Fliptown von Steven Aramini – erschienen bei Strohmann Games
Als ich noch mehr Zeit hatte und hier auf dem Blog aktiver sein konnte, gab es eine wahrscheinlich nur mir bekannte kleine Tradition: ich habe des öfteren Roll-and-Write-Besprechnungs-Trilogien erstellt. Dass ich dies nun länger nicht mehr gemacht habe, liegt einzig und alleine an der fehlenden Zeit und nicht etwa daran, dass dieses Genre am Aussterben ist. Das ist nämlich definitiv nicht der Fall. Nun wage ich mich aber wieder an eine solche Trilogie und beginne mit FLIPTOWN.
Thema... wir sind mal wieder im Wilden Westen unterwegs. Dort wartet Ruhm und Reichtum auf uns – und der Sheriff, denn nicht immer halten wir uns an die Gesetze. In der Stadt sind wir meist ganz brav und auch als Mineure machen wir nichts illegales. Aber in der Weite der Prärie kann es schon mal passieren, dass eine Kutsche unseren Weg kreuzt, die nach unserem Aufeinandertreffen weniger transportiert als vorher.
Illustrationen… sind das Endprodukt der Arbeit von Naomi Ferrall. Gerne gebe ich zu, dass ich mich ein wenig in den Stil verliebt habe – auch wenn verhältnismäßig wenig Illustrationen zu bewundern sind. Denn leider wirkt das Spielmaterial eher wie eine technische Konsole als der weite Raum der Wilden Westens.
Ausstattung… wir erhalten alle jeweils ein abwischbares Tableau, dass erst einmal auseinander geklappt werden muss, damit es seine volle Größe erreicht. In der Box sind dazu passende Stifte sowie ein klassisches Poker-Kartendeck. Darüber hinaus warten noch weitere Karten für das erweiterte bzw. das Solo-Spiel auf uns.
Ablauf… In FLIPTOWN häufen wir über drei Runden mit jeweils fünf Spielzügen nicht nur Dollars und Goldnuggets an, sondern vor allem auch Siegpunkte.
In jedem Spielzug decken wir für alle Mitspielenden zusammen genau drei Karten auf. Aus diesem Angebot ordnen wir die Karten individuell einzelnen Aktionen zu. So wird eine Karte Teil des eigenen Pokerblatts sein, welches am Ende der Runde abgerechnet wird. Von den übrig gebliebenen zwei Karten bestimmt eine nun die Region auf meinem Tableau, in der ich aktiv werde. Die andere Karte wählt über den Kartenwert aus, welche Aktion ich dort machen kann. Dafür werde ich dann mit Dollars, Gold oder Siegpunkten belohnt. Manchmal erhalte ich auch einen Steckbrief, wenn mein Handeln nicht all zu tugendhaft war. Und manchmal löse ich auch noch eine zusätzliche Aktion aus.
Am Ende jeder Runde erhalte ich für mein Pokerblatt ein Einkommen, wenn ich eine bestimmte Kombination erreicht habe. Zusätzlich wird noch über eine nun aufzudeckende Sheriff-Karte bestimmt, ob ich vielleicht zu viele Steckbriefe gesammelt habe. Ist das der Fall, muss ich mich teuer freikaufen.
Das gefällt mir nicht so gut: FLIPTOWN ist ein Paradebeispiel für den Begriff Mulitplayer-Solitär. Denn im Endeffekt ist FLIPTOWN ein reines Solo-Spiel, bei dem die Anzahl der Mitspielenden lediglich durch das Material beschränkt wird. Würden 2,8, 10 oder 20 Personen mitspielen, ich würde davon im Normalfall nichts merken. Lediglich durch die Hinzunahme der Prämienkarten wird zumindest ein kleiner Wettlauf um mögliche Ziele ermöglicht, der sich allerdings kaum auf den Charakter des Spiels auswirkt. Das könnte ich jetzt eigentlich mit einem Schulterzucken abtun: ist halt so. Aber aufgrund der gewählten Thematik ärgere ich mich doch. Wenn ich schon im Wilden Westen unterwegs bin, wenn ich schon Poker spiele und wenn ich Überfälle durchführe, dann möchte ich doch bitte in irgendeiner Weise auch mit den Mitspielenden interagieren. Lediglich in einer Regelvariante wird vorgeschlagen, die Pokerblätter am Ende miteinander zu vergleichen. Das ist mir in einem Spiel, in dem ich in der Stadt Waffenhändler, Pferdehändler und Bestatter aufsuchen kann, zu wenig. Natürlich kann ich Überfall-Versuche der Mitspielenden kommentieren, aber noch lieber würde ich daran teilhaben und nicht nur zuschauen müssen.
