Carpe Diem von Stefan Feld – erschienen bei alea (Ravensburger)
CARPE DIEM! So ein Spieletitel lädt zu Wortspielen aller Art ein. Da ich aber lieber den Tag für sinnvollere Betätigungen nutze, lasse ich das lieber sein – und spare mir auch gleich eine geistreiche Einleitung.
Thema... alles wird auf Null gestellt – zumindest die Zeitrechnung. Wir Spieler befinden uns im Jahre Null und sind römische Patrizier, die ihr eigenen Stadtviertel bauen lassen. Das Thema ist aber auch null interessant und null wichtig. Denn man fühlt sich zu keiner Zeit wie ein Bauherr oder ein einflussreicher Patrizier. Wie nicht unüblich bei Spielen von Stefan Feld ist das Thema also nur begleitendes Dekor für die ausgetüftelte Spielmechanik. Mit ein wenig Glück kann es für schöne Illustrationen sorgen, mehr aber meist auch nicht.
Illustrationen... leider wurde uns Spielern das Glück mit den schönen Illustrationen verwehrt. Die Illustratorin Lalanda Hruschka schaffte es zumindest bei mir nicht, irgendwie das Gefühl aufkommen zu lassen, dass ich mich spielerisch im Rom zur Zeitenwende befinde. Die einzelnen Bauplättchen sollen Gebäude von oben zeigen, was am deutlichsten an den Schornsteinen der ziegelbedeckten Villen erkennbar wird. Dabei war mir neu, dass römische Städte so begrünt waren. Rein von den Illustrationen fühle ich mich somit eher an eine aufgelockerte Bebauung im Mittelalter denn an eine römische Stadt erinnert. Auch die Brote waren für alle Spieler auf den ersten Blick eher Holzscheiben als das eigentlich gewollt dargestellte Objekt. Das ist alles natürlich eine Art Geschmacksfrage, wobei der Tenor der Mitspieler diesbezüglich recht einheitlich war.
Zusätzlich sind auch ein paar handwerkliche Fehler zu erkennen. Die Farben sind teilweise nur schwer zu unterscheiden, da alles in dunklen Tönen wabert. Man hätte über zusätzliche Symbole auf den einzelnen Plättchen wesentlich mehr Klarheit schaffen können. Auch für die Rückseiten wären solche Symbole hilfreich, dann hätte man nämlich eine faire Chance, die grünen von den etwas dunkleren grünen Rückseiten unterscheiden zu können. Aber ich will nicht alles schlecht reden. Die Gestaltung der Spieler-Tableaus finde ich ausgesprochen gut und hilfreich. Auch die Kennzeichnung der Wertungskartenverteilung und deren Ablage auf dem Spielbrett ist gut gelungen. Es ist einfach so, dass Lalanda Hruschka nun zum ersten Mal ein Spiel illustriert hat. Dabei zeigt sich, dass nur selten Meister vom Himmel fallen.
Ausstattung... ist so, wie man es von anderen alea-Spiele gewohnt ist. Es gibt eine Vielzahl von Bauplättchen sowie unterschiedliche Rahmenteile, Bau-Tableaus, Übersichtstafeln und weitere Spielelement aus guter, funktionaler Pappe. Zusätzlich sind noch ansprechende Holzteile für das Material der Spieler sowie für die Waren in der Box. Die Siegpunkte werden in Form von Karten angezeigt. Zusätzlich gibt es noch eine sehr große Menge an unterschiedlichen Wertungskarten.
Leider muss ich auch über die Ausstattung ein wenig schimpfen. Denn zusätzlich zur etwas unklaren Grafik fördert auch das Material nicht unbedingt die Erkennbarkeit der einzelnen Elemente. Die Pappteile sind derart beschichtet, dass sich dort recht extrem das Deckenlicht spiegelt. Dann kann man von oben kaum die Auslage bzw. das eigene Stadtviertel erkennen muss sich dann verrenken, um schräg darauf zu gucken. Das amüsiert zwar die Mitspieler und fördert sicherlich das gesunde bewegliche Sitzen, ist aber als Betroffener eher nervig.
