Great Western Trail: Rails to the North von Alexander Pfister – erschienen bei eggertspiele
Die BGG-Neuheitenliste zur SPIEL 2019 umfasst aktuell 1.216 Titel. Davon sind etwa 17 Prozent (205 Spiele) als Erweiterung geführt. Um also vorab die nicht mehr zu vermeidende Siebung durchzuführen, kann man sich ernsthaft überlegen, komplett alle Erweiterungen auszublenden. Denn sind wir mal ehrlich: die meisten Erweiterungen halten nicht die Versprechen, die man sich von Ihnen erhofft. Oftmals ist es eher ein "more of the same" und im Endeffekt spielt man dann doch lieber das Grundspiel. Allerdings gibt auch immer diese rühmlichen Ausnahmen, weswegen man doch in Versuchung gebracht wird. Und jetzt die Gretchenfrage: zu welcher Gruppe gehört nun RAILS TO THE NORTH? Kann man ein solch tolles Spiel wie GREAT WESTERN TRAIL denn überhaupt noch verbessern?
Thema... der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten. Während wir in guter alter Manier unsere Rinder durch die texanischen Weiten treiben, schreitet im Norden Amerikas die industrielle Revolution voran. Das Eisenbahnnetz wird immer dichter – und darauf gilt es zu reagieren. Denn nur, wenn wir unseren Einflussbereich vergrößern und eigene Zweigstellen in der Ferne eröffnen, können wir wirklich zu einem echten Rinderbaron werden.
Illustrationen... sind von Andreas Resch und passen sich problemlos in die Gestaltung des Grundspiels ein. Die neuen Symbole sind schnell verstanden und so gibt es keine nennenswerten Hürden. Allerdings gefällt mir die Cover-Gestaltung überhaupt nicht. Vielleicht verstehe ich ein mögliches Easter-Egg mit der sehr präsenten Uhr nicht, aber hier hätte ich eher als Uhrzeit 12 Uhr mittags oder 3:10 erwartet. Wer den tieferen Sinn hinter diese Uhrzeit erklären kann, der darf sich sehr gerne bei mir melden.

Ausstattung... wird dominiert von einem genialen Erweiterungsplan, den man passgenau auf Höhe der Bahnstrecke über den Spielplan des Grundspiels legt. Zusätzlich sind nun viele kleine Holz-Häuschen (als "Zweigstellen") in den Spielerfarben vorhanden. Damit man diese in die Nähe des eigenen Tableaus ablegen kann, stehen dafür kleine Zusatzablagen zur Verfügung. Außerdem sind neue Bahnhofvorsteher-Plättchen und Gebäude sowie als neue Elemente Stadtplättchen und Tauschplättchen in der Box. Als ganz besonderer Service sind auch bisher erschienene Promos ebenfalls nun für die breite Masse verfügbar gemacht worden.
Ablauf... ist eigentlich unverändert. Durch die RAILS TO THE NORTH kommt nämlich lediglich eine Hilfsaktion hinzu: die Gründung einer Zweigstelle. Diese kann man im späteren Verlauf durch die Abgabe einer Scheibe auch doppelt ausführen. Als Folge dieser Aktion wird jeweils ein eigenes Häuschen auf eine erreichbare Stadt des Erweiterungsplans abgelegt. Dafür gelten natürlich bestimmte Bauregeln, aber im Grunde genommen war es das auch schon. Die Belohnungen fühlen sich trotz zusätzlicher Bahnhofsvorsteher-Plättchen oder neue Sofortaktionen bekannt an. Zusätzlich ergeben sich nun andere Möglichkeiten der Belieferung von Städten, die auch neue damit verbundene Lieferaktionen nach sich ziehen.