Neben der fehlenden Interaktion gibt es noch einen weiteren Grund, warum ich FLIPTOWN lieber solo spiele. Denn in größerer Runde müsste ich immer wieder die umfangreichen Regeln erklären. In der Stadt stehen uns 13 unterschiedliche Aktionen zur Verfügung, die alle erklärt werden wollen und teilweise auch noch Unterbedingungen haben. Das ist zugegebenermaßen der Extremfall, weil die anderen Regionen deutlich weniger komplex sind. Aber trotzdem wollen diese auch erst einmal verinnerlicht werden. Ist das verdaut, traue ich mich gar nicht, auch noch den Friedhof zu erwähnen, der eine zusätzliche Aktionsebene darstellt, bei der die Kartenauswahl ignoriert wird. Spätestens dann ist es meist um meine potentiellen Mitspielenden geschehen. Das Tableau bemüht sich, all diese vielen Informationen zu vermitteln. Größtenteils bleibt es bei der Bemühung.
Doch auch spielmechanisch überzeugt mich FLIPTOWN nur ansatzweise. Die vielen unterschiedlichen Kartenwerte lassen nur schwer Planungen zu. Es ist ein Unterschied, ob ich bspw. vier unterschiedliche Würfelfarben mit den Zahlenwerten von 1 bis 6 als Basis habe oder eben wie bei FLIPTOWN vier Kartenfarben mit 13 unterschiedlichen Kartenwerten. Eine Wunschkombination von zwei passenden Karten zu treffen ist deutlich unwahrscheinlicher – zumal wir schon beim Pokerblatt auf bestimmte Kombinationen schielen. Zu selten hatte ich das Gefühl, wirklich etwas beeinflussen zu können. Karten zählen macht wenig Sinn, da ohnehin pro Runde nur 15 der 52 Karten für die Aktionsauswahl im Spiel sind und der Zufall entsprechend hoch ist. Ich darf zwar Kartenfarbe und ‑werte auch gegen Abgabe von Gold manipulieren, aber das ist selbstredend nur punktuell vernünftig.
Zu guter Letzt ist FLIPTOWN eine wahre Abkreuzorgie. Wie auch in HADRIAN'S WALL oder FLEET: THE DICE GAME besteht ein hoher Verwaltungsaufwand auf dem Tableau. Ständig kreisen wir Sachen ein und streichen diese oder andere durch. Wenn ich dann noch ungeschickt mit der Hand über das Tableau wische, können auch Informationen verloren gehen. So löblich also diese Tableaus gedacht sind, die klassischen Zettel haben auch ihre Vorteile.
Das gefällt mir gut: Die vielen unterschiedlichen Aktionsmöglichkeiten haben ihren Preis beim Regeln lernen. Sind diese aber im Kopf, werden wir mit einer hohen Vielfalt belohnt. Je nachdem welche Karten erscheinen, sind wir mal mehr in der einen oder in der anderen Region aktiv. Durch die vielen Verzahnungen haben wir dabei aber nie das Gefühl, einseitig zu agieren, da immer wieder auch Querverbindungen bestehen. Diese Vielfalt wird noch durch eine Variante mit unterschiedlichen Charakterkarten unterstützt. Diese bekommen wir anfangs zufällig zugeordnet und dann beginnen wir mit unterschiedlichen Startressourcen und haben noch eine einmalige Spezialfähigkeit in der Hinterhand.
Noch mehr Vielfalt wird im Solo-Spiel geboten. Denn dort können wir gegen einen der vier unterschiedlichen "Cowbots" anbieten. Darüber haben wir nun einen virtuellen Gegner mit unterschiedlichen Schwerpunkten zu besiegen und auf einmal fühlt sich FLIPTOWN tatsächlich etwas an wie ein Duell. Diese Bots zeigen deutlich, dass FLIPTOWN als Solo-Spiel am ehesten seine Qualitäten ausspielen kann. Dann wird auch ansatzweise das Versprechen des Themas eingehalten.
Wobei ich bei der Themenumsetzung vielleicht auch etwas zu streng bin. Denn FLIPTOWN gibt sich schon Mühe, die Aktionen themengerecht einzukleiden. Auch das Auftauchen des Sheriffs am Ende einer Runde ist immer ein kleiner Spannungspunkt, der verhindert, dass eine Partie lediglich vor sich hinplätschert. Empfehlenswert ist übrigens unbedingt die Texas Hold’em-Variante für das Pokerblatt. Dabei haben wir zwei zusätzliche Pokerkarten zur Verfügung, um daraus Kombinationen zu bilden, wodurch eher hohe Blätter ermöglicht werden und etwas mehr Pokergefühl aufkommt.
Fazit: Als reines Solo-Spiel kann FLIPTOWN punkten. Mit Mitspielenden fehlt mir dahingegen Interaktion, die ich von der überzeugenden Aufmachung und dem Thema erwartet habe.
Titel | Fliptown |
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Autor | Steven Aramini |
Illustrationen | Naomi Ferrall |
Dauer | 30 bis 45 Minuten |
Personenanzahl | 1 bis 4 Personen |
Zielgruppe | solitäre Kennerspielrunden |
Verlag | Strohmann Games |
Jahr | 2024 |
Hinweis | Vielen Dank an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars! |
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