Ablauf... am Anfang der vier gespielten Runden werden die sieben Bauplätze mit jeweils vier Bauplättchen gefüllt. Dann bewegen sich abwechselnd die Baumeister von Bauplatz zu Bauplatz und nehmen sich dort ein Plättchen, was dann sofort im eigenen Viertel eingebaut wird (immer anliegend an bereits gebaute Plättchen). Die Bewegung der Baumeister ist allerdings eingeschränkt, da immer nur auf die beiden gegenüberliegende Bauplätze gezogen werden darf (unterstützend wird das über sternförmige Bewegungslinien auch grafisch aufgezeigt). Im 4‑Personen-Spiel wird das solange gemacht, bis überall alle Plättchen genommen wurden. Im 2- und 3‑Personen-Spiel werden dahingegen nur zwei (bzw. drei) Plättchen pro Bauplatz genommen und die restlichen kommen dann sofort aus dem Spiel.
Hat man durch das Anlegen eines Bauplättchen ein Bauwerk (bzw. eine Kulturlandschaft) vollendet, dann erhält man entweder Waren oder zusätzliche Aktionsmöglichkeiten. So kann man beispielsweise auf der Feld'schen Leiste vorrücken. Diese heißt bei CARPE DIEM "Banderolenleiste", weil man beim Überbauen bestimmter Felder Banderolen abräumt und dadurch ebenfalls auf der Leiste vorrückt. Diese Leiste gibt einem am Ende nicht nur Siegpunkte, sondern ist von zentraler Wichtigkeit bei den Zwischenwertungen nach jedem der vier Durchgänge. Denn wer vorne liegt, darf bei den Wertungen sich zu erst eine aussuchen. Diese Wertungen sind der eigentliche Clou an CARPE DIEM.
Zu Spielbeginn werden abhängig von der Spieleranzahl Wertungskarten in einem Raster ausgelegt. Zwischen diesen Karten entsteht ein Ablagefeld für die Wertungsscheiben der Spieler. Jeder Spieler kann ein solches Ablagefeld besetzen und führt die beiden Wertungen der anliegenden Karten aus. Dafür muss man manchmal Waren abgeben oder aber bestimmte Gebäude gebaut haben. Kann man die Voraussetzung der Wertung nicht erfüllen, hagelt es dummerweise Minuspunkte. Zusätzlich ist kein Wertungspaar ein zweites Mal zu aktivieren, weil niemals eine Wertungsscheibe auf eine schon ausliegende gelegt werden darf.
Am Ende der vier Runden hat man durch diese Wertungen hoffentlich eine Menge Punkte einfahren können. Zusätzlich wird dann noch geschaut, ob man persönliche Bauvorgaben erfüllt hat. Denn das eigene Bautableau wird durch einen Rahmen eingefasst, auf dem Bauvorgaben aufgeführt sind. Kann man diese Vorgaben durch fertiggestellte Kulturlandschaften bzw. Gebäude erfüllen, wird man mit entsprechenden Siegpunkten belohnt. Weitere Siegpunkte erhält man über fertiggestellte Villen, überschüssige Materialien sowie eventuell durch im Laufe einer Partie erworbene Brunnenkarte, die für bestimmte Elemente weitere Punkte einbringen. Gewonnen hat dann natürlich derjenige, der die meisten Punkte vorweisen kann.
Das gefällt mir nicht so gut: Über die wenig erbauliche Grafik habe ich mich schon genügend ausgelassen. Die ist zwar etwas störend, macht aber CARPE DIEM keinesfalls unspielbar. Hat man sich nämlich daran gewöhnt, dann fallen einem die bemängelten Punkte kaum noch auf. Man muss somit nur die bestehende Anfangshürde überwinden. Das Material ist bis auf die Beschichtung völlig in Ordnung, auch wenn ich das Handling mit den Punktekarten als recht umständlich empfinde. Die Intention dahinter verstehe ich und ich kann auch gut damit leben, dass es Karten statt irgendwelcher Token sind. Aber ich habe das Gefühl, dass die gewählte Stückelung etwas unglücklich ist. Außerdem habe ich noch ein wenig Hand angelegt. So habe ich dem Spiel noch braune Holzscheiben beigelegt, um schon erfüllte Rahmenaufgaben kenntlich zu machen. Auch habe ich schon eine Bestellung meiner geliebten ArtsCow-Beutel aufgegeben.
