Die Quacksalber von Quedlinburg von Wolfgang Warsch – erschienen bei Schmidt Spiele
Als damaliger Besucher der 11. Klasse habe ich mich unter anderem deswegen für einen Chemie-Leistungskurs entschieden, da ich eine etwas verklärte Vorstellung hatte. Ich dachte, es würde dann weniger "echten" Unterricht geben und man würde viel Zeit vor dem Bunsenbrenner verbringen – und dabei schön viel Chaos anrichten. Die Wirklichkeit sah natürlich anders aus (sowohl als auch). Auch im späteren Leben vermied ich – am Kochtopf stehend – lieber all zu wilde Experimente. Denn mit Essen spielt man nicht. Glücklicherweise aber mit Spielen! So kann ich nun also endlich mit DIE QUACKSALBER VON QUEDLINBURG diese ansonsten von mir vernachlässigte Neigung voll ausleben.
Thema... zugegeben, Quedlinburg kannte ich bisher nur aus der Stadt-Land-Fluß-Erinnerung – schließlich benötigte man immer mal wieder eine Stadt mit Q. Dass dort aber im Mittelalter ein neuntägiger Basar abgehalten wurde, war mir neu (zumal dieser dann wohl eher "Markt" genannt worden wäre). Jedenfalls brauen wir Spieler dort vor Ort Tränke. Wir mischen abwegige Zutaten zusammen und wollen diese Tränke gewinnbringend verkaufen – auf das wir uns neue Zutaten besorgen können und zusätzlich noch Ruhm und Ehre einsammeln.
Illustrationen... sind von Dennis Lohausen und folgen seinem ihm eigenen Stil. Nicht jedem gefällt dieser Stil, zum Mittelalterthema von DIE QUACKSALBER VON QUEDLINBURG passt er aber sehr gut. Darüber hinaus versteht es Lohausen natürlich wieder, eine vernünftige Symbolsprache zu entwickeln. Wobei glücklicherweise nicht versucht wird, alles über diese Symbole zu beschreiben, sondern auch viele Texte auf den Karten zu finden sind – das macht es Einsteigern wesentlich leichter.
Richtig toll finde ich übrigens die perspektivische Gestaltung der einzelnen Kessel. Schade nur, dass die Kesselfarbe so wenig hervor sticht (zumal ich es unglücklich finde, dass die Holzsteine andere Spielerfarben haben als die Kessel bzw. Siegpunktplättchen).
Ausstattung... da DIE QUACKSALBER VON QUEDLINBURG ein Bag-Building-Spiel ist, dürfen natürlich die entsprechenden Stoff-Säckchen nicht fehlen – und deren Inhalt. Das sind in diesem Fall ganz viele kleine Pappplättchen als Zutaten-Chips. Wobei man das Wort Chips nicht zu wörtlich nehmen sollte. Auch bin ich mir recht sicher, dass ich diese Zutaten "in echt" nicht zu mir nehmen würde wollen: Kürbis ist schon nicht mein Lieblings-Gemüse, aber auf Kreuzspinnen kann ich bspw. gänzlich verzichten. Was diese Zutaten im Spielverlauf bewirken, wird über die Zutaten-Bücher bestimmt. Für die meisten Zutaten gibt es vier verschiedene Wirkungen und durch die entsprechenden Kombinationen können somit sehr abwechslungsreiche Partien entstehen.
All diese Zutaten werden im Spielverlauf in einem Kessel abgelegt, welcher vor uns aus liegt (allerdings ist auch dieser nur aus Pappe). Jeder Spieler erhält ein solches Spielertableau und dazu noch eine gefüllte Flasche sowie einen der vielen Rubine. Auf dem Tableau wird in eine Schale noch eine kleine Holzscheibe mit einer Ratte gelegt. Eine ähnliche Scheibe mit einem Tropfen kommt in die Mitte des Kessels.
