Azul von Michael Kiesling – erschienen bei Plan B Games
Ein Problem beim Haus bauen ist, dass man sich Fähigkeiten aneignet, die nach Fertigstellung nicht mehr gefragt sind. So haben wir (nicht ganz freiwillig) alle unsere Wand-Fliesen selbst verlegt – am Ende ging das sogar halbwegs flüssig und ordentlich von der Hand. Seitdem kam ich aber kaum noch in die Verlegenheit, dieses mühevoll erlangte Wissen tatkräftig anzuwenden. Das liegt aber auch daran, dass ich nun in meiner wieder gewonnen Freizeit lieber am Spieletisch sitze als in Arbeitsmontur in irgendwelchen Rohbauten herum zu hüpfen. Denn schließlich kann man auch Fliesen spielerisch verlegen – AZUL beweist es.
Thema... auf Verlangen des portugiesischen Königs Manuel I. sollen die Wände seines Palastes in Evora mit prächtigen Fliesen versehen werden. Allerdings hat er dabei sehr eigene Vorstellung. Sagen wir es mal so: großflächige einfarbige Bereiche schien er nicht all zu sehr zu mögen. Da soll es lieber bunt zugehen.
Illustrationen... sind von Chris Quilliams, dessen Arbeiten ich recht gerne mag. Bisher im Blog habe ich lediglich PANDEMIC LEGACY SEASON 1 von ihm besprochen, aber bspw. seine Arbeiten zu KORSAREN DER KARIBIK sollten bekannt sein. Bei AZUL musste er allerdings nicht all zu viel von seinem Handwerk bieten, ist es doch ein abstraktes Spiel mit einer überschaubaren grafischen Herausforderung. Trotzdem ist die Gestaltung außerordentlich gut gelungen und macht sich in liebevollen Details bemerkbar.
Ausstattung... besteht aus 5×20 bunten Fliesen, die aber glücklicherweise nicht aus Keramik sind, sondern aus wesentlich langlebigeren Kunststoff. Diese "Fliesen" sind richtig schön dick und aufgrund ihrer abgerundeten Ecken haben sie das Zeug zum Handschmeichler. Zusätzlich sind noch neun runde Bierdeckel (stellen die Manufakturen dar), vier Ablagetableaus inklusive Punktemarker, ein Startspielerplättchen sowie ein großer Beutel in der Box. Die Ablage ist doppelseitig bedruckt, so dass mit einer gewissen Erfahrung eine kleine Variante gespielt werden kann. Abgerundet wird das schöne Material durch ein optimal durchdachtes Inlay. Wieder einmal weiß Plan B Games mit einer hochwertigen Ausstattung zu überzeugen!
Ablauf... zu Beginn einer Runde werden die Manufakturen mit je vier Fliesen befüllt. Nun wird reihum die Fliesen einer Farbe genommen und die restlichen Fliesen der Manufaktur werden in die Tischmitte geschoben. Von nun an kann man die gewünschte Fliesenfarbe auch aus der Mitte nehmen (der erste, der das macht, wird in der nächsten Runde Startspieler – nimmt damit aber auch mindestens einen Minuspunkt in Kauf). Die aktuelle Runde endet, wenn alle Fliesen verteilt sind.
Die genommen Fliesen werden auf dem eigenen Spielplan zwischengelagert. Dieses Lager ist so aufgebaut, dass man in der ersten Zeile von oben nur eine Fliese ablegen kann und in der letzten Zeile fünf Fliesen. Die müssen natürlich komplett von einer Farbe sein, dürfen aber auch peu a peu gesammelt werden. Allerdings müssen überzählige Fliesen beim Sammeln in den unteren Randbereich verschoben werden – dafür gibt es am Ende eine Runde Minuspunkte.
Pluspunkte erlangt man dadurch, dass am Ende dieser Aussuchen-Phase die Fliesen vom Zwischenlager in den eigentlichen Punkte-Bereich verschoben werden. Pro Zeile darf jede Farbe nur einmal vorkommen – der Spielplan im Basisspiel gibt dafür die entsprechende Vorgabe. Nun wird von der angelegten Fliese horizontal und vertikal gezählt, wie viele Fliesen durch die neue Fliese miteinander verbunden sind. Die Anzahl dieser verbundenen Fliesen ergibt die Pluspunkte.
Eine Partie AZUL endet, sobald ein Spieler eine Zeile komplett gefüllt hat. Dann gibt es am Ende noch Extrapunkte für gefüllte Zeilen, für gefüllte Spalten sowie für den Fall, dass man von einer Farbe alle Fliesen ablegen konnte. Am Ende gewinnt natürlich derjenige, der die meisten Punkte aufweisen kann. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob König Manuel I. wirklich mit solch einem Stückwerk zufrieden gewesen wäre. Aber Thema ist eben nicht alles.
