Istanbul: Brief & Siegel von Rüdiger Dorn – erschienen bei Pegasus Spiele
Erweiterungen von erfolgreichen Spielen sind heutzutage nichts besonderes. Mittlerweile gehört es zum guten Ton (und zur erfolgreichen Etablierung einer "Marke"), dass ein gutes Spiel mindestens eine Erweiterung erhält. Ich sehe das oft eher skeptisch, denn meistens gibt mir die Erweiterung dann doch nicht so viel mehr, wie man sich das vorher erhofft hat. Trotzdem kann ich mich selten dem Reiz des Ausprobierens einer neuen Erweiterung entziehen – zu groß ist oft die Neugier. So ambivalent ist man also.
Die 1. Erweiterung von ISTANBUL (MOKKA & BAKSCHISCH) hat meine generellen Vorbehalte eher bestätigt. "Ganz nett, aber kein Muss" – so in etwa würde mein Kurzfazit dazu lauten. Das hat mich aber nicht davon abgehalten, die 2. Erweiterung BRIEF & SIEGEL näher anzusehen.
Thema... die Kaufleute von Istanbul haben eine einträgliche Nebentätigkeit für sich entdeckt: das Überbringen von Nachrichten. Bei dieser Arbeit kommt man auf einmal auch zu Orten, die einem bisher verborgen geblieben waren. Außerdem kann man nun auch auf eine neue Art Rubine einsammeln – in dem man die aufgeschnappten Informationen an einen Geheimbund verkauft. Nicht ruhmreich, aber effektiv. Und da die Wege immer weiter werden, kann man nun auch noch einen Kompagnon einstellen (so als Art Juniorchef).
Alles schön und gut – zu einem thematischen Spiel wird Istanbul aber auch in der Erweiterung MIT BRIEF & SIEGEL nicht. Allerdings hat das auch niemand behauptet oder meines Wissens nach gefordert. Das Thema unterstützt gut die Mechanik. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Also nicht herumnörgeln und sich lieber am funktionierenden "Hilf-Konstrukt" Thema erfreuen.
Grafik... ist natürlich auch wieder von Andreas Resch. Die neuen Illustrationen passen sich dem Grundspiel nahtlos an – welches in meinen Augen großartig gestaltet ist. Somit bin ich natürlich sehr glücklich darüber, dass es zu keinen Veränderungen gekommen ist. Die Symbolsprache wurde auch ein wenig erweitert, ist aber weiterhin eindeutig und schnell zu erlernen. Auch hier bleibt die hohe Qualität erhalten.
Ausstattung... neben ein paar zusätzlichen Rubinen sowie neuen Bonus- und Ortskarten fallen einem natürlich die bisher unbekannten Brief-Plättchen ins Auge. Zusätzlich sind auch Kiosk-Plättchen im Spiel und neue Holzfiguren. Den Kompagnon gibt es in jeder Spielerfarbe einmal und kommt als handlicher Quader daher. Außerdem ist ein neuer Zylinder-Helfer im Spiel: der Kurier. Dieser ist nun grau eingefärbt und funktioniert ähnlich wie der Gouverneur und Schmuggler (weswegen er diesen von der Form her auch gleicht).
Schön auch, dass nun eine Übersicht über alle bisher erschienenen Bonuskarten enthalten sind (also die des Grundspiel sowie beider(!) Erweiterungen).
Ablauf... ändert sich nicht wesentlich zum Grundspiel. Die Auslage der Orte wird nun um vier weitere ergänzt, so dass man nun ein 5×4 Ortsraster vor sich hat. Das wurde so auch schon in der 1. Erweiterung MOKKA & BAKSCHISCH gemacht. Will man mit beiden Erweiterungen spielen, kommt noch ein fünfter Ort (die Katakomben) hinzu und man spielt dann auf einem 5×5 Raster. Die Katakomben sorgen dafür, dass man mit seinem Kaufmann zu einem beliebigen Ort springen kann – ohne allerdings dort eine Aktion ausführen zu können. Als Entschädigung bekommt man aber noch eine Ware.
Die eigentlichen neuen Orte aus BRIEF & SIEGEL bringen natürlich auch die neuen Elemente ins Spiel. Bei der Botschaft bekommt man zwei Briefe, die man mit der Vorderseite vor sich ablegt. Dabei zeigt der Brief ein Siegel und die Nummer des zu besuchenden Ortes. Besucht man im Verlauf des Spiels diesen Ort, dann dreht man den Brief um und es werden nun zwei Siegel angezeigt. Am Ende eines Zuges kann man nun immer durch Abgabe von drei oder vier Siegeln einen Bonuszug (verläuft wie ein normaler Spielzug) durchführen.