In die Mitte wird dann noch eine Tafel mit der Siegpunktleiste und der Rundenanzeige gelegt. Zu guter Letzt sind in der Box noch 24 Wahrsagerkarten enthalten, die wiederum eine hohe Variabilität der Spielrunden bewirken.
Ablauf... ist recht schnell erklärt. Jeder zieht gleichzeitig aus seinem Beutel einzelne Zutatenchips und legt diese entsprechend ihres Werte in den eigenen Kessel. Das macht man so lange, bis man freiwillig passt – oder einem das Gebräu explodiert. Dieses Überkochen tritt ein, wenn die Summe der Knallerbsen im Trank einen höheren Wert als 7 erreicht hat. Während dieser Phase können manche Zutaten auch spezielle Wirkungen zeigen.
Sind alle Spieler mit ihrem Trank fertig, wird die aktuelle Runde ausgewertet. Auch hier haben bestimmte Zutaten noch ihre eigenen Wirkungen. Vor allem werden dabei aber die Spieler belohnt, die es geschafft haben, rechtzeitig aufzuhören. Denn diese können neue Zutaten einkaufen und werden mit Siegpunkten belonht. Die Spieler, die ihr Glück überstrapaziert haben, können sich nur für eine dieser beiden Alternativen entscheiden. Noch mehr wird der Spieler belohnt, der seinen Kessel am weitesten füllen konnte. Denn dieser bekommt noch einen kleinen zu erwüfelnden Bonus.
Dabei geht die Siegpunktschere ein wenig auseinander. Damit man aber mit einem geplatzen Kessel nicht völlig außen vor ist, darf man zur Kompensation die nächste Runde mit einem kleinen Vorsprung den Trank füllen – je nach Siegpunktabstand zum Führenden kann ein Rattenstein im eigenen Kessel gelegt werden. Nun muss man erst ab diesem seine Chips ablegen (und nicht wie sonst, ab dem Tropfenstein im Kessel).
Eine Partie endet nach neun gespielten Runden. Dabei weist DIE QUACKSALBER VON QUEDLINBURG eine hohe Varianz auf. So können die Zutaten in den einzelnen Partien unterschiedliche Wirkungen haben. Welche Wirkung aktuell gilt, wird über die Zutaten-Bücher vorab bestimmt. Außerdem wird vor Rundenbeginn immer eine Wahrsagerkarte ausgespielt, die immer entweder kleine Belohnungen oder Regeländerungen für die aktuelle Runde bewirken.
Außerdem gibt es noch eine Variante. Dabei wird dann das Kessel-Tableau umgedreht und es gibt nun ein kleines zusätzliches taktisches Element.
Das gefällt mir nicht so gut: Mir ist die Interaktion zu gering. Im Endeffekt bosselt jeder vor sich hin und hofft, dass sein Trank nicht explodiert. Ja, man schaut bei den Nachbarn, wie es mit deren schwarzen Chips aussieht, aber wirklich ändern tut sich dadurch bei mir nichts. Die einzige Interaktion betrifft das Ende einer Runde, bei der man vielleicht noch versucht, doch der Führende zu sein. Das war es aber schon. Es gibt keine Zutaten, die mir bspw. erlauben, weitere Knallerbsen bei meinen Mitspieler in den Trank zu werfen. Ich weiß, dass einige meine Mitspieler genau dieses fehlende Konflitpotential zu schätzen wissen – mir fehlt es etwas. Wenn ich schon so ein chaotisches Spiel vor mir liegen habe, dann möchte ich mehr direkten Einfluss auf die Ergebnisse meine Mitspieler ausüben. Als ob es auf dem wuseligen Markt aufgefallen wäre, wenn ich meinen Konkurrenten einen verfaulten Kürbis in dessen Trank geworfen hätte.
