Mercado von Rüdiger Dorn – erschienen im KOSMOS Verlag

Während meiner Rollenspielzeit hatten wir öfters mit einem diebischen Spielleiter zu kämpfen. Dauert passierte es uns, dass wir in großen Menschenmengen bestohlen und somit unsere Ausrüstung spärlich gehalten wurde. Wir Spieler haben uns das eine Zeit gefallen lassen (wer will schon dem Herrn und Meister widersprechen), dann aber spitzfindige Lösungsansätze gesucht. Einer davon war, dass wir unsere Beutel mit wertlosem Falschgeld füllten. Wenn dieser geklaut wurde, konnten wir unter unserem Hemd dann den Beutel mit den richtigen Münzen heraus fischen. Wer nun wissen will, wie sich der vermeintliche Dieb beim Öffnen des Beutels gefühlt haben muss, der kann dies ansatzweise bei MERCADO herausfinden. Denn viel zu oft muss man mit der Situation klar kommen, dass scheinbar nur Falschgeld im eigenen Beutel liegt.
Thema... als wohlhabender Bürger besuchen wir Spieler den Markt unserer Stadt. Dort werden viele schöne Dinge angeboten – und die wollen wir natürlich alle erwerben. Allerdings gibt es da zwei Probleme: erstens die Mitspieler und zweitens nicht ganz nachvollziehbare Markteinschränkungen, die auch dafür sorgen, dass das Thema letztlich arg aufgesetzt wirkt.

Illustrationen... sind von der Fiore GmbH und wieder wunderschön. Schon das Cover ist eine Augenweide und toll komponiert. Aber auch die weiteren Elemente sind stimmig illustriert. Dabei zeigt bspw. der Hintergrund des Spielplans all die Gegenstände, die man im Verlaufe des Spiels auf dem Markt erwerben kann. Auch die Symbolsprache ist passend gewählt. Wie so oft haben die Jungs und Mädels der Fiore GmbH somit wieder alles richtig gemacht.


Ausstattung... auffallend ist die doppelseitige Gestaltung der Personen. Hat man sich für eine Spielerfarbe entschieden, dann kann man sich das Geschlecht dieser Person aussuchen. Selbst die Beutel haben entsprechende doppelseitige Anhänger.
Die Beutel werden anfangs mit einem Startkapital an Münzen gefüllt. Diese Münzen sind jedoch nicht aus Metall, sondern aus Holz – sie lassen sich dadurch aber ebenfalls gut greifen. Neben gold‑, silber- und bronzefarbenen Münzen gibt es auch Holzmünzen in Türkis (keine Ahnung, was das für ein Metall sein soll). Außerdem befinden sich auch noch schwarze Holzmünzen in der Anfangsausstattung der Beutel. Diese symbolisieren Falschgeld und sind entsprechend wertlos. Im weiteren Spielverlauf kann man auch noch weiße Münzen erwerben, die sofort als Joker genutzt werden können.

Die Objekte der Begierde sind auf quadratischen Papp-Tafeln dargestellt, wovon immer eine gewisse Anzahl offen ausliegt. Zusätzlich gibt es noch einen Spielplan, der hauptsächlich als Wertungsleiste dient. Dieser Spielplan ist doppelseitig bedruckt, womit MERCADO mehr Variabilität verliehen wird. Zu guter Letzt sind noch kleine Privilegien, Siegel und ein Startplättchen aus Pappe sowie hölzerne Zählsteine in Spielerfarben in der Box.
Ablauf... ist man am Zug, zieht man aus seinem Beutel drei Münzen und legt diese an die Markttafeln an. Damit man unterscheiden kann, welche Münzen von welchem Spieler dort platziert wurden, zeigt jeder Tafelrand eine Spielerfarbe (und natürlich legt man seine Münzen an die Seite, die der eigenen Farbe entspricht). Jede Markttafel gibt dabei vor, welche Münzen notwendig sind, damit man diese erwerben kann. Sobald ein Spieler die entsprechenden Münzen dort liegen hat, wird die Tafel gewertet. Dann legt man die Münzen auf die eigene Personentafel und es wird der eigene Zählstein auf der Wertungsleiste voran gerückt. Manchmal gibt sogar es noch weitere Belohnungen (man darf Falschgeld abwerfen, man bekommt Privilegien oder Siegel, die Mitspieler erhalten zusätzliches Falschgeld usw.). Alle anderen Spieler an dieser Tafel gehen übrigens leer aus, bekommen aber die Münzen zurück in ihren Beutel. Eine kleine Entschädigung in Form eines weiteren Siegels bekommt zusätzlich noch der Spieler, der dort die zweitmeisten Münzen liegen hatte.

