Hadara von Benjamin Schwer – erschienen im Hans im Glück Verlag
"Einmal die Weltgeschichte in 60 Minuten bitte!" So könnte man auch das Coverbild von HADARA deuten. Doch jeder, der sich ein wenig mit Enzyklopädien auseinander gesetzt hat, wird wissen, dass das nicht vernünftig funktionieren kann. Selbst die recht zusammengefasste "Eine kurze Weltgeschichte für junge Leser" von Ernst H. Gombrich hat bspw. eine Hörbuchzeit von 10 Stunden und 12 Minuten. Also im Endeffekt ganz gut, dass das...
Thema... eher aufgesetzt ist. Zwar schwärmt der "Klappentext" von drei Epochen, in denen man die Verwandlung einer kleinen Siedlung zu einer Hochkultur erleben würde. Aber ich habe bisher noch keinen Mitspieler kennengelernt, der das wirklich spielerisch erlebt hätte. Böse Zungen sehen HADARA vielmehr als eine spielerische Umsetzung einer Tabellenkalkulation. Die Wahrheit liegt dazwischen. Das Zivilisationsthema von HADARA ist sicherlich aufgesetzt. Allerdings können mithilfe dieses Themas manche Mechaniken greifbarer gemacht werden. Wer allerdings wirklich das Gefühl haben will, bei einer Zivilisationsentwicklung teilnehmen zu wollen, muss die entsprechenden 4‑Stunden-Klopper spielen.
Illustrationen… sind von Dominik Mayer, der mich schon mit TRANSATLANTIC als sein Debüt in der Brettspielszene beeindruckt hat. Nun hatte er bei HADARA mit Hans im Glück auch noch eine erfahrene Redaktion an seiner Seite, so dass keine Anfängerfehler mehr auftreten. In der Summe hat man folgerichtig eine wunderschöne und runde grafische Gestaltung – bei der sogar auch richtig geklotzt wurde. Jede einzelne Karte ist individuell illustriert und selbst die Rückseiten der einzelnen Epochenkarten wurden unterschiedliche gestaltet. Das fällt auf dem ersten Blick überhaupt nicht auf, macht dann aber doch ziemlich was her.
Ausstattung… ist natürlich wieder auf gewohntem Hans-im-Glück-Niveau. Neben vielen der berühmt-berüchtigten kleinen Hans-im-Glück-Karten sind auch noch ein Spielplan, eigene Spierlertableaus, Pappmarker (inklusive Münzen), Spielübersichten, Holzmarker und ein Wertungsblock in der Box. Damit man dieses ganze Material aufgeräumt in die Box bekommt, wird ein durchdachtes Insert mitgeliefert – und die Spielanleitung gibt sogar Tipps, wie man dieses vernünftig füllt. Ich bin überrascht, wie gut das alles hält, zumal ich sogar meine Spiele hochkant im Regal lagere.
Der Spielplan wird übrigens vor jeder Partie neu zusammengesteckt, so dass nicht immer die gleichen Farben aufeinander folgen. Zusammengehalten werden die Spielplanteile über die Nabe in der Mitte, die zusätzlich mit einem kleinen Drehrad versehen ist. Dieses zeigt die einzelnen Wappen, die sich dann auf den Spielertableaus wiederfinden. Zusätzliche Varianz wird dadurch erreicht, dass für die fünf möglichen Mitspieler unterschiedliche Startkarten im Angebot sind. Und spielt man nicht in der Maximalbesetzung, dann ergibt sich auch eine weitere Varianz durch die in Spiel gebracht Karten. Denn pro teilnehmender Person kommen pro Farbe nur 2 Karten auf die entsprechende Ablage auf dem Spielplan.
Die einzelnen Karten stehen dann für verschiedene Bereiche. Gelbe Karten regeln hauptsächlich das Einkommen, grüne Karten die Nahrung. Mit den roten Karten wird die militärische Stärke verbessert und die blauen Karten symbolisieren den Kulturwert der eigenen Zivilisation. Eine Besonderheit stellen die lila Karten dar. Diese sind entweder eine Kombination der anderen vier Farben oder aber ermöglichen besondere Funktionen. Von diesen lila Karten steht auch ein größerer Pool als mindestens benötigt zur Verfügung, so dass man sich auch in einer 5er-Partie nie sicher sein kann, welche dieser Karten tatsächlich zur Auswahl stehen werden. In diesem Zusammenhang wird auch die Empfehlung abgegeben, manche lila Karten bei den ersten Partien nicht zu benutzen, um einen leichteren Einstieg zu erhalten.