Ansonsten ist mir eine Partie manchmal etwas zu lange. Ich verstehe schon, warum man tendenziell mehr Runden spielt. Schließlich sollen sich die verschiedenen Wertigkeiten der Zutaten auch lohnen und bemerkbar machen. Aber trotzdem ist mir das etwas zu repetitiv – vor allem dann, wenn ich das Gefühl habe, hoffnungslos hinten zu liegen. In solchen Fällen muss ich mich teilweise schon aufraffen, noch die letzten zwei Runden zu spielen. Anders ist das Gefühl natürlich, wenn es knapp zugeht und noch jeder gewinnen kann. Dann trägt das Spiel auch über alle neun Runden.
Die Möglichkeit des Betrügens hat Tom Felber schon recht gut ausgearbeitet. Ja, dass kann ein Problem sein. Ich habe das bewusst mal in einer Partie ausprobiert – und augenscheinlich ist es keinem aufgefallen (zumindest wurde sich nicht beschwert). Aber wie auch in einem meiner Lieblingsspielen (ROLL FOR THE GALAXY) muss man damit leben und einfach seinen Mitspielern vertrauen. Oder aber man spielt ein wenig zeitversetzt und lässt nacheinander die Zutaten ziehen. Dann dauert das Spiel zwar länger, aber mit entsprechendem Trash Talk kann das auch witzig sein.
Ein ganz klein wenig unglücklich bin ich mit dem Material. Die Farben der Holzmarker passen nicht zum Kessel bzw. zu den Siegpunktplättchen. Okay, dass ist jetzt kein riesiges Problem, aber es stört. Auch finde ich, dass die Farben dieser Marker sich nicht ausreichend gut unterscheiden lassen (wenn die Beleuchtung nicht optimal ist). Ohnehin kann eine direkte Deckenbeleuchtung problematisch sein, da die einzelnen Tableaus durch ihre glänzende Beschichtung sehr spiegeln. Das ist schon störend, wenn man nicht alles auf dem ersten Blick genau erfassen kann. Zu guter Letzt zeigen manche Chips schon leichte Auflösungserscheinungen. Durch die schiere Menge ist das noch kein Problem und ich sehe auch keine echte Alternative (219 kleine bunte Holzscheiben würden die Kosten sprengen). Sehen wir es positiv: ich habe DIE QUACKSALBER VON QUEDLINBURG recht häufig gespielt und man sieht es ihm nun ein wenig an.
Das gefällt mir gut: Wie das bei Push-Your-Luck so ist: die Emotionen können überkochen. Ständig steht man vor der Frage: soll ich noch einmal in meinen Beutel greifen oder lasse ich es lieber? Okay, da liegen schon 5 Knallerbsen, aber ich habe da doch noch mindestens zwei Vierer-Alraunen. Das müsste doch mit dem Teufel zu gehen, wenn ich nun ausgerechnet die 3er-Knallerbse ziehe. Und ja, es geht dann meistens mit dem Teufel zu!
Glück ist also auf alle Fälle notwendig. Nicht jedem gefällt das. Für mich ist es allerdings noch im Rahmen. Ja, wenn man anfangs kein Glück hat, dann wird es sehr schwer, eine Partie DIE QUACKSALBER VON QUEDLINBURG zu gewinnen. Aber das ist erstens kein negatives Alleinstellungsmerkmal und vor allem ist trotzdem auch nicht unmöglich! Aufgrund der überschaubaren Spiellänge ist es für mich der hohe Glücksanteil noch vertretbar. Und wenn es nicht gut läuft, dann muss man eben über sich selbst lachen können. Damit dies gelingt, versucht das Spiel viel. Die thematische Einbettung mit Augenzwinkern ist selbstironisch genug, um hier schöne Vorlagen zu bieten. Wenn man seinen Trank platzen lässt (durch Knallerbsen!), dann ist das eben einen Lacher wert – man ist nun einmal nur ein Quacksalber und kein angesehener Magister.