Spielerisch gibt es wenig zu kritisieren. Die Brunnenkarten sind für mich etwas unnötiger Ballast und bringen eine nicht notwendige Glückskomponente in Spiel (wenn man sie am Ende aufgrund fehlender Alternativen zieht oder wenn sie sehr gut mit den Rahmenaufgaben korrespondieren). Am Anfang ins Spiel gebracht, können sie dahingegen aber eine hilfreiche Orientierung geben.
Zu viert fühlt man sich teilweise etwas gespielt, wenn man am Ende Plättchen nehmen muss, die man so gar nicht haben will. Das geht allerdings allen Mitspielern so und ist somit eine Charakteristik des Spiels. Dabei muss man aber schon eine gewisse Frusttoleranz haben, wenn man versucht, die letzten verbleibenden Bauplättchen in Pest und Cholera zu unterteilen. Das 2- und 3‑Personen-Spiel ist in dieser Hinsicht etwas gnädiger, weil die Auswahl größer ist. Trotzdem wird immer noch nicht jeder Plan gelingen – da sorgen schon die Mitspieler für.
Frusttoleranz ist auch bei den Wertungen gefragt. Hier können Mitspieler ebenfalls sehr effektiv Pläne durchkreuzen. Statt die Runde mit einem fetten Plus abzuschließen, kann man dann froh sein, wenn man keine Punkte abgeben muss. Manch ein Mitspieler war von dieser Möglichkeit der fiesen Einflussnahme ziemlich genervt. Ich habe damit kein Problem, kann aber schon verstehen, dass manche das als zu negatives Element erlebten.
Einige Mitspieler fanden auch die Bewegungsregeln des Baumeisters unnötig kompliziert. Warum muss dieser immer sternförmig zur gegenüberliegenden Seite ziehen? Spielerisch macht es nämlich keinen Unterschied, ob man nun die gegenüberliegenden Seiten als nächste Ziel anvisiert oder aber einfach die angrenzenden Felder. Zumal letzteres für manch einen übersichtlicher ist. Ich empfand das jetzt nicht unbedingt als Problem, kann das mit der Übersichtlichkeit aber schon nachvollziehen. In diesem Zusammenhang hat sich auch Stefan Feld als Autor in die Diskussion eingebracht. Denn tatsächlich macht das spielerisch keinen Unterschied. Der Prototyp sah aber nicht sieben, sondern acht Bauplätze vor – mit drei Bewegungsmöglichkeiten dorthin. Erst im Zuge der Feinjustierung wurden diese dann auf zwei reduziert, so dass ab diesem Moment die Nachbarschaftsregel möglich wäre. Das hätte man nach Aussagen von Feld dann aber in der Entwicklung nicht mehr auf dem Schirm gehabt und deswegen den Stern als Element belassen. Danke und Lob für diese Einblicke!
Das gefällt mir gut: CARPE DIEM ist schnell und knackig zu spielen – und weist dabei eine hohe indirekte Interaktion auf. Aufgrund des cleveren Wertungsmechanismus muss man seine Mitspieler sehr genau im Auge behalten. Auf was für eine Wertung werden diese wohl spielen? Muss ich mich auf der Banderolenleiste nach vorne drängeln oder bleibt mir die Zeit, mich auf andere Schwerpunkte zu konzentrieren? Habe ich einen Plan B für die Wertungen parat oder gehe ich volles Risiko? Solche Fragen stellen sich einem ständig.
