Underwater Cities von Vladimír Suchý – erschienen bei Delicious Games
In unserer Szene wird sich gerne gewünscht, dass Brettspiele politischer werden. Sie sollen damit einen kulturell wertvollen Beitrag bzw. Kommentar zu aktuellen Strömungen und Meinungen leisten. Problem daran ist: die meisten Nutzer wollen meist einfach "nur" gute Spiele auf den Tisch bringen. In Ausnahmen werden zwar die bedrückenden Emotionen eines LES POILUS gewürdigt, aber beim nächsten Mal soll es dann doch bitte lieber wieder ein leichter Kartenabsacker sein – schließlich will man beim Spielen vom Alltag abschalten. Die Lösung lautet, politische Botschaften subtiler zu verbreiten. Wie sieht beispielsweise unsere Zukunft aus, wenn die Meeresspiegel weiter steigen und immer weniger lebenswerter Raum zur Verfügung steht? Manch einer sieht eine Zukunft in der Marskolonisation (TERRAFORMING MARS lässt grüßen). Die Macher von UNDERWATER CITIES zeigen eine andere Perspektive auf: riesige Unterwasserstädte sollen der Menschheit Raum und somit eine Zukunft geben. Mir persönlich wäre es aber lieber, man würde auf "echte" Experten hören und endlich beim Umwelt- und Klimaschutz handeln.
Doch wie soll man Städte unter Wasser bauen? Das ist natürlich erst in einer fernen Zukunft möglich wenn Stahlplastik erfunden wurde – einer der vier Rohstoffarten in UNDERWATER CITIES. Dieses Stahlplastik wird hauptsächlich für den Bau der beeindruckenden Kuppelstädte und der verbindenden Tunnel benötigt. Neben diesen Elementen werden aber auch Gebäude wie Entsalzungsanlagen und Tangfarmen in direkter Nachbarschaft zu den Städten gebaut.
All diese möglichen Bauplätze sind auf den Spielertableaus aufgezeigt, die sich im Laufe einer Partie füllen. Die Tableaus sind doppelseitig bedruckt und bieten somit ausreichend Varianz. Das eigentliche Spiel findet aber über den zentralen Spielplan statt. Auch dieser ist doppelseitig bedruckt. Allerdings nur, um die Besonderheiten einer unterschiedlichen Anzahl an Mitspielern zu berücksichtigen.
Spielmechanisch ist UNDERWATER CITIES ein Worker-Placement-Spiel. Pro Spielrunde steht eine gewisse Anzahl von Aktionsplätzen zur Verfügung. Diese Felder sind in drei Farben unterteilt – die man auch auf den eigenen Handkarten wieder findet. Und das natürlich nicht grundlos. Denn folgenden Clou hat sich Autor Vladimír Suchý einfallen lassen: spielt man zusätzlich zu einem Aktionsplatz eine Karte in der gleichen Farbe aus, dann darf man nicht nur die gelegte Aktion nutzen, sondern zusätzlich auch die Aktion der Karte. Passen Aktionsplatz und Kartenfarbe dahingegen nicht zusammen, dann muss man sich auf eine der beiden möglichen Aktionen beschränken.
Das ist der Kern von UNDERWATER CITIES. Der Rest ist gewöhnliches Spiele-Design für Euro-Liebhaber – also genau das richtige für mich. Nach und nach beschafft man sich Rohstoffe und nutzt diese zum Ausbau des eigenen Städte-Agglomerats. Schafft man es dabei, die Ecken des eigenen Tableaus mit Tunneln zu erreichen, dann hat man oberirdische Metropolen erschlossen, was natürlich Vorteile für das eigene Spiel hat – und sei es nur, um am Ende die meisten Siegpunkte zu besitzen. Um diese geht es letztendlich auch bei UNDERWATER CITIES und sie werden am Ende reichhaltig für alles mögliche ausgeschüttet. Wobei eine besondere Form will ich dabei noch erwähnen: manche Zielkarten kann man über eine offene Auslage im Laufe der Partie erwerben. Wer hierbei schneller ist, zeigt den anderen eine lange Nase.