Das gefällt mir nicht so gut: Die ohnehin nicht zu kurze Aufbauphase zu Beginn einer Partie wird nun noch weiter verlängert. GREAT WESTERN TRAIL muss bei uns ohnehin schon immer die Hürde nehmen, dass nicht nur die lange Spielzeit ein Hemmschuh ist, sondern auch der lang dauernde Aufbau (und ist damit in guter Gesellschaft mit CLANS OF CALEDONIA). In die gleiche Kerbe schlägt auch der zusätzliche Platzbedarf. Wenn man in Vollbesetzung GREAT WESTERN TRAIL spielen will, dann sollte man schon einen vernünftig großen Tisch besitzen. Durch die RAILS TO THE NORTH Erweiterung wird jedenfalls noch mehr Platz benötigt.
Wer sich von der Erweiterung eine größere thematische Einbindung erhofft hat, der wird enttäuscht werden. Denn natürlich bleibt auch RAILS TO THE NORTH im Endeffekt ein Eurospiel mit aufgesetztem Thema. Mich stört das glücklicherweise überhaupt nicht, auch wenn ich schon verstehen kann, dass manchem das alles etwas zu repetitiv ist. Aber solch kritische Leute werden sicherlich nicht mehr zu GREAT WESTERN TRAIL greifen, so dass sie gar nicht auf die Idee kommen, nun auch mit der Erweiterung spielen zu wollen.
Das gefällt mir gut: Allen Fans von GREAT WESTERN TRAIL kann ich dahingegen nur empfehlen: spielt mit RAILS TO THE NORTH. Und zwar unbedingt und immer! Trotz nur minimaler Regelerweiterung ergeben sich eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten. Die teilweise sehr geradlinigen Strategien des Grundspiels können nun etwas verzweigter werden, was dem Spielgefühl gut tut. Denn nun fühlt man sich etwas freier, neue Wege auszuprobieren. Vertraute Bahnhofvorsteher-Plättchen liegen auf einmal in den hintersten Ecken des Erweiterungsplans, da muss man schon seine gewohnte Strategie kritisch hinterfragen. Auch die neue Art der Wertung von San Francisco (dessen Punktzahl abhängig ist von der Anzahl der gebauten Zweigstellen) fordert dazu heraus, die "Herdenstrategie" anders zu spielen als bisher. Insgesamt ist der Spielplan nochmals variabler geworden. Nicht, dass ich bisher das Gefühl hatte, dass GREAT WESTERN TRAIL eintönig wäre – aber durch RAILS OF THE NORTH wird es doch spürbar vielfältiger.
Der große Vorteil an RAILS OF THE NORTH ist dabei, dass sich die Spielzeit kaum verändert und auch die Regelmenge nur unwesentlich zu nimmt. Das Spiel wird zwar noch ein wenig komplexer als bisher, aber keinesfalls komplizierter in der Art der Verwaltung. Die einzelnen Spielzüge gehen weiterhin sehr schnell von der Hand und man ist recht schnell in diesem ganz eigenen Flow.
Wer übrigens skeptisch gegenüber der Handhabung des Erweiterungsplans ist, den kann ich beruhigen. Da wackelt und verrutscht nichts. An der Art und Weise, dieses zusätzliche Element einzufügen, könnten sich andere Verlage einiges abschauen. Ich hoffe doch sehr, dass diese Art der Spielplan-Erweiterung als Best Practice Beispiel bei allen Redaktionen im Brettspielkosmos aufgenommen wird.

Fazit: RAILS TO THE NORTH ist also einer der rühmlichen Ausnahmen. Dieser Erweiterung bietet mit minimalem zusätzlichen Regelaufwand ein Mehr an Möglichkeiten und Spielspaß. Wären doch nur alle Erweiterungen so. Obwohl, dann müsste man neben den ganzen Neuheiten auch noch alle Erweiterungen im Blick haben...
Titel | Great Western Trail: Rails to the North |
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Autor | Alexander Pfister |
Illustrationen | Andreas Resch |
Dauer | 75 – 150 Minuten |
Personenanzahl | 2 bis 4 Personen |
Zielgruppe | Bahnhofaffine Expertenspielrunden |
Verlag | eggertspiele (im Vertrieb von Pegasus) |
Jahr | 2018 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom Vertrieb ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
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