Oder aber man tauscht beim Geheimbund sechs Siegel gegen einen Rubin. Dieser Rubin wird von den Rubin-Lagerplätzen Sultanspalast, Edelsteinhändler bzw. Kaffeehaus genommen – so dass sich dort die Kosten für den nächsten Rubin erhöhen. An Briefe kommt man übrigens auch über den Kurier, der genau wie der Schmuggler oder Gouverneur funktioniert. Aber anstatt Waren oder Bonuskarten werden über den Kurier nun Briefe verschoben.
Im Kiosk bekommt man einen Brief und zusätzlich werden aus dem verdeckten Vorrat Kiosk-Plättchen aufgedeckt – jeweils eines mehr, als Spieler mitspielen. Diese Kiosk-Plättchen ähneln den Bonuskarten, sind aber nicht ganz so mächtig. Reihum sucht man sich ein Plättchen aus und man muss die Aktion sofort ausführen, wenn man nicht darauf verzichtet. Der auslösende Spieler darf dabei dann das letzte verbliebene Plättchen zusätzlich ausführen.
Der letzte neue Ort ist das Auktionshaus. Dabei nimmt man sich eine Ware und es werden im Anschluss zwei Bonuskarten versteigert – allerdings ohne dass man vorher weiß, was auf diesen Bonuskarten abgebildet ist.
Durch den Kompagnon kommt noch ein weiteres neues Element ins Spiel. Diesen kann man sich in seinen Vorrat holen, wenn man zum ersten Mal die Rückholaktion der Gehilfen beim Brunnen ausführt. Von nun an darf man ihn kostenlos zu Beginn eines Zuges zum eigenen Kaufmann stellen – und ihn anstelle des Kaufmanns nutzen. Allerdings bewegt er sich nur ein Ort weit und nimmt natürlich keine Gehilfen mit. Dafür kann er aber auch alleine die Aktion eines Ortes nutzen. So kann man auf beiden Seiten der Auslage agieren.
Für das Spielende gibt es auch noch ein wichtige Regeländerung. Denn nun wird das Partien-Ende erst eingeleitet, wenn ein Spieler sechs Rubine gesammelt hat.
Das gefällt mir nicht so gut: Das Auktionshaus ist nicht mein Ding. Hier können die teilweise doch recht mächtigen Bonuskarten sehr billig abgegriffen werden – was natürlich eine genaue Beobachtung der Mitspieler voraussetzt. Aber sind diese gerade knapp bei Kasse, dann kann man schon ein Schnäppchen machen. Natürlich muss dabei auch das Glück hinzukommen, dass man die Bonuskarten gut nutzen kann – aber insbesondere zu Beginn einer Partie kann man seine Strategie durchaus an diese Bonuskarten ausrichten. Außerdem sitzt zu Beginn einer Partie das Geld auch noch nicht so locker, so dass viele Mitspieler bei der Auktion nicht mit bieten. Für mich ist das ein Ticken zu viel Black Box bzw. Glücksanteil. Es ist aber jetzt nicht so, dass dadurch das Spiel komplett ausgehebelt wird. Im Vergleich zu den anderen neuen Orten fällt das Auktionshaus in meinen Augen nur etwas ab. Was aber auch daran liegt, dass ich die anderen neuen Orte alle als ausnahmslos gut gelungen empfinde und ich Versteigerungen an sich nicht gerne spiele.
Das gefällt mir gut: Ich könnte es kurz machen und sagen: alles! Allerdings betreibe ich nicht diesen kleinen Blog, wenn ich so etwas nicht gerne auch begründen will.
Durch die Briefe verschiebt sich das Spiel mehr auf die taktische Komponente. Man weiß nicht, welche Orte einem zugeteilt werden und lässt sich überraschen. Da werden auf einmal Orte interessant, die so gar nicht auf der eigentlich geplanten Route liegen. Hier muss man charakterfest sein und das ignorieren – oder man versucht, den Ort irgendwie einzubauen. Für jeden Ort des Grundspiels und dieser Erweiterung sind zwei Briefe vorhanden (mit Ausnahme des Kiosk, Auktionshauses und Katakomben). Es passiert also selten, dass man mal zwei Briefe auf einmal abliefern kann. Umso mehr freut man sich, wenn es klappt.