Das passiert ohnehin öfters bei UNDERWATER CITIES. Denn es ist ein Worker-Placement-Spiel der alten Schule: ist ein Platz besetzt, dann ist dieser gewöhnlich in der aktuellen Runde nicht noch einmal nutzbar. Das kann ganz schön hart sein – insbesondere natürlich am Ende. Aber dadurch ist keine Aktion belanglos. Man fiebert dauernd mit, ob noch die erhofften Aktionsplätze zur Verfügung stehen und flucht nicht nur innerlich, wenn dieser Platz im letzten Moment doch noch von einem Mitspieler besetzt wird.
Aus diesem Grund ist natürlich die Reihenfolge wichtig. Wie man es besonders gut von Stefan Feld und seinen Spielen kennt, ist der Kampf um diese Reihenfolge somit ein nicht zu unterschätzender Nebenschauplatz. Kein Wunder also, dass aus diesem Grund der Lobbyist zu einem meiner Mitspieler des Monats wurde – kann dieser doch die Reihenfolge sehr effektiv zum eigenen Gunsten beeinflussen.
Allerdings hat UNDERWATER CITIES durch diesen knallharten Einsetzmechanismus auch ein Problem: es kann insbesondere im 4‑Personen-Spiel empfindlich lange dauern. Pfuscht keiner der Mitspieler in die eigenen Pläne, dann kann man vielleicht eine Partie in der vom Verlag angegebenen Zeit von 40 Minuten pro Spieler schaffen. Aber wann passiert das schon? Viel realistischer ist, dass nicht nur Plan A von den Mitspielern zunichte gemacht wird, sondern auch noch Alternativplan B. Somit kann es schon ein wenig dauern, bis man die verschiedenen Optionen geordnet und sich entschieden hat. Wer das nicht aushalten kann, der ist bei UNDERWATER CITIES nicht gut aufgehoben oder sollte nur die herausfordernde Solo-Variante spielen.
Ich dahingegen kann damit leben, wobei ich 4‑Personen-Partien zu vermeiden versuche. Denn insgesamt finde ich UNDERWATER CITIES großartig. Bei mir trifft das Spiel genau den richtigen Nerv. Dauernd ist man im Zwiespalt. Eigentlich müsste ich nun diese rote Aktion durchführen, aber mir fehlt eine rote Karte. Soll ich somit stattdessen nicht lieber eine gelbe Aktion ausführen, die eigentlich auch ganz brauchbar ist und bei der ich meine tolle gelbe Karte ausspielen kann? Und mit ein wenig Glück ziehe ich sogar eine rote Karte nach. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass dann in der Zwischenzeit die anvisierte rote Aktion von einem Mitspieler besetzt ist...
UNDERWATER CITIES ist somit ein anspruchsvolles Expertenspiel. Ganz grob kann man es mit TERRAFORMING MARS vergleichen, auch wenn das Spielgefühl doch deutlich anders ist. Vielleicht kommt der Vergleich durch das ungewöhnlich Material zustande. Manche empfinden die Ausstattung von UNDERWATER CITIES als minderwertig, doch dem möchte ich deutlich entgegen treten. Man darf beim erfreulich moderaten Einkaufspreis kein Deluxe-Kickstarter-Material erwarten. Natürlich wären etwas weniger glatte Spielertableaus schön, aber die beiliegenden erfüllen voll ihre Funktion und es passieren auch keine Dramen, wenn etwas leicht verrutscht. Das restliche Material ist normaler Standard – mit der löblichen Ausnahme der Stadtkuppeln, die als Eyecatcher fungieren. Nicht unterschätzt werden sollten dabei die tollen Illustrationen von Milan Vavroň. Auch wenn der Spielplan anfangs ganz schön bunt und verwirrend anmuten mag: die Grafik ist praktisch und durchdacht. Zumal auf den Karten neben den Symbolen auch immer noch ein beschreibender Text zu finden ist.
Wenn man also aufgrund der aktuell so traurigen Zukunftsprognosen Eskapismus betrieben will, dann ist UNDERWATER CITIES meine derzeitige Empfehlung. Die Innovationshöhe ist sicherlich überschaubar, aber dafür erhält man ein sehr fein abgestimmtes Expertenspiel mit interessantem Thema. Und trotz aller Denklastigkeit kochen während einer Partie sicherlich auch ein paar Emotionen hoch.
Titel | Underwater Cities |
Autor | Vladimír Suchý |
Illustrationen | Milan Vavroň |
Dauer | 90 – 210 Minuten |
Spieleranzahl | 1 bis 4 Spieler |
Zielgruppe | Expertenspieler mit langem Atem |
Verlag | Delicious Games |
Jahr | 2018 |
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