Ablauf… über drei Spielrunden (=Epochen) werden Karten ausgewählt und entweder durch einen Kauf in den eigenen Bereich abgelegt oder durch Verkauf abgeworfen. Immer wenn man eine Karte anlegt, erhöht sich dann auf den Leisten der entsprechende Wert.
Diese Epochen sind allerdings in zwei Phasen unterteilt. In Phase A werden nacheinander zwei Karten aus dem Bereich auf die Hand genommen, welcher durch das eigene Wappen auf dem Drehrad in der Mitte angezeigt wird. Von diesen zwei Karten legt man eine offen wieder auf dem Spielplan ab, die andere wird entweder gekauft oder verkauft. Beim Kaufen bekommt man übrigens den wichtigen Rabatt, dass jede schon ausgespielte Karte in dieser Farbe den Preis um eine Geldeinheit reduziert. Danach wird das Wappenrad gedreht und man nimmt sich zwei Karten der neuen Farbe und so weiter.
Phase B verläuft etwas anders. Denn nun liegen auf dem Spielplan nur noch offene Karten aus, wovon man allerdings nur die oberste sehen kann. Nun hat das Drehrad keine Funktion mehr, denn jeder Spieler wählt reihum eine der offenen Karten, um diese nach Kauf anzulegen oder eben zu verkaufen und abzuwerfen. Das macht man so lange, bis alle Karten aufgebraucht sind.
Nach jeder der beiden Phasen bekommt man wieder Einkommen und hat die Möglichkeit, Kolonien zu erhalten bzw. Büsten zu meißeln. Für die Kolonien benötigt man eine gewisse Militärstärke, für die Büsten entsprechende kulturelle Entwicklung. Am Ende der Phase B muss noch die eigene Bevölkerung ernährt werden. Das läuft ganz banal darauf hinaus, dass man für jede ausgespielte Karte einen Schritt auf der Ernährungsleiste nachweisen muss.
Nach dieser Ernährungsphase können dann noch Siegel gekauft werden, für die es am Spielende einen Großteil der Siegpunkte gibt. Mit Siegpunkten sind aber auch die einzelnen Karten, Kolonien und Büsten versehen.
Das gefällt mir nicht so gut: ich möchte nicht soweit gehen und behaupten HADARA wäre ein seelenloses Gebilde. Aber etwas mehr thematisches Fleisch hätte ich schon gerne gesehen. Das aufgesetzte Thema funktioniert ohne Frage und erleichtert auch in manchen Dingen die Handhabung. Es bewirkt aber keinerlei Immersion. Im Endeffekt verschiebe ich vier unterschiedliche Parameter auf entsprechenden Leisten und vergleiche diese Werte mit gewissen Zielvorgaben. Ob das nun Kultur ist oder militärische Stärke kommt in keinster Weise rüber. Es hätten auch irgendwelche Rohstoffvorräte in einer multimodalen Fabrik sein können – oder eben unterschiedliche Zeilen-Farben in einer Tabellenkalkulation. Es entsteht keinerlei Spielgefühl für das gewählte Thema und man ist eher mit der Verwaltung der Leisten beschäftigt, als dass man das Gefühl hätte, eine Zivilisation aufzubauen. Und was sollen aus thematischer Sicht diese Siegel, für die man am Ende Punkte erhält? Gibt es ein göttliches Wesen, welches die Fortschritte auf bestimmten Ebenen bewertet und dann den Daumen senkt oder hebt? Insbesondere in diesem Punkt knirscht es doch aus thematischer Sicht gewaltig.
Aus spielerischer Sicht bin ich mit den Kolonien nicht ganz glücklich. Diese erhält man, wenn man eine gewisse militärische Stärke besitzt – so weit nachvollziehbar. Dann gibt es den schönen Kniff, dass man diese Kolonie ausbeuten kann, um zusätzlichen Geld zu erhalten. Man kann sie aber auch entwickeln! Dann bezahlt man stattdessen Geld und wird hoffentlich belohnt. Diese "hoffentlich" ist der Punkt, der mich stört. Denn die Kolonien unterscheiden sich. Sicher bekommt man mehr oder weniger zusätzliche Schritte auf den Leisten, mal allerdings auch wesentlich höhere Siegpunkte als bei anderen Kolonien. Ich bin mir sicher, dass das Verhältnis ganz gut austariert ist. Ich finde aber dieses Ungewisse störend, was mich auf der Rückseite der Kolonie erwartet. Hier fände ich es schöner, wenn ich mich bewusster für die ein oder andere Sache entscheiden kann – und zwar bewusst deswegen, weil mir die vollen Informationen zur Verfügung stehen.
