz vor Ende noch eine Ablasskarte und kann diese sofort ausspielen, weil ich zufällig mit meinem Händler am richtigen Ort stehe – massig Glück gehabt. Zu oft ist dabei die offene Auslage der Ablasskarten für mich uninteressant und ich ziehe dann zufällig eine verdeckte Karte- vielleicht auch deswegen, weil ich dadurch verhindere, dass meine Ziele bekannt sind. Aus diesem Grund ist die Ortskarte "Hintertür" so interessant. Denn darüber erhalte ich deutlich mehr Kontrolle über dieses Spiel-Element. Das ist hilfreich. Aufgrund des nicht versiegenden Stroms an Leichenplättchen muss ich dafür sorgen, dass ich diese auch wieder los bekomme, wenn ich langfristig gleichberechtigt handlungsfähig sein will.
Außerdem bin ich nicht ganz glücklich mit allen Ereignissen auf den neuen Stundenkarten. Im Vergleich zu meinen bisherigen Favoriten aus der HANDEL UND INTRIGE Erweiterung ist schon die Anzahl geschrumpft: statt 34 Stundenkarten sind es nun nur noch 26. Damit einher geht weniger Varianz, womit wir besser erahnen können, was passieren wird. Neben kleinen Verschiebungen (das Ereignis Einnahmen findet sich z.B. nun im A‑Stapel, wo es deutlich weniger Wirkung erzielt) herrscht das Gefühl vor, dass nun manche Spielweisen bewusster erschwert wurden. Das Abgeben eines Tecnikplättchens oder der Verlust einer Ortskarte trifft diejenigen härter, die auf diese Elemente abziehen. Mir missfällt daran das destruktive Wesen. Ich kann gerne mal eine Runde damit leben, dass meine Technikräder versagen. Aber eines komplett abzugeben, ist dann schon eine andere Hausnummer. Zumal ein solches Ereignis durchaus wieder mit den Ablasskarten korrespondieren kann. Zusätzlich kann ich mich durch die aus dem Spiel genommenen Sakristei- und Brasserie-Ortskarten auch nicht mehr vor den Ereignissen schützen. Mir fehlen somit vergleichbare Stundenkarten für die anderen strategischen Wege (wie z.B. der Bücherbrand aus der zweiten Erweiterung). Noch lieber wäre es mir aber, wenn die Ereignisse sicherstellen, dass auch immer alle davon betroffen sind und nicht nur ein Teil der Gruppe.
Das gefällt mir gut: Allerdings kann ich mich trotzdem ganz gut mit diesen Stundenkarten arrangieren – bringen diese doch die Leichenplättchen ins Spiel. Dieses Element ist natürlich das Highlight der Pest-Erweiterung und erinnert mich an die geliebten Müllkarten aus TRAINS. Natürlich fluche ich, wenn ich viel zu viele Leichen aus meinem Beutel ziehe und die hochtrabenden Pläne für die Runde etwas eingedampft werden müssen. Aber auf der anderen Seite will ich auch, dass ein paar Leichen auf meinem Markt auftauchen. Denn nur dann kann ich sie überhaupt mit den Ablasskarten entsorgen und habe langfristig zumindest etwas Kontrolle über meinen Beutel. Es ist schon ein gelungener Kniff, dass wir über die Ablasskarten nicht Leichen aus dem Beutel entfernen dürfen. Und so ist es ein ständiges Abwägen, was ich mit meinen Leichenplättchen machen will. Soll ich diese auf dem Markt sammeln oder doch lieber in den Beutel zurückwerfen. Zusätzlich ist es nun vielleicht auch gar nicht mehr so ratsam, schnell auf der Rittersleiste voranzuschreiten, weil ich ohnehin lieber nur wenige Plättchen aus dem Beutel ziehen will. Mit den Leichenplättchen lässt sich gut taktieren, weil ich dabei auch immer meine Ablasskarten im Blick haben muss. Zusätzlich wird über die Leichenplättchen auch etwas die Interaktion gefördert. Ich habe zumindest immer die Leichensituation der Anderen im Blick und richte danach das Timing meiner Aktionen aus.
Bei all dem Pech, welches wir mit gezogenen Leichen und unglücklichen Ablasskarten haben können: der Pestdoktor ist das ausgleichende Narrativ! Denn nun können wir mit recht hoher Wahrscheinlichkeit zumindest eine uns wichtige Aktion pro Runde sicher durchführen. Es hängt nun nicht mehr der ganze Spielzug davon ab, dass ich unbedingt noch den Ritter oder den Fischer ziehe – ich habe einen Joker pro Runde zur Verfügung. Das vermindert deutlich bestimmte Abhängigkeiten und fühlt sich somit sehr befriedigend an.
Die Pestkarten hätten nach meinem Geschmack gerne noch etwas prägnanter sein können. Aber auch in der aktuellen Form verschieben diese zumindest leicht den Fokus der jeweiligen Partie. Denn natürlich wirkt es sich auf meine Herangehensweise aus, wenn wir beispielsweise zu Beginn alle vier Kontore entfernen müssen. Durch die Pestkarten entsteht auf einfachem Wege ein immer neues Setting. Einzelne Partien fühlen sich anders an. Bisher war das oftmals sehr davon abhängig, welche Ortskarten zur Verfügung stehen. Danach wird das Spiel ausgerichtet. Nun gibt es noch eine weitere Variable zu Spielbeginn, die es mit zu bedenken gilt.
Fazit: All die kleinen Änderungen der PEST-Erweiterung bewirken, dass sich ORLEANS wieder etwas frischer anfühlt. Die nun aufkommenden Leichen stellen uns vor neue taktische Herausforderungen. Das eigentliche Spielgefühl ändert sich jedoch nicht: ORLEANS bleibt ORLEANS – und das ist gut so!
Titel | Orléans: Die Pest |
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Autor | Reiner Stockhauen |
Illustrationen | Klemens Franz |
Dauer | 90 Minuten |
Personenanzahl | 2 bis 5 Personen |
Zielgruppe | aufräumende Kennerspielrunden |
Verlag | dlp games |
Jahr | 2023 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
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