Auch sind einige Mechanismen berücksichtigt, die ein Aufholen ermöglichen. Die Rattensteine sind natürlich mehr ein Tropfen auf dem heißen Stein – aber besser als nichts. Zusätzlich sind einige Wahrsagerkarten im Spiel, die die führenden Spieler etwas ausbremsen können. Zu guter Letzt sind neun Runden zu spielen. Es ist schon eher ungewöhnlich, wenn jemand neun Runden lang nur Pech und ein anderer neun Runden nur Glück hat. Wahrscheinlich ist es dann eher das subjektive Gefühl, dass es bei einem selbst durchgehend doof läuft, während alle anderen Mitspieler das Glück gepachtet zu haben scheinen. Letztendlich muss man eben am Ende höheres Risiko eingehen als die Mitspieler. Größtenteils wird es dann nicht ausreichen – aber wenn doch, dann fühlt es sich großartig an. Außerdem gilt es eben abzuwägen, was einem zu welchem Zeitpunkt des Spiels bei einem geplatzen Kessel wichtiger ist: Siegpunkte nehmen oder lieber noch mehr Zutaten kaufen.
Denn bei allem notwendigen Glück ist auch der taktische Anteil nicht zu unterschätzen. Nicht jede Zutat ist gleich wertvoll. Auch müssen die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Zutaten erkannt werden. Durch die unterschiedlichen Zutaten-Bücher besteht hier ein großes Entdeckungsfeld. Ich habe nicht berechnet, wieviele unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten bestehen. Aber es sind viele! Hinzu kommen noch die verschiedenen Wahrsagerkarten und schon gleicht keine Partie der anderen.
Die fehlende direkte Interaktion macht DIE QUACKSALBER VON QUEDLINBURG übrigens auch sehr gut zu zweit spielbar. Man kann dann sehr zügig spielen und es bleibt selten bei nur einer Partie. Denn bestimmt lag die Niederlage nur an den komischen Zutaten: also schnell mal andere Zutaten-Bücher ausprobieren!
Fazit: Mit etwas Überraschung habe ich feststellen müssen, dass DIE QUACKSALBER VON QUEDLINBURG zum Kennerspiel des Jahres nominiert wurde. Über die Nominierung an sich habe ich mich nicht so sehr gewundert, allerdings hätte ich es eher in die "rote" Kategorie eingeordnet. Sagen wir mal so, es ist im Grenzbereich zwischen klassischem Familienspiel und etwas gehobeneren Kennerspiel. Aber insbesondere durch das stückweise Freischalten der gelben und lila Zutaten hat man einen überschaubaren Einstieg und kann recht schnell loslegen. Das es ansonsten alle Zutaten eines guten Familienspiels hat, sollte durch meine vorherigen Worte deutlich geworden sein. DIE QUACKSALBER VON QUEDLINBURG ist also keine Knallerbse, sondern ein vollmundiger Trank voller Emotionen.
Titel | Die Quacksalber von Quedlinburg |
Autor | Wolfgang Warsch |
Illustrationen | Dennis Lohausen |
Dauer | 45 Minuten |
Spieleranzahl | 2 bis 4 Spieler |
Zielgruppe | risikofreudige Familienspieler |
Verlag | Schmidt Spiele |
Jahr | 2018 |
Ich bedanke mich bei Schmidt Spiele für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars. Ich bin mir sicher, dass durch diese Bereitstellung meine Meinung nicht beeinflusst wurde. Die Besprechung spiegelt meine gemachte Erfahrung wider.
Quacksalber ist eines meiner neuen Lieblingsspiele! Schnell erlernt, die Runden gehen flott von dannen und dennoch genug Möglichkeiten zum Taktieren. Schön geschriebener Bericht, stimme dir im Großen und Ganzen voll zu! Das Glück spielt schon eine beachtliche Rolle, wer beim Ziehen zu viel Pech hat, kann es mit taktischen Können auch nicht ausgleichen. Finde das aber auch okay, gehört nun mal zu den meisten Spielen dazu.