Nicht so ganz klar ist mir, welche Spieleranzahl ich bevorzuge. Zu zweit ist HADARA interaktiver. Hier nimmt man sich meist die Zeit und schaut sich auch einmal das Tableau des Mitspielers an – um dann dessen benötigte grüne Karte zufällig zu verkaufen. Das ist beim 5‑Personen-Spiel theoretisch natürlich genauso möglich. In der Praxis konzentriert man sich dann aber eher auf sich selbst. Außerdem ist nicht wirklich ersichtlich, wer aktuell der Führende ist, dem man in die Suppe spucken sollte. Somit habe ich die Partien mit weniger Personen als interaktiver in Erinnerung. Das Spiel mit mehr Personen ermöglicht dahingegen extremere Strategien, da nun mehr Karten von allen Farben im Spiel sind (und nun auch die direkte Interaktion geringer ist, um mit einer solchen Strategie erfolgreich unerkannt zu bleiben).
In diesem Zusammenhang ist auch die unklare Regelung der Spielerreihenfolge anzusprechen. Denn aus der Regel geht zwar hervor, dass die Initiativwerte auf den Startkarten den jeweiligen Startspieler einer Epoche bestimmen. Es wird aber nicht deutlich, ob nun im Uhrzeigersinn oder nach den Inititativwerten weitergespielt wird. Wir haben uns für den Uhrzeigersinn entschieden. Da nur drei Epochen gespielt werden, kann es im 4- und 5‑Personen-Spiel vorkommen, dass diese nie Startspieler sein werden. Man wird zwar dafür mit einer zusätzlichen Münze am Anfang entschädigt, aber die betroffenen Spieler fanden das meistens trotzdem unbefriedigend. In diesem Fall hätte ich es wohl besser gefunden, wenn die Reihenfolge auch über bestimmte Leisten geregelt würde (bspw. wer den höchsten Militärwert oder die wenigste Nahrung hat) und man diese Ermittlunge des Startspielers aktiv in der Hand hätte. Wobei man durchaus anmerken muss, dass ein frühes Wahlrecht nur bedingt Vorteile hat. Das hängt nämlich wesentlich mit der Verteilung der Karten zusammen. Aber so wie es ist, fühlt es sich willkürlich an.
Das gefällt mir gut: Ja, HADARA ist unthematisch und klingt auch vom Ablauf recht unspektakulär. Deswegen muss es bei mir immer erst eine gewisse Einstiegshürde im Kopf überwinden, um auf dem Tisch zu landen. Liegt es dort aber, bin ich sofort voll im Spiel drin und fühle mich dabei auch bestens unterhalten. Denn in jedem Spielzug sind relevante kleine Entscheidungen zu treffen. Man fiebert mit, ob die nächste Karte noch bezahlbar ist oder abgeworfen werden muss. Man hofft, dass die offene Karte, die man bewusst in Phase A noch zurückgelassen hat, nicht von den Mitspielern genommen wird. Eigentlich spielt man nur Karten aus, um eine Kombination aus Leistenschritten und bestenfalls noch Siegpunkte zu erhalten. Aber man kann trotz dieser Einfachheit recht schön unterschiedliche Strategien versuchen. Die lilafarbenen Karten lockern das Ganze dann mit ein paar Sondereffekten auf.
Anfang war ich skeptisch, ob das Spiel auch auf Dauer zu unterhalten weiß. Denn wirklich variantenreich ist es (noch?) nicht. Es zeigte sich aber, dass HADARA mit mehr Erfahrung eher spannender als langweiliger wurde. Das liegt natürlich daran, dass man mittlerweile die einzelnen Karten besser einzuschätzen weiß und gezielter Strategien spielen kann. Außerdem fängt mit der Spielerfahrung auch der Blick zu schweifen an. Man kontrolliert dann mehr das Tun der Mitspieler – und muss nun abschätzen, ob man manche Karten nicht lieber aus dem Spiel nimmt, damit die Mitspieler nicht mehr davon profitieren können.