Das gefällt mir nicht so gut: Manch ein Mitspieler war arg geschockt, wie böse manchmal AZUL gespielt werden kann. "So ein schönes Spiel und dann so gemein". Ja, man kann in einer Runde in der Summe 14 Minuspunkte machen. Allerdings hat man dazu auch sein Scherflein beigetragen. Also dann lieber doch einmal etwas genauer nachdenken. Das kann allerdings bei manchen Mitspielern in Denkorgien ausarten, denn alle Informationen liegen offen aus. Theoretisch kann man nun alle erdenklichen Kombinationen ausrechnen, um daraus seinen perfekten Zug abzuleiten. Allerdings langweilen sich dann die Mitspieler gehörig. Das soll nicht bedeuten, dass man es nur aus dem Bauch heraus spielen sollte, aber mit Hardcore-Optimierern macht AZUL wenig Spaß (wie übrigens die meisten Spiele). Man darf sich nur nicht von der wunderschönen Aufmachung blenden lassen. AZUL ist ein abstraktes Spiel und wie bei vielen anderen dieser Art, muss man die Logik hinter dem Mechanismus verstehen, will man erfolgreich zu sein.
Dann noch ein paar Kleinigkeiten. So ist in meinen Augen die Wertungsleiste äußerst unpraktisch. Zwar bevorzuge ich an für sich die Anordnung mit den übereinanderliegenden Endziffern – allerdings gilt das nur, wenn der horizontale Bereich lediglich einen Zehnerbereich abbildet (wie bspw. bei YOKOHAMA). Bei AZUL sind es allerdings jeweils 20 Felder pro Zeile. Da man maximal aber nur zehn Punkte in den Zwischenwertungen gewinnen kann, macht man eben keine Sprünge, sondern zählt eigentlich immer fleißig die Felder einzeln ab – und für diesen Fall, wäre eine durchlaufende Wertungsleiste wohl funktionaler und weniger fehleranfällig.
Wenn ich mir noch etwas wünschen könnte, dann wäre es ein zweiter Sack. Der eine ist natürlich wunderschön und auch nicht zu eng (für Fliesenarbeiterhände geeignet). Allerdings sollen zwischenzeitlich abgeräumte Fliesen im Schachteldeckel gelagert werden. Ist der Nachziehbeutel leer, soll man diese dann wieder in den Beutel schütten. Noch viel schöner wäre es natürlich, wenn man gleich schon einen zweiten Beutel hätte und man dann nicht feinmotorisch tätig werden müsste. Ich sehe schon, die nächste Bestellung bei ArtsCow lässt nicht mehr lange auf sich warten.
Eines noch: Vorsicht beim Auspacken! Der Startspielermarker ist sehr unscheinbar auf dem Ausstanzbogen versteckt und kann somit schnell beim Auspöppeln vergessen werden. Ihr wärt nicht die ersten, die dann nochmals zur Altpapiertonne rennt...
Das gefällt mir gut: Es ist immer wieder schön, die einzelnen Entwicklungsstufen der Mitspieler zu beobachten. Anfangs spielt jeder erst so vor sich hin und erfreut sich der kleinen Erfolgserlebnisse. Aber schon in der zweiten Partie, wird viel gezielter gespielt, indem man vermehrt auf das eigene Tableau achtet und die Zusammenhänge der einzelnen Farben versteht. Schlussendlich macht es dann noch ein drittes Mal Klick und man achtet auch auf die Tableaus der Mitspieler. Und wer dann noch etwas Abwechslung will, der spielt einfach die Variante. Diese lässt geübten Spielern mehr Freiräume, die Entscheidungen bleiben aber trotzdem knackig. Das Schöne an AZUL ist: in allen Entwicklungsstufen macht das Spiel Spaß zu spielen!
Grund dafür sind sicherlich die vielen kleinen Belohnungen während der Partie. Diese sind zusätzlich gepaart mit einem tollen Spannungsbogen. In der ersten Runde ist es fast noch egal, welche Fliesen man sich nimmt. Aber ab dann beginnen die einzelnen Abhängigkeiten: was ist noch möglich und was bringt vor allem viele Punkte? Man fiebert bei der Bestückung der Manufakturen mit – und ärgert sich vielleicht dabei, dass man nicht doch Startspieler ist.
An der Regelung des Startspieler-Rechts erkennt man die feine Komposition von Michael Kiesling. Denn natürlich ist es ein Vorteil, die nächste Runde beginnen zu können. Allerdings bezahlt man dafür auch mit mindestens einem Siegpunkt (und bei entsprechender Füllung der unteren Leiste können es sogar drei Siegpunkte werden). Somit sollte man sich schon genau überlegen, ob man wirklich der erste sein will, der sich Fliesen aus der Mitte nimmt.