Hinzu kommt, dass sich kein Spielzug belanglos anfühlt. Man hat eher das Problem, dass man gerne viel mehr machen würde als man könnte. Aber alles was man macht, fühlt sich auch wichtig an. Lediglich die letzten einzubauenden Plättchen einer Partie sind vielleicht nicht mehr von Belang, weil dadurch keine Optionen mehr bestehen. Oftmals fiebert man aber eher diesen letzten Plättchen entgegen – in der Hoffnung, dass man damit doch noch ein angefangenes Gebäude fertig stellen kann. Grund dafür sind auch die Aufgaben auf den Rahmenteilen. Diese geben einem ganz ordentlich Punkte und sollten deswegen keinesfalls außer Acht gelassen werden (außerdem bieten sie einem Orientierung). So steht man vor einer anspruchsvollen Puzzle-Aufgabe. Wie schaffe ich es, die Anforderungen meines Rahmens mit den Wertungen unter einen Hut zu bekommen?
Somit ist CARPE DIEM ein taktisches Wettrennen um die attraktivsten Plättchen. Wohl dem, der die Konkurrenz richtig liest und sich traut, auch andere Wege zu gehen. Zum Glück gibt es vielfältige Wege zu punkten. Große Villen geben z.B. viele Punkte am Ende einer Partie – dafür hat man aber möglicherweise Probleme bei den Zwischenwertungen (und lebt in der ständigen Angst, die Villa auch fertig gestellt zu bekommen). Man kann aber auch destruktiv sein und die Zwischenwertungen in der Art spielen, dass die Mitspieler so wenig wie möglich Kapital daraus schlagen.
Sehr lobenswert ist auch die hohe Varianz der vielen unterschiedlichen Wertungskarten. Maximal benötigt werden 12 Stück – es sind aber derer 60 vorhanden. Ich bin jetzt kein Statistiker um genau auszurechnen, wieviele unterschiedliche Kombinationen möglich sind (zumal auch die Lage der Karte entscheidend ist). Aber es sollte jedem klar sein, dass man nur äußerst selten eine Partie spielen wird, bei der die gleichen Zwischenwertungen abgefragt werden. Somit fühlt sich jede Partie anders an, zumal die Wertungen nicht nur Punkte generieren, sondern teilweise auch andere Belohnungen beinhalten.
Natürlich ist CARPE DIEM alles in allem ein "Mechanik-Monster", da es nun einmal kaum Thema bietet. Allerdings sind diese Mechaniken einerseits sehr schön miteinander verzahnt und andererseits aber auch jederzeit klar zu fassen. CARPE DIEM ist also nicht aufgesetzt kompliziert, sondern besticht durch seine klare Eleganz.
Fazit: CARPE DIEM schwimmt gegen den Trend. In einer Zeit, in der immer mehr Spiele wunderschön aussehen aber spielerisch wenig zu bieten haben, dreht CARPE DIEM diesen Sachverhalt um. Ganz schön mutig, der Verlagsszene einmal so den Spielgel vorzuhalten! 🙂
Allerdings gehe ich nicht davon aus, dass dies so beabsichtigt war. Denn wenn man es nüchtern betrachtet, mindert die mangelhafte grafische Gestaltung den Erst-Spielreiz erheblich. Nur gut, dass der Name Stefan Feld auch ohne Grafik-Pling-Pling zieht. Doch nicht jeder potentielle Mitspieler sieht über die hinderliche Grafik hinweg, weil das Spiel dahinter so toll ist. Kurzum bleibt somit festzustellen, dass leider nicht das volle Potenzial dieser eleganten Spielidee genutzt wurde.
EDIT: Seit Frühjahr 2019 ist eine neue Auflage im Handel, die ein wenig die Grafik angepasst hat. Dadurch wird CARPE DIEM jetzt nicht unbedingt eine Schönheit, aber es lässt sich doch noch etwas besser spielen. Zusätzlich gab es dann sogar noch eine komplette Neuauflage.
Titel | Carpe Diem |
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Autor | Stefan Feld |
Illustrationen | Lalanda Hruschka |
Dauer | 15–20 Minuten pro Person |
Personenanzahl | 2 bis 4 Spieler |
Zielgruppe | Legespiele mögende Kennerspielrunden |
Verlag | alea (Ravensburger) |
Jahr | 2018 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
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