Sherlock Holmes: Beratender Detektiv – Die Themse Morde von Raymond Edwards, Suzanne Goldberg und Gary Grady – erschienen bei den Space Cowboys
Eigentlich müsste ich konsequenterweise SHERLOCK HOLMES: BERATENDER DETEKTIV als frisch gestrichen präsentieren. Schließlich ist es die Neuauflage SHERLOCK HOLMES CRIMINAL CABINET – seinerzeit Spiel des Jahres 1985 und damit weit seiner Zeit voraus. Da ich diesen Meilenstein allerdings nie selbst gespielt habe wären somit die Vergleiche der einzelnen Auflagen lediglich aus zweiter Hand. Aber so wird hier nicht gearbeitet, weswegen ich mich nun für das "normale" Besprechungsformat entschieden habe.
Thema... wenn man die Zeitung aufschlägt liest man viel über Verbrechen – auch wenn man den Wirtschaftsteil links liegen lässt. Aber ein wahrer Sherlock Holmes liest darin auch die Schlüssel zur Aufklärung vieler Untaten. In BERATENDER DETEKTIV versuchen wir es im gleich zu tun. Mit der aktuellen Ausgabe der Times, dem Stadtplan von London und einem umfangreichen Adressbuch ausgestattet, begeben wir uns auf unsere eigenen Ermittlungen.
Illustrationen… sind wie auch bei den Autoren das Ergebnis einer Team-Arbeit. Zumindest stelle ich mir das so vor, wenn fünf unterschiedliche Illustratoren genannt sind (Bernard Bittler, Arnaud Demaegd, Nils Gulliksson, Neriac, Pascal Quidault und Stefan Thulin). Wenn man mal von der eindrucksvollen Cover-Gestaltung absieht, kommen die einzelnen Illustrationen allerdings eher unscheinbar daher, da man sich meist auf den Text konzentriert. Das soll die Arbeiten aber keinesfalls schmälern. Im Gegenteil! Mir gefällt die grafische Gestaltung sehr gut, weil dadurch wunderbar eine besondere Stimmung erzeugt wird.
Ausstattung… neben 10 Ausgaben der Times liegen in der Box auch 10 Fallakten – dreimal darf man nun raten, wie oft wir einem Verbrechen auf der Spur sind. Zusätzlich besitzen wir noch einen Stadtplan von London und ein umfangreiches Adressbuch – beide werden für alle zehn Fälle benötigt. Nicht zu vergessen ist noch die Anleitung, da diese auf der Rückseite Tipps gibt, wo man diverse Informanten vorfinden kann, die einem dann im Verlauf der Ermittlungen helfen können.
Die einzelnen Fallakten beinhalten alle Texte für die jeweiligen Verbrechen. Am Ende warten auf uns Fragen zum direkten Fall sowie weitere Fragen zu diversen Nebenschauplätzen. Die Auflösungen zu den Fragen befinden sich ein einem Umschlag. Ausführlicher werden die Zusammenhänge der Haupthandlung dann noch aus der Sicht von Sherlock Holmes beschrieben.
Ablauf… nach einer kurzen einleitenden Erzählung in der Baker Street 221B steht man anfangs mit recht wenigen Informationen dar. Nun gilt es nach und nach Licht ins Dunkle zu bekommen. Dazu sucht man einzelne Personen oder Orte auf. Deren Adresse erhält man über das Adressbuch und mit dieser Information sucht man sich dann die entsprechenden Textabschnitte in der Fallakte heraus. Zusätzliche Anhaltspunkte erhält man auch über die Zeitung, wobei darin natürlich auch viel Unwichtiges aufgeführt ist.
Wenn man dann der Meinung ist, den Fall lösen zu können, blättert man auf die letzte Seite der Fallakte und bekommt dort Fragen vorgesetzt, die man beantworten muss. Dann gibt es neben der Auflösung auch noch eine Punkteberechnung, bei der man sich mit Sherlock Holmes vergleicht, der parallel den Fall untersucht hat.
Das gefällt mir nicht so gut: Ich bin bei Krimi- und Escape-Spielen bekanntlich nicht der Fan von finalen Abrechnungen. Ich spiele solche Sachen nicht, um am Ende einen bestimmten Punktewert erreicht zu haben, sondern weil mir der Weg dorthin Spaß macht. Dementsprechend kann ich auf solche Punkteberechnungen immer gut verzichten. Bei SHERLOCK HOLMES: BERATENDER DETEKTIV kommt aber noch erschwerend hinzu, dass man sich mit Sherlock Holmes vergleichen soll, der nicht nur unheimlich genial, sondern auch noch ein Ausbund an Effizienz ist. Dieser muss lediglich vier oder fünf Ort besuchen, um den Fall komplett zu lösen. Wir dahingegen bekommen Punktabzug, wenn wir durch die Stadt irren und eine wertlose Zeugen befragen. Dabei ist das wohl zu 95 Prozent reale Polizeiarbeit. Zwar bekommen wir über die Nebenfragen noch die Chance, Punkte wieder gut zu machen, da Sherlock sich in seiner Genialität nicht mit solchen Kleinkram befasst. Aber irgendwie ist es schon ein wenig deprimierend, wenn man bei der Auflösung gesagt bekommt, wie man eben nicht Zack-Zack durch den Fall gerauscht ist.