Ansonsten kann man die äußerst gelungene Ausstattung nicht hoch genug loben. Wie schon damals bei QWIRKLE ist das haptische Erlebnis nicht zu unterschätzen. Ich behaupte, AZUL wäre nicht so sehr in aller Munde, wenn die Fliesen lediglich aus schnöden Pappteilen gefertigt gewesen wären. Das Spiel bliebe an sich natürlich das gleiche, aber es würde die entscheidende Empfindungsebene fehlen, die viele Spieler begeistert. AZUL ist einfach nur wunderschön gestaltet. Punkt!
Fazit: Nachdem ich mit MAJESTY schon eine erste Prognosen zum Spiel des Jahres-Casting gegeben habe, folgt nun mit AZUL gleich ein weiterer heißer Kandidat. Denn AZUL schafft es, sowohl klassische Familienspieler wie auch selbst ernannte Experten zu begeistern. Durch den zeitlosen abstrakten Mechanismus und der wunderschönen Aufmachung hat AZUL das Zeug dazu, ein Dauerbrenner auf den Spieletischen zu werden – und das berechtigterweise!
Titel | Azul |
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Autor | Michael Kiesling |
Illustrationen | Chris Quilliams |
Dauer | 30 Minuten |
Personenanzahl | 2 bis 4 Personen |
Zielgruppe | abstrakte Familienspielrunden |
Verlag | Plan B Games |
Jahr | 2017 |
"[...]und bei entsprechender Füllung der unteren Leiste können es sogar drei Siegpunkte werden[...]"
Weiß nicht, ob ich Dich hier falsch verstehe, aber wenn die komplette untere Leiste gefüllt ist bekommt man 14 Minutpunkte. Die einzelnen Werte werden zusammengezählt.
Servus!
Ja, da hast du mich falsch verstanden. Es ging ausschließlich um den Startspielerstein. Den nimmt man als erstes und erhält somit sicher einen Minuspunkt. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass bei entsprechend gefüllter Leiste daraus auch ein Verlust von 3 Siegpunkten entstehen kann, wenn man dadurch die nächste Schwelle erklimmt (man hat also dort unten nun 6 Steine für 11 Minuspunkte anstatt nur 5 Steine für 8 Minuspunkte liegen). Nur das habe ich gemeint – und vielleicht etwas unklar ausgedrückt.
Viele Grüße,
Tobias
PS: Hast du dir schon einmal Gedanken um einen Solo-Modus gemacht?
Hallo Tobias,
Du schreibst "... Da man maximal aber nur zehn Punkte in den Zwischenwertungen gewinnen kann ...".
Laut Anleitung
("Versetze die Fliese, die in dieser Musterreihe am weitesten rechts liegt, auf das Feld derselben Farbe in der zugehörigen horizontalen Reihe an der Wand. Dafür erhältst du jeweils sofort eine bestimmte Anzahl an Punkten")
wird jede Fliese an der Wand sofort gewertet. Damit ist es möglich, bis zu 39 Punkte in der Zwischenwertung zu bekommen. Das ist zwar nicht sehr realistisch, aber Werte über zehn sind sehr wohl leicht möglich.
Oder habe ich die Anleitung falsch interpretiert?
Liebe Grüße
Bernhard
Hallo Bernhard,
nein, du hast die Anleitung wahrscheinlich nicht falsch interpretiert. Vielmehr habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Sorry dafür!
Mit "Zwischenwertung" meinte ich nicht die komplette Wertungsphase, sondern eher die einzelnen Schritte in dieser Phase. Denn in dieser Phase werte ich jede neue Fliese einzeln. Also in der obersten Reihe schiebe ich die Fliese nach rechts, zähle ab, welche Punkte ich bekomme und trage die in der Anzeige ab. Das mache ich dann für die nächste Fliese auch so usw. Im Idealfall werte ich also fünf Fliesen – immer nacheinander ab. Mal fünf Punkte, mal drei, mal nur einen. Das machen wir jedenfalls immer sofort, so dass wir den Wertungsstein immer in kleinen Schritten weiter schieben (und in diesen eben maximal 10 Schritte). Wir kämen nie auf die Idee, alle Fliesenwertungen erst zusammen zu addieren und dann in einem großen Schritt den Wertungsstein zu bewegen. Nur das meinte ich mit meiner kleinen Kritik an der Wertungsleiste. Denn ich habe ein paar Mal bemerkt, wie jemand am Ende der Leiste den Wertungsstein ein Feld nach unten setzte und dann nach links schob.
Viele Grüße,
Tobias