Für was braucht man Siegel? Diese kann man einmal zu Beginn seines Zug einsetzen und dann zusätzlich zwei weitere Münzen ziehen. Auch kann man einmalig ein Privileg zu Beginn des eigenen Zuges einsetzen und wird damit meist mit zusätzlichen Siegpunkten und anderen kleinen Dingen belohnt. Statt Münzen aus dem Beutel zu ziehen, kann man auch seinen Beutel wieder auffüllen. Dazu werden alle zwischenzeitlich gesammelten Münzen wieder von der Personentafel zurück in den Beutel gelegt.
Für das Verständnis ist nun noch ein Blick auf die Wertungsleiste wichtig. Denn MERCADO ist ein verkapptes Rennspiel. Das Spiel endet nämlich, wenn einmal diese Leiste umrundet wurde. Dabei lösen die einzelnen Felder auf der Leiste ebenfalls noch Aktionen aus (man kann weitere Schritte auf der Leiste laufen, bekommt oder verliert Falschgeld usw.), so dass die Bewegung dort sehr genau bedacht werden sollte – sofern man denn wirklich Einfluss ausüben kann.

Das gefällt mir nicht so gut: Die Effekte auf der Wertungsleiste und teilweise auf den Warentafeln fordern die Spieler heraus, sehr planvoll vorzugehen. Warum sollte ich vier Schritte auf der Wertungsleiste vorgehen wollen, wenn ich dann dafür mit einem zusätzlichen Falschgeld bestraft werde? Da versuche ich doch lieber nur drei Schritte vorzugehen, denn dort verliere ich eine Falschgeldmünze. Allerdings können solche taktische Überlegungen kaum in die Tat umgesetzt werden, da ein immenser Glücksfaktor besteht. Das betrifft nicht nur die eigenen Züge, sondern auch die der Mitspieler. Nur selten kann man wirklich vernünftig die einzelnen Wahrscheinlichkeiten abschätzen. Aber nicht nur das aus dem Beutel ziehen ist mit viel Glück verbunden. Hinzu kommen noch weitere Glückselemente wie die Privilegien oder auch manche Warentafeln. Oder man spielt bspw. auf eine Ware, für die man vier goldene Münzen benötigt. Drei liegen schon dort, aber man zieht partout nicht die vierte. Dann hat ein Mitspieler Glück und kann die Ware erhaschen. Ich bekomme meine goldenen Münzen zurück in den Beutel (und ziehe diese dann mit hoher Wahrscheinlichkeit) – mit Pech liegen dann aber keine Waren mehr aus, für die man Goldmünzen benötigt. Das Auffüllen des Sackes ist dann nur eine Notlösung – zumal somit auch wieder alle halbwegs vernünftig zu berechnenden Wahrscheinlichkeiten hinfällig wären. Für mich ist somit viel zu viel Glück bei MERCADO im Spiel – vor allem in Bezug zu den einzelnen durchaus interessanten taktischen Abwägungen.

Ein weiteres großes Manko ist in meinen Augen die Themenwahl. Ja, nicht jedes gute Spiel benötigt zwingend ein gutes Thema. Manchmal reicht es aus, wenn dieses lediglich die Mechanik unterstützt. Aber selbst das ist bei MERCADO nicht wirklich gegeben. Bei diesem Spiel gibt es auch thematisch ganz viele Ungereimtheiten. Wie soll ich mir das denn praktisch vorstellen? Ich verdiene an einem Tag drei Münzen, laufe damit zum Händler meiner Wahl und mache eine Voranzahlung? Wie erklären sich die einzelnen Effekte auf der Wertungsleiste? Wofür gibt es Siegel und Privilegien? Das passt alles hinten und vorne nicht – und das ist schade. Warum nicht ein anderes Thema? Vielleicht mit ein wenig Selbstironie, die dann auch den Glücksfaktor inhaltlich abfedert. Das macht bspw. DIE QUACKSALBER VON QUEDLINBURG wesentlich überzeugender. Auch in diesem Spiel ist der Glücksanteil enorm. Allerdings vermittelt dort die thematische Einbettung ein ganz anderes Spielgefühl. Bei MERCADO ist das zu kühl und zu abstrakt.