Ansonsten ist SHERLOCK HOLMES: BERATENDER DETEKTIV schon sehr textlastig. Je länger ein Fall geht, desto schwerer wird es, die Konzentration zum Zuhören aufrecht zu erhalten. Da ich festgestellt habe, dass ich das meiste über visuelle Wahrnehmung aufnehme, lese ich solche Texte lieber selbst. Wenn ich aber wiederum die Texte laut vorlese, dann bekomme ich selbst von dem Vorgelesenen zu wenig mit und lese Texte danach noch einmal für mich selbst im Stillen. Ideal wäre somit eine App, die vorliest und ich parallel dazu im Textheft mitlesen kann (so mache ich es auch bei den ADVENTURE GAMES). Eine andere Alternative ist es, die Fälle alleine zu lösen. Das geht schon recht gut, auch wenn dann manchmal der Input eines zweiten Mitdenkenden fehlt. Aber man kann in seinem eigenen Tempo ermitteln, was auch Vorteile hat.
Das gefällt mir gut: Die Fälle sind einfach klasse! Da gibt es falsche Fährten, Nebenhandlungen und Sackgassen. Die finale Auflösung überzeugt ebenfalls, so dass man nicht das Gefühl hat, dass die Fälle zu sehr konstruiert sind. Dabei fühlt man sich immer in einen klassischen Detektiv-Roman versetzt, was sicherlich auch an der guten und flüssigen Übersetzung liegt.
Am besten gefällt mir aber die Art des Ermittelns. Man wird nicht etwa an die Hand genommen, wie bei den vielen anderen Neuerscheinungen (bspw. DECKTECTIVE, CRIME STORY oder POCKET DETECTIVE), sondern man hat relativ freie Hand. Aus den zur Verfügung stehenden Informationen, muss man sich selbst ein Bild basteln. Was hat der Auftraggeber gesagt? Was wissen wir über den Tatort? Gibt es Hinweise zu den Begleitumständen in der Presse? Wo man mit den Ermittlungen anfängt, ist einem selbst überlassen. Wenn man sich frei macht vom Zeitdruck der Endbewertung, dann kann man sich völlig in das Szenario fallen lassen. Weiß man selbst nicht mehr weiter, dann fragt man z.B. bei der Droschkenzentrale, im Staatsarchiv oder in der Gerichtsmedizin nach – wenn man dort nicht ohnehin schon automatisch hingeht. Außerdem kann alles wichtig sein. Der Stadtplan ist nicht nur Zierde, sondern kann Alibis bekräftigen oder zerstören. Gezeigte Notizen sind nicht nur grafische Auflockerung, sondern können wichtige Informationen bringen. Bei SHERLOCK HOLMES: BERATENDER DETEKTIV wird man gefordert, aber umso befriedigender ist man, wenn man am Ende erfolgreich war.
Die Aufmachung im edlen Schuber mit den einzelnen Fallakten trägt übrigens auch wesentlich zu Spielspaß bei. Die grafische Gestaltung kann ich nur loben und das Material ist ebenfalls durchdacht. Ich habe mir sagen lassen, dass es im Original nur ein Buch mit den einzelnen Hinweisen gab. Das hatte mehrere Nachteile, da man dadurch z.B. etwas liest, was gar nicht zum aktuellen Fall passt. Durch die einzelnen Fallakten ist das deutlich voneinander getrennt und die Gerichtsmedizin kann somit auch immer ihre Meinung kund tun – auch wenn sie nichts herausgefunden hat.
Fazit: Man kann es sich gar nicht vorstellen, dass SHERLOCK HOLMES: BERATENDER DETEKTIV schon 35 Jahre auf dem Buckel hat. Das Spiel passt perfekt in den aktuellen Trend der Krimispiele – und ist dabei immer noch ein Vorreiter und für mich eine der selten erreichten Referenzen. Ich kann es kaum erwarten, bis die weiteren Fälle auch auf deutsch erscheinen.
Titel | Sherlock Holmes: Beratender Detektiv – Die Themse Morde |
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Autoren | Raymond Edwards, Suzanne Goldberg und Gary Grady |
Illustrationen | Bernard Bittler, Arnaud Demaegd, Nils Gulliksson, Neriac, Pascal Quidault und Stefan Thulin |
Dauer | 60 bis 90 Minuten |
Personenanzahl | 1 bis 6 Personen |
Zielgruppe | kriminalistische Literaturliebhaberunden |
Verlag | Space Cowboys (Asmodee Germany) |
Jahr | 2020 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
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