Dabei ist HADARA ein recht schnelles Spiel, weil größtenteils simultan gespielt wird. Lediglich in Phase B und am Ende kann es zu kleineren Längen kommen – vornehmlich dann, wenn einem ein Plan durchkreuzt wurde. Dass so etwas passieren kann, ist dem sehr interessantem Drafting-Mechanismus zu verdanken. Phase A ist dabei noch recht gewöhnlich, die Karten-Auswahl in Phase B macht aber HADARA so interessant. Hier werden nun die Entscheidungen getroffen, ob die gewählte Strategie aufrecht erhalten werden kann oder ob man neue Wege bestreiten muss. Durch die offenen Informationen treten nun die spielerisch interessanten Zwickmühlen auf. Eigentlich bräuchte ich die rote Karte, um noch eine Kolonie erobern zu können. Es sind aber nur noch zwei grüne Karten im Angebot und meine Ernährung ist bisher nicht gesichert. Soll ich also das Risiko eingehen und vorerst auf die grüne Karte verzichten oder nicht? Und ist dann später noch eine rote Karte im Angebot?
Es sind viele solcher keinen Entscheidungen zu treffen, die am Ende eine große Relevanz haben können. Durch die Büsten kann man bspw. bestimmte Leisten noch zusätzlich fördern. Dafür setzt man ein entsprechendes Bonusplättchen dieser Farbe in die entsprechende Vertiefung des Tableaus. Allerdings stehen pro Farbe auch nur zwei dieser Bonusplättchen zur Verfügung. Fördert man also durch die Büsten eine Leiste, kann man später diese Leiste nicht mehr für die silbernen Siegel nutzen, da man dafür ebenfalls diese Bonusplättchen benötigt.
Das Material möchte in diesem Zusammenhang auch nochmals loben. Ja, es ist teilweise etwas kleinteilig und fizzelig. Aber in der Praxis funktioniert das Spielertableau ausgesprochen gut mit den pfeilförmigen 10-Plättchen, die das mögliche Verrutschen zumindest erschweren. Natürlich sollte man eine gewisse Disziplin beim Vorschieben der Marker auf den Leisten haben. Allerdings sind diese Werte zu jeder Zeit nachvollziehbar. Ist man sich im Spielverlauf unsicher, zählt man die Werte auf den Karten und Kolonien nach und justiert bei Bedarf nach. Auch die aufeinander aufbauende Form der Kolonien sowie die Aussparungen der Bonusplättchen sind genauso durchdacht wie das Detail, dass jeder Farbe durchgängig ein eigenes Symbol zugeordnet ist. Abgerundet wird das Ganze mit der perfekt gestalteten Übersicht und den wunderschönen Illustrationen – bei denen auch nicht alte weiße Männer dominieren, sondern die ganze Vielfalt der Weltbevölkerung abgebildet sind. Gut so!
Fazit: HADARA gibt thematisch etwas vor, was es nicht einlösen kann. Es fühlt sich nämlich zu keiner Zeit wie ein Zivilisationsspiel, bei dem Völker über mehrere Epochen entwickelt werden. Stattdessen ist es ein schnelles und leichtes Kennerspiel mit einer sehr pfiffigen Drafting-Variante. Hatte ich anfangs noch die Befürchtung, dass mir auf Dauer die Abwechslung fehlen würde, kann ich diesbezüglich beruhigen. Vor allem mit Spielerfahrung wird HADARA kniffliger, weil dann auch der Blick zu den Nachbarn schweift – und denen gönnt man bekanntlich nichts (zumindest nicht im Spiel).
Titel | Hadara |
Autor | Benjamin Schwer |
Illustrationen | Dominik Mayer |
Dauer | 45 bis 60 Minuten |
Spieleranzahl | 2 bis 5 Spieler |
Zielgruppe | Drafting begeisterte Kennerspieler |
Verlag | Hans im Glück Verlag |
Jahr | 2019 |
Ich bedanke mich bei Hans im Glück für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars. Ich bin mir sicher, dass durch diese Bereitstellung meine Meinung nicht beeinflusst wurde. Die Besprechung spiegelt meine gemachte Erfahrung wider.
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