Nicht wirklich glücklich bin ich auch mit der Abhandlung der Warentafeln. Wer zuerst alle Münzen vorweisen kann, bekommt die Ware – und der Rest geht größtenteils leer aus. Bei diesem Element hätte ich mir gerne eine etwas direktere Interaktion gewünscht. Wie wäre es denn, wenn ich den Preis noch überbieten könnte? Oder ich anderweitig Ansprüche darauf erheben könnte (durch die Abgabe von Siegeln). Dieses Verteilungs-Element der Tafeln vergleiche ich immer mit dem Kapern von Schiffen bei STÖRTEBEKER. Dort kann ich allerdings zu einem Gegenschlag ansetzen – und schon ist das ganze Spielgeschehen interaktiver. Ein wenig mehr Konfrontation bei diesem Spielelement wäre mir also lieber gewesen.
Ohnehin ist Konkurrenz zu selten gegeben. Im 2‑Personen-Spiel geht man sich meist aus dem Weg, im 3‑Personen-Spiel ist schon ein wenig mehr Leben auf dem Markt. Trotzdem kann man sich noch problemlos auf seine Lieblinge konzentrieren – denn im Zweifel verzichten die Spieler auf Konkurrenz und gehen auf Nummer sicher. Vielleicht hätte es MERCADO gut getan, die Marktauslage mehr mit der Spieleranzahl zu skalieren oder Dummy-Spieler zu integrieren.
Zu guter Letzt noch eine kleine Kritik am Material. Bei schlechten Lichtverhältnissen lassen sich die goldenen und silbernen Holzscheiben kaum voneinander unterscheiden. Das hat leider einige Male für Unmut gesorgt, da die Information der eigenen und gegnerischen Verteilung für die eigenen Abschätzungen wichtig ist. Hier hätte eine etwas deckendere Lackierung gut getan.
Das gefällt mir gut: Mit vier Leuten spiele ich jederzeit eine schnelle Runde MERCADO mit. Dann herrscht Konkurrenz an den Tafeln und es können Emotionen auftreten. Auch das Rennen auf der Wertungsleiste um lukrative Felder ist in Vollbesetzung spannender, da nun mehr Felder blockiert sind.
Ansonsten ist und bleibt das Ziehen aus einem Beutel ein spannendes Element. Sei es nun in lustigen Familienspielen (DIE QUACKSALBER VON QUEDLINBURG), gehobenen Kennerspielen (OLREANS) oder ausgefuchsten Expertenspielen (ALTIPLANO). Es ist einfach spannend zu erleben, was nun tatsächlich aus dem Beutel gezogen wird. Ich mag dieses Element!!!

Lobenswert finde ich noch, dass zwei Wertungsleisten zur Verfügung gestellt werden. Die B‑Seite ist dabei wesentlich interaktiver und meine bevorzuge Seite. Auch die einzelnen Waren sind durchaus abwechslungsreich und es war die richtige Entscheidung, hier nicht nur stumpf einzelne Siegpunkte zu vergeben.
Auch loben möchte ich nochmals die tolle Ausstattung und die ansprechende Grafik. Hier wurde schon vieles richtig gemacht – leider fehlt es in meinen Augen aber am Feinschliff des eigentlichen Spiels.
Fazit: MERCADO hat vielleicht das Pech, dass zeitgleich ein vergleichbares Spiel (DIE QUACKSALBER VON QUEDLINBURG) auf den Markt kam, was einige Details besser gelöst hat. So geht es etwas in der Aufmerksamkeit unter. Allerdings habe ich auch das Gefühl, dass nicht das ganze Potential der interessanten Spiel-Idee herausgekitzelt wurde. Im Ergebnis hat man somit "nur" ein solides Spiel. Das spielt man schon mal gerne mit, aber ob man es noch in ein paar Jahren auf dem Tisch wiederfinden wird, das wage ich zu bezweifeln.
Titel | Mercado |
Autor | Rüdiger Dorn |
Illustrationen | Fiore GmbH |
Dauer | 30 bis 45 Minuten |
Spieleranzahl | (2 bis) 4 Spieler |
Zielgruppe | Familienspieler |
Verlag | KOSMOS |
Jahr | 2018 |
Ich bedanke mich bei KOSMOS für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars. Ich bin mir sicher, dass durch diese Bereitstellung meine Meinung nicht beeinflusst wurde. Die Besprechung spiegelt meine gemachte Erfahrung wider.
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