Dabei sind die Siegelaktionen auch nicht zu unterschätzen. Der Besuch des Geheimbundes liefert nicht nur selbst einen Rubin, sondern verteuert auch empfindlich die anderen Rubine. Damit kann man seine Mitspieler durchaus zur Weißglut bringen, fehlt doch auf einmal eine Münze beim Edelsteinhändler. Auch der zusätzliche Spielzug kann bei einem Rennspiel – was Istanbul nun einmal ist – der entscheidende Vorteil sein. Außerdem kann man so auch mit den Briefen spielen, ohne sie am Bestimmungsort abzuliefern. Man hat die Wahl.
Der Kompagnon erhöht einerseits die eigene Reichweite, da man nun auf allen Seiten der Auslage aktiv sein kann. Andererseits ist er aber auch ein größerer Störfaktor für die Mitspieler. Denn auch für den Kompagnon müssen die Begegnungskosten gezahlt werden. Somit kann man also noch gezielter die Mitspieler durch Blockaden ärgern. Schön ist auch, wie der Kompagnon ins Spiel gebracht wird. Denn auf einmal lohnt sich wieder der Weg zum Brunnen, den man bisher doch immer versucht hat zu vermeiden (weil er einen Tempoverlust darstellte).
Und über allem steht: man muss die neuen Elemente nicht nutzen. Man kann sie komplett links liegen lassen und sich beim Spiel auf die alten Elemente konzentrieren. Keiner ist gezwungen, seine bisherige Spielweise zu überdenken. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass diese dann nicht mehr ganz so erfolgreich ist, da nun neue Variablen ins Spiel eingebaut sind. Trotzdem bleibt ISTANBUL kompakt und ist schnell zu spielen.
Fazit: Die erste Erweiterung MOKKA & BAKSCHISCH zu ISTANBUL hat mich nicht nachhaltig überzeugt. Ganz anders hingegen nun BRIEF & SIEGEL. Für mich wird Istanbul damit erheblich variantenreicher. Die neuen Element fügen sich harmonisch ins Spiel ein und fördern dabei die Interaktion (und damit auch die Emotionen). Die Spielbox von BRIEF & SIEGEL habe ich schon entsorgt, denn für mich ist diese Erweiterung nun fester Bestandteil von ISTANBUL – außerdem passen die Materialien wunderbar noch in die Grundbox hinein.
Titel | Istanbul: Brief & Siegel |
Autor | Rüdiger Dorn |
Illustrationen | Andreas Resch |
Dauer | 40 bis 60 Minuten |
Spieleranzahl | 2 bis 5 Spieler |
Zielgruppe | Kennerspiel |
Verlag | Pegasus Spiele |
Jahr | 2016 |
Ich bedanke mich bei Pegasus für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars. Ich bin mir sicher, dass durch diese Bereitstellung meine Meinung nicht beeinflusst wurde. Die Besprechung spiegelt meine gemachte Erfahrung wider.
Danke für diese ausführliche Rezession.
Ich habe zur Spieleanleitung 2 Fragen, vllt. können Sie mir helfen.
Frage 1:
Briefe: Wenn ich einen Brief aufnehme und es ist eine Nummer abgebildet auf dem mein Kompagnon, Familienmitglied oder Kaufmann gerade dort, darf der Brief direkt abgegeben werden oder muss erneut auf das Feld gezogen werden?
Frage 2:
Kompagnon: Wenn er ins Spiel zum Kaufmann gesetzt wird, führt er dann die Ortsaktion direkt aus oder muss man eine Runde warten bis er was machen darf?
Vielen Dank und viele Grüße
Christina
Hallo Christina,
ich bin zwar weder Autor noch Verlagsmitarbeiter, aber ich bin mir recht sicher, deine Fragen folgendermaßen beantworten zu können:
Frage 1: Ja, darfst du – dann hast du Glück gehabt!
Frage 2: Der Kompagnon wird zu Beginn eines eigenes Zuges zum Kaufmann gesetzt – ohne allerdings dann sofort die Ortsaktion durchzuführen. Denn erst nach dem "Herbeirufen" des Kompagnons beginnt der eigentliche Spielzug: Bewegen und Ortsaktion durchführen.
So habe ich jedenfalls die Regel bisher verstanden und auch aktiv gespielt.
Viele Grüße,
Tobias